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Reform der EbAV-II-Richtlinie (I):

Von der verbindenden Klammer zum Schraubstock?

Die EU-Regulierung für EbAV steht auf dem Prüfstand. Noch ist nichts entschieden. Doch erste Vorschläge zur Weiterentwicklung der EbAV-II-Richtlinie liegen auf dem Tisch – und werden auf dem Parkett kontrovers diskutiert. LbAV-Autor Michael Eder fasst heute den aktuellen Stand der Debatte knapp zusammen.

Neue Trends und Themen erfordern neue Regelungen. So sieht es zumindest die EU-Kommission. Sie will die „Richtlinie über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung“, kurz EbAV-II-Richtlinie oder engl. IORP-II-Directive, an Ongoing Trends in the Area of Occupational Pensions“ anpassen, wie sie schreibt.

Die Richtlinie – auf dem Parkett bestens bekannt und für jede EbAV und alle weiteren Akteure hier ständige Begleiterin – enthält europaweit einheitliche Mindestanforderungen an EbAV, die jeder EU-Mitgliedstaat in nationales Recht umsetzen muss. In Deutschland gilt sie für Pensionsfonds und Pensionskassen. Ziele der Richtlinie sind u.a., die Interessen der Versorgungsberechtigten zu schützen, die Transparenz in der bAV zu fördern und den EU-Binnenmarkt für bAV zu stimulieren.

Die Wurzeln des Regelwerks reichen zurück ins Jahr 2003. Damals entstand die erste Fassung mit 24 Regelungspunkten, genannt Artikel. Sie wurde Ende 2016 von der EbAV-II-Richtlinie abgelöst. Diese umfasst bereits 67 Artikel – das harte Ringen um zahlreiche Details v.a. betreffend die Anlehnung an Solvency II ist unvergessen und wurde redaktionell von LEITERbAV eng begleitet – und wurde Anfang 2019 durch eine VAG-Novelle in deutsches Recht überführt. Hinzugekommen waren bspw. Vorschriften zur eigenen Risikobeurteilung, zur grenzüberschreitenden Tätigkeit von EbAV und zur grenzüberschreitenden Bestandsübertragung.

Ständig an Kampfgewicht zulegend …

Dienstsitz der EIOPA in Frankfurt am Main.

Bald könnten also weitere Regelungen hinzukommen. Um die Reform der Richtlinie vorzubereiten, hat die EU-Kommission die European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) um Vorschläge (Technical Advice) gebeten. Die vorläufige Fassung dieser Vorschläge liegt seit März in Form eines Konsultatationspapiers vor. Ende Mai ist die Konsultationsfrist abgelaufen, Anfang Oktober muss die EIOPA ihre Empfehlungen bei der EU-Kommission abliefern.

aber nicht in jedem Fall

Im Detail ist also offen, wie die europäische bAV-Regulatorik künftig aussehen wird, zumal die EU-Kommission klarstellt: „The advice [… of EIOPA] will not prejudge the Commisson’s final decision in any way.“ Zudem behalte man sich vor, weitere Empfehlungen von anderer Stelle einzuholen. Fest steht aber, welche Themenbereiche die Kommission anpacken möchte. Auch inhaltlich zeigt das EIOPA-Konsulationspapier bereits, in welche Richtung der Wind wehen könnte. Die Verbände, u.a. die aba und Pensions Europe, haben sich schon zu den Vorschlägen positioniert.

Sechs Themenbereiche – und was die EIOPA rät

1.) „Governance and Prudential Standards“: Proportionalität mit Augenmaß

Hier geht es um den Geltungsbereich der Richtline, konkret um die Frage, für welche EbAV sie gilt – und für welche nicht. Grundsätzlich greift das in der Aufsichtspraxis oft diskutierte Proportionalitätsprinzip.Vereinfacht formuliert heißt das: Je mehr Risiko, desto mehr Regulierung.

Die EU-Kommission möchte das Proportionalitätsprinzip beibehalten und gleichzeitig sicherstellen, dass insb. kleine EbAV durch die EU-Regulierung nicht stranguliert werden. Das hehre Ziel lautet also, weiterhin proportional, aber mit Augenmaß zu regulieren. Um dies zu erreichen, rät die EIOPA bspw., alle EbAV mit weniger als 1.000 Rentnern und Anwärtern von der Richtlinie zu befreien – bisher lag die Grenze bei 100 Versorgungsanwärtern.

Aber ist klein wirklich gleichbedeutend mit risikoarm? Außerdem möchte die EIOPA eine eigene Kategorie von Low Risk-IORP einrichten, die ebenfalls von der Richtlinie ausgeklammert werden sollen. Eines von vier harten Kriterien für Low Risk soll eine risikoaverse Kapitalanlagepolitik sein. Fraglich scheint allerdings, ob sich anhand einiger weniger, starrer Merkmale zuverlässig beurteilen lässt, wo Risiken lauern. Die aba bspw. bezweifelt das.

2.) „Cross-border Activities and Transfers“: Ball zurück zur EU-Kommission

Einen europaweiten, grenzüberschreitenden Binnenmarkt für bAV zu fördern, lautet eines der Ziele der EbAV-II-Richtlinie – knapp sieben Jahre nach Inkrafttreten immer noch mehr Wunsch als Wirklichkeit. Auch die EIOPA hat kein Patentrezept gefunden – und spielt den Ball zurück an die Kommission. Sie solle sich von der „Frameworks beyond the IORP II Directive“, also von anderen, bAV-fremden europäischen Rahmenwerken, die in der Vergangenheit den Binnenmarkt beflügelt haben, inspirieren lassen.

 

Darf am Ende kein bAV-Bestand mehr ohne das Plazet

von Rentnern und Anwärtern verkauft werden?“

 

Konkret wird die EIOPA bei den Themen Regulierung und Zulassung sowie Bestandsübertragung: Sie schlägt ein „Prudential Assessment“ und eine regelmäßige Überprüfung des Geschäftsplans aller neuen EbAV durch die nationale Aufsicht vor, und sie empfiehlt, EU-einheitliche Regeln für die Übertragung von bAV-Beständen zu definieren. Aktuell muss für eine grenzüberschreitende Bestandsübertragung die Mehrheit der betroffenen Versorgungsberechtigten und Leistungsempfänger vorab zustimmen. Soll dies in Zukunft neben vielen anderen Anforderungen auch bei nationalen Übertragungen gelten?

3.) „Information to Members and Beneficiaries and other Business Conduct Requirements“: EU-Schablone für Kundeninformationen

Die EIOPA schlägt vor, die Transparenz für Versorgungsberechtigte durch Templates zu stärken. Das heißt: Rentner und Anwärter sollen künftig nach einem EU-weit einheitlichen Schema über den Stand ihrer Versorgung informiert werden.

In einigen EU-Mitgliedstaaten laufen allerdings schon nationale Projekte mit der gleichen Zielsetzung für mehrere oder alle Säulen der Altersversorgung, in Deutschland zum Beispiel die Digitale Rentenübersicht, die auch bAV-Anwartschaften umfasst. Fraglich ist, ob ein zusätzliches EU-Template, das möglicherweise anders aufgebaut wäre, dem Kunden am Ende wirklich mehr Transparenz brächte – oder mehr Verwirrung. Die aba jedenfalls weist auf Interdependenzen zwischen den Vorhaben hin.

4.) „Shift from DB to DC“: Fokus auf Beitragszusage führt zu Ruf nach mehr Kontrolle

Überall in Europa hat in der bAV die Beitragszusage der Leistungszusage den Rang abgelaufen. Aus Sicht der EU ein Anlass für mehr Kontrolle, insbes. bei Kapitalanlage und Kosten. Schließlich sind die Versorgungsberechtigten darauf angewiesen, dass die EbAV ihre Beiträge durch gutes Wirtschaften in auskömmliche Leistungen verwandeln. Schon im Oktober 2021 hatte die EIOPA die Stellungnahme „On the Supervisory Reporting of Costs and Charges of IORPs“, die auf der MiFID-II-Richtlinie basiert, zu diesem Thema veröffentlicht.

Klar ist: Das Kostenberichtswesen ist für EbAV schon heute aufwändig und arbeitsintensiv.

Fraglich scheint: Würde noch mehr Reporting nicht dazu führen, dass EbAV von der EU-Regulatorik erdrückt werden? Genau das möchte die EU-Kommission nach eigener Aussage nämlich verhindern. Sagt sie zumindest.

5.) „Sustainability“: Von der Kür zur Pflicht

Nach der aktuellen Fassung der Richtlinie können (!) EbAV den möglichen langfristigen Auswirkungen von Kapitalanlageentscheidungen auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung Rechnung tragen.

Jetzt empfiehlt die EIOPA, die Nachhaltigkeitsregeln von Solvency II auf EbAV zu übertragen. Was bisher freiwillig war, würde damit zur Pflicht. Auch hier droht EbAV, ähnlich wie beim MiFID-Kostencontrolling, erheblicher Mehraufwand durch ein verschärftes Reporting.

Hinzu kommt: Die EIOPA schlägt vor, dass EbAV die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Versorgungsberechtigten abfragen müssen, ähnlich wie Lebensversicherer in der privaten Altersvorsorge.

6.) „Diversity and Inclusion“: Berichtspflicht zu Vielfalt in Vorstand und Aufsichtsrat

EbAV sollen Vielfalt in ihren Leitungsgremien fördern – und künftig auch darüber berichten müssen, wenn es nach der EIOPA geht. Einerseits sollen sie die nationalen Aufsichtsbehörden über ihre Einstellungspolitik informieren. Andererseits sollen EbAV im Jahresbericht Zielquoten für die Geschlechterverteilung in Vorstand und Aufsichtsrat veröffentlichen.

Manche Experten, u.a. bei der aba, fragen, ob Anwärtern und Rentnern nicht mehr damit gedient wäre, Gremien auch künftig strikt danach zu besetzen, wer „fit and proper“ für die jeweilige Aufgabe ist.

Weniger wird’s nimmer

EU-Kommission in Brüssel. Foto: Guillaume Périgois auf Unsplash.

Der Blick auf‘s große Ganze zeigt: Auf EbAV kommen zusätzliche Anforderungen aus Brüssel zu, ohne dass der bestehende Regelkatalog entschlackt wird. Kann vor diesem Hintergrund wirklich noch von einer EU-Mindestharmonisierung die Rede sein?

Nicht wenige Experten halten es für unsachgemäß, dass EbAV künftig Regelwerke aus anderen Bereichen des Finanzmarkts (MiFID, Solvency II) übergestülpt werden sollen. Weitere Kritikpunkte: Individuelle Interessen einzelner Versorgungsberechtigter würden überbewertet, wie die aba anmerkt, die Funktion der Gremien als Interessenvertreter werde dabei übersehen. Und auch die Vorschläge zur Weiterentwicklung des Proportionalitätsprinzips finden nicht nur Zuspruch. Abzuwarten bleibt, welche dieser Argumente bei der EU-Kommission Gehör finden werden.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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