Und eine Drohung mit dem Obligatorium? Der erste Pulverrauch hat sich gerade erst verzogen, schon gibt es die ersten Reaktionen des Parketts auf den Kabinettsentwurf. Der neue Entwurf bringt weitere Klarstellungen, aber auch Enttäuschungen – und das nicht nur wegen ausgebliebener Verbesserungen nach den Anregungen der Verbände, sondern auch wegen gewisser Rückschritte.
Wie berichtet hat das Bundeskabinett vergangene Woche den Entwurf des BRSG 2.0 beschlossen. Die aba hatte in ihrer ersten Reaktion bereits ihre Teilzufriedenheit kundgetan. Nun gibt es weitere Bewertungen:
Von Herzen wenig …
Henriette Meissner zeigt sich in einem ersten Beitrag zu dem Entwurf enttäuscht: „Nachdem über 30 zum Teil sehr fundierte Stellungnahmen der Verbände zum Referentenentwurf eingegangen waren, wurde davon herzlich wenig berücksichtigt“, schreibt die bAV-Chefin der Stuttgarter in einem Beitrag.
Konkret bemängelt Meissner, dass das Opting out per Betriebsvereinbarung nun deutlich erschwert wurde (§ 20 Abs. 3 BetrAVG-E): Nachdem dies im Referentenentwurf noch ohne tarifliche Grundlage gehen sollte, soll dies künftig nur möglich sein, wenn Entgeltansprüche nicht in einem einschlägigen Tarifvertrag geregelt bzw. dort üblich sind. Jedoch: Das Entgelt ist gerade eine typische Domäne der Tarifverträge. „Das schränkt das Opting out per Betriebsvereinbarung also auf tarifvertraglich ‚jungfräuliche‘ Branchen ein,“ bemängelt die Expertin.
… zur fast geschlossenen Tür
Meissner verweist auf die BDA, die gefordert hatte, dass auch tarifgebundene Unternehmen Optionsmodelle zur automatischen Entgeltumwandlung vereinbaren können sollten, und die vor dem jetzigen Problem schon gewarnt hatte.
„Das SPD-geführte BMAS ist den Bedenken des DGB gefolgt.“
Meissner sieht nun ein Entgegenkommen der Ampel gegenüber den Gewerkschaften:„Wenig überraschend ist das SPD-geführte Arbeitsministerium im Regierungsentwurf den Bedenken, die der DGB in seiner Stellungnahme äußerte, gefolgt und hat die Tür zu einer weiteren Verbreitung der bAV per Betriebsvereinbarung (fast) wieder zugeschlagen.“
Drum prüfe, wer sich in der bAV bindet
Meissner, stellt fest, dass die Ampel auch schon für die Zeit nach ihrer Existenz vorbaut – zumindest in Sachen Evaluierung des Projektes BRSG 2.0:
Das BMAS soll gem. § 24 BetrAVG-E 2028 untersuchen, ob die neuen Weichenstellungen – v.a. zum SPM – für einen Auf- und Ausbau der bAV gereicht haben. Und sind die Menschen – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – nicht willig, dann eben mit Gewalt, denn dann:
„… prüft die Bundesregierung Handlungsoptionen für den weiteren Ausbau, darunter auch die Möglichkeit der Einführung obligatorischer Betriebsrenten auf der Grundlage reiner Beitragszusagen.“
Außerdem nagelt der Entwurf das BMAS fest, die Nettorendite bei repräsentativen Einrichtungen der bAV in den mittelbaren Durchführungswegen – also mit und ohne Garantien – zu untersuchen. Das kritisiert Meissner als „besondere Logik des Äpfel-mit-Birnenvergleichs“. Allerdings kann man dieser Kritik entgegnen, dass ein solcher Vergleich ja eben auch darlegen kann, ob und inwiefern sich die Abschaffung Garantien in den SPM auch renditeseitig bewährt.
ZWK: Was heißt hier erstmals?
Thema ZWK: Hier sind die Änderungen, zwar übersichtlich, aber doch von Belang, wie Mercers Judith May gegenüber PENSIONS●INDUSTRIES erläutert. So scheint die derzeit umstrittene gleichzeitige Nutzung von Wertguthaben und FlexiRente tatsächlich mit Inkrafttreten des BRSG 2.0 gesetzlich bestätigt zu werden, zumindest bis zur Regelaltersgrenze. Entsprechende Folgeanpassungen wurden daher nun auch in Details der Störfallverbeitragung nach § 23b Abs. 2 und Abs. 3 SGB IV nachgezogen.
Jedoch: Ob die Regelung schon für Bestandsfälle greift, ist dabei zweifelhaft, spricht doch die Gesetzesbegründung weiterhin davon, dass nunmehr „erstmals“ die Möglichkeit geschaffen wird, ein Wertguthaben auch bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters aus der gRV bis zum Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze zu entsparen.
„Wenn auch dogmatisch konsequent: Die Herausforderungen der Praxis bleiben bestehen.“
Bemerkenswert findet Mercer-Juristin May zudem, welche Anregungen der Verbände nicht aufgegriffen oder ausdrücklich abgelehnt wurden. So bleibt die Nutzung von Wertguthaben auch im Regierungsentwurf auf die Zeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze beschränkt. Im Ergebnis wird damit die bereits bestehende lohnsteuerrechtliche Praxis der Finanzverwaltung durch den Gesetzgeber auch beitragsrechtlicher Standard. Explizit wurde zudem ausweislich der Gesetzesbegründung die Anwendbarkeit der Neuregelung auf Fälle der Altersteilzeit abgelehnt. Dem stünden Sinn und Zweck der Altersteilzeit und der Förderung u. a. durch den steuer- und beitragsfreien Aufstockungsbetrag sowie die zusätzlichen Rentenversicherungsbeiträge des Arbeitgebers entgegen. „Auch wenn die Argumentation dogmatisch konsequent sein mag, bleiben damit die Herausforderungen der Praxis bestehen“, kritisiert May.
20 statt 15 bleibt
Auch bei WTW hat man sich mit dem neuen Entwurf beschäftigt. Hanne Borst und Michael Karst sehen im Vergleich zum Referentenentwurf trotz vielfältiger Hinweise in der Verbändeanhörung ebenfalls nur wenige Änderungen – teils jedoch mit erheblichen Auswirkungen.
Auch sie bemängeln zuvorderst, dass durch die Begrenzung des betrieblichen Opting out auf Unternehmen in tariflosen Bereichen der ursprünglich vorgesehene weite Anwendungsbereich dieser Regelung deutlich eingeschränkt werde. Bei Tarifbindung oder Tarifüblichkeit von Entgeltregelungen bleibt es bei der bisherigen Regelung, d.h. dort sind betriebliche Opting out-Modelle weiter nur durch Tarifvertrag zulässig. Auch bei der Pflicht der Arbeitgeber zum Zuschuss von mindestens 20 statt 15% auf die Entgeltumwandlungsbeträge bleibt es hier übrigens.
Ab 50, ab 25, ab 26
Borst und Karst listen als weitere Änderungen auf:
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Keine allgemeine freiwillige Höherversicherung in der gRV, Klarstellung, dass freiwillige Beiträge zum Ausgleich von Abschlägen (§ 187a SGB VI-E) frühestens ab 50 möglich sind.
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Aufgebohrte und dynamisierte Geringverdienerförderung (§ 100 EStG-E) schon ab 1. Januar 2025 trotz wohl späteren Inkrafttretens des Gesetzes.
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Längere Anpassungsfrist für vorzeitige Inanspruchnahme einer Betriebsrente (§ 6 BetrAVG) soll erst zum 1. Januar 2026 in Kraft treten, um Arbeitgebern eine Übergangsfrist zur Anpassung ihrer Systeme und ggf. ihrer Pensionspläne einzuräumen.
Wofür das Ganze?
Borst und Karst haben sich auch der Frage gewidmet, was nun Im Detail eigentlich erreicht werden soll, zuvorderst für das SPM:
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Stärkung des SPM: Das tarifvertragliche „Einschlägigkeitserfordernis“ bleibt, wird jedoch stark modifiziert. So sollen Tarifverträge es (branchen-)fremden Unternehmen erlauben, per Tarifvertrag bei einem bestehenden SPM mitzumachen, wenn die dortigen Tarifvertragsparteien dem zustimmen. Dies soll es vor allem ermöglichen, ein SPM in der Zuständigkeit einer Gewerkschaft zu nutzen (die oft mehrere Branchen umfassen), wenn es bislang nur in einer Branche ein SPM gibt – und zwar ggf. ohne Beteiligung an Durchführung und Steuerung.
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Verbesserte Puffermöglichkeit zur Nutzung des Kapitalmarkts: Der bisher bereits mögliche Sicherungsbeitragspuffer (§ 35 PFAV) kann künftig u.U. auch durch Ertragsspitzen der Kapitalanlage befüllt werden. Dies soll den Effekt weiterer Freiräume für die Kapitalanlage bringen.
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Tariföffnung der Abfindungsregelung für das SPM mit sinnvollen Kapitalisierungsregelungen für kleinere Anwartschaften.
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Ausschluss etwaiger Haftung der Tarifvertragsparteien für eine mangelhafte Durchführung und Steuerung.
Ihr Fachkräfte kommet
Und mit Blick auf Fachkräftemangel und Anreize für längeres Arbeiten listen Borst und Karst auf:
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Bezug vorzeitiger bAV bei Bezug gesetzlicher Teilrente soll möglich sein, jedoch ohne gesetzliche Verpflichtung zu Teilbetriebsrenten. Um den Arbeitgebern entsprechende Systemanpassungen bzw. ggf. Änderungen ihrer Pensionspläne zu ermöglichen, Inkrafttreten erst ab 1. Januar 2026, s.o..
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Dementsprechend bleiben Ausscheideklauseln zum Bezug vorzeitiger bAV arbeitsrechtlich möglich.
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Zulassung von Pensionskassenleistungen auch bei nur teilweisem Wegfall von Erwerbseinkommen bei Bezug gesetzlicher Teilrente.
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Klarstellung für Wertguthaben bei ZWK, dass auch bei vorzeitigem Bezug gesetzlicher Altersrente eine Entsparung bis zum Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze ermöglicht wird. Den Forderungen nach einer weitergehenden „Freistellungdauer“ auch über die Regelaltersgrenze hinaus wurde nicht aber entsprochen (s.o. ausführlicher)
Leichteres Ende: PSV, Abfindungen, Liquidation von Pensionskassen
Auch Änderungen bei der Insolvenzsicherung gibt es weiterhin, neben der weiteren Digitalisierung des PSV erfolgt bei nicht-versicherungsförmigen Pensionsfonds im Kern eine Rückkehr zur ursprünglichen Rechtslage, nämlich dass bei Insolvenz des Arbeitgebers zwingend eine Übertragung von Versorgung und Sicherungsvermögen auf den PSV erfolgt. Die frühere Möglichkeit, dass der Pensionsfonds die weitere Durchführung mit Genehmigung der BaFin anstelle des PSV vornehmen darf, findet sich im aktuellen Entwurf nicht, wäre laut Bors und Karst jedoch weiterhin wünschenswert, um alle praktisch relevanten Fragestellungen abzudecken.
Erleichterungen für die Abfindung von bAV-Anwartschaften sind weiter vorgesehen durch Erhöhung der Abfindungsgrenze von Rentenanwartschaften von 1 auf 2% (bei Kapitalanwartschaften von 12 auf 24/10 der monatlichen Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV), falls der Arbeitnehmer zustimmt und diese Abfindung vom Arbeitgeber in die gRV eingezahlt wird. Durch eine korrespondierende Änderung in § 187b SGB VI wird nun ermöglicht, dass die Einzahlung nicht mehr nur – wie bisher – durch den Arbeitnehmer erfolgen kann, sondern auch direkt durch den Arbeitgeber. Die Änderung soll nicht für ZVK des öffentlichen Dienstes gelten.
Zu der Liquidation von Pensionskassen wurde der Gesetzestext so ergänzt, dass die Abfindungsfiktion nur greift, „soweit“ die bAV über die Pensionskasse durchgeführt wurde. Damit wurde mischfinanzierten Versorgungssystemen Rechnung getragen, die z.B. nur zum Teil über eine Pensionskasse und zum Teil über eine Direktzusage durchgeführt werden.
Nix da!
Borst und Karst rufen auch all das in Erinnerung, was NICHT aufgegriffen worden ist, als da wären:
Rechnungszins § 6a und Grenzen des § 3 Nr. 63 EStG, Doppelverbeitragung, Garantien bei boLZ und BZML, arbeitsrechtliche Grundsätze bei der Neuordnung von Versorgungszusagen, Strukturschwäche des § 16 Abs. 1, Abs. 2 BetrAVG bei hoher Inflation (also weiter kein valides Ersatzverfahren zur VPI-Anpassung bei vor 1999 erteilten Zusagen), die Liste ließe sich sicher verlängern …
Wie dem auch sei, insgesamt sind Bors und Karst zufrieden mit den Verbesserungen beim SPM und bei der Geringverdienerförderung (bereits Stand 2022 nutzten laut WTW über 94.000 Arbeitgeber mit Jahresbeiträgen von in Summe ca. 700 Mio. Euro diese Förderung).
Für bemerkenswert halten es die beiden allerdings, dass die bAV in diesen gesetzgeberisch jetzt nochmals stark geförderten Elementen das Prinzip lebenslanger Leistungen als Voraussetzung für staatliche Förderungen weiterverfolgt.
Den monierten Systembruchs, dass höhere Abfindungen zwar möglich werden, jedoch nur, wenn die Abfindungsbeträge in die gRV eingezahlt werden, sehen Borst und Karst immerhin etwas eingehegt, und eine allgemeine Höherversicherung in der gRV soll nicht ermöglicht werden. Dies betone die Bedeutung der bAV als zweite Säule und schütze die gRV an diesem Punkt vor zusätzlichen Lasten.
Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz
Vor dem Hintergrund der neuen Evaluierungsvorschriften mit der Obligatoriums-Drohung stellen Borst und Karst auch eine klare Forderung auf, indem sie den Gesetzgeber aufrufen, in der als nächstes anstehenden Umsetzung des Gesetzentwurfs für neue geförderte private Altersvorsorgeprodukte (vulgo: „Förderrente“), strukturelle Nachteile zulasten der bAV zu vermeiden, um das Ziel der weiteren Verbreitung der bAV auch insoweit zu unterstützen.
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Und sie sehen hier eine Art Level Playing Field schwinden: Wenn insb. die angekündigte Aufgabe der Notwendigkeit lebenslanger Leistungen als Voraussetzung für die Förderung privater Altersvorsorge Realität würde, dann schaffte dies einen strukturellen Unterschied zur bAV, die wie erwähnt bei Geringverdienerförderung und SPM klar an lebenslanger Leistungen gebunden bleibt.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.