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FG Hamburg:

Von wilden Pferden und bilanziellen Sprüngen

Ein GmbH-Geschäftsführer erleidet einen Sportunfall und muss seine Arbeit danach anders gestalten – und die Gesellschaft will die Zusage prompt mit dem Leistungsbarwert bilanzieren. Der Betriebsprüfer lehnt ab, die Sache geht vor das Finanzgericht, und das Unternehmen unterliegt mit seiner Rechtsauffassung. Doch selbst wenn es mit dieser durchgekommen wäre, es hätte ihm nichts genutzt, wie Claudia Veh darlegt.

Ein Geschäftsführer kann infolge eines Unfalls seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben; sein Aufgabengebiet wird deshalb umgestaltet. Ist damit der Versorgungsfall Invalidität/Dienstunfähigkeit gem. Pensionszusage eingetreten und diese infolgedessen mit dem Leistungsbarwert gem. § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG zu passivieren? Die Firma meinte ja, die Finanzverwaltung nein. Das FG Hamburg war gefragt und entschied mit Urteil 5 K 126/20 vom 15. November 2022.

Die Spielregeln

Claudia Veh, KPMG.

Eine Pensionszusage ist im aktiven Arbeits-/Dienstverhältnis mit dem Teilwert gem. § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EStG zu bilanzieren. Nach Eintritt eines Versorgungsfalls gilt als Teilwert der Barwert der Pensionsverpflichtung; die Pensionsrückstellung wird mit dem Barwert der künftigen Pensionsleistungen gem. § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG passiviert, was bei einem vorzeitigen Versorgungsfall regelmäßig zu einer mitunter hohen Zuführung bei den Rückstellungen führt (Bilanzsprung).

Des Weiteren ist das Nachholverbot des § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG zu beachten: Eine Pensionsrückstellung darf in einem Wirtschaftsjahr höchstens um den Unterschied zwischen dem Teilwert der Pensionsverpflichtung am Schluss des Wirtschaftsjahres und am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres erhöht werden. Am Schluss des Wirtschaftsjahres, in dem das Dienstverhältnis des Pensionsberechtigten unter Aufrechterhaltung seiner Pensionsanwartschaft endet oder der Versorgungsfall eingetreten ist, darf die Rückstellung bis zum Barwert der künftigen Leistungen bilanziert werden (§ 6a Abs. 4 Satz 5, 1. Halbsatz EStG).

Versäumt es die Firma, im Jahr des Eintritts des Versorgungsfalls die Pensionsrückstellung auf den Barwert der Pensionsverpflichtung aufzufüllen, greift für die folgenden Wirtschaftsjahre das Nachholverbot wieder ein. Das Recht zur Bildung oder Nachholung von Rückstellungen endet prinzipiell mit dem Eintritt des Versorgungsfalls.

Der Fall …

Einem mittelbar an einer GmbH beteiligten Geschäftsführer (GF) war von der Gesellschaft in 1992 eine Pensionszusage erteilt worden, die Leistungen bei Ausscheiden aus den aktiven Diensten nach Vollendung des 65. Lebensjahres sowie bei Dienstunfähigkeit vorsah. Dienstunfähigkeit sollte gemäß Pensionszusage vorliegen, wenn der GF aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend außerstande ist, seine Tätigkeit für die Gesellschaft auszuüben, was grundsätzlich durch ein Gutachten eines von der Gesellschaft zu benennenden Facharztes nachzuweisen ist.

Die Tätigkeit des GF war mit einer ausgeprägten Reisetätigkeit, auch ins ferne Ausland, sowie der aktiven und passiven Teilnahme an Sportveranstaltungen und Stehempfängen verbunden.

Zur Finanzierung der Zusage hatte die Firma zwei Rückdeckungsversicherungen (RDV) mit BU-Zusatzversicherungen abgeschlossen.

vom Pferd

Im Jahr 2008 erlitt der GF bei einem Reitunfall schwerwiegende Verletzungen. 2010 wurde dann anlässlich des Ausscheidens eines weiteren GF ein neuer GF-Anstellungsvertrag mit ihm abgeschlossen, in dem das Gehalt sowie die Tantieme erhöht wurden; die Pensionszusage wurde fortgeführt. Das Aufgabengebiet wurde jedoch angepasst. Die Reisetätigkeit wurde delegiert; eine zweite Führungsebene eingeführt, und der GF agierte stattdessen vom Büro aus, traf strategische Entscheidungen und führte das Unternehmen.

Im Jahr 2011 wurde in einer Fachklinik ein unfallchirurgisches Gutachten erstellt, demzufolge unter Berücksichtigung der Tätigkeit des GF in „noch gesunden Tagen“ eine Dienstunfähigkeit hinsichtlich dieser Tätigkeit zu 100% vorliegt.

Bereits 2008 hatte die Firma Leistungen aus den RDV beantragt, die 2013 schließlich bewilligt wurden – der Versicherer hatte ab dem 1. Februar 2013 eine bedingungsgemäße BU als gegeben angesehen. Einvernehmlich wurden sie in kapitalisierter Form in eine neue Renten-RDV eingebracht.

2014 gab die Gesellschaft eine Erklärung gegenüber dem GF ab, wonach auf Basis des unfallchirurgischen Gutachtens Dienstunfähigkeit nachgewiesen ist; die Zahlungen aus der Pensionszusage aufgrund einer Erklärung des GF gegenüber der Gesellschaft jedoch solange ruhen sollten, wie er als GF für die Firma tätig ist.

Dienstunfähigkeit im Sinne der Pensionszusage?

Die Firma bilanzierte die Pensionszusage im Jahr 2013 erstmals mit dem Barwert der künftigen Verpflichtungen; daneben wurde die (neue) Renten-RDV aktiviert.

Bei einer Betriebsprüfung sah der Prüfer die Bilanzierung mit dem Leistungsbarwert als nicht zutreffend an. Die Zusage sei weiterhin mit dem Teilwert eines aktiven Arbeitnehmers zu bilanzieren. Der Leistungsfall sei nicht eingetreten. Mit der Einschränkung der GF-Tätigkeit und der Übertragung von Verantwortungsbereichen auf Prokuristen liege keine Dienstunfähigkeit vor.

Die GmbH sah dies anders, legte erfolglos Widerspruch ein und klagte schließlich vor dem FG Hamburg. Ihres Erachtens war der Versorgungsfall eingetreten, weil der GF unfallbedingt dauerhaft nicht mehr in der Lage war, die vormalige Tätigkeit, auf die die Pensionszusage abstelle, auszuüben. Die „neue“ Tätigkeit habe nur der finalen Abwicklung der eigenen Position gedient mit dem Ziel, nach außen hin Kontinuität zu bekunden. Es wäre der explizite Wunsch des GF gewesen, auch „unter Raubbau an seiner Gesundheit“ als GF im Unternehmen zu verbleiben, weil über lange Zeit kein GF gefunden werden konnte.

Die Entscheidung

Das FG Hamburg bestätigte die Sicht der Finanzverwaltung: Vorliegend war das Gericht nicht hinreichend davon überzeugt, dass der Versorgungsfall eingetreten ist und mit dem Begriff „Dienstunfähigkeit“ in der Pensionszusage nur auf die zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit abgestellt werden sollte.

Denn es liegt nach Ansicht des Gerichts in der Natur der Dinge, dass sich die Tätigkeit eines GF im Zeitablauf ändern kann. So hätte er auch aus anderen Gründen als den gesundheitlichen die Reisetätigkeit zurückfahren oder einstellen können, etwa aus Altersgründen, wegen der privaten Lebensgestaltung oder wegen einer anderen Arbeitsverteilung unter mehreren Geschäftsführern. Zudem bestand das Arbeitsverhältnis fort, und es wurden keine Pensionsleistungen gewährt.

Weiter ist es für gewöhnlich Sinn und Zweck einer Invaliditätsleistung, dass sie einen gesundheitsbedingten Einkommenswegfall zumindest teilweise ausgleichen soll; ein solcher lag hier jedoch nicht vor, vielmehr war 2010 das Gehalt sogar noch erhöht worden.

Zwar ist es gem. BMF-Schreiben vom 18. September 2017, Rz. 3, aus bilanzsteuerlicher Sicht möglich, bei weiterbestehendem Arbeits-/Dienstverhältnis Leistungen aus einer Pensionszusage zu beziehen, d.h. ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis steht einer Bilanzierung nach Eintritt eines Versorgungsfalls mit dem Leistungsbarwert grundsätzlich nicht entgegen.

Doch in der vorliegenden Zusage wird bei der Altersleistung explizit auf das Ausscheiden des GF abgestellt; es liegt nahe, dies auch auf die Invalidität zu beziehen. Damit wäre der Eintritt eines Versorgungsfalls solange nicht vom Wortlaut der Zusage gedeckt, solange das Arbeits-/Dienstverhältnis fortbesteht.

Insgesamt war das Gericht in Ermangelung anderer Anhaltspunkte der Auffassung, dass bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen ist, dass sich die in der Pensionszusage definierte Dienstunfähigkeit auf die Tätigkeit als GF allgemein beziehen sollte, unabhängig davon, welche konkreten Aufgaben er wahrnimmt.

Nachholverbot steht Passivierung mit Barwert entgegen

Aber selbst wenn der Versorgungsfall eingetreten wäre, stünde das Nachholverbot des § 6a Abs. 4 Sätze 1 und 5 EStG einer Erhöhung der Pensionsrückstellung vom Teilwert für einen aktiven Arbeitnehmer auf den Barwert für einen Leistungsempfänger entgegen.

Denn wenn man unterstellt, der Versorgungsfall wäre eingetreten, wäre dies schon 2008 der Fall gewesen. Also hätte man bereits 2008, spätestens 2011 (ärztliches Gutachten) die Rückstellung auf den Barwert auffüllen müssen, in jedem Fall nicht erst in 2013. Hier greift das Nachholverbot, demnach man eine in einem Wirtschaftsjahr zulässige, jedoch unterlassene Rückstellung nicht einfach in einem späteren Wirtschaftsjahr nachholen kann (es sei denn der Versorgungsfall tritt ein oder das Dienstverhältnis endet unter Aufrechterhaltung einer unverfallbaren Anwartschaft).

Ergo hatte die Firma vor dem FG Hamburg keinen Erfolg; die Revision wurde nicht zugelassen.

 

 

Wenn die Bedingungen für BU-Leistungen der RDV erfüllt sind, heißt dies nicht, dass auch die Voraussetzungen für Invaliditätsleistungen aus der Pensionszusage vorliegen.“

 

 

Für die Gesellschaft ergaben sich in Folge vermutlich unerwünschte steuerliche Effekte: Die Pensionsrückstellung war bis zum altersbedingten Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis und dem Eintritt des Leistungsfalls Altersrente (nur) mit dem niedrigeren Teilwert gem. § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EStG zu passivieren. Die BU-Leistungen aus den Versicherungen in Form der neu abgeschlossenen Rentenversicherung waren jedoch (zusätzlich) zu aktivieren, was zumindest im Jahr 2013 eine gewinn- und steuererhöhende Wirkung gehabt haben dürfte.

Mit Blick auf bilanzielle Effekte, aber auch (wie in diesem Fall) auf das Nachholverbot und die damit einhergehenden Fristen ist stets zu beachten: Bei der Pensionszusage und der Rückdeckungsversicherung handelt es sich prinzipiell um zwei getrennte Rechtsverhältnisse. Wenn die Bedingungen für BU-Leistungen aus der RDV erfüllt sind, heißt dies nicht automatisch, dass auch die Voraussetzungen für Invaliditätsleistungen aus der Pensionszusage vorliegen. Ebenso kann ein Anspruch auf Invalidenrente aus der Pensionszusage bestehen, während aus der RDV jedoch, zum Beispiel aufgrund von Leistungsausschlüssen, keine Leistungen fällig werden.

Auf eine möglichst kongruente Ausgestaltung der Leistungsvoraussetzungen in Pensionszusage und RDV sollte in der Praxis besonders geachtet werden, um unliebsame Überraschungen mit den entsprechenden bilanziellen Konsequenzen zu vermeiden.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Die Autorin ist Aktuarin und 
Director 
Deal Advisory Pensions
 in der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
.

Von ihr und anderen Autorinnen und Autoren der KPMG sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAVerschienen:

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von Dr. Claudia Veh, 7. August 2020

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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