… und das gleich dreimal, so entschied ein Landessozialgericht im vergangenen Herbst im seltener gewordenen Dauerthema Doppelverbeitragung. Nach Kassel kann die Sache aber nicht gehen – selbst wenn die unterlegene Seite es wollte. Und das, obwohl die Streitfragen an sich nur zu zwei Dritteln ausgeurteilt scheinen. Doch das Gericht vermied es, ein großes Fass für eine eher technische Frage aufzumachen.
Das alte Thema: Verbeitragung von Leistungen einer privat fortgeführten Direktversicherung – lange umkämpft zwischen Betriebsrentnern, Krankenkassen, Gerichten und Politik – war im vergangenen November mal wieder vor Gericht, diesmal aber nicht in Kassel, sondern in Stuttgart.
Jahrelang stand hier die Frage im Mittelpunkt, wer wann VN der Versicherung war, um zu beurteilen, ob und wie die Leistungen, die auf Zeiten privater Fortführung beruhen, beitragsfrei sind oder nicht. An sich haben Bundessozialgericht, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber das Thema in weiten Teilen rechtlich erschlagen.
Doch wie die Stuttgarter in einem aktuellen Beitrag schreibt, trat bei dem hier in Rede stehenden Verfahren eine neue Fragestellung hinzu, über die das LSG Baden-Württemberg ab 25. November 2024 unter L 4 KR 1262/21 zu urteilten hatte: Welcher Wert ist der Beitragspflicht zugrunde zu legen, wenn die Versorgung zwischenzeitlich auch privat, aber beitragsfrei fortgeführt wurde?
Der Fall: drei Konstellationen, drei Forderungen

Der Fall, der rund dreieinhalb Jahrzehnte zurückreicht und wie Frank Wörner, Prokurist und Stabsstelleninhaber Recht der bAV bei der Stuttgarter Vorsorge Management, ihn schildert:
Am 1. Januar 1991 wurde zu Gunsten der (mittlerweile längst ehemaligen) Arbeitnehmerin eine Direktversicherung mit einer Laufzeit bis zum 1. Januar 2020 abgeschlossen. Während mehrerer Arbeitgeberwechsel im Zuge des Versicherungsverlaufs kam es zu folgenden Konstellationen.
1.: Finanzierung durch den Arbeitgeber als VN.
2.: Finanzierung durch die ex-Arbeitnehmerin, Arbeitgeber weiterhin VN.
3.: Die ex-Arbeitnehmerin wurde VN und stellte die Versicherung beitragsfrei.
Am 2. Januar 2020 wurde der Frau eine Kapitalleistung in Höhe von knapp 57.000 Euro ausbezahlt (Freibetrag nach § 226 SGB V berücksichtigt) und per 120er-Regelung als fiktive Bemessungsgrundlage in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verbeitragt.
Bei der Ermittlung der Beitragsbemessung wurde der Anteil der Kapitalleistung, der auf Prämien für Zeiträume, in denen die Klägerin zwar selbst VN war, aber keine Beiträge mehr gezahlt wurden, nicht berücksichtigt (Konstellation 3). Prompt zog die Betriebsrentnerin vor Gericht; ihre Forderungen:
1.: dass zur Berechnung der Beitragslast nicht an die Gesamtablaufleistung, sondern zeitabhängig an den RKW (§ 169 VVG) angeknüpft wird und dabei die erzielten Überschüsse aus Zeiten privater, aber beitragsfreier Fortführung als VN aus der Gesamtleistung herauszurechnen sind.
2.: dass die Kapitalleistung, die aus einer Zusage aus dem Jahr 1991 stammt, überhaupt nicht zu verbeitragen ist, weil die Beitragspflicht für Kapitalleistung gesetzlich erst ab 2004 gilt und es sich um eine unzulässige Rückwirkung handelt.
3.: dass die Leistungen, die auf Zeiten beruhen, als die ehemalige Arbeitnehmerin für den Arbeitgeber die Beiträge gezahlt hat, während Letzterer noch VN war, nicht zu verbeitragen sind, weil es sonst zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Doppelverbeitragung kommt.
Das Urteil: Drei mal nein
Das LSG wies die Berufung der ehemaligen Arbeitnehmerin gegen das vorinstanzliche Urteil zurück und gab der Krankenkasse Recht.
@ 1.: Herausrechnen der erzielten Überschüsse aus Zeiten privater Fortführung als VN:
Nein. Die im Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis 1. Januar 2020 (beitragsfreie Versicherung mit ex-AN als VN) erzielten Erträge aus Bewertungsreserven, Schlussüberschuss und Überschussbeteiligung sind bei der Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlage nicht in Abzug zu bringen. Begründung des Gerichts: Die Vielfalt der Ausgestaltungsmöglichkeiten für Kapitalversicherungen erschwere eine Festlegung allgemeingültiger Berechnungsmodelle für die punktgenaue Zuordnung von Kapitalerträgen in jedem Einzelfall – oder mache sie sogar unmöglich.
@ 2.: Unzulässige Rückwirkung:
Nein. Keine unzulässige Rückwirkung der Regelung über die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen in Form von Kapitalleistungen; verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig entsprechend dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt.
@ 3: Verfassungsrechtlich unzulässige Doppelverbeitragung für die Zeit, in der die AN die Beiträge gezahlt hat, der AG aber noch VN war:
Nein. Für die Zuordnung zur bAV kommt es auch nicht darauf an, ob die Beiträge zur Lebensversicherung aus dem Brutto oder aus dem Netto gezahlt wurden. Ein Anspruch auf Erhalt der in der Ansparphase gegebenen Beitragsfreiheit bis in die Auszahlphase lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus der Verfassung herleiten. Beitragszahlungen sind als noch betrieblich veranlasst einzustufen (und damit zu verbeitragen), solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts, also der auf den Arbeitgeber als VN laufende Versicherungsvertrag, zur Durchführung der bAV genutzt wird.
Und außerdem: Die Revision wurde nicht zugelassen.
Im Ergebnis sieht Wörner ein „Urteil mit Augenmaß“. Denn: „Eine Entscheidung, die nicht auf die Gesamtablaufleistung abgestellt und stattdessen zeitanteilig an den Rückkaufswert (§ 169 VVG) anknüpfen würde, hätte in der Praxis zu sehr viel Streit über den „richtigen“ Rückkaufswert geführt.“
Never ever eine Chance vor dem Zwölften
Soweit der Beitrag Wörners samt seinem Fazit. Es sei ergänzt, dass der Beschluss des Gerichts, keine Revision zuzulassen, der Klägerin vermutlich viel Geld und Ärger erspart. Der gewohnt hartleibige Zwölfte Senat in Kassel würde jede Revision gegen das LSG-Urteil vermutlich umstandslos zurückweisen, zumindest betreffend die zweite und dritte Forderung der Klägerin.

Denn hier ist die höchste Rechtsprechung mittlerweile zu eindeutig: Die Doppelverbeitragung – zwar im Jahr 2020 vom Gesetzgeber erheblich gezähmt worden, doch weiter eine der notorischsten Intensivtäterinnen der deutschen bAV – verlässt den Gerichtssaal meist als Sieger (zumindest abseits von Karlsruhe): Es nützt Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentnern nichts, wenn sie bspw. nur „versehentlich“ VN geblieben sind (selbst wenn sie dabei selbständig waren), und gleich gar nichts, wenn sie freiwillig in der gKV sind (dann gibts nichtmal den Freibetrag), sie die Doppelverbeitragung für grundsätzlich verfassungswidrig halten, die DV aus Mehrarbeit finanziert haben, die Kapitalleistung in eine Sofortrente einzahlen, bAV aus mehreren Quellen beziehen, sich auf Dienstuntauglichkeit berufen oder auf eine Ungleichbehandlung zu Riester berufen. Und je nach Fallgestaltung reicht es nichtmal, VN zu sein.
Auch der Arbeitgeber hat keine allgemeine Aufklärungspflicht zu dem Thema (wenn er aufklärt, muss das aber fehlerfrei sein). Nur echtes Überbrückungsgeld oder nicht als bAV erkannte Renten ließ der Senat schonmal beitragsfrei.
Jedoch: Bei der ersten Forderung der Klägerin – Berücksichtigung der privaten, aber beitragsfreien Fortführung samt VN-Eigenschaft – könnte man, wenn man pingelig ist, schon fragen, warum das Gericht wegen dieser bisher in Kassel noch nicht ausgeurteilten Konstellation die Revision nicht zugelassen hat. Wie erwähnt, dürfte die erwähnte Praktikabilität Motiv der Richter sein sein, hier dieses Fass nicht aufzumachen, das wohl in der Tat endlos wäre.
Das Urteil L 4 KR 1262/21 des LSG BW findet sich hier.
Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.