Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Kassandra am Rosenmontag

Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Der Bock macht sich zum Gärtner…

 

Merkur (20. Februar): „‘Nicht hinnehmbar‘: Hunderttausende Betriebsrentner warten auf ihr Geld.“

 

Versicherungspraxis24 (19. Februar): „Krankenkassen geben Gas: Freibetrag für Betriebsrentner soll jetzt schon zum 01.10.2020 umgesetzt werden.“

 

ntv (19. Februar): „Umsetzung wird problematisch – Deutsche Rentenversicherung sieht Zeitplan für Grundrente ‚sehr kritisch‘.“

 

Zwei Meldungen zur Umsetzung des neuen Freibetrages – in der Versicherungspraxis24 auch mit Hinweisen zur technischen Handhabung – sowie einer zur frisch beschlossenen Grundrente.

 

Bemerkenswert, dass auch hier erneut und fast schon traditionell für die Behandlung der bAV durch Politik und Gesetzgeber gilt: Einfach gedacht, kompliziert gemacht! Grund ist hier vor allem die gesetzgeberische, wohl vor allem wahlkampfgetriebene Hektik (analoges gilt für die Administration der Grundrente, s.o. den verlinkten ntv-Beitrag).

 

Dass jetzt ausgerechnet das Gesundheitsministerium in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag, wie der Merkur berichtet, eine Umsetzung erst zum Ende des Jahres als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet, ist geradezu grotesk, macht sich damit doch der Bock höchstselbst zum Gärtner. Wurde die Doppelverbeitragung nicht schon 2003 eingeführt? Ist die Diskussion um ihre politische Vertretbarkeit und ihre Sanierung nicht praktisch genauso alt? Ist das seinerzeitige Gesetz nicht schon vor Jahren durch alle Instanzen gegangen, um dann in Karlsruhe zwei Mal für teil-illegal erklärt zu werden? War also nicht Zeit satt und genug, die Reform so zu gestalten, dass Spielraum genug für eine reibungslose Umsetzung bleibt? Und überhaupt: War nicht das Gesundheitsministerium, das jetzt so rührend sein Herz für die Betriebsrentner entdeckt, stets einer der größte Bremser?

 

Es kann nur immer wieder aus Neue betont werden: Abseits aller steuerlichen und abgaberechtlichen Förderungen und Nicht-Förderungen der bAV gibt es einen der stärksten Fördertatbestände für die Politik ganz umsonst: Good Governance.

 

 

Legal Tribune Online (19. Februar): „Der Arbeitgeber ist kein Vermögensberater.“

 

Das jüngste BAG-Urteil betreffend die bAV ist auf dieser Plattform schon vermeldet worden, und das Urteil liegt noch nicht vor.

 

Gleichwohl hier eine erste Einschätzung von Tobias Neufeld in der LTO. Der wichtigste Aspekt steht gleich in der Überschrift.

 

Das fragwürdige Urteil der Hammer Vorinstanz barg Sprengstoff, war es doch geeignet, die ohnehin schon verankerten Informationspflichten des Arbeitgebers – in dem LTO-Beitrag kurz angerissen – massiv zu verschärfen und damit den wichtigsten Akteur für eine funktionierende bAV weiter von dieser zu entfremden.

 

In dem Hammer Urteil handelte es sich bei dem verklagten Arbeitgeber um Stadtwerke. Doch man bedenke, dass „Arbeitgeber“ in der bAV nicht immer heißt Industriekonzern, öffentlicher Dienst oder sonstige institutionelle Arbeitgeber, ja, noch nicht einmal unbedingt Mittelstand. Sondern auch der vielbeschworene kleine Arbeitgeber, der bekanntlich in seiner ohnehin schon deutlichen Zurückhaltung gegenüber der bAV im Zentrum der diesbezüglichen politischen Aufmerksamkeit steht.

 

Man bedenke weiter, was man diesen kleinen Arbeitgebern – egal ob Handwerkern, Ärzten oder Gastronomen – in der bAV so zumutet. Nur ein Beispiel ist die Mindestleistung, die selbst professionelle Versicherer in diesem politisch induzierten Niedrigzinsumfeld nicht mehr geben wollen.

 

Immerhin hat in dem Hammer Fall das BAG – auch wenn es in dem Urteil nicht völlige Klarheit schafft – auf diese ohnehin unglückliche Gemengelage nicht noch draufgesattelt bzw., wie es in dem LTO-Beitrag heißt, „die Gelegenheit nicht dazu genutzt [den Arbeitgeber] gar zum Vermögensberater des Arbeitnehmers zu machen.“

 

 

FAZ (22. Februar): „So viele Staatsschulden wie noch nie.“

 

In einer aktuellen Studie erwartet S&P, dass die an den Märkten gehandelten Staatsschulden 2020 auf den Rekordwert von 53 Billionen USD steigen werden. Weltweit dürften die Staaten insgesamt in diesem Jahr 8,1 Billionen USD neu aufnehmen, berichtet die Frankfurter aus der Studie. Ähnlich dynamisch entwicklen sich die Unternehmensschulden.

 

Bemerkenswert sei, dass das Wachstum kaum noch von Investitionen getragen werde, sondern eher von Staatsausgaben, FAZ-Zitat: „Amerika leistet sich eine keynesianisch anmutende Fiskalpolitik, ohne dass es eine Krise zu bekämpfen gilt.“

 

Bezüglich der Höhe Staatsschulden muss man nach Meinung Kassandras bekanntlich etwas relativieren, denn diese sind – da die größten Gläubiger der Staaten mittlerweile ihre eigenen Notenbanken sind – faktisch geringer; jede substantielle Rückzahlung ist ausgeschlossen:

 

Irgendeines schönen Tages X werden die Notenbanken – vermutlich in einer konzertierten Aktion – die gekauften Staatsanleihen schlicht abschreiben und so für immer in ihren Kellern verschwinden lassen. Dann sind sie bilanziell zwar pleite, aber das entsprechende Bilanzrecht lässt sich ja ohne weiteres nonchalant anpassen, erst recht in Zeiten wie diesen. Und das begründbar: Denn faktisch pleite kann ein Akteur, der sich das Geld selber druckt, gar nicht sein. Analoge und etwas elegantere Vorgehensweise wäre übrigens, statt einer Abschreibung die gekauften Anleihenberge bei Fälligkeit langfristig mit neuen, extra dafür von den Staaten emittierten Methusalem-Bonds zu refinanzieren, was bei dem faktischen Nullzins technisch einer Abschreibung gleichkäme.

 

Erinnert sich denn eigentlich noch jemand daran, dass die Lunte dieser Krise nicht durch zuwenig, sondern durch zu viel billiges Geld gelegt wurde? Dass das billige Geld finanz- wie realwirtschaftliche Fehlentwicklungen verfestigt, ja weiter fördert? Dass die Notenbanken umso mehr Gefangene des eigenen Handelns werden, je mehr sie ebensolche Strukturen schaffen, die sie ohne neue Krise nie mehr schleifen können? Dass Altersvorsorgeeinrichtungen weltweit unter immer stärkeren Druck geraten? Dass nun auch gesunde Unternehmen über ihre Pensionsverpflichtungen unter Insolvenzdruck geraten? Dass die Zahnpasta also dauerhaft aus der Tube bleibt? Bleiben muss? Dass so die Fallhöhe ständig weiter zunimmt? Dass (fast) keiner auf diesem Planeten irgendeine ernsthafte Idee hat, wie man aus der Sache jemals wieder geordnet rauskommt?

 

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

 

Neulich Thüringen und gestern Hamburg haben es eindrucksvoll gezeigt: Wichtig für die weitere politische Entwicklung in Deutschland – und demzufolge im Fokus dieses kassandrisches Kommentars – scheint zunehmend nur noch strategische Lage und Perspektive einer einzigen Partei zu sein: der Union. Vorab und kurz: Beides schlecht. Im Einzelnen:

 

1. Hamburg ist für die CDU kein grundsätzlich schwieriges Pflaster, das hat die stabile Ära Ole von Beust klar bewiesen. Hamburg sei ein Sonderfall mit einer strategischen Mehrheit der Wählerschaft links der Mitte und daher nicht mit Bund und Flächenstaaten zu vergleichen, kann also keine Erklärung für 11 Prozent sein.

 

2. Strategisch steht die Union zunächst einmal immer drei linken Parteien gegenüber, von denen stets mindestens eine bärenstark ist; gestern waren es sogar zwei. Und auch wenn zwei der drei linken Parteien für die Union als Koalitionspartner infrage kommen, nützt ihr das wenig, weil die drei im Zweifel eher untereinander koalieren als mit der Union zumindest im Bund dürfte das so sicher wie das Amen in der Kirche sein, sollten die Mehrheitsverhältnisse 2021 dies hergeben (man denke an Bremen, wo R2G auch gegen die Union als stärkster Fraktion koaliert und den Regierenden stellt). Demgegenüber hat die Union nur einen natürlichen Verbündeten klar an ihrer Seite, nämlich die kleine, meist an der 5%-Hürde krebsende FDP.

 

3. In Hamburg konnte die CDU nichtmal mehr von der Schwäche von FDP und AfD profitieren – auch das kein gutes Zeichen für den Bund 2021. Die oft totgesagte und personalschwache SPD kann dagegen – wie schon in Niedersachen – ihr extrem negatives Momentum in gewisser Regelmäßigkeit anscheinend doch immer wieder durchbrechen. In Hamburg konnten ihr offenbar sogar schwerste Cum-Ex-Vorwürfe gegen ihr direktes Spitzenpersonal zumindest substantiell nichts anhaben.

 

4. Rechts von der Union dagegen kann es eine starke AfD geben (Thüringen), muss es aber nicht (Hamburg, Bremen), um die Union von der Macht auszuschließen. Im Bund dürfte erste Variante der Fall sein.

 

5. In der Folge durchleidet die Union ein Gefühl, dass die SPD schon kennt: Sie wird regelrecht zerrieben – auf der linken sind dies im Bund und vielen Ländern meist die Grünen (nur ausnahmsweise in manchen Ländern SPD oder Die Linke), rechts ist es entweder die AfD – oder niemand; das spielt strategisch fast keine Rolle (s. Hamburg und Bremen).

 

Nun kann man fragen, wo denn dieses Dilemma der Union herkommt. Vom Himmel fällt es jedenfalls nicht. Kassandra schrieb schon vor über fünf Jahren – als just die Merkel-CDU mit ihrer Serie an LTW-Niederlagen in Thüringen erstmalig verloren hatte:

 

Abgesehen von der Macht im Bund, die sie auch noch mit der SPD teilen muss, hat sich die CDU in der deutschen Politik in eine bemerkenswerte Marginalität manövriert, die zwar öffentlich kaum wahrgenommen wird, doch die der der FDP nur um ein paar Jahre hinterherhinkt und die nur angesichts der größeren strategischen Tiefe der Union nicht deutlich sichtbarer ist. Die Ursache ist leicht diagnostizierbar: die selbstgewählte, auch personalpolitische Profillosigkeit der Union, resultierend aus der – mit Verlaub – etwas simplen und kurzfristigen Strategie, die SPD mit der Besetzung linker Positionen unter Druck zu setzen. Und rechts von der Union etabliert sich nun auch noch die AfD.“

 

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass die Entwicklung nun gut fünf Jahre später soweit gekommen ist, dass die besagte größere strategische Tiefe“ der Union gegenüber der damaligen FDP nun aufgebraucht ist und die damals in Politik und Öffentlichkeit nicht wahrgenommen Strategie-Falle, in der die Union sitzt, nun für jedermann offenkundig ist. Sogar für die eigenen Leute. Und die merken es ja meist zuletzt.

 

Alaaf.

 

Kassandra bei der Arbeit.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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