Unregelmäßig freitags bringt PENSIONS●INDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: die All-out-Verbeitragung drängt auf die Tagesordnung, alle auf der gleichen Rolltreppe, so viele Schatten überall, wem der Overstretch droht, wer nur warten und feixen muss, was sich hinter einem einfachen Sätzchen verbirgt, wer offenbar nicht weiß, was er tut… und: Rettet die vierte Säule!
Heute schon wieder Kassandra, die dritte Woche in Folge. In dieser schnellen Kadenz soll die besserwisserische Kröte an sich gar nicht erscheinen. Aber die Zeiten sind halt wild. Hätten wir gedacht, dass Rentenpolitik so spannend, vielfältig und eskalativ sein kann, dass sie das halbe Land in Atem hält?
Jedenfalls soll ja heute im Bundestag der große Tag auch für unser (von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes) BRSG 2.0 sein. Sorge wegen Zitronen muss man wenig haben, die Sache wird in dem großen Renten-Aufwasch wohl mit durchhuschen.
Denn wissen sie nicht, was sie tun?
Doch zuerst zum Wichtigsten: zu der Tatsache, dass man in der Koalition die Verbeitragung weiterer Einkunftsarten nun auf die Agenda der Rentenkommission gesetzt hat. Kassandra bezweifelt, dass Parteien, Politiker, Medien und Öffentlichkeit schon vollumfänglich erkannt haben, welcher politische Sprengstoff in dieser Sache schlummert. Noch sind es nur Schatten an der Wand. Aber wehe, diese werden Realität! Sehen wir uns das genauer an:
Portal Sozialpolitik (Anfang Dezember): „IV. Entwurf eines Begleittexts im Rahmen der Verabschiedung des Rentenpakets der Bundesregierung.“
Der Koalitionsbeschluss zur kommenden Rentenkommission – dort heißt es zu den deren künftigen Aufgaben, dass sie prüfen möge:
„– die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung;“
„– die Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung.“
Seit sage und schreibe 2013 wird an dieser Stelle geunkt, dass bei einer rotrotgrünen Mehrheit im Bundestag/rat unmittelbar zu rechnen wäre mit:
-
Konzentration der Altersvorsorge auf die erste Säule auch zu Lasten der bAV, Ausdehnung der Kompetenzen und Möglichkeiten der gRV (bspw. freiwillige Zusatzbeiträge, zwangsweise Einbeziehung von Selbständigen, Anhebung der BBG).
-
In der bAV selbst Ausbau der Pflichten der Arbeitgeber.
-
Unmittelbare Abschaffung der privaten Krankenversicherung, Übertragung der Altersrückstellungen in die neue Bürgerversicherung, später dann Beitragsbemessung über alle sieben Einkunftsarten.
Verbeitragung über alle sieben Einkunftsarten? Hinter einem einfachen Sätzchen verbirgt sich mehr!
Seitdem wurde hier wieder und wieder geunkt (jüngst erst vor wenigen Wochen), dass die Einführung einer solchen Bürgerversicherung (auch ein uraltes Projekt der Linkspartei) samt Vergesellschaftung der individuellen Altersrückstellungen in der PKV (hier auf das BVerfG zu hoffen, wäre übrigens gefährlich naiv) geradezu die Vorzeichnung des Weges wäre, der auch in der Altersversorgung gegangen würde, sobald die politischen Mehrheiten hierzu vorhanden wären. Wenn eine Vergesellschaftung individueller oder kollektiver, aber privater Vorsorgemittel durch Transfer in das gesetzliche System im Gesundheitswesen „funktioniert“ hat, warum nicht auch in der Altersvorsorge?

Hinzu tritt, dass es Vergleichbares im Pensionswesen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten bereits gegeben hat. Nicht nur von Karlsruhe, auch von Brüssel (längst frei von mäßigenden britischen Einflüssen) sollte man sich also in dieser Frage keine Hilfe erhoffen. Selbst die politische Vorgehensweise wurde hier schon genauer seziert.
Nicht von der KV. Sondern von der Rentenseite?
Und nun? Wird die Kröte von ihren eigenen kühnsten Vorstellungen überholt. Nicht eine rotrotgrüne Koalition bringt eine solche Verbeitragung über mehrere (wohl alle sieben) Einkunftsarten auf die Agenda, sondern tatsächlich eine schwarz-rote, also mit Unions-Beteiligung. Und das nicht in der PKV, sondern in der gRV. Das ist wirklich bemerkenswert. Wie dem auch sei, hinter dem einfachen Sätzchen „Einbeziehung weiterer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung“ verbirgt sich eine weit ausholende Angelegenheit:
Konzertierte Aktion
Denn damit eine solche Maßnahme ernsthaft Wirkung erzielt, müsste man eben besagte BBG exorbitant anheben oder direkt abschaffen (sonst würde man ja nur „unten“ die Beitragslast erhöhen), und das natürlich unter Aufhebung des Äquivalenzprinzips; das versteht sich wohl von selbst.
Außerdem wäre es erstaunlich, wenn der Komplex Krankenversicherung samt PKV nicht in einem Aufwasch mit erfasst würde (gerade weil hier mit dem Vorwurf der sog. „Zwei-Klassen-Medizin“ sich gut die Karte einer vorgeblichen sozialen Gerechtigkeit spielen lässt), also auch Beiträge zur GKV erhoben würden. Und drittens würde die SPD sicher nichts unversucht lassen, im Kielwasser dieser All-out-Verbeitragung auch eine Vermögenssteuer einzuführen, und auch diese Steuer würde dann selbstverständlich von einer Verbeitragung begleitet (wäre sonst ja auch „unfair“ und trifft ja eh nur die „Reichen“). Umso interessanter wäre das Ganze natürlich, wenn man eine einmalige, aber dafür umso höhere Vermögensabgabe erhebt (natürlich bei umso niedrigeren Freigrenzen), und diese dann ebenfalls voll verbeitragt.
Runde Sache für alle
Freilich: Soll die Sache richtig rund werden, muss man auch alle die erfassen, die gar nichts einzahlen (und gar nichts herausbekommen), also v.a. Selbstständige sowie beherrschende GGF und Vorstände. Das gilt aber nur für die Rentenversicherung denn: privat Krankenversicherte gibt es dann ja ohnehin keine mehr.
Noch steht das alles in den Sternen, aber es ist schon mal beachtlich, dass es der SPD gelungen ist, das Ganze zumindest auf die Agenda zu setzen. Und einem Merz ist in Sachen Gehorsam gegenüber Lars Klingbeil wirklich restlos alles zuzutrauen.
Fratzscher back on Stage
Am Rande sei noch bemerkt, dass eine solche All-out-Verbeitragung wunderbar harmonieren würde mit der Fratzscher-Idee vom Boomer-Soli (samt dem Annex vom Pflichtdienst für die Rentner).
Auf besagten politischen Sprengstoff dieser Politik kommen wir weiter unten zurück. Zuerst eine andere Sache:
n-tv (3. Dezember): „‘Hat mich gekränkt’: Bas fühlt sich von Arbeitgebern missverstanden.“
Für ihre mannigfachen und in der Tat schwerwiegenden Fehltritte vor den Arbeitgebern und den Jusos hat Bärbel Bars – als Rednerin wohl ohnehin nicht gerade begnadet – schon genug Prügel bekommen, da muss Kassandra nicht auch noch draufhauen. Allerdings: Als Arbeits- und Sozialministerin und SPD-Vorsitzende in einer Zeit, in der die hiesige De-Industrialisierung zuweilen schon Fluchtcharakter annimmt, die Arbeitgeber dermaßen anzugehen, das ist schon Bundesverdienstkreuz-verdächtig. Zahlreiche Kommentatoren haben dazu geschrieben, was zu schreiben ist.

Gleichwohl kann man in Sachen „Kampfansage an die Arbeitgeber“ auch zwei Dinge zu ihrer Verteidigung vorbringen: Erstens ist auch sie teils emotional gesteuert (das hat sie mit Kassandra gemein), und sie hat kundgetan, dass das Lachen der Arbeitgeber sie auch getroffen habe. Das ist durchaus glaubhaft, sie wird zu einem gewissen Grad wirklich verletzt sein – noch verstärkt dadurch, dass zig Mio. Menschen dies im Netz via Social Media gesehen (und viele auch hämisch kommentiert) haben. Das lässt auch alte SPD-Schlachtrösser nicht unberührt (wobei sie sich schon fragen sollte, was genau das Lachen provoziert hat; der technisch korrekte Fehltritt ist ja hier schon diskutiert worden).
Vor den Jusos den Mund voll nehmen – aber nicht ständig mit Fäkalsprache
Zum zweiten kann man ihr zugute halten, dass es für gestandene SPD-Granden seit jeher eher unangenehm ist, vor diesen ans hysterisch grenzende radikalen Jusos auftreten und dort klassenkämpferische Statements abgeben zu müssen. Wer ihre Rede vor den Jusos auch nur auszugsweise gesehen hat, der konnte spüren, dass das, was sie da gesagt hat, nur teilweise ihrer Überzeugung entspricht. Vor diesen Jusos muss man halt den Mund voll nehmen, will man nicht als Weichei dastehen. Und jetzt muss sie diese unglücklich gelaufene Sache – zwischen Jusos, SPD, Arbeitgebern, Medien, Social Media und Öffentlichkeit – halt ausbalancieren („fühle mich missverstanden…“); Politikerschicksal eben.
Wie dem auch sei: An dieser Stelle nur der freundliche Rat an die Ministerin, die bei ihr mittlerweile offenbar zu einer gewissen Regelmäßigkeit gewordene Fäkalsprache abzustellen. Die Spott-Alliteration „Bullshit-Bärbel“ droht sich im Internet festzusetzen, und so wird sie als Politikerin kaum in Erinnerung bleiben wollen.
Auch wenn Bas mit ihrer Ausdrucksweise damit v.a. unter weiblichen Mandatsträgern in Deutschland längst nicht mehr allein ist, sollte niemand in höherer Verantwortung dazu beitragen, diese Sprache zu etablieren. Das gilt übrigens auch für die hierfür von Kassandra streng zu tadelnde Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die jüngst im besten Rotlichtjargon ihr eigenes Land sinngemäß als „Freudenhaus“ herabgesetzt hat.
Derbe Sprache ist gut und schön und wichtig. Aber nicht vom hohen politischen Amte herab.
Die vier Parteien, die es betrifft
Aber wie gesagt: Da die Medien die Akut-Sache „Rente“ gerade rauf- und runterdiskutieren, konzentrieren wir uns hier auf einige „Außenseiter“-Punkte, namentlich die parteipolitischen Effekte der o.a. Causa „Verbeitragung über alle sieben Einkunftsarten“ – zumindest betreffend diejenigen Parteien, die es betrifft. Und das sind nur vier. Alle anderen spielen keine Rolle. Zuerst zur SPD:
SPD: Die Sache ist nicht so einfach
Kassandra hat die SPD schon ebenso endlos viele Male für ihre Durchsetzungsfähigkeit gelobt wie die Union für ihre Schwäche getadelt. Das hat sich auch jetzt in dieser Renten-Diskussion mal wieder bewahrheitet. Merz irrt, wenn er denkt, die SPD hört mir ihren Ansprüchen auf, wenn ihr ihr nur häufig genug entgegenkommt. Genau weil er ihr immer weiter entgegenkommt, geht die SPD immer weiter. Es sei wiederholt: In der gegenwärtigen Lage des Landes und der SPD – beide in gleichermaßen katastrophalem Zustand – machen Bas und Klingbeil an sich alles richtig: Sie holen raus, was noch rauszuholen ist. Das gilt für die Ausdehnung der Haltelinie über 2021 hinaus als auch für die breitere Verbeitragung.

Aber ist die Sache so einfach? Nein, ist sie nicht. Hier direkt die eigene Gegenrede zu dem just Gesagten: Ist das denn wirklich alles richtig aus Sicht von Bas, um an der Wahlurne zu retten, was zu retten ist? Vermutlich nicht. Denn Durchsetzungsfähigkeit und Staatskontrolle sind das eine, Wahlen und politische Programmatik das andere – und hier hat die SPD bekanntlich ein ernsthaftes Problem. Und das verschlimmert sie nur immer weiter. Die „Bild“ attestierte ihr jüngst schon nicht weniger als den Geruch des Todes. Soweit sind wir sicher nicht, aber fest steht: Für die SPD steht die Sonne tief, und Zwerge werfen lange Schatten.
Statt links und Grün nun SPD?
Gehen wir angesichts der akuten Renten-Sache mal durch, und teilen wir die Bevölkerung hierzu grob in zwei Gruppen ein:
Da sind erstens diejenigen, die Transferleistungsempfänger sind und/oder keine Kapitalerträge und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung haben. Von denen wählt ein gewisser Teil bisher schon SPD. Jedoch kann man nicht davon ausgehen, dass die SPD hier nun mit dieser Maßnahme der Verbeitragung weiterer Einkunftsarten Wählerstimmen bspw. von der Linkspartei oder den Grünen abziehen würde. Warum denn auch? Weil nun bestehende Links- und Grünwähler sagen „Oh, die SPD hat die Verbeitragung weiterer Einkunftsarten durchgesetzt! Betrifft mich zwar gar nicht, aber ich wähle statt Links und Grün jetzt SPD.“? Das anzunehmen, wäre schlicht irreal.
Und dann ist dort zweitens die Gruppe derjenigen, die es betrifft, also die durchaus über solche Einkünfte verfügen und damit der neuen Verbeitragung (vermutlich als Annex zur Steuererklärung bspw. der Anlage Kap/V) Knall auf Fall zusätzlich massiv erhöhte Beiträge zu zahlen hätten. Sollen die nun jubeln? Dass diese – aus lauter Dankbarkeit – nicht (mehr) SPD wählen werden, ist wohl ebenso klar. Was also hat die SPD mit der Maßnahme zu gewinnen? Rein gar nichts! Die Zahl der zusätzlichen SPD-Wähler dürfte stark gegen Null gehen. Bezieht man die AfD in die Betrachtung ein, dürfte das Saldo sogar negativ sein.
Bei der Sache mit der Haltelinie gilt Analoges. Für die allermeisten (1 Prozentpunkt mehr ab 2031 statt im Koalitionsvertrag) ist das so weit weg, dass sie dies gar nicht ernsthaft registrieren (ähnlich übrigens bei der CSU-Mütterrente).
Warum also tut die SPD dies trotzdem? Weil sie es kann. Und weil ihr nichts besseres mehr einfällt. Die ganze aktuelle Renten-Diskussion zeigt wieder eines, und es bleibt dabei: Die SPD ist programmatisch am Ende ihres Weges angekommen. Sie braucht – will sie angesichts ihrer programmatischen Sackgasse, des demographisch unausweichlichen Wegsterbens ihrer Wählerschaft und des Aufstiegs der Linkspartei als Gegenpol zu rechts – nicht zur einstelligen Junior-Kraft im linken Lager werden, dringend ein AfD-Verbot.
Scheinriese Union in der strategischen Sackgasse …
Zur Union: Das in Sachen All-out-Verbeitragung zur SPD Gesagte gilt im Prinzip auch für sie, sogar in noch stärkeren Ausmaß. Die SPD kann wie erläutert nichts gewinnen. Doch in der Unions-Wählerschaft dürfte die Erkenntnis, nicht nur auf das eigene Spitzengehalt immer mehr (da höhere oder keine BBG), sondern zusätzlich auf einmal auf Dividenden, Kursgewinne, Mieteinnahmen, ggf. gar Erbschaften und Vermögen nun Beiträge zur GRV (und GKV) zu zahlen, zu nicht weniger als zum blanken Hass auf die eigene Partei führen. Allein die gegenwärtige Diskussion über das Thema dürfte unter den Unions-Wählern – wenn auch traditionell enorm duldsam – schon für Unmut sorgen. Doch sollte dieser Move der Koalition, also Komplettverbeitragung über alle sieben Einkunftsarten, tatsächlich kommen – derzeit noch völlig unklar – würde das an der Wahlurne nur einen Über-Gewinner kennen: AfD. Man muss sich fast schon fragen: Bezahlt der Chrupalla Union und SPD eigentlich dafür, dass die sich sowas ausdenken? Und wenn ja, wieviel?
… und eingemauert
Die strategische Tiefe der Union ist zwar noch sichtlich größer als die der SPD, doch leidet sie nicht minder. Hinter der sich auf dem Spitzenplatz zunehmend festsetzenden AfD ist sie nur noch zweistärkste Kraft, und die Brandmauer ist wie erläutert von einem einstigen strategischen Vorteil der Union zu einer semi-permeablen Membran geworden: dicht in Richtung der Union, offen in Richtung der AfD. Die Union – nicht gerade das Sammelbecken der deutschen Intellingenzija – hat sich eingemauert zwischen einer SPD, der sie in Sachen Cleverness und Durchsetzungsfähigkeit nicht das Wasser reichen kann, und einer Brandmauer, hinter der die AfD wie in einem Gewächshaus nach Lust und Laune gedeiht.
Die AfD: abwarten und feixen hinter der Fassade
Und die AfD selbst? Muss nur abwarten und feixen. Wie gesagt, mit der (nun zumindest diskutierten) All-out-Verbeitragung bekäme sie ihren Booster quasi auf dem Silbertablett präsentiert. Alice Weidel redet noch tagaus, tagein davon, dass doch die Union die Brandmauer einreißen und mit der AfD eine rechtsbürgerliche Politik in Deutschland umsetzen möge. Doch das ist nur Fassade. Vermutlich weiß sie genau, dass das mit keinerlei Realität zu tun hat. Wie sollte das denn in der Praxis aussehen? Die Union mittlerweile nur noch als Junior-Partner der stärkeren AfD? Absurd anzunehmen.

Außerdem dürfte Weidel bewusst sein, dass ihre Wählerschaft – v.a. ehemalige SPD und Unions-Wähler – nach dem Sprung über die Brandmauer alles wollen, aber keine Koalition „ihrer“ AfD mit der Union. Der Tag ist nicht fern, dass die AfD auch öffentlich erklären wird, was alle längst wissen: Dass sie auch bundesweit aufs Ganze gehen wird. In Sachsen-Anhalt ist das bereits der Fall.
Übrigens: Eben gespeist aus der erratischen Politik der Koalition gehört die AfD wie Union und SPD zu dem Trio, das derzeit kein Interesse an Neuwahlen haben kann: die Regierenden aus Angst vor der nahen Niederlage, die AfD aus Hoffnung auf noch größere Erfolge.
Am Rande sei erneut daran erinnert: Je stärker die AfD wird, desto gefährlicher und schwieriger wird das Husarenstück eines AfD-Verbots. Insofern muss man die Stirn runzeln ob einer Regierung, die einerseits über ein solches Verbot nachdenkt, andererseits aber eine Politik macht, die für die AfD der wahre Dünger ist.
Die Linkspartei im drohenden Overstretch
Dass die Union nun, wie es Stand Donnerstag Nacht aussieht, morgen bei der Verabschiedung eines solchen zentralen Projektes wie dem des Rentenpaketes auf die Duldung durch die Linkspartei angewiesen sein könnte, sagt wohl alles über den Zustand dieser Partei und auch dieser Bundesregierung aus.
Gleichwohl: Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Linkspartei Merz freundlich über die Hürden hilft, das war schon bei der Kanzlerwahl so und auch bei der Richterwahl für das Verfassungsgericht. Mal sehen, was die Linke dafür fordern wird. Umsonst wird sie es kaum tun. Die All-out-Verbeitragung über alle sieben Einkunftsarten drängt sich für die Linke geradezu auf. Dann bekommt man das, was man politisch will, und lässt die Union sich gleichzeitig noch massiv selbst beschädigen. Besser geht es eigentlich gar nicht. Klar, ein va Banque-spiel. Aber mit Merz hat man in der Union einen in der Verantwortung, mit dem man sowas machen kann. Die Gelegenheit muss man nutzen.

Gleichwohl ist die Sache auch für die Linkspartei nicht ohne Risiko. Ihr droht, wenn sie nun ständig zum Merzschen Steigbügelhalter wird, irgendwann der Overstretch. Franziska Brantner, Chefin der derzeit reichlich irrelevant wirkenden Grünen, brachte es gestern Abend im ZDF schlagfertig auf den Punkt: „Eine Partei, die als Bollwerk gegen die Union angetreten ist, sich bei ihren Wählern nun aber als Ersatzrad entpuppt …“. Da hat sie recht.
Übrigens kommt genau ein solcher Spagat – sich im Anti-Lager positionieren, aber dann auf einmal pro-Regierung stehen – bei eben diesen Anti-Wählern nicht gut an. Das hat schon dem BSW mit Ansage das Genick gebrochen. Abwarten, ob die Linke die Kurve kriegt. Insbesondere die SPD dürfte das aufmerksam beobachten – und die Linkspartei so oft ins Regierungsboot locken, wie es nur geht. Ob Reichinnek das durchschaut?
Doch wer hat 2026 den taktischem Vorteil?
Doch bei allen strategischen Defiziten ist es die Union, welche den taktischen Vorteil auf der Hand hat. Das wird man bei den nächsten vier Landtagswahlen 2026 sehen. Die SPD stellt zwei Amtsinhaber, hat also nur zwei Titel zu verteidigen und nichts zu gewinnen. Und sie wird beide Titel verlieren, in MeckPomm wie in Rheinland-Pfalz. Ebenso werden die Grünen in Baden-Württemberg abserviert. In allen drei Bundesländern wird die CDU die entstehende Lücke schließen, folglich drei Ministerpräsidenten-Posten gewinnen und wie der glänzende Sieger dastehen. Mit Sachsen-Anhalt könnten es sogar vier werden (eine Niederlage droht nur in Berlin bei der Wahl des Abgeordnetenhauses).
Vier Wahlen – drei oder vier neue Ministerpräsidenten der Union: Merz wird sich als großer Sieger sehen. In Wahrheit ist es so, dass der Union als der Partei mit der größten strategischen Tiefe die Aufgabe zukommt, angesichts der AfD-Schatten an der Wand die Trümmer der anderen Parteien einzusammeln und unter ihrer Führung zu bunten Koalitionen zu schmieden. Siege sind das, ja, aber es sind Pyrrhussiege. Denn es sind immer buntere Koalition nötig, um die immer stärkere AfD in Schach zu halten. In Sachsen-Anhalt wird man sehen, ob diese Vorgehen bereits an seine Grenzen gerät.
Ironie der Geschichte: Eben infolge dieser Gemengelage wird die SPD – ungeachtet ihrer absehbaren Abstrafung durch die Wähler – von der Union zur Bildung eben dieser Multi-Koalitionen gebraucht werden und erneut Regierungsverantwortung übernehmen können; vielleicht sogar dort, wo sie sie derzeit nicht hat, also Berlin und Baden-Württemberg. Das Berliner Muster also.
Die zurückgebliebene Nation
Doch der Schatten gibt es noch weitere, auch abseits des Parteipolitischen: Dass eine Verbeitragung auch von Kapitalerträgen neben den polit-strategischen Folgen auch einem K.o-nahen Niederschlag Deutschlands in Sachen Asset Management und Asset Ownership (Sie wissen schon, zurückgebliebene Nation und so) und damit auch für die Vorsorge selbst bedeuten würde, sei hier nur noch am Rande erwähnt. Deutschland wäre hier auch mit einer vorsorge- und industriepolitischen Katastrophe konfrontiert – und fiele vom niedrigen Niveau noch tiefer.
Die Welt (3. Dezember): „So wird jeder Deutsche zum Millionär – das steckt hinter der neuen Rentenidee.“
Auch ein interessanter Punkt: Oben wurde schon angerissen, dass nach einer solchen All-out-Verbeitragungsoffensive irgendwann auch neben (bzw. nach) der PKV die bAV zum Schlachter der Vergesellschaftung geführt würde. Erscheint Ihnen das alles weit weg oder gar irreal? Da kann Ihnen geholfen werden:
immerhin hat der auf diesem Parkett an sich geschätzte Wirtschaftsweise Martin Werding, wie die Welt hier dokumentiert, nun schon mal (wenn auch in anderer Form) die Abschaffung der bAV in einem konkreten Vorschlag durchgedacht. Das Konzept ist zwar ein anderes (und sehr positiv und richtig auf Real Assets gestützt), doch zeigt es, dass es Denkverbote in diesem Deutschland nicht mehr gibt, auch betreffend die bAV nicht. Keiner auf unserem Parkett sollte den Fehler machen, zu glauben, die bAV sei sakrosankt. Das ist sie nicht. Im Neugeschäft schon gar nicht; wenn es hart auf hart kommt, aber auch nicht im Bestand. Ist die PKV es nicht, ist es die bAV auch nicht.
Bild (1. Dezember): „Mächtiger CDU-Politiker legt Rückzug nahe: ‚Arbeitsministerin Bas ist Fehlbesetzung‘.“
Muss man nichts zu schreiben. Vollkommen irrelevant. Ohne jede politische Relevanz.
Merkur (4. Dezember): „‘Ich sehe, wer klatscht’: Merz macht Druck im Renten-Streit – Kanzler-Machtwort oder Drohung?“
Auch das zeigt gut, in welche Richtung sich die Union entwickelt. Aber sage keiner, das sei hier typisch deutsch. Dass Abgeordnete oder sonstige Delegierte von der Staats- und Parteispitze aufmerksam beobachtet werden, ob sie an der richtigen Stelle klatschen, und wenn ja, ggf. auch wie lange und wie überzeugt und enthusiastisch sie dabei wirken und dass ein Abweichen hier Konsequenzen haben kann, welcher Art auch immer, gibt es schließlich in einigen Staaten auf der Welt (auf eine Aufzählung dieser Staaten wird hier verzichtet).
Hier ein Auszug aus unserem schönen Grundgesetz:
Art 38 (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Anregung: Vielleicht könnte man hier noch einen (1b) einfügen, irgendwas mit Klatschen oder so? Es sollte sich für die Union mit Hilfe der Linkspartei doch locker eine Mehrheit hierfür finden lassen. Gerade die Linkspartei ist hier sehr erfahren.
Und Kassandra steht mit ihrer berühmten Sondereinheit dem Kanzler selbstverständlich zur Verfügung (für kleines Honorar) gegen alle Nicht-Klatscher in der Unions-Fraktion die nötige Autorität zu zeigen:

BDA (2. Dezember): „Deutschland braucht eine große Rentenreform – Union schlägt den falschen Weg ein.“
Danke dafür, Herr Dulger, dass Sie etwas aussprechen, was ohnehin alle wissen – wenn auch mit etwas Verspätung.
Sie schreiben: „Schluss mit der abschlagsfreien Frühverrentung, keine Ausweitung der Mütterrente, eine längere Lebensarbeitszeit und die Rückkehr zum Nachhaltigkeitsfaktor.“ Wunderbar. Nur werden Sie davon was bekommen? Genau gar nichts. Zumindest in dieser Legislatur. Alle, die hier mitlesen, wissen es dagegen längst: Gar nichts wird sich ändern. Zumindest nicht in diese Richtung.
BMAS (8. Dezember): „Bundeskabinett beschließt den Siebten Armuts- und Reichtumsbericht.“
Arm und reich? Für die allermeisten Menschen im Lande kann Kassandra die Perspektive bekanntlich ein einem einzigen Bild darstellen:

Der Westen (2. November): „Dortmunder will Pfandflaschen verschenken – und kassiert irres Bußgeld.“
Die ganze Rentendiskussion mag eine politische sein – doch betrifft sie am Ende echte Menschen in echter Realität. Hier ein weiterer Beleg, wie die öffentliche Hand die Strukturen eines schon heute für viele Menschen sehr wichtigen und bald für vielleicht Millionen essentiellen Alterseinkommens torpediert. Das Flaschenpfand ist nach Kassandras Ansicht bekanntlich auf dem besten Weg, zu einer echten vierten Säule der deutschen Altersvorsorge zu werden. Bas täte gut daran, hier rechtzeitig die richtigen regulatorischen Weichen zu stellen.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück – satte 42 Jahre alt und für die Leserschaft passend zu den Schatten über unserem Land in einer extralangen Version – findet sich hier:




















