Jeden Freitag bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Wenn Geiz mal wirklich geil ist.
Die Welt (17. November): „Italien und Portugal stehen besser da als Deutschland.“
Ein Welt-Artikel vom letzten Herbst, gleichwohl noch lesenswert. Ob man der Argumentation uneingeschränkt folgt, sei dahingestellt. Doch auch Kassandra hat schon vielfach geunkt, dass das bei oberflächlicher Inaugenscheinnahme gesunde Deutschland infolge seiner multiplen Herausforderungen – seien sie ökonomischer, industrieller, demografischer, politischer oder geostrategischer Natur – für lange Zeit nicht weniger von der Finanzierung durch die Notenpresse abhängig sein wird als die anderen europäischen Krisenstaaten auch.
Bereits 2010 hat Kassandra Deutschland in diesem Sinne als das „Super-PIG“ bezeichnet.
FAZ (14. Februar): „Das deutsche Target-Risiko.“
Das Vorgesagte gilt umso mehr, als dass Deutschland seine sagenhafte Exportüberschüsse – also die Abgabe von Industriegütern an das Ausland statt Verkonsumierung derselben durch die eigene Bevölkerung – ja irgendwie für die „Käufer“ finanzieren muss (man halte sich die Wechselwirkungen zwischen industriellem Output, Zahlungs-, Leistungs- und Kapitalbilanzen sowie Wechselkursen und Fiat-Money-Systemen vor Augen).
Bekommt Deutschland in „normalen“ Zeiten wenigstens noch etwas für seine Überschüsse, das man irgendwie als „Geld“ bezeichnen kann, ist mit den Target-2-Salden eine Finanzierungsquelle hinzugetreten, die im Zweifel gar keinen Wert mehr hat und unmittelbar EZB-finanziert ist (wenn man hier überhaupt von Finanzierung sprechen will). Thematisiert wird dies – vermutlich auch wegen der zugrundeliegenden Komplexität – fast nur noch von der FAZ.
FAZ (16. März): „Hans-Werner Sinn: 'Für Deutschland ist der Brexit verheerend'.“
Dass der Abschied Großbritanniens von der Europäischen Union es um Deutschland in Brüssel bezüglich Regulierung des Pensionswesens deutlich einsamer werden lässt, ist auf unserem Parkett jedem bewusst und hier bereits kommentiert worden.
Doch wird das Fehlen der den Deutschen politisch, ökonomisch und kulturell halbwegs wesensverwandten Briten in den europäischen Gremien auf alle Ebenen der EU und vor allem in grundsätzlichen Fragen weitreichende Folgen haben, wie der Ex-Chef der Ifo-Instituts hier in seiner unbestechlichen Art analysiert und mahnt.
Bild (9. März): „Elektrofachmärkte verkaufen nur noch PET-Tüten.“
Seit die Plastiktüten in MediaMarkt und Saturn nicht mehr kostenlos abgegeben werden, ist der Verbrauch um 90 Prozent zurückgegangen, entsprechend jährlich sagenhaften 60 Millionen Tüten, weiß die Bild zu berichten. Und nun wird die Plastiktüte bald durch eine ökologische Variante ersetzt. Hier ist Geiz mal wirklich geil.
Es gibt sie also noch, die kleinen guten Nachrichten. Hier zeigt sich auch beispielhaft, wie oftmals mit Drehen an kleinen und kleinsten Stellschrauben durchaus spürbare Wirkung erzielt werden kann. Und was hat das mit der bAV zu tun, dass es nicht unter Off Topic steht? Nun, das auch hier das Drehen an kleinen Stellschrauben zuweilen viel bewegen kann. Nur passiert das leider viel zu selten.
OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
HB (16. März): „Die türkische Wirtschaft kollabiert.“
Hier angesichts der um sich greifenden Türkei-Thematik ein Beitrag des Handelsblatts, der einen sehr wichtigen Aspekt ins rechte Licht rückt, welcher sonst häufig zu kurz kommt: dass die Türkei ökonomisch in einer äußerst prekären Lage ist (ihre geostrategische ist übrigens nicht besser) und sich derartige Auseinandersetzungen wie die gegenwärtige eigentlich gar nicht leisten kann.
Doch liegt gerade hier vermutlich eines der Motive der Erdogan-Administration, den Streit mit den Westeuropäern mit dieser emotionalen, teils fanatischen Vehemenz auszutragen – das Ablenken von innenpolitischen Problemen. In Zusammenhang damit dürfte die offenkundige Absicht stehen, die türkische Wählerschaft in Deutschland und den Niederlanden am Vorabend des Verfassungsreferendums zu politisieren, zu polarisieren und damit zu mobilisieren.
Es sei noch ein Gedanke ergänzt: Vielleicht verfolgt Erdogan ja daneben noch eine langfristigere Strategie, der die Mobilisierung der doppelstaatlichen Massen dient, nämlich die Gründung von AKP-Parteien in denjenigen westeuropäischen Staaten mit großem türkischstämmigen Bevölkerungsanteil, namentlich eben im jetzt attackierten Deutschland und in den Niederlanden. Nimmt die türkische Regierung bereits heute über ihr faktisch zuzurechnende Organisationen bereits massiv Einfluss auf die Innenpolitik in Deutschland, so hätte sie über eine deutsche Sektion der AKP, die zu den Wahlen antritt und der ohne weiteres der Einzug in westdeutsche Kommunal- und Landesparlamente gelingen dürfte (möglicherweise als Vertretung ethnischer Minderheiten – wie bei Sorben und Dänen – sogar ohne Geltung der 5-%-Hürde) ganz andere Möglichkeiten als heute. Die einzige Frage ist, warum das nicht schon längst passiert ist. Doch vielleicht werden wir gerade Zeuge der Vorbereitungen hierzu.