Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

PENSIONS●INDUSTRIES-Kommentar – nach der Wahl:

Mehr (Zumutungs-)Mut in der bAV!

Die Zeiten sind politisch bewegt, da macht auch die bAV keine Ausnahme. Helmut Aden kommentiert: über das, was argwöhnisch beäugt wird, wer herausgefordert sein wird, was nach der x-ten Reform immer noch nicht hilft, was jetzt erst recht besteht, wo man auf Widerstand stoßen wird, wer alles seinen Beitrag leisten muss, was für kollektive Systeme kein Problem darstellt, wo seit Jahren Konsens herrscht – und was aus Zumutungen werden könnte.

Nicht nur mehr „Mut“, sondern sogar „Zumutungsmut“ wünscht sich der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte in seinem Buch „Wählermärkte“. „Zumutungsmut“, mit diesem sperrigen Begriff beschreibt er die Bereitschaft der demokratischen Parteien, unpopuläre Maßnahmen zu kommunizieren und um Mehrheiten dafür zu werben. Dem kann ich mich nur anschließen – insb. mit Blick auf die Altersvorsorge in Deutschland.

Zumutungen treffen immer nur die Anderen.“

Mut fehlte in den Debatten zur Bundestagswahl 2025. Es wurden stabile Renten versprochen und um Zuversicht geworben. Wenn es aber um die Konkretisierung oder gar Finanzierbarkeit dieser großen Aufgabe ging, blieb doch wieder alles sehr vage. Tatsächlich ist die Lage nicht einfach! Denn es muss mehr Geld ins System der ergänzenden und ersetzenden Vorsorge. Doch die potenziellen Beitragszahler, Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder der Staat, sind knapp bei Kasse. Zumutungen treffen immer nur die Anderen.

Kapitalvermögen wird automatisch mit Reichtum gleichgesetzt.“

Auch in diesem Wahlkampf trat ein Paradox zutage, das fast symptomatisch für die deutsche Debatte und damit auch für die Altersvorsorgedebatte ist: Kapitalvermögen wird automatisch mit Reichtum gleichgesetzt – und in Teilen noch immer als systemfremd, illegitim oder verdächtig argwöhnisch beäugt. Doch Kapitaleinkünfte machen nicht nur Vermögende reicher, sondern sind eine wichtige Grundlage, um auch einfachen Arbeitnehmern eine bessere finanzielle Absicherung zu verschaffen.

Helmut Aden, VFPK und BVV.

Uns allen ist bewusst: Wir brauchen ein neues Verständnis von Altersvorsorge und müssen uns dringend weiterbewegen. Viele junge Menschen haben das bereits verstanden. Sie legen zunehmend in Aktien, genauer in ETFs an, um auf eigenes Risiko kapitalgedeckt zu sparen. Denn dass die staatliche Rente zwar noch eine Grundversorgung, aber nicht mehr den Lebensstandard im Alter sichern kann, und dass Riester ihnen selbst nach der x-ten Reform nicht weiterhilft, haben sie längst verstanden.

Junge Menschen benötigen leicht zugängliche und sichere kapitalgedeckte Vorsorgeangebote, mit denen sie vom globalen Wirtschaftswachstum profitieren können. Und wir brauchen diese Vorsorgeangebote in der bAV über regulierte Pensionskassen, weil sie auch den Jungen in der Rentenphase verlässliche, lebenslange Einkünfte sichern und sie als Teil einer kollektiv sparenden Gemeinschaft nicht mit den Kapitalmarktrisiken allein lassen.

Die Ampelregierung hatte zuletzt Weiterentwicklungen auf den Weg gebracht, die nicht alle schlecht waren. Doch das vorzeitige Ampel-Aus hat diesen ein abruptes Ende gesetzt. Auch wenn das BRSG II kein großer Wurf gewesen wäre, hätte es immerhin einen wichtigen Schritt nach vorn bedeutet. Der Handlungsbedarf in der betrieblichen Altersversorgung wäre geblieben – und besteht jetzt erst recht.

Garantien klingen auf den ersten Blick attraktiv.“

Jetzt, wo neu gewählt wurde, ist der richtige Zeitpunkt, mehr Mut auch in der bAV zu wagen. Seit Jahren herrscht Konsens: Wir brauchen mehr Teilnahme an der bAV. Aber das Obligatorium, und sei es in seiner abgemilderten Form als Auto Enrollment und Opting out, das schieben wir immer wieder vor uns her und vertagen diese Entscheidung in die Zukunft. Hier brauchen wir mehr von dem genannten „Zumutungsmut“ in der Politik. Sie muss den Menschen klar und deutlich sagen, dass eine bAV keine Frage persönlicher Vorlieben, sondern schlicht und einfach notwendig ist. Es geht darum, das gesamte Vorsorgesystem über alle drei Säulen demografiefest zu machen, die öffentlichen Kassen vor vermeidbaren künftigen Belastungen zu schützen und abzufedern, was abzufedern ist.

Ähnlich verhält es sich mit Garantien in der Altersvorsorge. Es mag herausfordernd sein, Menschen in eine Vorsorge zu verpflichten, die keine festen Garantien bieten kann. Doch was ist die Alternative? Garantien klingen auf den ersten Blick attraktiv – sie vermitteln Sicherheit. Doch sie sind teuer und gehen zwangsläufig auf Kosten von Renditen, vor allem in Zeiten noch immer niedriger Zinsen. Insbesondere die kollektiven Systeme der bAV bieten eine Vielzahl von Instrumenten, um größere Wertschwankungen zu vermeiden – eine 100-prozentige Garantie muss dabei nicht zwingend wie in Stein gemeißelt sein.

Eine deutlich erhöhte Verbindlichkeit im Zugang ohne umfassende Garantien wird sicherlich auf Widerstand stoßen. Doch es wäre ehrlicher und erfolgversprechender als die vielen und sehr kleinteiligen Maßnahmen, die Arbeitnehmern in der Vergangenheit zugemutet wurden.

Nicht nur Arbeitnehmer, auch der Staat und die Aufsichtsbehörden müssen ihren Beitrag leisten, damit unser Vorsorgesystem widerstandsfähiger und attraktiver wird.

Wer spart, verzichtet heute auf Konsum, um im Alter besser versorgt zu sein. Doch dieser Verzicht muss sich auch lohnen. Damit die betriebliche Altersversorgung attraktiver wird, gibt es zwei zentrale Stellschrauben:

Erstens muss sie von übermäßigen Abgaben für den Einzelnen entlastet werden, damit in der Auszahlungsphase mehr Netto vom Brutto bleibt. Ein Beispiel ist die Doppelverbeitragung im Rentenbezug, die vor allem im Niedriglohnsektor zu einer erheblichen Belastung führt. Kurzfristig bedeutet das Mindereinnahmen für den Staat. Doch dieser Verzicht ist eine Investition in die Zukunft – wer heute besser vorsorgt, benötigt morgen weniger staatliche Unterstützung.

Ein weiterer Hebel für eine attraktivere bAV ist die Anlage in renditeträchtigere Klassen. Diese können zwar temporäre Wertschwankungen aufweisen. Für langfristige, kollektive Systeme wie Pensionskassen stellen diese jedoch kein Problem dar. Der Anlagehorizont von Pensionskassen ist sehr lang, da lebenslange Altersrenten gezahlt werden müssen. Dies sowie eine diversifizierte Anlagestrategie führen dazu, dass entsprechende Schwankungen gut „ausgehalten“ werden können.

Für die Finanzaufsicht stellt dieser Paradigmenwechsel eine Herausforderung dar – und damit kommen wir zu einer weiteren Zumutung: Auch die Aufsichtsbehörden müssen Möglichkeiten erhalten und sie dann auch aktiv und mutig nutzen, mit den Realitäten des Kapitalmarkts flexibler umzugehen. Dadurch können auskömmliche Renditen ermöglicht werden. Dazu gehört es, temporäre Unterdeckungen in der Deckungsrückstellung zuzulassen, ohne sofort Maßnahmen ergreifen zu müssen, die den Finanzbedarf der Pensionskassen in die Höhe treiben und sie dadurch in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, der die nötige Flexibilität schaffen muss.

Es kommen also Mut und auch Zumutungen für Arbeitnehmer, Staat und Aufsicht zusammen. Doch sind diese als Investition in eine Altersvorsorge zu verstehen, die künftigen Rentnerinnen und Rentnern einen signifikant höheren Lebensstandard sichert, als das mit der gesetzlichen Rente allein machbar ist. Gleichzeitig wäre es eine Investition in ein widerstandsfähiges Alterssicherungssystem, das starke Renditen sowohl aus der Umlage wie auch aus den Kapitalerträgen einbringen kann – damit die Attraktivität der Altersvorsorge steigt, die Gefahr von Altersarmut sinkt und der Staat am Ende weniger Mittel für die Grundsicherung aufbringen muss.

Für diese ‘Zumutungen’ sind keine neuen Produkte oder gar Institutionen eigenen Rechts zu erfinden.“

Zugleich würden diese Zumutungen die bAV in die Lage versetzen, Kapital für dringend benötigte Zukunftsinvestitionen im eigenen Land zu mobilisieren. Dies würde nicht nur die Altersvorsorge stabilisieren, sondern auch dazu beitragen, das Land wirtschaftlich zukunftsfähig aufzustellen.

Für diese „Zumutungen“ sind keine neuen Produkte oder gar Institutionen eigenen Rechts zu erfinden. Es gibt in der heutigen bAV keinen Mangel an Instrumenten. Gerade über regulierte Pensionskassen lassen sich besonders effizient und kostengünstig alle Varianten bis zum Sozialpartnermodell abbilden, mit denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam kapitalgedeckte Altersvorsorge organisieren. Niemand wird dabei den Bewegungen des Kapitalmarktes allein und schutzlos ausgesetzt. Niemand muss sich sorgen, dass die Rente nicht tatsächlich lebenslang ausgezahlt wird, denn Risiken werden durch kollektives Sparen minimiert und auf viele Schultern verteilt, sodass langfristig eine sichere und renditestarke Altersvorsorge gewährleistet wäre. Sind das noch Zumutungen? Oder längst notwendige Maßnahmen?

Die Lösungen sind vorhanden. Wenn sie umgesetzt werden, entstehen daraus keine Zumutungen, sondern Zuversicht und Zukunftsfähigkeit.

Von Autorinnen und Autoren des BVV (bzw. der BVV-Tochter betavo) sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

Nach der Wahl:
Mehr (Zumutungs-)Mut in der bAV!
von Helmut Aden, 17. März 2025

BRSG-E 2.0 (II):
Zwischen Stärkung, Wurf und Abwarten
von Carolin Selig-Kraft, Andrea Bahr und Mirko Buchwald, 28. Juni 2024

Talking Heads – BVV (II) – Frank Egermann im Gespräch:
Wir nutzen das Marktumfeld konsequent“
Interview mit Frank Egermann und Marco Herrmann, 13. Juni 2024

Talking Heads – BVV (I)– Marco Herrmann im Gespräch:
Auf dem Sprung nach Osten …
Interview mit Frank Egermann und Marco Herrmann, 4. Juni 2024

BVV im Interview (II):
Von Herzen, Nieren und Teufeln
Interview mit Frank Egermann und Marco Herrmann, 25. September 2023

BVV im Interview (I):
Rosen, Dornen und Reserven
Interview mit Frank Egermann und Marco Herrmann, 19. September 2023

Die Zeit ist reif…
für die reine Beitragszusage“
von Christoph Lotz, 10. November 2022

Inside Industry:
Bei den Banken eine Bank
von Mirko Buchwald und Branko Kovač, in der Tactical Advantage Vol 10, Oktober 2022

bAV bei Banken und Finanzdienstleistern – virtueller Branchentreff:
Chancen in Krisen
von Mirko Buchwald, 11. Juni 2021

Beitragspflicht von Renten in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner (KVdR):
Doppelverbeitragung von Betriebsrenten und deren Umsetzung bei Versorgungsträgern
von Marco Herrmann und Branko Kovač, im Mai 2019 in der Tactical Advantage Vol 1

Der Arbeitgeberzuschuss ab 2019 (II):
Pauschal ist immer noch nicht immer pauschal. Und spitz noch immer nicht wirklich spitz.
von Marco Herrmann und Branko Kovač, 25. März 2019

Der Arbeitgeberzuschuss ab 2019:
Pauschal ist nicht immer pauschal. Und spitz nicht wirklich spitz.
von Marco Herrmann und Branko Kovač, 22. November 2018

Karlsruhe kassiert Kassel (II):
Nicht im institutionellen Rahmen
von Marco Herrmann, 12. September 2018

Bankenbranche diskutiert über Zukunft der bAV:
Zwischen DSGVO, Ausfinanzierung und rBZ
von Marco Herrmann, 23. Mai 2018

40b und Beitragsfreiheit:
Vereinfacht und verbessert?
von Marco Herrmann und Michael Ries 25. Oktober 2017

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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