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BVV im Interview (I):

Rosen, Dornen und Reserven

Ruhige Jahre gibt es in deutschen bAV kaum, doch 2022 war ein besonders bewegtes – Krieg, Krisen und schneller Zinsanstieg prägten die Schlagzeilen. Damit hatte sich auch der BVV als eine der großen Kapitalsammelstellen Deutschlands auseinanderzusetzen. Wie war das Jahr? Was pressiert derzeit? Wie gehts es weiter? Über Lage und Perspektive spricht der LbAVHerausgeber mit den BVV-Vorständen Frank Egermann und Marco Herrmann. Teil I eines zweiteiligen Interviews – heute mit dem Schwerpunkt auf der Kapitalanlage.

Marco Herrmann, Frank Egermann, für das gute Jahr 2021 konnten Sie u.a. noch auf die expansive Notenbankpolitik verweisen. Den Zahlen nach war 2022 jedoch sichtlich komplizierter. Das überrascht kaum, hat 2022 uns doch Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflationsanstieg, rapide Zinserhöhungen sowie Rezessionsängste bzw. -realitäten beschert. Wie hat sich diese zusammenwirkende, wenig schöne Problemlage auf den BVV ausgewirkt – zunächst ganz allgemein?

Marco Herrmann, BVV.

Herrmann: Vollkommen richtig. 2021 war auch in der historischen Betrachtung ein Rekordjahr für den BVV, und es war klar, dass sich dieses Jahr nicht ohne Weiteres wiederholen wird. Der signifikante Zinsanstieg ist für eine Altersversorgungseinrichtung wie dem BVV mittel- bis langfristig genau das, was wir brauchen – liefert er doch planbare und auskömmliche Erträge, und nach 15 Jahren Niedrigzinsumfeld ergibt sich damit endlich wieder die Möglichkeit, unseren zinstragenden Direktbestand auszubauen.

Kurzfristig bedeutet die Zinserhöhung allerdings Stress, da mit dem Anstieg ein Abschmelzen der stillen Reserven einhergeht. Bezüglich der Inflationsrally, die wir gesehen haben, ergeben sich natürlich Bedürfnisse unserer Versorgungsberechtigten hinsichtlich einer attraktiven Gesamtverzinsung/Überschussbeteiligung. Hier gilt es allerdings, sorgfältig abzuwägen und zu planen und nicht voreilig zu handeln, denn die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen hat oberste Priorität. Mit unseren Produktoptionen für die Umsetzung der reinen Beitragszusage haben wir allerdings unsere Hausaufgaben gemacht und sind uns sicher, hier renditetechnisch attraktiv aufgestellt zu sein.

Egermann: Die Rahmenbedingungen an den Finanzmärkten haben sich – darauf weisen Sie zu Recht hin – nicht nur außergewöhnlich schnell, sondern auch massiv geändert. Dies hinterlässt logischerweise Spuren im Zahlenwerk des BVV, abzulesen an unserem deutlich niedrigeren Jahresergebnis 2022. Umso mehr fühlen wir uns bestätigt, das Ausnahmejahr 2021 zu einer Stärkung des BVV genutzt zu haben.

2022 konnten Sie anders als 2021 die Deckungsrückstellung nicht weiter stärken bzw. den Rechnungszins senken, richtig? Wo liegt nun der Rechnungszins der BVV PK insgesamt, weiter bei ca. 3%?

Egermann: Eine Stärkung der Deckungsrückstellung aus eigener Kraft, d.h. auf Basis entsprechender Erträge, gelingt mit Blick auf die Größenordnung von rd. 785 Mio. Euro 2021 nur in Ausnahmejahren. Insofern stand dies auch nicht auf der Agenda für 2022, im Übrigen auch nicht für 2023. Damit bewegt sich unser durchschnittlicher Bestandsrechnungszins in der Tat weiter um die Marke von 3%.

Wenn man nun an den Bond-Märkten wieder auskömmliche Returns findet mit passabler Duration, mit denen man seine Verpflichtungen matchen kann: Besteht nach 2023 überhaupt noch der Drang, den Rechnungszins weiter zu drücken, sobald es hierfür Möglichkeiten gibt? Wollen Sie künftig noch weiter runterkommen? Oder ist das gegenwärtige Niveau nachhaltig?

Egermann: Eine weitere Senkung der Zinsverpflichtungen durch Stärkung der Deckungsrückstellung halten wir weiterhin für einen sinnvollen Weg, den BVV noch zukunftssicherer und krisenfester aufzustellen, was letztlich auch im Interesse unserer Leistungsanwärter und -empfänger sowie Mitgliedsunternehmen ist. Daher bleibt das auf der Agenda.

Wenn man nach einer einfachen Faustregel sucht, könnte man sagen: Solange die Rendite einer klassischen zehnjährigen Bundesanleihe noch unterhalb des kalkulatorischen Rechnungszinses rangiert, ist es zu früh, von einem nachhaltigen Niveau zu sprechen.

Auf welche weitere geldpolitische Entwicklungen in Europa und den anderen großen Märkten stellen Sie sich ein? Sehen weiter eine strukturelle Zinswende?

Frank Egermann, BVV.

Egermann: Die geldpolitische Straffung bewegt sich unseres Erachtens in der Zielkurve. Die größte Wegstecke liegt bereits hinter uns. Bei der Diagnose einer strukturellen Zinswende wäre ich vorsichtig. Richtig ist, dass sich einige strukturelle Faktoren derart geändert haben, dass sie in der Tendenz inflationstreibend sind. Dazu gehört der Aspekt Globalisierung, der eine Teilumkehr erfährt, oder die Klimawende, die es nicht zum Nulltarif gibt. Andere eher deflationäre Faktoren wie Demografie oder Digitalisierung wirken fort. Ich würde daher davor warnen, das inzwischen deutlich veränderte, für uns auskömmliche Zinsumfeld als unumkehrbar fortzuschreiben.

Keine Rosen ohne Dornen: Hat das Jahr 2022 also auch in Ihren Stillen Reserven viel von den Füßen auf den Kopf gestellt?

Egermann: Kurze Antwort: selbstverständlich. Wer wie wir aus guten Gründen auf planbare Erträge und damit verzinsliche Titel im Portfolio setzt, muss angesichts dieses markanten Zinsanstiegs auch mit stillen Lasten leben. Dies ist natürlich nicht schön, aber für uns tolerabel, da wir nicht zu Verkäufen und damit zur Realisation von Verlusten gezwungen sind, z.B. um Rentenzahlungen zu leisten.

Haben Sie im Portfolio auch den Denominator-Effekt gehabt, z.B. bei den Private Markets?

Egermann: Auch da ist der BVV keine Ausnahme. Dies wird sich erfahrungsgemäß – und man erkennt dies schon 2023 – in der Folgezeit zumindest z.T. korrigieren, da Krisen stets zunächst zu Bewertungseffekten in Public und erst mit Zeitverzug in Private Markets führen. Für 2023 und vermutlich auch 2024 werden die schon angesprochenen Belastungsfaktoren nicht spurlos an illiquiden Asset-Klassen vorbeigehen.

Sie arbeiten ja mit den beiden großen Blöcken Zinsportfolio (FI-Direktbestand) und Mandatsportfolio. Gilt jetzt hier weiter mehr denn je: Zins first? Oder suchen Sie auch aktiv Opportunitäten?

Egermann: Ja und Ja! Wir haben eine ambitionierte Re-Allokation vom Mandats- in das Zinsportfolio angestoßen, um das Zinsumfeld zu nutzen. Der Anteil des Zinsportfolios ist von historisch rd. 70% im Niedrigzinsumfeld auf ca. 40% abgeschmolzen. Diesen Trend wollen wir sukzessive umkehren, solange es die Finanzmärkte erlauben. Das heißt aber nicht, dass wir bei den übrigen Asset-Klassen eine Vollbremsung machen. Die Investmentprogramme laufen weiter, nur die Hürde für Neuinvestments ist – angesichts der relativen Attraktivität klassischer Anleihen – jetzt höher.

Sitz des BVV am Berliner Kurfürstendamm.

Sicher widmen Sie der Emittenten-Bonität stets viel Aufmerksamkeit. Nun aber werden die realwirtschaftlichen Zeiten spürbar rauer. Intensivieren Sie hier Ihren Blick?

Egermann: Für eine Änderung von Prozessen besteht kein Anlass. Wir haben einen robusten Kreditprozess für unser Zinsportfolio, der uns gut durch die Krise führt. Allerdings nehmen wir gerne die Chance wahr, die Kreditqualität im Portfolio wie auch die Diversifikation der Emittenten zu erweitern, indem wir auch im Rating-Bereich AA-AAA investieren, was im Niedrigzinsumfeld faktisch nicht möglich war.

Als ich Sie vor einem Jahr nach Emerging Markets in Zeiten des Risk off frug, beschäftigten Sie sich mit der Entscheidung, ob EM eine strategische, dauerhafte oder eher eine taktische, temporäre Allokation im Portfolio zusteht. Wie ist das Ergebnis heute?

Egermann: Die finale Antwort steht noch aus. Unsere Ausrichtung ist unverändert strategisch, aber geringer allokiert und tendenziell liquider, um schneller taktisch reagieren zu können. Emerging Markets sind alles andere als ein homogenes Gebilde, und allein die Entwicklung in und um China als den wichtigsten verbliebenen Faktor gibt Anlass genug, diese Frage immer mal wieder zu prüfen.

Ganz allgemein: Wie ist es bisher in diesem ersten Halbjahr 2023 für den BVV an den Märkten gelaufen, und welchen kurzfristigen Ausblick haben Sie Stand heute?

Egermann: Wie schon 2022 gibt es 2023 gegenläufige Effekte: Waren es 2022 die Public Markets, die unter dem Umfeld litten, verlagert sich das in 2023 mehr auf Private Markets. Das geänderte Zinsumfeld ist – zumindest b.a.w. – ein Gamechanger für Neuanlagen. Diese positiven Effekte höherer planbarer Erträge werden wir aber erst in den Folgejahren mehr und mehr sehen. Insofern ist 2023 wenig überraschend erneut ein anspruchsvolles Jahr.

 

Teil II des Interviews findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier.

 

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