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BVV im Interview (II):

Von Herzen, Nieren und Teufeln

Herausforderungen gibt es in der deutschen bAV stets satt, auch abseits der Kapitalanlage. Die BVV-Vorstände Marco Herrmann und Frank Egermann berichten, wie und in welche Richtung sie die Berliner EbAV steuern. Teil II eines zweiteiligen Interviews, heute rund um Neugeschäft, Gesetzgebung, Strategien, Recht, KI – und was man alles selber macht.

Frank Egermann, Marco Herrmann: Wie steht es angesichts der höheren Zinsen um das Einmalbeitragsgeschäft in den Pensionsfonds aus? Der IFRS-Druck auf die Bilanzen hat nachgelassen, aber eine Auslagerung nach HGB-Zins ist immer noch recht teuer, oder?

Marco Herrmann, BVV.

Herrmann: In der Tat hat die Nachfrage nach Auslagerungen auf den Pensionsfonds ein Stück weit nachgelassen, dennoch ist dies weiterhin bei den Unternehmen ein Thema. Deutlich wird allerdings, dass das Pendel vom rückgedeckten Pensionsfondsgeschäft deutlich in Richtung des nicht-rückgedeckten Geschäfts ausschlägt. Wir sind mit den aktuellen Anfragen dennoch sehr zufrieden, zeichnet sich doch ein gewisser Trend ab, wonach neben den Bilanzierungseffekten auch insb. die Frage der Verwaltungsexzellenz eine wesentliche Rolle spielt. Und hier ist der BVV bestens aufgestellt.

Vor einem Jahr haben Sie auf meine Frage nach denkbaren Übernahmen von Pensionsfonds durch den BVV geantwortet: „absolut.“ Gibt es hier zwischenzeitlich bereits Entwicklungen?

Herrmann: Absolut. Wir sind hier in diversen Kundenprojekten unterwegs. Da Umfang und Volumen jeweils nennenswert sind, brauchen diese Themen jedoch ihre Zeit.

Bezüglich des Sozialpartnermodells gilt weiter: BVV Gewehr bei Fuße, Ball bei den Tarifvertragsparteien? Spüren Sie hier Bewegung nach dem Start der Chemiker?

Herrmann: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und stehen bereit. Wir wissen auch, dass das Thema bei den Tarifvertragsparteien auf der Agenda steht. Vielleicht gibt es alsbald Ergebnisse zu vermelden. Aus unserer Sicht ist die reine Beitragszusage eine gute Möglichkeit, Unternehmen, die bislang nicht Mitglied des BVV sind, und deren unversorgte Mitarbeitende in die bAV zu bringen. Für unsere derzeitigen Versorgungsberechtigten ergäbe sich die Möglichkeit, ergänzend zu ihrer bisherigen Versorgung noch etwas mehr für ihren Ruhestand zu tun.

Übrigens, was ich nicht verstehe: Man kann als EbAV eine Consulting-Tochter unterhalten, die am Markt Dienstleistungen anbietet und Profit erwirtschaftet (zu Gunsten der Berechtigten). Aber wenn man eine Photovoltaik-Anlage auf eine Immobilie setzt, ist man gewerblich infiziert und verliert rückwirkend die Steuerbefreiung. Wie kann das sein?

Frank Egermann, BVV.

Egermann: Da stimme ich Ihnen zu. Das verstehe ich auch nicht. Für den BVV ist dies aber auch irrelevant, da wir aufgrund der Rückdeckung der BVV Versorgungskasse nicht steuerbefreit sind.

Wo wir schon beim Thema sind: Der BVV geht bekanntlich Richtung Full Service-Anbieter. Gehen Sie bereits über die Grenze der Banken- und Finanzdienstleistungsbranche hinaus? Haben Sie die angekündigten weiteren Schritte unternommen? Und wie macht sich die betavo, jetzt, wo sie zwei geworden ist?

Herrmann: Der BVV hat sich 2019 seiner Full Service-Strategie verschrieben. Wir haben dann 2020 mit den Vorbereitungen einer Beratungsgesellschaft begonnen und diese 2021 an den Markt gebracht. 2022 hat die Mitgliederversammlung über eine Satzungserweiterung der Pensionskasse beschlossen, wonach es uns auch möglich ist, Versorgungseinrichtungen – bspw. Pensionsfonds – branchenfremder Unternehmen zu verwalten. Den aus unserer Sicht finalen Schritt haben wir in diesem Jahr vollzogen:

Da die Nachfrage nach der Verwaltung von Direktzusagen bei unseren Mitgliedsunternehmen sehr hoch ist und über der Pensionskasse insgesamt immer das Damoklesschwert des § 15 VAG (versicherungsfremdes Geschäft) schwebt, haben unsere Mitglieder die Ausgliederung der Administration der BVV Pensionskasse auf unsere neugegründete BVV Pension Management beschlossen. Damit einher geht ein Betriebsübergang unserer Beschäftigten.

Wir sind in der neuen Struktur mit Eintragung der Ausgliederung im Handelsregister Mitte August 2023 gestartet und wollen unser volles Dienstleistungsspektrum zum 1. Januar 2024 unseren Kunden offerieren. Die betavo ist schon jetzt eine Erfolgsgeschichte und wird auch in der neuen BVV-Unternehmensstruktur eine wichtige Rolle spielen. Es ist uns nun möglich, die Themenfelder Produkte, Beratung und Dienstleistung unter einem Dach anzubieten und somit unser Full Service-Versprechen zu erfüllen.

Vielleicht noch ein Wort zu unseren Digitalisierungsaktivitäten: Hier sind wir im Plan und werden modular unser Bestandsverwaltungssystem durch eine eigene Entwicklung ablösen. Damit schaffen wir Prozesse, die es uns auch künftig – und sogar noch etwas besser, weil unabhängiger – ermöglichen, Kundenanfragen in der Beratung und Betreuung persönlich, in der Umsetzung aber vollständig automatisiert zu bearbeiten.

Danke für das Stichwort. Sie arbeiten ja im Kundenservice mit einer Robotic Process Automation. In der KI läuft die Entwicklung so schnell, dass man – ich zumindest – bald eine eigene KI braucht, nur um diese Entwicklung überhaupt beobachten zu können. Ist ein KI-Einsatz bei Ihnen schon ein anstehendes Thema? Oder gar schon Realität?

Herrmann: Im Rahmen unserer Digitalisierungsaktivitäten schauen wir uns natürlich auch neueste Technologien an, und da ist auch das Thema Künstliche Intelligenz von hoher Relevanz. Gerade weil wir die persönliche Betreuung unserer Kunden für essenziell halten und diese auch weiter intensivieren wollen, müssen wir künftig Kundenanfragen noch besser strukturieren, um unseren Mitarbeitenden für die Betreuung mehr Zeit zur Verfügung zu stellen. Dafür haben wir einen ersten Testfall aufgesetzt, den wir auf Herz und Nieren prüfen. Allerdings werden wir nicht auf Teufel komm raus KI einsetzen. Es muss in erster Linie unseren Kunden und dem BVV nutzen.

Sitz des BVV am Berliner Kurfürstendamm.

Themenwechsel: Nachdem die 16er-Sache ja weitgehend geklärt ist: Gibt es andere arbeitsrechtliche Themen, die Sie derzeit besonders pressieren?

Herrmann: Arbeitsrechtlich hat sich vieles geklärt. Interessant und spannend bleiben Fragen zur Neuordnung oder Umstrukturierung von Versorgungssystemen. Bezüglich der reinen Beitragszusage sind wir sehr einverstanden, was wir vom Gesetzgeber an perspektivischen Klarstellungen hören. So soll insb. die Tatsache, dass sich die Tarifvertragsparteien nicht oder nicht ausreichend an der Durchführung und Steuerung der reinen Beitragszusage beteiligen, mittels gesetzlicher Regelung gerade nicht dazu führen, dass dann keine reine Beitragszusage vorliegt. Dies ist wichtig und schafft Sicherheit für alle Beteiligten.

Das im Nachweisgesetz erhärtete Schriftformgebot bleibt ein Ärgernis, und der aus dem PUEG resultierende Aufwand für Versorgungseinrichtungen ist schlicht und einfach unverhältnismäßig.

Ferner wir werden mal sehen, wie sich das BAG weiter zu der Frage positioniert, wie hoch Garantien bei den klassischen Zusagen sein müssen.

Ein letzter Punkt fällt mir noch ein. Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung hat auch Auswirkungen auf die bAV und insbesondere Pensionskassen. Hier wäre eine entsprechende Anpassung im Aufsichtsrecht, § 232 Abs. 1 VAG, sinnvoll. Von einer Änderung des § 6 BetrAVG sollte man in diesem Zusammenhang meines Erachtens die Finger lassen.

Zur Politik: Die beiden Fachdialoge BMAS und BMF sind beendet. Wie bewerten Sie die Ergebnisse, und was muss politisch jetzt mit Vorrang passieren?

Herrmann: Ein bisschen provokant könnte man sagen: Alles was Geld kostet, wird zunächst nicht umgesetzt, z.B. die Angleichung der Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit auf 8% oder die Erleichterung bei der Krankenversicherung der Rentner. Dennoch führen auch viele kleine Schritte zum Ziel: § 212 VVG zur Fortführung der bAV soll angepasst werden. Zu der bezüglich der reinen Beitragszusage avisierten Klarstellung ist auch eine Modifikation der Einschlägigkeit tariflicher Regelungen und damit besserer Differenzierung mit dem Ziel breiterer Einsatzmöglichkeiten sehr zu begrüßen. Angesichts dessen, was man aus dem BMF hört, wird man bei der Geringverdienerförderung nach §100 EStG wohl erst die Evaluierung Ende dieses Jahres abwarten wollen.

Und: Das von Ihnen eben angesprochene Thema Fotovoltaik in Verbindung mit der Körperschaftssteuerbefreiung scheint beim BMF auch angekommen zu sein. Insgesamt also kleine, aber sehr gute Punkte.

Sollte die Politik langsam darüber nachdenken, den HRZ zu erhöhen? Könnte dann auch die BZML eine Renaissance erleben?

Herrmann: Vor dem Hintergrund der Attraktivität der bAV wäre das sicherlich ein wünschenswertes Ziel. Die BaFin hat hier allerdings auch noch ein Wörtchen mitzureden. Nach vielen Jahres des Niedrigzinsumfeldes sollten wir vielleicht nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen und uns eher für eine mittelfristige Erhöhung des Höchstrechnungszinses aussprechen.

Und vielleicht muss man insgesamt auch die Notwendigkeit eines Höchstrechnungszinses im Sinne eines Garantieversprechens bewerten. Wenn renditeorientierte Produkte, insb. im Rahmen der reinen Beitragszusage, so richtig an Fahrt aufnehmen und über die Langfristigkeit der vertraglichen Beziehung in der bAV auch die Ausschläge nach unten beherrschbar bleiben, werden wir die Frage zum Höchstrechnungszins vielleicht gar nicht mehr zu diskutieren haben.

Zum Schluss Europa: Was erwarten Sie von der Überarbeitung der EbAV-II-RL? Müssen wir zufrieden sein, wenn es nicht noch komplexer und bürokratischer wird? Oder kann man gar von Verbesserungen träumen?

Herrmann: Wenn man sich allein schon die bereits bestehenden – aus der Umsetzung der EbAV-II-RL resultierenden – Anforderungen anschaut, stellt sich die Frage, ob an vielen Stellen der Regulatorik wirklich im Interesse der Anspruchsberechtigten und Leistungsempfänger agiert wird. Leider scheinen im Rahmen der Überprüfung der EbAV-II-Richtlinie die bisher von EIOPA konsultierte Anpassungen eher zu Erweiterungen der Anforderungen führen. Dem Grundgedanken einer Mindestharmonisierung wird hier nicht an allen Stellen Rechnung getragen, insb. Erleichterungen für kleine und mittlere Einrichtungen erweisen sich bei genauerem Hinsehen als zum Teil wirkungslos. Dem Proportionalitätsgedanken wird praktisch nicht Rechnung getragen, zum Teil das Gegenteil erreicht.

Und Bürokratie will auch bezahlt werden?!

Herrmann: Kosteneffiziente bAV wird durch solche Anforderungen – sowie weitere Verschärfung bei den Themen Ausgliederung und dem Management von Interessenkonflikten – konterkariert. Die besonderen Konstellationen aus Einrichtungen und Trägerunternehmen werden weiter nicht adäquat berücksichtigt, sondern bürokratisiert.

Auch Anspruchsberechtigten und Leistungsempfängern zielgerichtet Informationen zu ihrer Versorgung bereitzustellen, ist immer zu begrüßen. Digitale Formate helfen an dieser Stelle. Mit einfach immer mehr und umfassenderen Informationen, die verpflichtend übermittelt werden sollen, verfehlt man jedoch das vorgenannte Ziel. Über die aba begleiten wir die laufenden Entwicklungen und versuchen im Interesse unserer Mitglieder und Trägerunternehmen positiven Einfluss zu nehmen, um vielleicht an der einen oder anderen Stelle doch noch Verbesserungen zu erreichen.

 

 

Teil I des Interviews findet sich auf LEITERbAV hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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