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„Die Zeit ist reif …

… für die reine Beitragszusage“

Inflation, Fachkräftemangel und Attraktivität der bAV: Sind kapitalmarktorientierte Produkte die Antwort auf die aktuellen Herausforderungen? Wie interessant ist die bAV noch für Arbeitgeber? Und bekommt die Finanzwirtschaft ihre eigenes Sozialpartnermodell? Diese Fragen und mehr diskutierten namhafte Experten im Rahmen der Veranstaltungsreihe einer großen EbAV. Christoph Lotz war dabei.

 

15. und 22. September, Frankfurt und München: Der BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. und die Beratungsgesellschaft betavo GmbH haben turnusgemäß zu ihrer Veranstaltungsreihe „Im Dialog 2022“ eingeladen.

Entscheider und Führungskräfte der Finanzdienstleistungsbranche tauschten sich vor Ort über zentrale Themen der bAV aus. Zur Podiumsdiskussion sind mit Christoph Auerbach, Head of People & Culture, HypoVereinsbank / UniCredit Deutschland, und Michael Ilgner, Global Head of HR & Real Estate, Deutsche Bank, zwei hochkarätige Branchenvertreter geladen.

 

 

Inflation ruft alternative Anlagemöglichkeiten auf den Plan

 

 

Die rasant gestiegene Inflation hat die Frage nach der optimalen Anlageform in der bAV wieder weit oben auf die Tagesordnung gesetzt. Die Ergebnisse des ersten Branchenreports der Beratungsgesellschaft betavo GmbH – einer Umfrage zur Ausgestaltung der bAV im Bank- und Finanzdienstleistungsgewerbe (für Details s. Tactical Advantage Vol 10) –, deuteten eine mögliche Antwort bereits an. Im Feedback der Branchenvertreter wurde unter anderem angeregt, der durch den „geringen Garantiezins geminderten Attraktivität der bAV mittels einer etwas chancenorientierteren Produktvariante entgegenzuwirken.“

 

 

Der Wunsch nach der reine Beitragszusage?

 

 

Dass damit die reine Beitragszusage gemeint sein kann, lag für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Hand, schließlich hat der BVV mit der BVV.Maxrente bereits ein eigenes Produkt entwickelt und in die Tarifverhandlungen der Finanzwirtschaft eingebracht. Zu den Aussagen der Branchenvertreter en détail:

 

 

 

 

Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Inflationsentwicklung sind attraktive Renditen unabdingbar.“

 

 

 

 

Zu der Frage, ob er die Zeit für die reine Beitragszusage für reif halte, hat Michael Ilgner, Global Head of HR & Real Estate der Deutschen Bank, eine klare Antwort:

 

Michael Ilgner, Deutsche Bank…

Absolut. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Inflationsentwicklung sind attraktive Renditen unabdingbar, um dann im Alter ein angemessenes Versorgungsniveau zu erzielen. Es ist kein Geheimnis, dass die Gewährung von Garantien die Anlagemöglichkeiten einschränkt, was sich letztlich negativ auf die möglichen Renditechancen auswirkt.“

 

Die Beispiele aus anderen Ländern zeigten, dass der Verzicht auf Garantien – bei ausreichender Kontrolle und Governance von Versorgungssystemen – eher einen positiven Effekt hat und gerade nicht zu einem Verlust von Versorgungskapital führt, erläutert Ilgner, und bekräftigt: „Insoweit sind wir als Haus weiterhin an dem Konstrukt der reinen Beitragszusage interessiert.“

 

Christoph Auerbach, UniCredit…

Christoph Auerbach, Head of People & Culture, HypoVereinsbank / UniCredit Deutschland antwortet auf die Frage, ob er sich kapitalmarktorientierte Produkte in der bAV vorstellen kann:

 

Bei kapitalmarktorientierten Produkten muss man abwägen: Für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die eine lange Ansparphase wahrscheinlich ist, können sie sinnvoll sein. Wichtig ist eine gute Performance, die bei langen Laufzeiten eher möglich ist.“

 

 

Wie ist der Stand?

 

 

Doch wie weit sind Versorgungsträger diesbezüglich schon mit ihren Überlegungen? Steht das Sozialpartnermodell in der Finanzwirtschaft bereits in den Startlöchern? Marco Herrmann erläutert hierzu:

 

 

 

 

Jetzt liegt es an den Tarifvertragsparteien, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen.“

 

 

 

 

Marco Herrmann, BVV…

Bezüglich eines Sozialpartnermodells haben wir einen angebots- und umsetzungsfähigen Entwurf in der Schublade. Jetzt liegt es an den Tarifvertragsparteien, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Im Kern bieten wir im Rahmen der rBZ zwei Produktalternativen. Zum einen die sicherheitsorientierte, rückgedeckte Variante und zum anderen eine kapitalmarktorientierte Produktlösung im chancenfokussierten, indikativen Zielportfolio des BVV.“

 

 

Wo kommt die Akzeptanz her?

 

 

Voraussetzung für eine Einigung zur reinen Beitragszusage über den Tarifvertrag ist eine ausreichende Akzeptanz des Modells bei den Tarifvertragsparteien. Wie kann diese Akzeptanz erzielt werden? Dazu sagt Mirko Buchwald, Geschäftsführer der betavo GmbH:

 

…und Mirko Buchwald, betavo, auf der Veranstaltung.

Auch wenn die reine Beitragszusage als Zusageform in der bAV neu ist, so ist ja glücklicherweise die bAV in dieser Branche nicht neu. Das heißt, wir starten hier nicht auf der grünen Wiese. Fast jeder Beschäftigte, der heute einen Arbeitsvertrag in der Branche unterschreibt, bekommt auch eine bAV. Die Ausgestaltung ist dabei vielfältig. In den meisten Häusern beteiligt sich der Arbeitgeber an der Finanzierung zu 50%, in manchen aber auch zu zwei Dritteln.“

 

Zudem haben sich Matching-Contribution-Modelle etabliert, das heißt, der Arbeitgeber ist bereit, seinen Anteil zu erhöhen, wenn auch der Beschäftigte bereit ist, einen höheren Beitrag zu investieren. „In einem Branchentarifvertrag, der bei möglichst vielen Arbeitgebern eine hohe Akzeptanz finden soll, wird aus meiner Sicht die Kunst darin bestehen, eine Regelung zu finden, in der sich diese Vielfalt abbilden lässt“, so Buchwald weiter.

 

 

Fachkräftemangel und die Rolle der bAV

 

 

Die bAV leistet einen Beitrag zur Attraktivität von Arbeitgebern. Umgekehrt ist sie jedoch in ihrem Bestand auch direkt von der Personalpolitik der Unternehmen und dem jeweiligen Arbeitsmarkt abhängig. Die Bank- und Finanzdienstleistungsbranche hat in den letzten 20 Jahren, und insb. in der Zeit nach der Finanzkrise 2008, Personal abgebaut bzw. relativ wenige neue Leute eingestellt.

 

Aufgrund der Demografie werden in den nächsten zehn Jahren überproportional viele qualifizierte Beschäftigte in die Altersrente gehen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass in der Branche bereits heute, konkret seit Jahresbeginn 2022, ca. 65.000 Stellen unbesetzt sind. Fehlt es der Branche also möglicherweise bald an ausreichend qualifizierten Fachkräften?

 

Auerbach schätzt das wie folgt ein: „Das Markt- und Wettbewerbsumfeld ist seit Jahren sehr herausfordernd und hat sich durch die Covid-19 Pandemie noch verschärft. Unser Unternehmen hat sich ambitionierte Ziele gesteckt. Um diese zu erreichen, werden in ausgewählten Bereichen auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, unter anderem im Wealth Management und Private Banking. Gleichzeitig sollen die Prozesse der Bank deutlich einfacher und effizienter werden. Bis 2024 werden dafür 500 Mio. Euro in Digitalisierung investiert.“

 

Den Stellenwert, den eine attraktive bAV für die Deutsche Bank einnimmt, betont Ilgner: „Die bAV hat gerade in der Bankenbranche eine große Bedeutung. Die Absicherung im Alter zählt daher auch bei der Deutsche Bank AG seit jeher zu den Angeboten. Um den Lebensstandard im Alter zu halten, ist in den meisten Fällen eine zusätzliche Absicherung neben der gesetzlichen Rente erforderlich. Der Weg der bAV leistet auch wegen der steuerlichen Förderung einen guten Beitrag hierzu. Arbeitgeber sollten daher auf diese Säule bauen. Insoweit beraten wir als Bank auch unsere Kunden in diese Richtung.“

 

 

Fazit des Autors: Zweifel versus Rechtssicherheit

 

 

Die beitragsorientierte Leistungszusage in ihrer klassischen Ausgestaltung scheint ob der aktuellen Inflationsentwicklungen wenig attraktiv. Alternativen mit abgesenkten Garantien können zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls nicht überzeugen. Obwohl von Marktteilnehmern stark vorangetrieben, bleiben nicht unerhebliche rechtliche Zweifel.

 

Die reine Beitragszusage ist im Vergleich dazu die klarere und rechtssicherere Alternative mit deutlichen Vorteilen, insb. auch für die Arbeitnehmer. Unverändert bleibt ein Tarifvertrag dafür eine notwendige Voraussetzung. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sich einig, dass eine brancheneinheitliche tarifvertragliche Lösung die effizienteste Lösung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist. Die Vorteile liegen auf der Hand: Je nach Produktausgestaltung sicher und renditestark. Zudem kann eine Versorgung im Rahmen einer Branchenlösung problemlos zu einem neuen Arbeitgeber mitgenommen werden.

 

 

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

 

Der Autor ist Leiter Stab Strategie des BVV in Berlin.

 

Von ihm und anderen Autoren des BVV bzw. der betavo sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAVerschienen:

 

Die Zeit ist reif…
für die reine Beitragszusage“
von Christoph Lotz, 10. November 2022

Inside Industry:
Bei den Banken eine Bank
von Mirko Buchwald und Branko Kovač, in der Tactical Advantage Vol 10, Oktober 2022

BVV im Gespräch (II):
Wie kommunizierende Röhren“
Interview mit Frank Egermann und Marco Herrmann, 19. Juli 2022

BVV im Gespräch (I):
Mehr als Flut und Boote
Interview mit Frank Egermann und Marco Herrmann, 26. Juli 2022

bAV bei Banken und Finanzdienstleistern – virtueller Branchentreff:
Chancen in Krisen
von Mirko Buchwald, 11. Juni 2021

Beitragspflicht von Renten in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner (KVdR):
Doppelverbeitragung von Betriebsrenten und deren Umsetzung bei Versorgungsträgern
von Marco Herrmann und Branko Kovač, im Mai 2019 in der Tactical Advantage Vol 1

Der Arbeitgeberzuschuss ab 2019 (II):
Pauschal ist immer noch nicht immer pauschal. Und spitz noch immer nicht wirklich spitz.
von Marco Herrmann und Branko Kovač, 25. März 2019

Der Arbeitgeberzuschuss ab 2019:
Pauschal ist nicht immer pauschal. Und spitz nicht wirklich spitz.
von Marco Herrmann und Branko Kovač, 22. November 2018

Karlsruhe kassiert Kassel (II):
Nicht im institutionellen Rahmen
von Marco Herrmann, 12. September 2018

Von Weichen, Vola und Risikokapital:
Flexible Anlagepolitik, hohe Diversifikation“
Interview mit Rainer Jakubowski, 19. Juni 2018

Bankenbranche diskutiert über Zukunft der bAV:
Zwischen DSGVO, Ausfinanzierung und rBZ
von Marco Herrmann, 23. Mai 2018

40b und Beitragsfreiheit:
Vereinfacht und verbessert?
von Marco Herrmann und Michael Ries 25. Oktober 2017

BVV legt Jahresabschluss vor (II):
Irgendeinen Tod muss man sterben“
Interview mit Rainer Jakubowski, 24. Mai 2017

Rainer Jakubowski (BVV) über die Märkte
Die EM-Story stimmt nach wie vor.“
Interview mit Rainer Jakubowski, 25. September 2013

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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