Dass mit der bAV-Reform die Dinge auch in der Praxis nicht einfacher werden, ist bekannt. Umso wichtiger, auch Einzelfragen en Detail zu diskutieren. Marco Herrmann und Michael Ries analysieren deren zweie, die von dem in Überarbeitung befindlichen BMF-Schreiben tangiert werden.
Das BRSG, das zum 1. Januar 2018 in Kraft tritt, ist mit hohen Zielsetzungen in die Umsetzung gestartet. Der Gesetzesbegründung ist unter anderem zu entnehmen, „… [dass] zudem die steuerliche Förderung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) und der Riester-Rente vereinfacht und verbessert [wird]“.
Nachfolgend ein erstes Beispiel, welches nicht unbedingt zur Vereinfachung oder Verbesserung der steuerlichen Förderung beitragen wird, aber aufgrund der hohen Anzahl betroffener Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Versorgungseinrichtungen nicht zu ignorieren sein sollte:
Erst 3.63, dann 40b?
Steuersystematisch kann § 40b EStG a.F. Ab 1. Januar 2018 bei Pensionskassenzusagen, die die Voraussetzungen des § 3 Nr. 63 EStG erfüllen, grundsätzlich wohl nicht mehr zur Anwendung kommen.
Dies ist darin begründet, dass § 3 Nr. 63 EStG n.F. mit der Steuerfreiheit in Höhe von acht Prozent zwingend vorrangig greift. Hieran ändert auch die Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 40 EStG nichts, da § 40b EStG a.F. zwar dem Grunde nach anwendbar ist, aber wegen Nachrangigkeit zu § 3 Nr. 63 EStG erst gar nicht zur Anwendung gelangen kann.
Aus dem aktuellen Entwurf einer Überarbeitung des Teils „B. Betriebliche Altersversorgung“ des BMF-Schreibens anlässlich des BRSG geht auch aus den Randnummern 349 ff. nichts Anderes hervor.
Das bedeutet in der Praxis, dass bei allen Pensionskassenverträgen, welche die Voraussetzungen des § 3 Nr. 63 EStG erfüllen, ab Januar 2018 alle Beiträge oberhalb vier Prozent der BBG steuerfrei bleiben, egal, ob bis dahin aufgrund der Zusageerteilung vor dem 31. Dezember 2004 der § 40b EStG a.F. zur Anwendung gekommen ist. Als Konsequenz daraus erleiden insbesondere die Arbeitnehmer, bei denen die Zuwendungen oberhalb vier Prozent aus Sonderzahlungen kamen (und ggf. der ArbG die Pauschalsteuer getragen hat), massive steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Nachteile. Der Wirkungsgrad der Versorgung verschlechtert sich erheblich.
Sollte das BMF tatsächlich eine optionale gleichzeitige Anwendungsmöglichkeit von § 3 Nr. 63 EStG und § 40b EStG entgegen der Steuersystematik bei Pensionskassenzusagen ermöglichen wollen, dann wäre eine klarstellende Ergänzung im BMF-Schreiben notwendig. Im Sinne des Vertrauensschutzes sollte zweifelsfrei geregelt werden, dass die Fortführung der bestehenden Verträge im Rahmen der § 40b EStG-Förderung weiterhin gültig ist und bestehende Verträge unabhängig von der Ausweitung der Fördermöglichkeiten des § 3 Nr. 63 EStG auch künftig im Rahmen von § 40b EStG gefördert werden können.
Eine Klarstellung in diesem Punkt wäre auch vor dem Hintergrund wichtig, dass die Arbeitgeber bis zum 1. Januar 2018 ihre Optionen zur Anpassung ihrer Gehaltsabrechnungssysteme kennen müssen und die betroffenen Arbeitnehmer im Zweifel Änderungen ihrer bAV zu überdenken haben.
Beitragsfreiheit in der Rentenphase fraglich?
Ein weiteres Beispiel einer Verkomplizierung ergibt sich bei der Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des BRSG und der Gesetzesbegründung ist nach der verabschiedeten Ergänzung des § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V eine KVdR-Freiheit von Leistungen aus privat fortgeführten Pensionskassenversorgungen, die aus Beitragszahlungen ab dem 1. Januar 2002 resultieren, gegeben. Damit sind zwar nicht alle Leistungen aus privat gezahlten Beiträgen KVdR-frei, jedoch zumindest die, die seit der Riester-Reform eingezahlt wurden.
Der aktuell zur Konsultation stehende Entwurf des BMF-Schreibens normiert in Rz. 339 jedoch nunmehr, dass „Altersvorsorgevermögen […] immer nur dann vorliegen [kann], wenn sich der Steuerpflichtige bewusst für die Förderung nach § 10a EStG und Abschnitt XI EStG entschieden hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige seiner Versorgungseinrichtung mitteilt, dass er diese Förderung in Anspruch nehmen möchte und die Versorgungseinrichtung daraufhin ihre Pflichten als Anbieter nach § 80 EStG wahrnimmt“.
Diese Formulierung impliziert, dass Leistungen aus privat fortgeführten Pensionskassenversorgungen erst dann von der KVdR-Pflicht befreit sind, wenn zuvor seitens des Versorgungsberechtigten ein (Dauer-) Zulagenantrag gestellt wurde. Erst dann soll es sich um förderfähige Riester-Verträge und damit um „Altersvorsorgevermögen“ handeln.
Eine solche Schlussfolgerung steht allerdings in völligem Wertungswiderspruch zu der Gesetzesbegründung des § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V. Danach sollten Leistungen aus individuell versteuerten Beiträgen in der bAV – analog zur privaten Lebensversicherung – im Leistungsfall KVdR-frei sein, mindestens, soweit sie potenziell der Riesterförderung unterfallen könnten. In keinem Fall kann es jedoch auf die tatsächliche Riesterförderung ankommen oder zur Voraussetzung gemacht werden, dass seitens des Versicherten die formale Antragstellung zur Riesterförderung zu erfolgen hat.
Die grundsätzliche Fördermöglichkeit, die im Gesetz angesprochen ist, wird allein dadurch hergestellt, dass Pensionskassen für die Durchführung der bAV auf Verlangen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch riesterfähige Tarife bereitgestellt haben. Eine zusätzliche Anforderung, dass der Versicherte rein formal einen Antrag auf Zulage zu stellen hat, entspricht nicht der aktuellen Rechtslage und würde zudem unabhängig davon völlig unnötig die Beitragsfreiheit in der Rentenphase in Frage stellen. Hierdurch würde weiterhin eine deutliche Ungleichbehandlung gegenüber der privaten Altersversorgung billigend in Kauf genommen.
Die Praktikabilität der Deutung des BMF ist zudem zu hinterfragen: Der – rein formale – Nachweis einer Antragstellung – wobei die Antragstellung nicht einmal positiv beschieden werden muss, etwa, weil der Antragsteller bereits eine Riesterförderung bezieht – ist für die Versorgungseinrichtungen nicht umsetzbar. Das Kriterium einer Antragstellung an sich mutet dabei sogar willkürlich an. Und, Hand aufs Herz, rein materiell können die Auswirkungen bei den Krankenkassen nicht allzu groß sein, selbst wenn die Leistungen freiwillig fortgeführter Pensionskassen-Versorgungen künftig KVdR-befreit wären.
Festzuhalten bleibt: Insgesamt hat sich der Gesetzgeber mit der Umsetzung des BRSG dem Ziel verschrieben, den Verbreitungsrad der bAV zu erhöhen und die Komplexität der Materie zu reduzieren. Es wäre im Sinne aller, wenn diese Zielsetzung – hier illustriert an zwei Beispielen – durch ein BMF-Schreiben nicht sofort konterkariert würde.
Michael Ries ist Geschäftsführer der Ries Corporate Solutions GmbH.
Marco Herrmann ist Prokurist und Leiter Strategie, Recht und Kommunikation des BVV aG..
UPDATE 15. Dezember 2017: Zwischenzeitlich ist das BMF-Schreiben erschienen. Eine erste Auswertung findet sich hier.