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Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Talking Heads – BVV (I)– Marco Herrmann im Gespräch:

Auf dem Sprung nach Osten …

vom westlichen Kurfürstendamm: Eine der größten deutschen Vorsorgeeinrichtungen hat sich organisatorisch umgebaut, erschließt dabei neue Felder – und bewegt sich dabei bald auch räumlich. Über versicherungsfremdes Geschäft, ausgebliebene Widersprüche, die etwas andere Lust der Arbeitgeber an Auslagerungen und mehr …

Marco Herrmann, da Ihre Mitgliederversammlung erst Ende Juni stattfindet, können Sie zum Jahr 2023 noch keine quantitativen Angaben machen, nehme ich an. Daher: Wie ist das Jahr denn qualitativ gelaufen?

Herrmann: Qualitativ ein im Ergebnis herausragendes, aber zugleich auch spannendes und anspruchsvolles Jahr mit im Wesentlichen zwei Highlights: Abschluss der organisatorischen Transformation des BVV mit Gründung und Geschäftsaufnahme der BVV Pension Management GmbH sowie Abschluss und Inkrafttreten des Tarifvertrages zur Umsetzung der reinen Beitragszusage in der Finanzbranche über den BVV Pensionsfonds.

Sie haben also mittlerweile Ihre gesamten administrativen Operationen auf besagte BVV Pension Management ausgelagert. Hat das reibungslos geklappt, und sehen Sie Ihre Erwartungen schon erfüllt?

Marco Herrmann, BVV.

Herrmann: Es hat tatsächlich alles reibungslos funktioniert, wenngleich einem erst rückblickend so richtig bewußt wird, wie komplex der gesamte Vorgang war, inklusive Gründung der Gesellschaft, Beschlussfassung der Mitgliederversammlung über die Ausgliederung der Verwaltungstätigkeiten, Umsetzung der Ausgliederung und nicht zuletzt der Betriebsübergang aller Beschäftigten. Insbesondere zum letzten Punkt ist hervorzuheben, dass wir keinen einzigen Widerspruch zu verzeichnen hatten und uns auch insoweit bestätigt sehen, alle Beschäftigten stets rechtzeitig und transparent einzubinden und zu informieren.

Der BVV, eigentlich BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G., gegründet 1909 mit Sitz in Berlin, versteht sich als Full-Service-Anbieter der bAV für die Finanzwirtschaft in Deutschland und besteht heute aus drei rechtlich selbstständigen Versorgungsträgern, die seinen Mitgliedsunternehmen drei der fünf gesetzlichen bAV-Durchführungswege ermöglichen:

  • BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. (Pensionskasse)

  • BVV Versorgungskasse des Bankgewerbes e.V. (rückgedeckte Unterstützungskasse)

  • BVV Pensionsfonds des Bankgewerbes AG (Pensionsfonds).

2021 hat die Beratungsgesellschaft betavo GmbH ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen. 2023 wurde schließlich die BVV Pension Management GmbH als 100%ige Tochter des BVV gegründet, auf die alle Verwaltungstätigkeiten ausgegliedert wurden. Auch sind sämtliche Beschäftigten nun bei der Pensions Management angestellt.

Gemessen am verwalteten Vermögen ist der BVV mit ca. 35 Mrd. Euro Deutschlands größte Pensionskasse und stellt seine Leistungen allen deutschen Banken und Finanzdienstleistungsinstituten sowie ihnen verbundenen Dienstleistern zur Verfügung. Mit rund 300 Beschäftigten betreuen die Berliner derzeit 761 Mitgliedsunternehmen sowie rund 358.000 Versicherte und 133.000 Rentner.

Nun haben Sie ja die Möglichkeit, in dieser Gesellschaft auch versicherungsfremdes Geschäft zu betreiben, zum Beispiel Direktzusagen per CTA zu verwalten. Ist das geplant? Falls ja: Was versprechen Sie sich davon?

Herrmann: Die Verwaltung von Direktzusagen ist derzeit ein nennenswerter Bedarf unserer Mitgliedsunternehmen. Dies setzen wir im Rahmen unserer aktuellen Strukturen um. Ob wir das künftig auch per CTA machen, wird sich zeigen. Unser Geschäft ist auf Skalierbarkeit und damit effiziente Prozesse und vollautomatische Abläufe ausgerichtet. Aktuell richtet sich unser Fokus darauf, uns mittels Investitionen in unsere IT weiter zu verbessern, so dass wir die vielzähligen neuen Kundenanfragen auch gut bedienen können. Das erfordert ein exzellentes Management von Kapazitäten und Ressourcen.

Ist die noch junge Tochter betavo bereits profitabel? Entwickelt sich das Kind zum Stolz der Elternschaft?

Herrmann: Unsere Beratungsgesellschaft betavo hat im Jahr 2021 das Licht der Welt erblickt. Unsere Kunden sind in der Tat sehr zufrieden mit dem Beratungsangebot und der Qualität. Und wenn unsere Kunden zufrieden sind, sind wir es natürlich auch.

Die Nachfrage zeigt, dass es einen großen First Mover brauchte.“

Zum Sozialpartnermodell: Wie kam es so schnell zu dem ersten Erfolg bei der Postbank? Und sind weitere Akteure in der Pipeline? Man könnte sich natürlich vorstellen, dass nun mit der Commerzbank bei ihrem hohen Staatsanteil auch Motivation entstehen sollte, Unversorgte zu versorgen?

Herrmann: Für Außenstehende liest sich die Timeline von Inkrafttreten des Tarifvertrages und Präsentation des ersten Kunden tatsächlich sehr stringent. Hier stecken aber viele Jahre Arbeit drin. Die Deutsche Bank hat als eines unserer größten Mitgliedsunternehmen den Prozess der Einführung und Umsetzung der reinen Beitragszusage sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmerseitig von Beginn an eng begleitet. Insoweit war es nur konsequent, dass wir mit der Postbank auch ein Konzernunternehmen der Deutschen Bank präsentieren konnten. Und ja, einen besseren ersten Kunden hätte man sich kaum wünschen können, denn die Nachfrage vieler weiterer Unternehmen zeigt, dass es einen großen ersten Interessenten als First Mover brauchte. Insoweit gehen wir davon aus, dass weitere Unternehmen dem Beispiel der Postbank folgen werden.

Man kann aus dem Abschluss bei der Postbank herauslesen, dass die bAV hier in den Verhandlungen einen echten Stellenwert hatte. Ist das eine Eintagsfliege, oder kann man darauf hoffen, dass die bAV künftig in Tarifverhandlungen eine größere Rolle spielt?

Endlich mal wieder eine Komponente in der bAV, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen anspricht.“

Herrmann: Wir sind nicht Teil der Tarifverhandlungen, nehmen aber wahr, dass mit der reinen Beitragszusage der Stellenwert der bAV bei der Vielzahl der zu verhandelnden Themen wieder größer wird. Dies hängt natürlich damit zusammen, dass wir bei unserem Sozialpartnermodell eine beträchtliche Zahl von Beschäftigten erstmals in die bAV bringen, der Arbeitgeber sich bereit erklärt, sich auch künftig an deren Finanzierung zu beteiligen, dies allerdings ohne jedwede Haftungsrisiken. Auf der anderen Seite stehen rechtssichere und bedarfsgerechte Produkte mit attraktiven Renditepotenzialen. Im Ergebnis endlich mal wieder eine Komponente in der bAV, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen anspricht.

Marco Herrmann ist lange dabei: Der heute 46jährige Jurist stieß bereits 2007 zum BVV und trat Mitte 2019 in den Vorstand der EbAV ein, den er heute gemeinsam mit Frank Egermann und Helmut Aden bildet. Herrmann verantwortet dabei in seinem Ressort die Abteilungen Personal, Recht einschließlich Compliance, Revision, Risikomanagement/Controlling, Firmenkunden, IT sowie die Stabsstellen Enterprise Architecture Management, Modernisierung/Digitalisierung und Strategie, Kommunikation, Vorstandsunterstützung.

Als Außenstehender denkt man ja, in der Bankenwelt gäbe es gar keine Unversorgten. Offenbar ist die Realität eine andere. Welche Segmente im Bankwesen sind das?

Herrmann: Die Gewerkschaften ver.di und DBV haben eine nennenswerte Zahl von Beschäftigten identifiziert, die noch nicht von den Vorteilen einer bAV profitieren, u.a. bei sog. Servicegesellschaften unserer Mitgliedsunternehmen, die bislang nicht Mitglieder des BVV sind. Und das ist letztlich auch ein Zeichen unserer Branche an die Politik, denn wir setzen mit unserem Sozialpartnermodell die vom Gesetzgeber mit der reinen Beitragszusage seinerzeit verfolgte Idee, die Verbreitung der bAV zu erhöhen, tatsächlich um.

Wir warten ja immer noch auf den Referentenentwurf zur zweiten und dritten Säule. However, die in Rede stehenden Aufweichungen bei dem Tarifvorbehalt: Für Sie als zentralen Akteur im Bankwesen ist das ja eigentlich nicht wünschenswert, oder?

Herrmann: Wir begrüßen grundsätzlich jede Regelung des Gesetzgebers die dazu führt, dass die bAV eine starke Säule der Altersversorgung bleibt und auch noch an Bedeutung gewinnt. Wir scheuen keinen Wettbewerb und sehen in den gesetzgeberischen Ideen rund um den Tarifvorbehalt auch Chancen. Und letztlich braucht es ja immer noch die Tarifvertragsparteien. Und hier gibt es einen klaren Konsens insb. auch mit ver.di, dass Unternehmen der Banken- und Finanzdienstleistungsbranche, die an einer Umsetzung der reinen Beitragszusage interessiert sind, dies auch über den Branchenversorger BVV machen und hierzu den dafür geschlossenen Tarifvertrag anwenden.

Umgekehrt wird ja auch ein Schuh draus: Würden Sie bankenfremde Akteure aus dem ver.di-Bereich anbinden?

Herrmann: Das sind eben potenzielle Chancen, von denen ich sprach. Wir sind der Altersversorger für die Banken- und Finanzdienstleistungsbranche. Gibt es aber Unternehmen, die sich im Umfeld dieser Branche bewegen, werden wir eine potenzielle Anbindung dieser Häuser an den Tarifvertrag zur Umsetzung der reinen Beitragszusage mit unserem Aufsichtsrat und unserem Sozialpartnerbeirat – dem Gremium zur Beteiligung der Tarifvertragsparteien an der Durchführung und Steuerung der reinen Beitragszusage – diskutieren.

Ein Game Changer für die bAV insgesamt ist das nicht.“

Wo wir bei der Politik sind: Welche gesetzgeberischen Maßnahmen hält die größte Pensionskasse Deutschlands für unerläßlich? Welche für wünschenswert?

Herrmann: Fakt ist ja, dass aufgrund der insgesamt angespannten Haushaltslage große und damit kostenintensive Maßnahmen ohnehin nicht zur Umsetzung anstehen, bspw. die Doppelverbeitragung in der Krankenversicherung der Rentner oder die Angleichung der Sozialversicherungsfreiheit an die Steuerfreiheit beim § 3 Nr. 63 EStG.

Mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen ist eine entsprechende Anpassung von § 232 VAG und auch von § 6 BetrAVG wichtig. Ebenfalls relevant sind potenzielle Verbesserungen der Geringverdienerförderung nach § 100 EStG. Ein echter Meilenstein wäre auch ein neuer § 234 Abs. 8 VAG, der die Bedeckungsanforderungen bei Pensionskassen neu regelt. Dies zum einen, weil derartige Themen bislang nicht diskutabel schienen, zum anderen, weil wir als BVV an der Formulierung dieser Norm im Rahmen einer Arbeitsgruppe der aba aktiv mitwirken durften. Bezüglich des Sozialpartnermodells sehe ich die geplante Erweiterung auf den Organisationsbereich der Gewerkschaften positiv und darüber hinaus die Klarstellung „keine Haftung bei mangelhafter Steuerung und Durchführung“ als sinnvoll an, wenngleich es in der Praxis eigentlich gar nicht so schwer ist, sich als Tarifvertragsparteien hier aktiv einzubringen.

Nun steigt ja der HRZ 2025 auf das Vierfache. Was heisst das für die bAV und konkret für den BVV?

Herrmann: Das heißt, dass wir den Höchstrechnungszins von 0,25 auf 1% erhöhen werden und dies der BaFin zur Genehmigung einreichen. Ein Game Changer für die bAV insgesamt ist es aus meiner Sicht nicht, aber insgesamt ein gutes Zeichen, hier auch dem aktuellen Zinsumfeld Rechnung zu tragen.

Ich sehe es einigermaßen kritisch, dass eine boLZ hinter der Leistung einer BZML zurückbleiben kann.“

Wie ist Ihre Haltung in der Frage der Höhe der boLZ-Garantie?

Hermann: Mit dem Rentenreformgesetz 1999 wurde die beitragsorientierte Leistungszusage und mit dem Altersvermögensgesetz im Jahr 2002 die Beitragszusage mit Mindestleistung eingeführt. Ich sehe es schon einigermaßen kritisch, dass eine boLZ hinter der Leistung einer BZML zurückbleiben kann. Letztlich wird es entweder der Gesetzgeber regeln müssen – oder das BAG zu entscheiden haben. Wir haben die Weichen frühzeitig Richtung SPM gestellt, weil wir unseren Mitgliedsunternehmen kein Produkt anbieten wollten, welches Rechtsunsicherheiten beinhaltet.

Merken Sie denn, dass Arbeitgeber durch den höheren Zins in Sachen bAV wieder entspannter werden – und deshalb auch weniger auslagerungsfreudig?

Herrmann: Ja, aber dafür freudiger im Auslagern von Verwaltungstätigkeiten und Services rund um die bAV. Zudem gibt es viele kleinere Versorgungswerke in der Bankenwelt, die sich mit den steigenden regulatorischen Herausforderungen konfrontiert sehen und daher die Möglichkeit einer Bestandsübertragung mit uns diskutieren.

Nach Namen zu fragen spare ich mir. Aber wenn wir dabei sind: Digitalisierung ist ein großes Thema dieser Jahre, explizit auch in Ihrem Haus. Machen Sie das alles selbst, oder haben Sie externe Unterstützung?

Herrmann: Wir sind bei unseren Modernisierungs- und Digitalisierungsaktivitäten ungefähr bei der Halbzeit angelangt. Mit dem erzielten Fortschritt sind wir grundsätzlich recht zufrieden, wenngleich auch hier Themen wie DORA, VAIT und IT-Sicherheit nennenswert Zeit und Kapazitäten binden. Aufgrund der anspruchsvollen Situation am Arbeitsmarkt konnten zudem nicht alle Stellen intern besetzt werden, sodass wir teilweise mit externen Programmierern arbeiten. Ansonsten machen wir das tatsächlich selbst, seitens des Aufsichtsrates erfolgt eine enge Begleitung.

Sitz des BVV am Berliner Kurfürstendamm.

Zum Schluss: Sie verlassen den Berliner Kurfürstendamm. Warum, wann, und wohin geht’s?

Herrmann: Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber und wollen bezüglich des Standortes, des Arbeitsumfeldes und der Arbeitsmöglichkeiten auch mit der Zeit gehen. Sie finden uns ab voraussichtlich Mitte 2025 am Berliner Postbahnhof.

Ich erinnere mich, da war früher eine Disco drin, war ich ein paarmal. Ist die Miete teuer?

Nö, wir haben das Objekt vor einiger Zeit erworben und ursprünglich eine vollständige Vermietung geplant. Jetzt nutzen wir einen Teil eben selbst. Und Disco passt doch auch: Das ein- oder andere Tänzchen ist auf dem Parkett der bAV ja noch zu absolvieren. Da sind wir gern dabei!

Teil II des Interviews mit dem Vorstand des BVV, dann mit Frank Egermann zur Kapitalanlage, folgt in Kürze.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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