Regelmäßig freitags – heute ausnahmsweise am Montag – bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Von Kröten und Schnecken – von Gold und steigenden Zinsen – von Weidmann und Momentum.
VJ.de (3. März): „Viele Vorschläge für neue Altersvorsorge.“
Das Versicherungsjournal gibt anhand einer Tagung einen Überblick über einen kleinen Teil der in Berlin kursierenden Reformideen: „Extrarente“ (VZ), „Basisdepot-Vorsorge“ (BdV), „gesetzliche Aktien-Rente“ (FDP)…
Die meisten dieser Ideen hätten bei Umsetzung unmittelbar oder mittelbar auch Wirkung auf die bAV – und zwar keine gute. Aber sie haben diese Wirkung auch so. Kassandra wird nicht müde zu wiederholen, was sie mehrfach und stets anhand des seinerzeitigen (zum Glück offenbar etwas in Vergessenheit geratenen) hessischen Vorschlags von der sog. „Deutschland-Rente“ oder angesichts der damaligen, nervtötenden NRW-Vorstöße zu einem bAV-Obligatorium sinngemäß geunkt hat:
Wenn ständig neue Ideen zu einer Reform der (betrieblichen) Altersvorsorge in die politische Welt gesetzt werden – die intellektuelle Spannbreite reicht von strunzdumm bis ernsthaft diskutabel – führt das bei denjenigen, die es angeht, nämlich bei Arbeitgebern und Sozialpartnern, aber auch bei Arbeitnehmern in erster Linie zu was? Richtig: zu Zurückhaltung.
Denn warum jetzt ein betriebliches Versorgungswerk reformieren oder gar neu aufsetzen, warum jetzt ein Sozialpartnermodell vereinbaren, warum jetzt einen Jahrzehnte lang laufenden Vorsorgevertrag unterschreiben – wenn in der Politik viele Ideen kursieren, morgen in der Altersvorsorge mal wieder alles anders zu machen? Und das in einem Land, das an vorsorgepolitischen Sackgassen nicht arm ist, AS-Fonds, Mitarbeiterbeteiligung…
Hinzu tritt hemmend, das sei in dieser Diskussion nie vergessen zu erwähnen, die seit Jahren stetig fortschreitende Aushöhlung der Währung.
Altersvorsorge ist – erst recht in einer Industrienation mit überkritischer Demographie und in prekärer Geo-Lage – ein Langfrist-Thema mit Wirkung und Bindung für Jahrzehnte; jedoch kein Versuchslabor, in dem vom Professor bis zum Praktikanten jeder ständig neue Rezepturen zusammenmischen kann.
Übrigens: Den wahren Vogel im VJ-Bericht schießt ein alter Bekannter ab: Prof. Bert Rürup, der laut VJ auf der Tagung daran erinnerte, dass die Riester-Rente ursprünglich als Obligatorium eingeführt werden sollte und dies „eine Boulevardzeitung und einige große private Versicherer verhindert“ hätten. Daher sei aus der eigentlichen Pflichtversicherung das heutige Push-Produkt geworden, zitiert ihn das VJ weiter.
Meint der Professor das als Kritik? Sieht er dies etwa als eine vertane Gelegenheit? Man stelle sich nur eine Minute vor, Riester in all seiner Insuffizienz und mit alle seinem Reform-Stau wäre als Pflicht-Versicherung eingeführt worden. Kassandra jedenfalls wäre vermutlich längst ausgewandert.
GDV (4. März): „Riester-Reform bleibt offenbar liegen.“
Apropos Riester, apropos Reformstau: Kassandra wirft dem Gesetzgeber in der Altersvorsorge regelmäßig sein viel zu zögerliches Handeln vor – namentlich, dass er offenbar nicht mal in der Lage ist, angesichts der von ihm maßgeblich mit zu verantwortenden Nullzinslage die gröbsten rechtlichen und aufsichtsrechtlichen Misstände nicht nur schrittweise, sondern konsequent abzustellen.
Neben größeren Baustellen wie 253, 6a, AnlV, rechtssicherer Anpassung von BZML und BOLZ betreffend die absolut nicht mehr zeitgemäßen Garantien, neben der Pflicht zur jederzeitigen Bedeckung bei PK oder neben dem Future Service im PF kann man hier, wenn man der Einschätzung des GDV folgt, nun auch die ausbleibende Riester-Reform einreihen.
Übrigens spricht Kassandra seit über zehn Jahren in diesem Zusammenhang immer vom „Trippelschritt“ des Gesetzgebers. Bemerkenswert: Hier bekommt die Unke nun Unterstützung aus berufenem Munde:
Die Neue Zürcher Zeitung spricht mit Blick auf die insuffiziente Agilität der Bundesrepublik in der Corona-Pandemie ebenfalls vom „Trippelschritt“. Fehlt nur noch, dass sie für Deutschland als Wappentier die Kröte vorschlägt. Das tut sie nicht. Sondern:
„Die Schnecke empfiehlt sich als neues deutsches Wappentier.“
Einverstanden, liebe NZZ. Das passt auch gut.
Die Welt (2. März): „Die Inflation raubt den Notenbanken ihr wichtigstes Werkzeug.“
Die Welt beleuchtet den neulichen Zinsanstieg. Ist das mal wieder nur eine vorübergehende Erscheinung ohne Bedeutung? Wir beobachten so etwas schließlich nicht zum ersten Mal, sondern eher im Jahresrhythmus. Oder steckt diesmal mehr dahinter? Das ist unmöglich zu prognostizieren.
Doch fest steht immerhin, dass die Notenbanken, vorneweg die EZB, höhere Zinsen nicht zulassen können, da dann Staatshaushalte, aber auch Finanz- und Realwirtschaft (allesamt längst über die Maßen drogenabhängig von dem billigen Geld), genau diejenige Fallhöhe realisieren und diejenigen Zombie-Strukturen ausradieren, die seit über einem Jahrzehnt aufgetürmt worden sind.
Eines der uralten Kassandrischen Axiome in der Causa QE lautet:
„Abgerechnet wird, wenn eines Tages die Zinsen ungeplant steigen.“
Fälschlich könnte man steigende Zinsen zwar eigentlich als den ersten, lang erhofften Schritt weg vom Krisenmodus und hin zu einer Normalisierung sehen; wichtig auch für IAS-19-Bilanzierer und VAG-Garantiegeber, selbst wenn steigende Zinsen hier erstmal bilanzielle Verluste bei Langläufern bedeuten. Doch leider ist die Situation vertrackter: Steigende Zinsen sind heute keinesfalls ein Zeichen für Abkehr vom Krisenmodus und Rückkehr in die Normalität, sondern möglicherweise eher Ausfluss der Tatsache, dass die Instrumente der Notenbanken mitten in der Krise zunehmend stumpf werden.
Ist dies jedoch der Fall, dann sind die Staaten schnell am Ende. Trockenes Pulver in Form noch absenkbarer Leitzinsen hat vor allem die EZB schon seit zig Jahren nicht mehr. Wenn dann in den Zinsanstieg Dynamik kommen sollte, werden die Notenbanken bald sehr schnell immer größere Summen an frischegedrucktem Geld in die Hand nehmen müssen, wollen sie nicht die Implosion der Staatshaushalte riskieren, und je größere Summen sie in die Hand nehmen, desto größer wird die Dynamik und so weiter und so fort…
Oder aber sie müssen notfallmäßig für die Staatsanleihen, die sie kaufen, eine Art separaten, isolierten „Markt“ schaffen, so dass sie nur in diesem Segment die Kosten der Staatsfinanzierung mit der Notenpresse auf Null halten müssen, während sie im Rest der Wirtschaft den Dingen ihren Lauf lassen. Doch wäre eine solche Kapitulationserklärung unübersehbar nichts anders als der Auftakt zum terminalen Endspiel.
Wie gesagt, ob wir schon so weit sind, ist äußerst fraglich. Doch immerhin heißt es in dem Welt-Artikel:
„Experten rechnen damit, dass die EZB aktiver werden muss, um den Zinsanstieg aufzuhalten.“
Würde dies Realität, wäre dies jedenfalls kein gutes Zeichen. Die nächsten Wochen werden mehr an den Tag bringen. In jedem Fall gilt es, die Lage aufmerksam zu beobachten. Aber noch zu den Kapriolen, die solche verzerrten Märkte zeitigen, Beispiel Gold: Die Zinsen steigen, also fällt Gold – so weit, so logisch.
Aber wie wir gesehen haben, ist der Anstieg der Zinsen, der zweifelsohne gegen den Willen der Notenbanken erfolgt, möglicherweise Anzeichen einer Krise, ein Alarmsignal eines denkbaren Vertrauensschwunds, der – siehe oben – dann in ein schnelles Endspiel münden könnte. Insofern müsste Gold also eigentlich steigen – tut es aber nicht. Das kann man als Zeichen dafür werten, dass zumindest Teile des Marktes noch nicht von einer Katastrophenlage ausgehen.
Wirklich spannend würde es, wenn Gold und Zinsen im Gleichschritt stiegen. Dann sollte man wirklich unruhig werden.
Deutsche Bundesbank (3. März): „Jens Weidmann: Statement bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Geschäftsberichts 2020 der Deutschen Bundesbank.“
Wo wir schon bei klaren Worten zur Währungslage sind: Die größten Teile der Weidmannschen Rede, die er anlässlich des bemerkenswerten Ausbleibens einer Gewinnausschüttung hielt, kann man sich völlig sparen. Interessant ist einzig und allein das Kapitel 4 „Geldpolitik“. Vorweg: Interessant heißt noch lange nicht relevant. Im Einzelnen kommentiert:
„Käufe von Staatsanleihen können ein legitimes und effektives Mittel der Geldpolitik sein. Doch solche Käufe gehen auch mit Risiken einher, vor allem weil sie die Grenze zwischen der Geld- und Fiskalpolitik verwischen können. Dieses Risiko wiegt besonders schwer in einer Währungsunion, deren Mitgliedstaaten fiskalpolitisch weitgehend souverän sind. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass solche Käufe Ausnahmesituationen vorbehalten sein sollten. Zweifelsohne ist die Pandemie so eine Ausnahmesituation.“
Ausnahmesituation? Ist das des Bundesbankers Ernst? Die EZB kauft seit Jahren, wenn nicht seit einer Dekade unter wechselnden Programmnamen Staatspapiere auf und bläht damit M0 immer exponentieller auf (jüngst erst hier dokumentiert). Dies als „Ausnahmesituation“ zu bezeichnen, dazu gehört schon eine Chuzpe, die Realität zu biegen, die man eher von einem Mario Draghi erwartet hätte, aber nicht von dem Präsidenten der an sich altehrwürdigen Bundesbank
„Für mich ist dabei entscheidend, dass die Geldpolitik genügend Abstand zur monetären Staatsfinanzierung wahrt. Hierzu gehört, dass Anreize für solide Staatsfinanzen erhalten bleiben. Eine bedeutende Rolle kommt der Disziplinierung der Fiskalpolitik durch die Kapitalmärkte zu. Über Preisunterschiede bei Anleihen signalisieren die Marktteilnehmer, wie viel Vertrauen sie in die Solidität der Staatsfinanzen eines Landes haben. Daher dürfen die Renditeabstände zwischen den Anleihen von Mitgliedstaaten unterschiedlicher Bonität nicht künstlich eingeebnet werden.“
Wie bitte? Die Renditeabstände zwischen den Anleihen von Mitgliedstaaten unterschiedlicher Bonität dürfen nicht künstlich eingeebnet werden? Gut gebrüllt, Löwe. Was denkt er denn, wo die Spreads spanischer, griechischer und portugiesischer, gar französischer Sovereigns zu Bunds heute wie auch in den letzten zehn Jahren wären, würden sie nicht mit primitivster QE-Gewalt und weiterer EZB-Instrumente künstlich eingeebnet? Doch es wird noch besser:
„Und deshalb sollte auch der Anteil, den das Eurosystem an den ausstehenden Staatsanleihen hält, meines Erachtens nicht zu groß werden. Denn sonst könnten die Notenbanken einen so dominanten Markteinfluss gewinnen, dass die Disziplinierung der öffentlichen Finanzen letztlich ausgehebelt wird.“
Auch hier: Denkt er ernsthaft, genau dies sei nicht längst und seit Jahren der Fall? Als Bundesbank-Präsident sollte er wissen, dass die EZB längst der größte Gläubiger der Euroländer ist – also wie in den USA und Japan die Euroländer ihre Schulden im Prinzip vor allem bei sich selbst haben. Doch weiter mit Weidmann:
„Um dieses Risiko einzuhegen, hat der EZB-Rat in das seit 2015 laufende Kaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) wichtige Sicherungsmechanismen eingebaut. Solche Grenzen sind auch für das PEPP vorgesehen. Es wurde jedoch flexibler ausgestaltet als das PSPP, damit die Geldpolitik im Bedarfsfall gezielter auf einzelne Märkte einwirken kann. Diese Flexibilität ist allerdings nicht als Schrankenlosigkeit zu verstehen. So hat sich die Verteilung der Bestände an erworbenen Staatsanleihen am Ende der Nettokäufe wieder am Kapitalschlüssel der EZB zu orientieren.“
Aha, der Capital Key soll eingehalten werden, meint der BB-Präsident nun (wie es Kassandra übrigens anmahnt, seit es sie gibt). Fragt sich nur, warum dies das EZB-System, dem er an zentraler Stelle angehört nicht unternimmt, sondern die BB seit Jahren diese Verletzung mitmacht? Und warum die Bundesbank das Urteil des BVerfG, das ebenfalls die Einhaltung des Capital Key fordert genauso ignoriert wie die Bundesregierung?
Wieder weiter mit Weidmann:
„Bei der Einführung des PEPP war mir außerdem besonders wichtig, dass das Programm befristet und eindeutig an die Krise gebunden ist. Nach der Pandemie müssen die geldpolitischen Notfallmaßnahmen beendet werden. Wir müssen achtgeben, dass sie nicht zur Dauereinrichtung werden.“
Das ist ja schön, dass ihm das wichtig war. Wird nur keinen interessieren. Wie gehabt: Erstens ist QE seit zig Jahren wie all die anderen völlig überstrapazierten EZB-Instrumente (Bazooka, Leitzinsen, Target-II) unübersehbare Realität. Und zweitens zu glauben, dass im Aftermath der Pandemie die Refinanzierungsbedingungen besonders der Euro-Südstaaten verschärft werden könnten, und das ausgerechnet unter Lagarde, ist völlig irreal, geradezu grotesk.
Wer wissen will, ob bspw. Spanien nach Ende der Pandemie (wann auch immer das sein wird) ein Zurückfahren des QE und dann damit unweigerlich höhere Spreads (s.o. die kassandrische Ausführungen zu den gerade steigenden Zinsen) verkraften oder akzeptieren kann, muss nur mal einen Blick auf die Lage in Mallorca werfen, geprägt von Suppenküchen, Obdachlosigkeit und Armutsprostitution. Spanien entwickelt sich wie ganz Südeuropa derzeit mit hohem Tempo und großer Nachhaltigkeit dahin zurück, wo es vor einigen Jahrzehnten hergekommen ist – zu Schwellenländern (und das ist noch eine eher positive Perspektive). Da wird man nach Ende der Pandemie sicher ein offenes Ohr haben für die Ermahnungen eines deutschen Bundesbankers.
Doch fast zum Ende seines Statements, da versucht Weidmann dann doch noch, wenigstens ein wenig, die Kurve zur Realität zu kriegen:
„Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass der geldpolitische Kurs schon vor Corona ausgesprochen locker war. Für die Notenbanken könnte es immer schwieriger werden, ihren expansiven Kurs rechtzeitig zu ändern. Denn aufgrund der gestiegenen Staatsschulden könnten die Notenbanken unter Druck geraten, mit Blick auf die Finanzierungskosten der Staaten die Zinsen länger niedrig zu halten, als es das Ziel der Preisstabilität erfordern würde.“
Aha, nun also doch. Damit werden die Aussagen Weidmanns aber noch stärker halbschwanger, als sie es ohnehin schon sind.
„Wie groß die Gefahr einer solchen fiskalischen Dominanz ist, hängt auch von Erwartungen ab. Wenn Politiker davon ausgehen, dass am Ende die Notenbanken die Tragfähigkeit der Staatsschulden sicherstellen, häufen sie womöglich zusätzliche Schulden an und verstärken so den Druck. Dass solche Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigen verschiedene Forderungen, das Eurosystem möge den Mitgliedstaaten Schulden erlassen.“
QE-Schulden erlassen? Den letzte Satz meint er hoffentlich ironisch. Weidmann gehört doch wohl nicht wirklich zu denen, die selbst 2021 noch ernsthaft glauben, dass die Südstaaten ihre QE-Schulden eines Tages wirklich bezahlen, statt endlos zu refinanzieren? Falls doch, muss das ernsthaft Sorgen bereiten – ist doch spätestens seit 2011 klar, dass es sich hierbei um eine völlig realitätsferne Scheindebatte handelt, um etwas zu formalisieren, was seit zehn Jahren Fakt ist.
Nun zum Schluss des Weidmannschen Statements:
„Daher müssen die Notenbanken schon heute ihre Entschlossenheit deutlich machen, dass sie politischem Drängen nicht nachgeben und die Geldpolitik straffen werden, wenn es der Preisausblick gebietet. Denn das Mandat des Eurosystems ist eindeutig: Vorrangiges Ziel ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Damit wir diesen Auftrag weiterhin bestmöglich erfüllen, hat der EZB-Rat im vergangenen Jahr begonnen, seine geldpolitische Strategie zu überprüfen.“
Das ist nun wirklich lustig. Bei dieser „Überprüfung“, von der Weidmann redet, wäre man gern dabei gewesen. Was ist denn nach einigen Monaten des „Überprüfens“ herausgekommen? These: gar nichts. Dabei ist sonnenklar, dass sich überhaupt nichts ändern wird. Wie soll eine EZB auch etwas ändern, die seit einem Jahrzehnt einen Weg beschreitet, bei dem nichts steigt ausser der Fallhöhe und der sie schon längst zum Gefangenen des eigenen Handelns gemacht hat?!
Fazit: Kassandra hat Weidmann nicht zum ersten Mal für die Schwäche seiner Worte kritisiert. Fakt ist, dass seine wachsweichen und teils auch irreführenden Worte auch diesmal völlig bar jeder politischen Relevanz sind. Ihm, der es erstens besser weiss und zweitens ein Gegner der Entwicklung ist, sei daher freundlich zugerufen: Bevor man sich verbiegt, um wenigstens irgendetwas zu sagen – besser gar nichts sagen. Oder gleich zurücktreten und sichtlich höher dotiert bei einer Großbank anheuern. Die Zeiten für Notenbanker drohen ohnehin äußert ungemütlich zu werden, und charakterlich geschmeidigere Akteure, denen nichts peinlich ist, gibt es in der Republik zu genüge, Kassandra als alter HR-Profi hat hier beizeiten schon personelle Vorschläge gemacht.
Unter die Kategorie „Notenbankgemachte Kapriolen“ (s.o. zu Gold) fallen auch Bitcoin & Co, die in den letzten 12 Monaten ein Momentum vorgelegt haben, wie man es an den Märkten wohl selten gesehen hat. Klar ist, dass es ohne die Geldmengenpolitik der letzten Dekade diese Entwicklung nie gegeben hätte. Die DWS nennt als Market-Caps der Kryptowährungen die Summe von derzeit rund 1,6 Billionen US-Dollar, was in etwa der Menge aller ausstehenden Dollarnoten und -münzen entspreche. Darüber hinaus müsse man auch sämtliche Finanzprodukte und Firmen berücksichtigen, die um die Kryptos herum entstanden sind, betont die DWS. Doch welche Schlüsse kann man daraus ziehen:
Im Einzelnen:
– Charakter: Bitcoin & Co sind ein Schneeballsystem im ureigensten Sinne. Denn erstens gibt es abgesehen von dem Misstrauen mancher in die bestehenden Währungen da draußen wohl niemanden, der den Bitcoin nicht heute kauft in der Hoffnung, ihn morgen zum höheren Preis verkaufen zu können. Zweites haben diese Kryptos keinerlei inneren Wert, auch nicht im allerweitesten Sinne (bei Aktien und anderen Real Assets ist dieser offenkundig; daneben hat bspw. hat Gold eine mehrtausendjährige, immerwährende Wertfunktion; die westlichen FIAT-Währungen haben – bei allen Schwierigkeiten – immerhin die Gesetzeskraft mächtiger Staaten als „Legal Tender“ etc…). Bitcoin hat nichts – ausser eine zugegebenerweise zukunftsweisende Technologie.
Also: Nichts, was im Ansatz einen inneren Wert darstellt, und im Wesentlichen reines Spekulationsobjekt – beides zusammen macht das klassische Schneeballsystem aus. Und wenn dieses eines Tages mal platzt, wird man sehen, wie schnell Märkte im 21. Jahrhundert handeln können. Nämlich sehr schnell.
Gleichwohl: Das gegenwärtige Momentum ist phänomenal. Das zeigt sich auch daran, dass dem Bitcoin anders als dem Gold der gegenwärtige Zinsanstieg nur wenig anhaben kann.
– Inflation: Ungeachtet dieses völlig inhaltsleeren Charakters haben die Kryptos derzeit eine klare, hochliquide Bezahlfunktion (denn Geld ist immer das, was Menschen als Geld akzeptieren – von der Muschel bis zum Greenback). Dann haben wir es hier aber mit 1,6 Bio. USD Geldschöpfung zu tun, FIAT-typisch entstanden aus dem totalen Nichts. Menschen mit Bitcoin fühlen sich reicher (und sind es faktisch auch) und agieren entsprechend. Ergo haben die 1,6 Bio. einen klaren inflationären Effekt – und sollte diese Party eines Tages zu Ende gehen, dann wird es auch einen deflationären geben.
– Regulierung: „Den Stecker hat bisher noch keine der großen Zentralbanken gezogen. Wobei sich die Frage stellt, ob dies überhaupt noch machbar wäre, ohne größere Turbulenzen an den Finanzmärkten zu provozieren“, schreibt die DWS.
So ist es. Die Lethargie der sonst in Sachen Regulierung nicht bangen Zentralstaaten erklärt sich leicht in der Chronologie:
Anfangs hat man den Bitcoin unterschätzt und deshalb nicht gehandelt. Dann kam die erste intensive Aufwärtsbewegung, und ein Produkt in einer solchen Hausse-Phase zu regulieren, gerade eines so sensibel hierauf reagierendes wie den Bitcoin, ist politisch kaum vermittelbar.
Es folgte der erste Absturz, und man dachte, das Thema habe sich von allein erledigt. Doch die Kryptos waren nur scheintot.
Nun also die erneute Hausse, und erneut kann man in dieser Phase nicht wirklich regulieren, da politisch nicht vermittelbar. Wenn, dann kann man nur versuchen, die Kryptos nun mit Andeutungen runterzureden, um in der nächsten Schwächepahse dann zum dritten Mal die Gelegenheit zum Handeln zu bekommen. Diese wird man dann vermutlich nicht mehr ungenutzt verstreichen lassen.
In der Regel beginnt eine solche Regulierung übrigens in der Peripherie (Staaten wie Australien oder Schweden bieten sich hier an), um dann in die Zentren vorzurücken.
Doch derzeit gilt erstmal neidlos anzuerkennen: phänomenales Momentum!