Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Kassandra

Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV.

Heute: Zwischen Zeitmaschine und George Soros?!

 

 

Süddeutsche Zeitung (27. Januar): „Altersvorsorge: Zu viele gehen leer aus.“

 

Der Spiegel (27. Januar): „Studie zur Entgeltumwandlung – Die Betriebsrente, die vor allem Gutverdienern hilft.“

 

Das DIW hat die Verbreitung der bAV untersucht und kommt zu den üblichen Ergebnissen, v.a. zu wenig Verbreitung be Geringverdienern. Im Allgemeinen kann, wer sich für amtliche Zahlen interessiert, auch den Alterssicherungsbericht oder die jüngste BMAS-Studie bemühen. Insofern scheint das Timing der DIW-Studie infolge Redundanz nicht ganz glücklich. Viel Presse gab es trotzdem.

 

Bemerkenswert aber die Abhilfen der Autoren: Mehr Arbeitgeber-Geld in die bAV (könnte in den Zeiten der Pandemie für viele schwierig werden), mehr Förderung (die Fördertatbestände der deutschen bAV zeichnen sich in der Tat durch quantitative Überschaubarkeit aus, bei unüberschaubarer qualitativer Komplexität übrigens) und schließlich ökonomische Bildung der Massen; die SZ schreibt:

 

Für nützlich hält er (Studienautor Geyer, Anm.d.Red) zum Beispiel, das Thema Finanzen und Altersvorsorge in die Lehrpläne von (Berufs-)schulen zu integrieren.“

 

Dies täte in Deutschland in der Tat not (in anderen europäischen Staaten sicher nicht minder) und ist absolut zu unterstreichen. Aber: Ob mehr Finanz-Knowhow der Menschen diese dazu anhielte, mehr in den bekannten Säulen der Altersvorsorge zu sparen (mit der Aussicht auf irgendeine eine Rente in Jahrzehnten) statt das stets knappe Geld im Hier und Heute zu verleben (oder ins Eigenheim zu stecken)?

 

Das kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Spätestens wenn das Thema „Geld- und Notenbankpolitik“ auf dem Stundenplan stünde – vielleicht samt grafischer Illustration der diesbezüglichen Perspektive – könnte das die Menschen zu anderen Entschlüssen verleiten als gewünscht: nicht mehr Sparen, sondern vielmehr Beitragsfreistellung, Storno, Konsum…

 

Und dann, so heißt es im Spiegel zumindest, empfehlen die Forscher noch das Obligatorium – also das, was man in Köln als „olle Kamellen“ bezeichnet. Die Diskussion ist jedenfalls zig Jahre alt. Nur kurz, ein Obligatorium hieße dreierlei:

 

Erstens die Kapitulationserklärung der Politik, dass sie nicht in der Lage ist, bAV-Strukturen zu schaffen, die durch Attraktivität überzeugen. Zweitens die Degradierung der bAV zu nichts weiter als zusätzlichen Lohnnebenkosten – zumindest würden es Arbeitnehmer und -geber so wahrnehmen. Drittens weitere Beschädigung der Bereitschaft der Arbeitgeber, sich auch im 21. Jahrhundert überhaupt in der bAV zu engagieren.

 

 

Handelsblatt (18. Januar): „George Soros: ‚Jetzt ist die richtige Zeit für ewige Anleihen‘.“

 

Der erfahrene Groß-Spekulant, der immer breiten Raum in deutsche Medien erhält, fordert Methusalem-Anleihen. Kassandra auch. Schon seit Jahr und Tag.

 

Einziger Unterschied: Während Soros dies möglicherweise für ordnungspolitisch legitim hält, sind Methusalems für Kassandra ein diesbezüglicher Sündenfall – auf den man als staatlicher Emittent in einer Welt, die nur noch aus ordnungspolitischen Sündenfällen besteht, nicht verzichten sollte. Dann hat der Wahnsinn wenigstens Methode.

 

Denn: Die Emission eines Methusalem-Sovereigns durch die öffentliche Hand im Nullzins-Umfeld, der unter Investoren gleichwohl einen faktischen Status hat wie Cash (bspw. unter Basel oder Solvency II), aber bei dem alle Beteiligten bei Fälligkeit längst tot sind, ist faktisch nichts anderes als eine Geldschöpfung der Staaten an ihren Notenbanken vorbei.

 

Zu der Exponentialkurve der Zentralbankgeldmenge der EZB muss man also eigentlich die Volumina solcher Methusalems noch addieren.

 

Doch welche Sinnhaftigkeit hätten solche Emissionen? Gleich mehrere:

 

1. Derzeit wird in manchen Medien die Scheindebatte geführt, ob die EZB die QE-Schulden nicht einfach streichen soll (Scheindebatte deshalb, weil seit zehn Jahren klar ist, dass hiervon nicht jemals auch nur 1 Cent von den Euroländern mit echtem Geld beglichen werden wird, allein die Vorstellung offenbart totale Ahnungslosigkeit der Zusammenhänge). Doch statt primitiv zu streichen kann man den gleichen Effekt etwas eleganter mit Methusalems erreichen – und damit den ordnungspolitischen Schein wahren und denjenigen, die immer noch darüber grübeln, ob und wie die QE-Schulden beglichen werden, neue Nahrung zum Grübeln geben – nämlich ob die Methusalems nun eine substantielle Tilgung darstellen oder nicht (natürlich nicht).

 

(Am Rande: Der Coupon dieser Methusalems spielt noch nicht mal ein Rolle. Er könnte auch ungebührlich hoch sein – zum Beispiel, damit man sich ordnungspolitisch noch anständiger geben kann. Denn die Notenbankgewinne stehen ohnehin den Trägerstaaten zu; ergo staatliche Zinszahlung an sich selbst).

 

2. Mit einer großangelegten Emission von Methusalems hätte namentlich Deutschland die Möglichkeit, der EZB das gelegentliche Argument zu entreissen, sie finde bei der Umsetzung von QE nicht mehr genug deutsches Material und müsse daher von Capital Key abweichen.

 

3. Erinnert sei daran, dass sich einige deutsche Bundesländer offenbar milliardenschwer mit derivativen Zinswetten verzockt haben, besonders bekannt war seinerzeit der Fall Hessen. In Ihrer Klugheit wollten die Finanzministerien den Niedrigzins einloggen – weil sie diesen offenbar und warum auch immer für ein vorübergehendes Phänomen hielten. Doch wenn man als öffentliche Hand diese Strategie schon fahren will, dann sind auch hier Methusalems die bessere Idee – zumindest eine bessere als Derivate.

 

4. Und was ist mit der Staatsverschuldung? Die spielt ohnehin keine Rolle mehr. Wenn Deutschland jetzt also 100- oder gar 200-jährige am Rande der Nullverzinsung emittieren würde, dann könnte es mit diesem Geld ohnehin längst überfällige Aufgaben erfüllen, die irgendwann sowieso finanziert werden müssen – Infrastruktur, Polizeien, Bundeswehr etc. sowie Sanierung der Altersvorsorgesysteme. Es gilt schließlich „as long the Music is playing, you have to dance.“ Im Umfeld umfassender ordnungspolitischer Abstinenz ein kleines ordnungspolitisches Fähnchen hochzuhalten ist nicht wirtschaftspolitisch zielführend, und raffiniert schon gar nicht.

 

5. Und wo wir schon bei tarnen, täuschen und tricksen sind: Schon vor sieben Jahren „riet“ Kassandra Deutschland (am Beispiel des „luftigen“ japanischen Pensionsfonds orientiert): zur Deckung der deutschen Beamtenpensionen für drei Billionen Euro Bunds emittieren, mit dem Emissionserlös eben diese Bunds wieder aufkaufen (am besten direkt beim KfW-Konsortium), diese in einen Pensionsfonds zur Deckung der Beamtenpensionen stecken und aller Welt erzählen, dass die deutschen Beamtenpensionen nun krisensicher und AAA-gefundet seien und man im übrigen nun über den größten Pensionsfonds der Welt verfüge (manch deutsches Bundesland geht bereits so ähnlich vor).

 

 

Die Welt (20. Januar): „Amerikas Schulden-Exzesse bringen den Dollar in Crash-Gefahr.“

 

Mit Abgesängen auf den US-Dollar sollte man sehr vorsichtig sein. Die Probleme des Greenback, der ähnlichen Geldschöpfungs-Exzessen unterliegt wie der Euro, sind zwar unübersehbar. Doch ebensowenig unübersehbar sind seine strategischen Vorteile gegenüber dem Euro:

 

Die USA sind geostrategisch deutlich komfortabler aufgestellt als Europa, und dies praktisch auf allen Politikfeldern – militärisch, nachrichtendienstlich, diplomatisch, demographisch … was sich mit ihrer einzigartigen Insellage paart, während gerade Europa die geopolitisch schwerwiegenden Krisenherde – von Libyen bis zur Ukraine – vor der eigenen Haustür hat. Hinzu kommen die stärkere industrielle, v.a. hochtechnologische Basis der USA (BigTech) im Vergleich zu Europa, eine solide Gründer- und Unternehmerkultur, die stärker eigenkapitalfinanzierte Wirtschaft, weniger Zentrifugalkräfte und Zwietracht (Brexit, Capital Key…), geringere Abhängigkeit von Energieimporten, ein politisch und gesellschaftlich einheitlicher Währungsraum mit darauf abstimmbarer Geldpolitik – und vor allem die quasi endlose Tradition als Krisenwährung.

 

 

Die Welt (21. Januar): „Die Vollkasko-Mentalität der EZB birgt zwei große Risiken.“

 

Die Welt (21. Januar): „Nebulös, aber mächtig – die EZB ernennt sich zur Retterin Europas.“

 

Was die Welt hier in den beiden Beträgen schreibt, stimmt alles. So weit, so gut. Doch kann Kassandra sich beim Lesen zuweilen nur mühsam des Eindrucks erwehren (zumindest wenn man einige der aktuellen Fakten und Namen überliest oder durch damalige ersetzt), als stammten beide Artikel nicht aus diesem Januar, sondern aus dem Jahr 2014 oder früher.

 

Man fragt sich ernsthaft, in welcher Realität sich manche der Akteure um sich selbst zu drehen scheinen, das gilt zuvorderst für EZB-Chefin Christine Lagarde höchstselbst. Die Frau, die sich offenkundig auf dem besten Weg befindet, in künftigen Lehrbüchern der VWL mit dem Kampfnamen Madame l’Hélicoptère geehrt zu werden, meinte laut Artikel offenbar allen ernstes, eine Art Neuigkeit zum besten geben zu müssen – nämlich dass die EZB „alles tun werde, um für vorteilhafte Finanzierungsbedingungen in der Euro-Zone zu sorgen“. Ehrlich jetzt? Das ist ja kaum zu glauben! Wer hätte das denn gedacht?!

 

Zugegeben, man muss Lagarde zubilligen, dass sie offenbar auf willige, aufnahmebereite Gegenüber trifft. Die Welt zitiert eine Allianz-Ökonomin:

 

Dies könnte den Eindruck erwecken, dass die EZB tatsächlich monetäre Staatsfinanzierung betreibt.“

 

Könnte? Eindruck? Tatsächlich monetäre Staatsfinanzierung? Die EZB? Unscharfe Aussagen, die kaum zu fassen sind. Zur Erinnerung: Wir befinden uns im Jahre des Herrn 2021! Es sei (unter endlos vielen möglichen Verweisen) hier nur erneut verwiesen auf das ifo-Institut, das jüngst erst die exponentielle Geldmengenausdehnung der EZB en detail und auch grafisch anschaulich dargelegt hatte – und das ist nur die jüngste Perspektive einer Entwicklung, die spätestens im Jahre 2011 ihren Anfang genommen hat.

 

Von Lagarde muss man – bei aller Kritik, die auch hier auf LEITERbAV reichlich geäußert wird – nicht erwarten, dass sie ungeachtet aller Klarheit der Lage selbst Klartext redet (das wäre in der gegenwärtigen Lage geldpolitischer Selbstmord und im Allgemeinen für Notenbanker ohnehin eine Selbstdisqualifikation). Von externen professionellen Beobachtern des Geschehens sollte man das aber erwarten können.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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