Neu im P●I Feuilleton: Länder- und Städteberichte Deutschland und Europa. Wanderer, kommst du nach:

Binz, Prora und Sellin auf Rügen

In dem nur sehr unregelmäßig erscheinenden Ressort PENSIONSINDUSTRIES Feuilleton gibt es – viel zu selten – auch Länder- und Städteberichte aus Deutschland und Europa mit Impressionen, die der PI-Herausgeber gesammelt hat, wherever he may roam – fotolastig, rein subjektiv, komplett amateurhaft und völlig OFF TOPIC, also to whom it may concern only! Heute führt der Weg an die Ostsee, auf Deutschlands größte Insel: eine doppelte Zugreise der anderen Art, am Maifeiertag von Berlin nach Binz.

Vorab erneut: Der geneigten Leserschaft sei bewusst, dass es sich bei diesen Beiträgen ausdrücklich NICHT um professionelle Reiseberichte, erst recht nicht um tiefgreifende Analysen bspw. der örtlichen Real Estate-Märkte handelt, nein, nicht mal um oberflächliche. Sondern explizit nur um subjektive und fotografische Impressionen des Herausgebers (des „Wanderers“), die er in dem vielfältigsten Kontinent der Welt, nämlich in Europa sammelt – und zwar ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, auf Nützlichkeit, auf Ausgewogenheit, auf Kompetenz. Und so sind diese Impressionen mehr als alles andere zu 100%: OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN. Nun zum Beitrag:

PENSIONSINDUSTRIES in:
Binz, Prora und Sellin auf Rügen

Neulich, Berlin, 1. Mai, acht Uhr morgens am Ostbahnhof: Der elegante Sonderzug rollt ein, 70er-Jahre InterCity mit 1. Klasse-Salonwagen. Sein Ziel: Binz.

Warum ICE, wenn’s auch elegant geht?

Wie jetzt Sonderzug, 70er Jahre? Nun, es gibt einen Anbieter namens AKE, der (Mehr-) Tagesreisen in historischen Zügen zu sehenswerten Zielen in Deutschland und auch Mitteleuropa veranstaltet. Bei einer Tagesreise geht der Sonderzug morgens früh hin, abends zurück:

Der Wanderer hatte dies schonmal unternommen, z.B. von Köln nach Lindau am Bodensee (Bericht folgt beizeiten), und jetzt am 1. Mai eben von Berlin nach Binz (und er bleibt dann nach der Hinfahrt einfach vor Ort). Man muss kein Eisenbahn-Enthusiast sein, um solche Fahrten zu mögen, kleine Zeitreisen machen immer Freude. Und pünktlich sind sie auch.

Spazieren, flanieren, die See … und der Wind kommt aus Osten

Um zehn Frühstück im alten Speisewagen, um zwölf on time Binz. Das alte Ostseebad, das größte auf Rügen. Blitzeblank herausgeputzt. Die berühmte, alte Bäderarchitektur mit ihrem Charme. Die weißen Villen. Der fast ebenso weiße, feine Sand. Die Promenade entlang zur Seebrücke. Gutes Wetter, die klare Seeluft in der Nase. Hell das Licht. Der Ostseestrand mit seinen Dünen und Bäumen, der einem immer so ein kleines Gefühl des alten deutschen Ostens vermittelt, den es längst nicht mehr gibt.

Dann erstmal die fast 400 Meter die Seebrücke entlang. Wieder zurück, geradeaus weiter in die belebte Hauptstraße, in der sich das tägliche Leben abspielt, flanieren, spazieren. Hier verhungert keiner. Cafés, Restaurants, satt und genug.

Sanddorn darf auf Rügen nicht fehlen. Hier ein lokaler Anbieter auf der Binzer Hauptstraße, der die Turbomultivitaminbombe in allen Varianten anbietet, wie versichert wird, ist alles selbst- und hausgemacht. Tut gut:

Tipp am Rande: Ein nettes Caféchen abseits des üblichen Trubels, das Liebich. Hier gibt es, 1.000 km von Wien entfernt, gar guten Kaiserschmarrn:

Und was tun nach dem Kaiserschmarrn am späten Nachmittag? Bewegung! Von der Seebrücke nach Norden, eine wunderbare Jogging-Strecke am Wasser, durch Wald und Dünen und Seeluft.

Eine Phalanx mit bewegter Geschichte

Ein paar Kilometer, zur linken taucht wie aus dem Nichts ein Bau auf, der an den Tempelhofer Flughafen erinnert: Prora!

Kilometerlange KDF-Bauten, bis heute trotz Modernisierung unverkennbar im Stil ihrer pathogenetischen Zeit, aufgereiht wie eine Phalanx stehen sie da. Von den Nationalsozialisten in deren typisch-faschistischem Neoklassizismus geplant und angelegt, in der DDR halb militärisch genutzt und halb dem Verfall preisgegeben, nach der Wende nach langen Diskussionen chic saniert und größtenteils als teure Eigentums- oder Ferienwohnungen verkauft:

Auch Prora heute blitzeblank, leider fast schon ein wenig steril. Gleichwohl, Restaurants, Eisdielen und Cafés hat man auf der strandabgewandeten Westseite unterbringen können. Und so lugt sie nur noch vereinzelt hervor, die unsanierte deutsche Geschichte:


Und manchmal stoßen die Gegenwart und die so deutsche Vergangenheit, die offenbar nie ganz vergehen will, kontrastreich aufeinander:

Von der See zieht‘s, doch still ruht der See

Zurück nach Binz. Im Osten das Meer, der Wind kann scharf sein. Im Westen der Schmachter See. Er alleine wäre schon Erholungsgebiet genug und wäre das überall woanders auch. Hier in Binz aber liegt er ruhig und in Ruhe gelassen, im Schatten des Meeres:

Rasend, schnaufend, keuchend, ratternd runter nach … 

Vom See nicht weit der „kleine Bahnhof“ von Binz. Roland mag er heißen, doch rasen, das tut er jedenfalls nicht (genauso wenig, wie der Rote Blitz von Palma nach Soller auf Mallorca rot und blitzschnell wäre). Die Rede ist vom Rasenden Roland: Eine über 100 Jahre alte Schmalspurbahn, die durch die wahrhaftig wunderbare Rügener Landschaft dampft und schnauft und keucht und rattert und mit der man bestens Teile des Südens und Ostens der Insel erkunden kann. Der Wanderer unternahm dies von Binz nach Sellin und zurück. Die Fahrt macht Freude, und auch dazu muss man nicht Eisenbahn-Enthusiast sein:

Und wenn Sie ihn doch rasen sehen wollen, müssen Sie die Langzeitbelichtung nehmen:

Dafür gibt es aber sogar eine Art kleiner Speisewagen:

Wie dem auch sei, bei der Fahrt bekommt man eine Ahnung, warum Deutschlands größte Insel zum Weltnaturerbe der Unesco gehört (übrigens: Eine gute Doku zu der Natur der Küste Vorpommerns einschl. Rügen – herrlich auch im Winter – gibt es im ZDF noch hier).

… Sellin

Nach 30 Minuten Fahrt von Binz mit dem dampfenden Roland Ankunft in Sellin. Wie ließ der Altmeister gleich in der Tragödie erster Teil in Auerbachs Keller den Frosch aussprechen? „Mein Sellin lob ich mir! Es ist ein Klein-Binz und bildet seine Leute“ oder so ähnlich. Und es stimmt: Das Bad ist quasi ein Binz in klein. Dafür aber mit einer noch viel prächtigeren und viel bekannteren Seebrücke als die große Schwester:

Auch hier gilt: die typische Bäderarchitektur der Ostsee, ebenso charmant und chic rausgeputzt wie Binz, und das Leben spielt sich vor allen Dingen auf der Straße ab, die eben geradezu auf diese Seebrücke führt. Hier heißt sie nicht Haupt-, sondern Wilhelmstraße. Des Wanderers Verweil-Favorit auf dieser, besonders zum Frühstück – das Café Fräulein Honig:

Die seltsame Sehnsucht

Zurück nach Binz, und nach 30 Stunden ist der Kurztrip vorbei. Über den Stopover Stralsund geht es zurück nach Berlin.

Fazit: Die deutsche Ostsee ist nicht nur immer und immer wieder aufs neue einen Besuch wert, sondern sie macht – zumindest dem Wanderer – immer irgendwie auch eine seltsam schwermütige Sehnsucht. Das gilt explizit auch für Rügen. Tolle Natur, lebendige Wälder, das Flair, und ein seltsamer Spirit, der – wenn man die Antennen dafür hat und sich auf ihn einlassen will – einem auch ein bisschen Geschichte erzählt … von Preußens Gloria und der guten alten Zeit, vom Krieg, von Flucht und Vertreibung aus dem untergegangenen deutschen Osten, von Rettung und Tod auf dem Meer, von DDR, Wende und Wiedervereinigung … ja, Schwermut, das ist es …

Herr, brich mir das Genick im Sturz von einer Bierbank“

Dem Wanderer persönlich fehlt in den Ostseebädern – wenn überhaupt – nur zweierlei: Erstens, dass es eher selten wochenlang 30 Grad am Stück hat, und zweitens der gewisse Mangel an Urigkeit im Abend- und Nachtleben – die es ohne Zweifel an der See immer gab. Doch derbe Kneipen gibt es heutzutage in den Bädern selten bis nie (von guten Clubs ganz zu schweigen), und wenn man sich abends gepflegt und nachhaltig betrinken will, muss man sich beeilen, auch in Binz. Gutes Bier bekommt man durchaus, z.B. hier im DoldenMädel, sogar als Vielfalt auf dem Probierbrett:

Aber auch hier gilt: Spätestens um 23:00 Uhr ist Schluss.

Doch wen soll das sonst schon stören? Die Mehrheit der Klientel, die die Ostsee bereist, dürfte weder die 30 Grad noch ein ausgeprägtes Nachtleben vermissen, sind es doch vor allen Dingen ältere Leutchen sowie Familien mit Kindern. Und für die ist das Angebot optimal, nicht zu heiß, nicht zu wild, und alles proper.

Die Ostsee, sie ist eben – in ihren Bädern – für Frühaufsteher. Warnemünde ist abends schon etwas belebter, die Städte sowieso. Bestes Beispiel: Stralsund! In der ebenso kleinen (nur 55T Ew.) wie außergewöhnlich sehenswerten Stadt (zu Recht Unesco-Weltkulturerbe!) nehmen Sie – wenn Sie die unfassbare lokale Architekturgeschichte hinter sich gebracht haben – am Nachmittag Kaffee und Kuchen im Café Paula (dort wird rheinisch gesprochen), essen abends gut im Lara, tanken dann urig-maritim in der Fähre (nicht weniger als eine der ältesten Kneipen der Welt) und stürzen dann in der Kulturschmiede gepflegt ab. Aber das nur am Rande …

Soweit die Impressionen einer schnellen, viel zu kurzen Kurz-Reise auf Deutschlands größte Insel – so viel und so wenig man in 30 Stunden halt aufschnappen kann. Endlos viel mehr hat Rügen zu bieten, das gilt für die hier kurz angerissenen Bäder, erst recht für die ganze Insel. Und nebenan liegt auch noch Hiddensee, vom Nordwesten Rügens mit der Fähre zu erreichen… doch ist das beizeiten einen eigenen Beitrag wert …

Anm. 1.: Sollten Sie an ein einem Sonn- oder Feiertag von der Ostsee zurück ins Land mit der Bahn fahren, fahren Sie unbedingt 1. Klasse. Oder Sie lernen viele fremde Menschen aus allernächster Nähe kennen.

Anm. 2.: Alle Empfehlungen in diesem Beitrag rein subjektiv und ohne jede Gegenleistung der genannten Einrichtungen, die sämtlich nichtmal wussten, dass der Wanderer als ihr Gast Journalist ist bzw. Reiseberichte veröffentlicht. Alle Fotos: Pascal Bazzazi.

In der Reihe Länder- und Städteberichte Deutschland und Europa sind im PENSIONSINDUSTRIES-Feuilleton zwischenzeitlich bereits erschienen:

Binz, Prora und Sellin auf Rügen
5. Mai 2025

LondonBermondsey und Borough Market
6. Juli 2024

Kreta – die Hauptstadt und der Süden
15. Oktober 2023

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