Das Bürokratiemonster PUEG kam mit Klauen und Zähnen auf die Welt, wurde dann entschärft, nur um mit dem Wachstumschancengesetz wieder an Komplexität zuzulegen: die Verzinsung der Beitragserstattungen – meist in den Bestandsführungssystemen nicht implementiert – kann bei EbAV enormen Aufwand verursachen. Eben dieser lässt sich mit einer recht einfache proaktiven Maßnahme vermeiden, hat Hagen Hügelschäffer ermittelt.
Die Ausgangslage: von vergessenen bAV-Einrichtungen …
Das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) hat den deutschen EbAV von Anfang an Sorgen bereitet. Diese fingen schon während des Gesetzgebungsverfahrens an, da das federführende Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die EbAV als beitragsabführende Stellen bei den vorbereitenden Arbeiten zum Referentenentwurf zunächst schlicht und ergreifend vergessen hatte.
Auch war ursprünglich kein automatisiertes Abrufverfahren vorgesehen. Folglich hätten die einzelnen Versorgungsempfänger den EbAV die Anzahl der Kinder nachweisen müssen – verbunden mit erhöhten Aufwand, da die EbAV bislang nur über die Elterneigenschaft an sich informiert waren, die sich schon vor dem PUEG beitragsmindernd in der Pflegeversicherung auswirkte.
Da das PUEG aber für bis zu maximal fünf Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Abschläge in Höhe von je 0,25% gewährt, müssen die EbAV nunmehr an diese zusätzlichen Informationen gelangen, um die Beiträge in der richtigen Höhe an die Pflegekassen abführen zu können.
… zum Automatismus mit drei Optionen
Das am 19. Juni 2023 verabschiedete PUEG hat vor allem dank des nun vorgesehenen automatisierten Abrufverfahrens zunächst zu einem Aufatmen bei den EbAV geführt. Dieses Verfahren soll bis Ende März 2025 entwickelt und drei Monate später für alle Zahlstellen verpflichtend sein.
Für die Übergangszeit zwischen dem Inkrafttreten des PUEG am 1. Juli 2023 und dem verpflichtenden Einsatz des automatisierten Abrufverfahrens nach Ablauf des 30. Juni 2025 eröffnet der Gesetzgeber den EbAV folgende Möglichkeiten, die Anzahl der nach dem PUEG berücksichtigungsfähigen Kinder in Erfahrung zu bringen:
• „Reguläres“ Nachweisverfahren, indem die zu berücksichtigen Kinder gemäß den Vorgaben in der Ziffer 5 der Grundsätzlichen Hinweise ermittelt werden, die der GKV-Spitzenverband am 28. März 2024 zur Ergänzung der gesetzlichen Regelungen zwecks einheitlicher Umsetzung des PUEG veröffentlicht hat.
• „Vereinfachtes“ Nachweisverfahren durch ungeprüfte Übernahme der Angaben der Versorgungsempfänger zur Anzahl ihrer beitragsrechtlich relevanten Kinder.
• Warten auf das automatisiertes Abrufverfahren („dDÜV“) bis spätestens 30. Juni 2025.
Diese vom Gesetzgeber eingeräumte Flexibilität eröffnet den EbAV den erforderlichen Spielraum, um das PUEG während der Übergangszeit umzusetzen. Viele EbAV haben sich für eine proaktive Vorgehensweise entschieden und die berücksichtigungsfähigen Kinder durch das reguläre oder vereinfachte Nachweisverfahren abgefragt.
Abwarten bei den Großen
Aber auch das Abwarten auf das automatisierte Abrufverfahren ist vor allem bei EbAV mit großen Beständen anzutreffen, da es eine Reihe von Vorteilen bietet:
• Zunächst ist das aktive Zugehen auf die Versorgungsempfänger bei Großbeständen mit erheblichem Aufwand verbunden. Denn grundsätzlich müssen zur vollständigen Erfassung aller berücksichtigungsfähigen Kinder auch sämtliche Versorgungsempfänger kontaktiert werden, selbst wenn mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit abnimmt, dass noch Kinder unter 25 Jahren beitragsmindernd zu berücksichtigen sind. Erste Auswertungen von EbAV mit großen Beständen an Betriebsrentnern ergeben einen Anteil von etwa 80% Versorgungsempfängern mit Kindern, von denen schätzungsweise 5% berücksichtigungsfähige Kinder nach dem PUEG haben könnten.
• Auch die DRV-Bund wartet die Einführung des automatisierten Verfahrens ab. Da die Leistungen aus der bAV im Regelfall akzessorisch zur gesetzlichen Rente sind bzw. der Leistungsfall in der bAV normalerweise erst durch den Versicherungsfall in der ersten Säule ausgelöst wird, wäre eine gleichlaufende Praxis der EbAV mit der DRV-Bund im Rahmen des PUEG folgerichtig.
• Da die Zahlbeträge in der bAV im Regelfall niedrig sind, fallen auch die neu eingeführten Abschläge für die berücksichtigungsfähigen Kinder nicht ins Gewicht, so dass ein Abwarten auf die Einführung des automatisierten Verfahrens für die Betriebsrentner auch zumutbar ist. Bei einer durchschnittlichen monatlichen Betriebsrente von bspw. 400 Euro beläuft sich der Erstattungsbetrag pro berücksichtigungsfähiges Kind auf einen Euro / Monat.
• Zusätzlich sind auch keine Probleme mit den Bestandsführungsprogrammen der EbAV bei einer Rückerstattung der zu viel entrichteten Beiträge für die Pflegeversicherung zu erwarten. Denn hierbei handelt es sich um einen gewöhnlichen sozialversicherungsrechtlichen Erstattungsanspruch, den EbAV häufig abzuwickeln haben.
Trügerische Ruhe
Somit war in der ersten Zeit nach Verabschiedung des PUEG bei den EbAV halbwegs Ruhe eingekehrt. Dies sollte sich aber mit dem Wachstumschancengesetz vom 27. März 2024 ändern. Dieses beinhaltet nämlich neben einiger technischer Regelungen zum künftigen automatisierten Abrufverfahren noch einen neuen Zinsanspruch in § 125 SGB IV.
„Der Zinsanspruch ist von Amts wegen zu berücksichtigen.“
Dieser Zinsanspruch kommt dann zum Tragen, sofern die Abschläge während des Übergangszeitraums zwischen dem 1. Juli 2023 und dem 30. Juni 2025 nicht in Ansatz gebracht werden. Der Anspruch ist von Amts wegen zu berücksichtigen, da nach dem Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ein gesonderter Antrag nicht zu stellen ist.
Keine Kosten …
Zwar müssen die Zahlstellen gem. § 125 Abs. 2 SGB IV die zu viel entrichteten Beiträge des Versorgungsempfängers an die Pflegekassen ermitteln und auszahlen, nicht aber letztendlich wirtschaftlich tragen. Insofern können sich die EbAV die Erstattungszahlungen nebst Zinsen von den Pflegekassen erstatten lassen.
Das ändert aber nichts an dem entstehenden Verwaltungsaufwand. Denn gleichwohl müssten durch diesen Zinsanspruch die Bestandsführungssysteme der EbAV angepasst werden. Der hierbei anfallende Aufwand steht aber in keinem Verhältnis zu den auszuzahlenden Zinsen.
Eine Beispielsrechnung auf der Grundlage eines Bestandes mit ca. 340.000 Versorgungsempfängern hat ergeben, dass höchstens 15.000 Fälle mit zwei oder mehr berücksichtigungsfähigen Kindern unter 25 Jahren erwartet werden. Für diesen Personenkreis würden an Nachzahlungen etwa 360.000 Euro und an Zinsen etwa 15.000 Euro anfallen.
… dafür Aufwand …
Der Mehraufwand bei den EbAV resultiert dabei aus den folgenden Umständen:
• Zunächst müssten die Kassen die Verzinsung gemäß den Vorgaben in der Ziffer 3.6 der o.g. Grundsätzlichen Hinweise des GKV-Spitzenverbandes vom 28. März 2024 durchführen, die im Regelfall in den Bestandsführungssystemen nicht implementiert ist.
• Dieser Aufwand wäre zudem zeitlich begrenzt, da der Zinsanspruch nur für den Übergangszeitraum zwischen dem 1. Juli 2023 und dem 30. Juni 2025 gilt. Zudem tritt § 125 SGB IV zum 1. Juli 2026 außer Kraft, weshalb die Überschrift des § 125 SGB IV auch„Übergangsregelung zum Erstattungsanspruch …“ lautet.
• Ferner müssten die Bestandsführungssysteme so konfiguriert werden, dass sich die Berechnung des Zinsanspruchs nur auf die Fälle des PUEG beschränkt und darüber hinaus keine weiteren Rückzahlungen erfasst.
… der vermeidbar ist
Dieser Mehraufwand kann durch eine proaktive Vorgehensweise vermieden werden, indem die EbAV die berücksichtigungsfähigen Kinder schon vor der Implementierung des automatisierten Abrufverfahrens abfragen. Auch der GKV-Spitzenverband ist sich der Problematik bewusst und hat auf folgenden Lösungsweg hingewiesen:
• Der Zinsanspruch nach § 125 SGB IV entsteht zunächst nur dann, wenn die EbAV bis zur Einführung des automatisierten Verfahrens vollständig untätig bleiben. Vollständige Untätigkeit liegt dann vor, wenn die EbAV in der Übergangszeit weder das „vereinfachte“ noch das „qualifizierte Nachweisverfahren“ anwenden.
• Folglich entsteht für die gesamte Übergangszeit kein Zinsanspruch, wenn die EbAV bis zur Einführung des automatisierten Abrufverfahrens die Versorgungsempfänger zur Meldung der berücksichtigungsfähigen Kinder auffordern.
• Diese Aufforderung könnte zum Beispiel dadurch erfolgen, indem die EbAV zunächst auf ihrer Homepage die Versorgungsempfänger auffordern, die berücksichtigungsfähigen Kinder zu melden. Für den Fall einer Rückmeldung muss dann aber der abgesenkte Pflegebeitrag beitragsmindernd berücksichtigt werden.
• Um eine möglichst vollständige Erfassung aller Versorgungsempfänger sicherzustellen, sollte zusätzlich eine schriftliche Kontaktaufnahme erfolgen. Hierzu bietet sich zum Beispiel die Leistungsmitteilung nach § 22 Abs. 5 Satz 7 EStG an, die um ein Beiblatt ergänzt werden könnte, in dem diese Aufforderung noch einmal (in Schriftform) wiederholt wird.
Keine Rose ohne Dornen
Allerdings wäre auch eine solche proaktive Vorgehensweise zur Vermeidung des Verzinsungsanspruchs mit Nachteilen verbunden. Diese resultieren zunächst aus voraussichtlich vermehrten Rückfragen, wobei sich auch Versorgungsempfänger melden könnten, die keine berücksichtigungsfähigen Kinder nach dem PUEG haben.
Zudem müssten bei der Meldung von berücksichtigungsfähigen Kindern diese im Bestand gespeichert, der aktuelle Beitragssatz dann angepasst und die Überzahlung berechnet und ausgezahlt werden. Somit würde neben den Vorbereitungsarbeiten zur Umsetzung des automatisierten Abrufverfahrens weiterer Aufwand entstehen.
Außerdem müssten bei der späteren Übernahme der Daten aus dem automatisierten Abrufverfahren die dann bereits erhobenen Daten abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert werden.
Problematisch wäre eine proaktive Vorgehensweise ferner dann, wenn die EbAV ihre Versorgungsempfängern bereits über ihren Internetauftritt oder in einem Newsletter informiert haben, dass eine gesonderte Mitteilung der berücksichtigungsfähigen Kinder nicht nötig sei, und dass später neben den überzahlten Beiträgen auch möglicherweise anfallende Zinsen erstattet werden.
Fazit
Trotz der Einführung des automatisierten Abrufverfahrens und der engen Abstimmung aller Beteiligten bleibt die Umsetzung des PUEG vor allem in der Übergangszeit bis Mitte 2025 ein für die EbAV ambitioniertes Projekt, bei welchem dem späteren Nutzen in Form von Beitragsabschlägen für die Pflegeversicherung ein sehr hoher Aufwand gegenübersteht.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
Der Autor ist Geschäftsführer der AKA (Arbeitsgemeinschaft kommunale und kirchliche Altersversorgung) e.V. in München.
Von ihm und anderen Autoren der AKA sind zwischenzeitlich bereits aufPENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
PUEG (VI) – die Krux mit dem Zins:
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2. EU-Aktionärsrechterichtlinie:
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Zu viel für die EIOPA-Verordnung!
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Das Grünbuch „Schaffung einer Kapitalmarktunion“:
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