Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra:

Die kommentierte Presseschau zur bAV

 

Jeden Freitag bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Hallo Berlin, handeln Sie jetzt. Entwaffnende Gegenfragen. Und wie immer in diesen Tagen ein bisschen Geopolitik.

 

 

Reuters (5. August): „Betriebsrenten treiben Modellbahnfirma Fleischmann in die Pleite.“

 

Das Thema „Niedrigzins und seine Wirkung auf die Realwirtschaft, hier Insolvenz infolge explodierender Pensionslasten“ wird auf Leiter-bAV.de seit Jahr und Tag diskutiert, zuletzt im Zusammenhang mit der Kleinen Anfrage der Grünen und dem 6a.

 

Nun also Fleischmann. Auch wenn die faszinierende Feinmechanik unserer Kindertage die phlegmatisch-dümmliche Jugend von heute kaum noch erreicht, und auch wenn aus dem Artikel nicht sicher hervorgeht, ob die laufenden Betriebsrenten aus Liquiditätsgründen nicht mehr gezahlt werden können oder die Anwartschaften in der Bilanz explodiert sind: Der Handlungsbedarf für die Bundesregierung wird schnell größer. Vorschlag von Kassandra: Jetzt handeln und alles Notwendige (Steuerbilanz, Diskontsatz, Anpassung ggf. auch laufender Versorgungen) an die Umsetzung der Mob-RL dranhängen.

 

 

 

aba-BetrAV 05/2015 (31. Juli): „Andrea Nahles: Der Kommentar – Mehr Betriebsrente wagen.“

 

Im Vorwort der jüngst erschienen Ausgabe der aba-Verbandszeitschrift (online nur für Mitglieder einsehbar) war es erneut an Arbeitsministerin Andrea Nahles, den einleitenden Kommentar zu verfassen, in dem sie sich mit ihrem 17b-Vorschlag befasst. Einer der wichtigsten Einwände gegen das Modell ist die Gefahr, dass es ein Race to the bottom in der deutschen bAV einleiten könnte. Diesen Einwand greift Nahles auf und kontert ihn mit Gegenfragen, sie schreibt:

 

Könnten denn Systeme dem herrschenden Anpassungsdruck auf Dauer widerstehen, wenn das Sozialpartnermodell Betriebsrente nicht umgesetzt würde? Wenn es aber unvermeidlich einen Strukturwandel in der Zusage-Landschaft gibt und weiter geben wird, wäre es dann nicht an der Zeit, diesen Wandel vonseiten der Sozialpartner intensiv zu begleiten und durchaus auch offensiv zu gestalten? Und wie könnte das besser und nachhaltiger geschehen als im Rahmen von gemeinsamen Einrichtungen?

 

Diese Argumentation ist etwas fatalistisch, aber stimmig.

 

Nahles spricht im Verlauf des Kommentars auch die pragmatisch nachvollziehbare Lösung an, dass die Tarifparteien beziehungsweise deren EbAV sich bestehender Einrichtungen als Dienstleister bedienen können. Doch auf den diesbezüglichen Kasus Knacktus, nämlich den, dass die Versicherer mit Protektor über eine unkomplizierte Insolvenzeinrichtung verfügen (ungeachtet deren tatsächlicher Robustheit), eine PSV-Lösung dagegen nicht in Sicht ist und die Nicht-Wettbewerbspensionskassen erst gar nicht im PSV sind, geht Nahles in dem Kommentar dagegen nicht ein. Dabei hatte doch gerade ihre diesbezügliche Rede auf der letzten aba-Tagung für große Unruhe auf dem Parkett gesorgt, hatte sie doch damit die Versicherer, die bis dato im Abseits zu stehen schienen, schlagartig zum vermeintlichen Hauptprofiteur des Projektes „Tarifrente“ gemacht.

 

However, Frau Nahles und die gesamte Bundesregierung werden – wie sich in der ersten Meldung verdeutlicht – in Kürze ohnehin andere Probleme haben als den 17b.

 

 

 

Frankfurter Rundschau (1. August): „Irrweg Betriebsrente.“

 

Autor Wolf Brandes – weiland Chefredakteur der dpn, dort Kollege Kassandras und heute Referent bei der VBZ Hessen – legt den Finger auf einige Wunden in der bAV: gebrochene Erwerbsbiographien, Portabilität, und die Tatsache, dass vielen Geringverdienern schlicht die Mittel fehlen, um neben der Bewältigung des Alltags noch relevant vorsorgen zu können. Am Ende des Beitrags kommt er auch auf die Kostenproblematik zu sprechen.

 

Auch auf LbAV wurden diese Themen schon des öfteren thematisiert, verbunden mit der These, dass die Fördertatbestände der deutschen bAV letztlich überschaubar sind – und das, obwohl der Staat jeden Euro, den er heute in die Förderung der bAV steckte, später in Sachen Grundsicherung doppelt sparte. Eine klug gestaltete bAV ist nun mal in Sachen Effizienz unschlagbar.

 

Die von Brandes hier angerissene Problematik ist schon in Zeiten unmanipulierter Währung und good gegovernter Volkswirtschaften drängend genug, in Zeiten des nachhaltigen Niedrigzinses ist sie jedoch vermutlich mit noch so guten Ideen – 17b et.al. – unlösbar. Im Gegenteil, Notfallmaßnahmen wie die Änderung des Bilanzrechts werden sich beizeiten in den Vordergrund drängen – oder tun dies bereits (siehe die beiden vorigen Beiträge).

 

However, wenn auch Kassandra die Stoßrichtung des Brandes-Artikels im Wesentlichen teilt, widerspricht sie in einem wichtigen Punkt. Brandes schreibt:

 

Klar ist: Eine betriebliche Altersvorsorge nützt den Arbeitgebern, denn für die Zahlungen spart er die Sozialabgaben.“

 

Das gilt nur sehr eingeschränkt. Denn was bringt einem Arbeitgeber die bAV in ihren verschiedenen Ausprägungen weit abseits seines eigentlichen Kerngeschäftes vor allem?

 

Als da wären ohne Anspruch auf Vollständigkeit: unkalkulierbare nationale und europäische Regulierung, ständig zunehmende Komplexität, jahrzehntelange Haftung für Performance, Beratung und Aufklärung, ausufernde Informationspflichten, Bilanzberührung, Insolvenzschutzbeiträge, Risiko- und Asset-Management-Anforderungen, Vertriebs-, Verwaltungs-, Aktuar- und Consultantkosten, wechselnde Rechtsprechungen, Anpassungsprüfungspflichten und Dynamisierungen und über allem schwebend ein politisch gewollter Niedrigzins, der mittlerweile Ausmaße erreicht, dass im deutschen Mittelstand die Sorge um Bankrotte infolge bilanzieller Überschuldung durch explodierende Pensionsrückstellungen um sich greift – und schon Realität wird. Wäre all das nicht, so würde manch ein Arbeitgeber sicher gern auf die Ersparnis der Sozialversicherungsbeiträge verzichten. Und auf den Gang zum Insolvenzrichter auch.

 

 

 

FAZ (3. August): „Es geht um unser Geld – Die Arbeitsrückstände der Finanzaufsicht.“

 

Was denn, bei der Anstalt – bei unserer Anstalt, möchte man bald sagen – stapeln sich seit Jahren unbearbeitete Akten? Die Arbeitsrückstände sollen auch auf Personalmangel zurückgehen. Nun, für den Fall empfiehlt Kassandra: einfach ein paar der Aktenberge als Amtshilfeersuchen bei der EIOPA abladen. Die hat bisher schließlich noch keinerlei Ermattungserscheinungen gezeigt.

 

 

 

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

 

 

HB (5. August): „Die unheimliche Macht des US-Justizministeriums.“

 

Kassandra hat einen ganz eigenen Blick auf Deutschland 2015: Im Gegensatz zum Bild, das manche in- und ausländische Medien von der vorgeblich starken Bundesrepublik zeichnen, zeigt ein Blick auf die Realität heute vor allem eines: GestaltungsUNfähigkeit! Nehmen wir vier prägnante Beispiele: 1. Griechenlandinsolvenz. 2. Euro- und Staatsschuldenkrise mit Niedrigzins. 3. Einwanderungs- und Flüchtlingsfrage sowie 4. NSA-Aushorchungen.

 

In allen vier Problemfeldern hat sich ein drängender Handlungsdruck aufgebaut, der jedem, aber auch wirklich jedem in diesem Land offenkundig vor Augen steht, ja der die meisten nur noch sprachlos macht. Und was gestaltet Deutschland hier? Es gibt viel Gerede, teilweise Geschrei, oftmals einseitig geführte Diskussionen, Verschleierung, Diffamierung, viel Political Correctness und eine CSU, die den Mund stets am vollsten nimmt. Und was ändert sich schließlich an dem eingeschlagenen Weg des Irgendwie-weiter-so: Gar nichts.

 

Ganz im Gegensatz dazu die USA. Man muss sie nicht mögen, aber es ist bemerkenswert, zuweilen gar ein wenig furchteinflößend, wie die Vereinigten Staaten in den letzten, sagen wir 25 Jahren, an Körperspannung zugelegt haben. Nur für die US-Justiz stellt das Handelsblatt dies hier in einem ausführlichen und lesenswerten Beitrag deutlich dar.

 

Man registriere vor allem sehr aufmerksam: Selbst Frankreich – ein Land, das sonst mit einer Mischung aus viel Geschrei, Rücksichtslosigkeit und Raffinesse seine nationalen und industriellen Interessen durchzusetzen weiß – musste in der Causa BNP Paribas in völliger Sprach- und Hilflosigkeit zusehen, wie die US-Justiz ihre Linie konsequent durchsetzte und eine Rekordstrafe festsetze, die ganz neue Maßstäbe setzte. Selbst eine seinerzeitige Intervention des französischen Staatspräsidenten, also des vielleicht mächtigsten und durchsetzungstärksten Amtsträgers Europas, vermochte hier – wenn Kassandra sich recht erinnert – nicht das Geringste zu ändern.

 

Doch diese knackige US-Körperspannung gilt beileibe nicht nur für die US-Justiz. Vielmehr gilt das für die USA im Allgemeinen. Auch bei der Durchsetzung von bi- und multilateralen Abkommen im Sinne ihrer Rechtsvorstellungen, bei der Digitalisierung ihrer Nachrichtendienste, der Technologisierung ihres Militärs, der Militarisierung ihrer Polizei und vor allem der strikten Stringenz und Strategie ihrer Außen- und Geopolitik zeigen die USA eine Härte und Zielorientierung, die man in jedem anderen Land auf dem Planeten – einschließlich der leicht flügellahmen Akteure China und Russland – vergeblich sucht. Hinzu kommt die überragend günstige geographische Lage der USA, ihre einzig zukunftsfeste Demographie und eine zukunftsweisende Entrepreneur-Kultur, deren Schöpfungen – von Google und Intel über Apple und Microsoft zu Facebook und Tesla – unser aller Leben ständig mehr beeinflussen und die teilweise ganze Schlüsselmärkte weltweit dominieren.

 

Dass die USA auch einer Exit-Strategie aus der Politik des billigen Geldes deutlich näher sind als die Europäer, ist da nur eine taktische Fußnotiz am Rande.

 

In Deutschland und Europa dagegen nur Stillstand und Blindheit. Seit besagten 25 Jahren, ungefähr als von Paul Kennedy „The Rise and Fall of the Great Powers“ erschien, muss man sich immer wieder das Gerede europäischer „Intellektueller“ vom angeblich bevorstehenden Ende des amerikanischen Zeitalters anhören. Das exakte Gegenteil ist richtig.

 

Das amerikanische Zeitalter – es fängt gerade erst an.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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