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BRSG 2.0-E (XI) – Spot on SPM:

Die Frage der Einschlägigkeit

Der Gesetzgeber verfolgt das klare Ziel, Sozialpartnermodelle breiten Schichten an Beschäftigten zugänglich zu machen – unter bestimmten Voraussetzungen, die je nach tariflichem Organisationsgrad variieren. Klaus Friedrich, Lars Hinrichs und Claudia Veh geben einen Überblick und empfehlen weitere Schritte.

Mit dem Gesetzentwurf zum BRSG II soll die bAV weiter gestärkt und die Anzahl der Arbeitnehmer mit Anrechten auf betriebliche Versorgungsanwartschaften erhöht werden. Neben Änderungen im Arbeits- und Steuerrecht sowie anderen Rechtsgebieten wird vor allem auf eine Neujustierung der Regelungen zum Sozialpartnermodell gesetzt.

Die Klargestellung von Bestehendem: Zustimmung zum Zutritt Nicht-Tarifgebundener

Gemäß § 24 Abs. 1 BetrAVG können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der einschlägigen tariflichen Regelungen über ein SPM auch für Arbeitsverhältnisse vereinbaren, für die die Rechtsnormen des Tarifvertrags mangels Mitgliedschaft in der abschließenden Gewerkschaft oder der Arbeitgebervereinigung nicht normativ gelten würden.

Claudia Veh, Deloitte.

Nun wird klargestellt, dass die Tarifvertragsparteien explizit zustimmen müssen. Bisher waren die Tarifvertragsparteien lediglich aufgefordert, nicht-tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern den Zugang zur durchführenden Versorgungseinrichtung nicht zu verwehren. Darüber hinaus durften sie im Hinblick auf die Aufnahme und Verwaltung keine sachlich unbegründeten Vorgaben machen (§ 21 Abs. 3 BetrAVG).

„Einschlägigkeit tariflicher Regelungen“ bedeutet hierbei, dass Dritte sich nur auf einen räumlich, zeitlich, betrieblich-fachlich und persönlich maßgeblichen Tarifvertrag beziehen können, der bei gegebener Tarifbindung ohnehin zwischen den Arbeitsvertragsparteien gelten würde. Damit werden die Arbeitsverhältnisse erfasst, die – mangels Tarifbindung des Arbeitgebers bzw. des Arbeitnehmers – außen vor wären.

Beispiel: Eine kleine Privatbank ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbands der Banken. Ihre Arbeitnehmer sind auch nicht Mitglied der Gewerkschaft. Das Bankhaus kann aber – mit Zustimmung der das SPM tragenden Sozialpartner – für die bAV seiner Arbeitnehmer das SPM der Bankenbranche nutzen.

Zwei neue Möglichkeiten der Teilnahme, nämlich …

Lars Hinrichs, Deloitte.

Durch den in § 24 BetrAVG neu eingefügten Abs. 2 ergeben sich weitergehende Möglichkeiten. Denn künftig sollen Sozialpartnermodelle auch über den ursprünglichen Anwendungsbereich des konstituierenden Tarifvertrags hinaus eingesetzt werden können.

Gemein ist den beiden nachfolgend aufgeführten Varianten, dass für die Aufnahme von dritten relevanten Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Zustimmung der das SPM tragenden Tarifvertragsparteien erforderlich ist:

das Andocken mit Öffnungsklausel und …

Alternative 1: Ein für das Arbeitsverhältnis einschlägiger Branchen- oder Haustarifvertrag eröffnet die Anwendung eines nicht einschlägigen Sozialpartnermodells (Andocken mit einem „Öffnungs-Tarifvertrag“ / Tarifvertrag zum Tarifvertrag, Abs. 2 Nr. 1).

Solche „Öffnungs-Tarifverträge“ können vorsehen, dass die Regelungen des Ausgangstarifvertrags vollständig übernommen werden. Möglich ist aber auch, dass nur die Organisations- und Durchführungsstrukturen eines bestehenden SPM mit genutzt und darüber hinaus eigenständige Regelungen getroffen werden.

Die Tarifvertragsparteien eines solchen Öffnungs-Tarifvertrags müssen sich gemäß dem hierzu in § 21 Abs. 1 BetrAVG neu eingefügten S. 3 nicht an der Steuerung und Durchführung des SPM beteiligen, was insb. kleinere Tarifvertragsparteien entlastet und gleichzeitig die Organisationsstrukturen des bestehenden SPM durch die Beteiligung weiterer Parteien schlank hält.

Den Tarifvertragsparteien wird damit erleichtert, den Arbeitgebern und Arbeitnehmern in ihrem Zuständigkeitsbereich die Nutzung branchenfremder Sozialpartnermodelle zu eröffnen.

Beispiel: Ein tarifgebundener Arbeitgeber aus dem Bereich Sicherheitsdienstleistungen nimmt aufgrund einer Öffnungsklausel im für ihn gültigen Tarifvertrag am SPM in der Bankenbranche oder in der Chemiebranche teil. Voraussetzung dafür, dass Arbeitnehmer von dieser Option profitieren, ist also, dass es einen für ihr Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifvertrag gibt, der eine entsprechende Regelung bzw. Öffnungsklausel vorsieht.

Nicht partizipieren können die Arbeitnehmer, die zwar tarifgebunden sind, bei denen es aber an einer entsprechenden tariflichen Regelung bzw. einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag fehlt. Außerdem nicht partizipieren können die Arbeitnehmer, für deren Arbeitsverhältnis gar kein Tarifvertrag anwendbar ist:

Beispiel 1: Ein kleiner, nicht tarifgebundener Autohändler kann für seine fünf Angestellten kein SPM nutzen.

Beispiel 2: Ein tarifgebundener Bauunternehmer kann für seine Arbeitnehmer nicht das SPM der Bankenbranche nutzen, da der Tarifvertrag für das Baugewerbe keine entsprechende Genehmigung/Öffnungsklausel enthält.

in der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft

Alternative 2: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen einen nicht einschlägigen Tarifvertrag und das damit verbundene SPM für die bAV nutzen können, wenn die Gewerkschaft, die das gewünschte SPM trägt, nach ihrer Satzung für das Arbeitsverhältnis tarifzuständig ist (Zuständigkeitsbereich).

Klaus Friedrich, Deloitte.

Der Organisationsbereich bzw. das Organisationsgebiet ist in den Satzungen der Gewerkschaften detailliert festgelegt. Damit stehen z.B. die Modelle, die die Gewerkschaft ver.di im Energiebereich und bei den Banken abgeschlossen hat, grundsätzlich auch anderen Branchen offen, für die ver.di satzungsgemäß zuständig ist – also etwa dem Handel, den Versicherungen oder der IT-Branche.

Das SPM in der Chemie kann grundsätzlich z.B. auch von Arbeitgebern und Beschäftigten in der Papier- und Keramikindustrie, in der Wasserwirtschaft oder von Ver- und Entsorgungsbetrieben genutzt werden.

Bei dieser Alternative ist nur die vollumfängliche Anwendung der tariflichen Regelungen über das SPM möglich.

Voraussetzung dafür, dass Arbeitnehmer von dieser Option profitieren, ist also, dass die das SPM tragende Gewerkschaft für das Arbeitsverhältnis nach ihrer Satzung tarifzuständig ist. Die Gewerkschaft ver.di ist unter anderem zuständig für Postdienste, Postbank, Telekommunikation, Handel, Dienstleister, z.B. Wohnungswirtschaft, Buchhandel und Verlage, Leasing-Unternehmen, Rechts-, Wirtschafts- und Steuerberatungen, Reisebüros, Medien, Druck, Papier, Publizistik, Friseurhandwerk, Bewachungs- und Sicherheitsgewerbe.

Beispiel: Ein nicht tarifgebundenes Unternehmen, das Keramikwaren herstellt, nutzt für die Arbeitnehmer das SPM der Chemiebranche, da die IG BCE gemäß ihrer Satzung auch für die Keramikbranche zuständig ist.

Nicht partizipieren können die Arbeitnehmer, für die keine Gewerkschaft, die ein SPM abgeschlossen hat, satzungsgemäß tarifzuständig ist. Weiter partizipieren diejenigen Arbeitnehmer nicht, die von keinem Tarifvertrag erfasst sind.

Zwischenfazit: Der Kreis wird größer

Festzuhalten bleibt, dass nach den neuen Regelungen in § 24 Abs. 2 BetrAVG künftig auch Arbeitnehmer ein SPM nutzen können, deren für ihr Arbeitsverhältnis zuständige Tarifvertragsparteien kein eigenes SPM initiiert haben, die aber tarifgebunden sind und bei denen ein bestehender Tarifvertrag die Nutzung eines fremden SPM erlaubt.

Weiter kann künftig für Arbeitnehmer die Nutzung eines SPM vereinbart werden, wenn sie sich in einem Arbeitsverhältnis befinden, für das gemäß der Satzung der Gewerkschaft diese für das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers tarifzuständig ist.

Der Kreis der Arbeitnehmer, die ein SPM nutzen können, ist damit klar größer geworden. Diese Öffnungen sind zu begrüßen.

Draußen vor der Tür

Gleichwohl gibt es Personenkreise, die von den Erweiterungen (nach wie vor) nicht erfasst werden.

Wer bleibt bei der Neuregelung des § 24 Abs. 2 BetrAVG-E außen vor?

Nicht nutzbar sind SPM-Modelle nach wie vor etwa für alle Arbeitnehmer, die sich in Arbeitsverhältnissen befinden, die

a) nicht einem einschlägigen Tarifvertrag mit Öffnungsklausel unterliegen und für die

b) keine ein SPM tragende Gewerkschaft nach ihrer Satzung tarifzuständig ist.

Sind also die Kriterien a) und b) für das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers erfüllt, dann unterfällt es nicht den Anwendungsmöglichkeiten des § 24 Abs. 2 BetrAVG. Dabei umfasst das Kriterium a) zwei Fälle:

(1) Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers unterliegt überhaupt keinem Tarifvertrag.

(2) Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers unterliegt einem Tarifvertrag ohne Öffnungsklausel.

Fall (1) dürfte insb. auf Arbeitsverhältnisse im Umfeld von freien Berufen wie bspw. Architekten zutreffen, in denen bislang ein sehr geringer Organisationsgrad herrscht.

Fall (2) dürfte auch künftig für Arbeitnehmer in Branchen mit kleinen Spartengewerkschaften gegeben sein.

Auch für das zweite Kriterium b) sind wieder zwei Konstellationen gegeben:

(3) Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers unterliegt überhaupt keinem Tarifvertrag.

(4) Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers unterliegt dem Zuständigkeitsbereich einer Gewerkschaft, die kein SPM trägt.

Fazit und mögliche Ansätze:

Die Anwendungsmöglichkeiten und -ausschlüsse nicht einschlägiger tariflicher Regelungen über ein SPM nach § 24 Abs. 2 BetrAVG-E sind in nachfolgender Tabelle kompakt skizziert:

Grafik zur Volldarstellung anklicken.

Der Gesetzgeber setzt erkennbar auf das SPM in seiner Strategie, die Verbreitung der bAV zu erhöhen. Mit dem BRSG II wird ein weiterer Schritt getan, um das SPM in die Breite zu tragen. Allerdings bleiben nach wie vor viele Arbeitsverhältnisse außen vor. Möchte man auch diesen die Nutzung eines SPM ermöglichen – und damit konsequent das vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines BRSG 2.0 verlautbarte Ziel fortschreiben, „in möglichst vielen Unternehmen gute Betriebsrenten selbstverständlich und zum festen Bestandteil der Altersvorsorge der Beschäftigten werden [zu lassen]“ – sind weitere Schritte erforderlich.

So wäre es im Sinne einer möglichst weiten Verbreitung des SPM zu begrüßen, wenn viele Tarifvertragsparteien über eine Öffnungsklausel den Zugang zu fremden Sozialpartnermodellen ermöglichten. Zudem erscheint es begrüßenswert, wenn die ein SPM tragenden Tarifvertragsparteien den Wünschen zur Anwendung des § 24 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG sehr offen gegenüberstünden. Um insb. den Mitarbeitern kleiner, nicht-tarifgebundener Unternehmen mit häufig niedrigen Einkommen den Zugang zu ermöglichen, könnten weitere Flexibilisierungen – etwa auf der Ebene der konkreten, den Zugang zum einzelnen SPM ermöglichenden kollektiven Rechtsgrundlagen – erwogen werden.

Dr. Claudia Veh ist Aktuarin und Partnerin bei Deloitte in München.

Dr. Lars Hinrichs ist Rechtsanwalt und Partner bei Deloitte Legal in Hamburg

Dr. Klaus Friedrich ist Aktuar und Director im Bereich Financial Advisory von Deloitte in Berlin.

Von Deloitte-Autorinnen und Autoren sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

Erst Arbeitsgericht, dann Finanzgericht:
Erfurt, Düsseldorf, München
von Dr. Claudia Veh, 21. November 2024

BMF vs. BFH zu GGF-bAV-vGA – Breaking the Case Law (II):
Wer wie was vGA?
von Dr. Claudia Veh, 1. Oktober 2024

BRSG 2.0-E (X) – Spot on SPM:
Die Frage der Einschlägigkeit
von Dr. Klaus Friedrich, Dr. Lars Hinrichs und Dr. Claudia Veh, XX. August 2024

Vergangenen Februar in München:
vGA? Ja. Auflösung der Rückstellung? Nein!
von Dr. Claudia Veh, 31. Juli 2024

Studie zur bAV:
Schnelles Bündel
von Dr. Klaus Friedrich und Dr. Christian Schareck, 19. August 2018

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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