Ein Unternehmen hatte auch für Altzusagen zur Anpassungsprüfung die Escape-Klausel anwenden wollen, war aber in Erfurt gestoppt worden und musste die Maßnahme kassieren. Doch auf den Rechtsstreit mit dem Rentner folgte der mit dem Finanzamt. Diesmal obsiegte das Unternemen vor Gericht. Doch die Finanzverwaltung gibt nicht auf. Claudia Veh erläutert Details.
Das Finanzgericht Düsseldorf hatte die Frage zu klären, ob eine unter Berücksichtigung einer garantierten Rentenanpassung steuerbilanziell passivierte Pensionsverpflichtung nachträglich korrigiert werden muss, wenn die Anpassungsregelung später durch arbeitsgerichtliche Entscheidungen als unwirksam eingestuft worden ist (es ist übrigens alles andere als das erste Mal, dass Leitplanken des höchsten Arbeitsgerichtes steuerrechtliche Streitfragen maßgeblich beeinflussen).
Der Fall
In einem Unternehmen existierten Ruhegeldrichtlinien mit Anpassungsregelungen für laufende Leistungen entsprechend § 16 Abs. 1 BetrAVG. Der Arbeitgeber hatte also alle drei Jahre einen Anpassungsbedarf aufgrund eingetretenen Kaufkraftverlusts zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Versorgungsordnung hatte die Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG (garantierte Erhöhung laufender Leistungen um mindestens 1% jährlich) noch nicht existiert.
Im Jahr 2006 wurde mittels einer abändernden Betriebsvereinbarung (BV-2006) die Anpassungsregelung durch eine Neuregelung entsprechend der Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG ersetzt, so dass laufende Leistungen jährlich zum 1. Juli um jeweils 1% der Vorjahresrente angepasst werden sollten.
Als Grund für die Änderung der Versorgungsregelung gab das Unternehmen die höhere Sicherheit bei der Kalkulation der Pensionsverpflichtungen und die größere Planungssicherheit für die Arbeitnehmer an.
Abändernde Betriebsvereinbarung: Rechtsgutachten zur Änderung der Anpassungspraxis …
Die Neuregelung der Rentenanpassung sollte gemäß der BV-2006 auch für Altzusagen gelten, d.h. für Zusagen, die bis zum 31. Dezember 1998 erteilt worden waren – obwohl gemäß der Übergangsvorschrift in § 30c Abs. 1 BetrAVG die maßgebliche Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG nur für laufende Leistungen gilt, die auf Zusagen beruhen, die nach dem 31. Dezember 1998 erteilt wurden.
Die Zulässigkeit, Altzusagen von der Neuregelung zu erfassen, war in einem von den Betriebsräten beauftragten Rechtsgutachten eines ehemaligen Vorsitzenden Richters am BAG bestätigt worden.
Gemäß dem Rechtsgutachten kommt es für die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG nicht auf den Zeitpunkt der Erteilung der ursprünglichen Versorgungszusage an (vor oder nach dem 31. Dezember 1998), sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die 1%-ige Anpassungsgarantie vereinbart worden ist.
… auch für Altzusagen und auch für Ausgeschiedene und Rentner …
Weiter kam der Richter in seinem Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass die Regelungskompetenz der Betriebsparteien auch gegenüber bereits aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Versorgungsempfängern besteht. Auf dieser Basis wurde die neue Anpassungsregelung auch auf bereits laufende Leistungen und für aus dem Unternehmen mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedene Arbeitnehmer angewandt.
Die BV-2006 war im Jahr 2006 abgeschlossen worden und trat zum 1. Juli 2007 in Kraft. Entsprechend wurde die garantierte 1%-ige Anpassung in Einklang mit dem Stichtagsprinzip (R 6a Abs. 17 EStR) erstmals zum 31. Dezember 2006 bei der Erstellung des Jahresabschlusses im Frühjahr 2007 (rückstellungserhöhend) berücksichtigt.
… musste in Erfurt geklärt werden, also …
In der Folgezeit kam es zu diversen Klagen von Rentenbeziehern.
Im Jahr 2011 hatte das BAG schließlich entschieden, dass die Neuregelung der Rentenanpassung einen Verstoß gegen § 30c Abs. 1 BetrAVG darstellt. Es kommt nämlich für die Anwendbarkeit der Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG doch darauf an, wann die ursprüngliche Versorgungsregelung vereinbart wurde; nicht – wovon das Unternehmen auf Basis des Rechtsgutachtens ausgegangen war – auf den Zeitpunkt der Vereinbarung der 1%-igen Anpassungsgarantie.
… Kommando zurück: Rückabwicklung der geänderten Anpassungspraxis
Aufgrund dieser Entwicklung fasste der Konzernvorstand im Herbst 2011 den Beschluss, eine Rückabwicklung der 1%-Regelung vorzunehmen und wieder zu den alten Anpassungsrichtlinien zurückzukehren. Entsprechend wurde die garantierte Rentenanpassung von 1% jährlich ab dem 31. Dezember 2011 nicht mehr bei den Pensionsrückstellungen berücksichtigt.
Und die Wirkung auf die Steuerbilanz? Strittig …
Im Folgenden kam es zu einer Außenprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernprüfung. Die Prüfer waren der Meinung, die Pensionsrückstellungen zum 31. Dezember 2006 müssten um den Effekt der garantierten Rentensteigerung von 1% korrigiert werden. Denn durch die BAG-Rechtsprechung wäre inzwischen klar, dass kein Rechtsanspruch auf die 1%-ige Dynamisierung nach § 6a Abs. 1 Nr. 1 EStG bestanden hat. Deswegen sei die diesbezügliche Rückstellungsbildung ausgeschlossen. Der Körperschaftsteuerbescheid wurde entsprechend angepasst.
Das Unternehmen war hiermit nicht einverstanden. Man hätte nicht davon ausgehen können, dass die neue Betriebsvereinbarung unwirksam ist. Schließlich hatte man die Neuerung auch durch eine rechtliche Stellungnahme eines ehemaligen BAG-Richters begutachten lassen.
Die Finanzverwaltung blieb bei ihrer Sicht der Dinge und ergänzte, dass aufgrund ständiger arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung der Betriebsrat keine Regelungskompetenz für ausgeschiedene Anwärter und Rentenbezieher habe. Darum liege unabhängig von der Frage der Auslegung des § 30c BetrAVG mangels Vertretungsbefugnis keine wirksame Vereinbarung für diese Personenkreise vor, weshalb die Berücksichtigung des Rententrends für unverfallbar Ausgeschiedene und laufende Rentner auch aus diesem Grunde unzulässig sei.
Da keine Einigung mit der Finanzverwaltung erzielt werden konnte, klage das Unternehmen schließlich vor dem FG Düsseldorf.
… aber vor Gericht entschieden: Man konnte es ja nicht wissen …
Das FG Düsseldorf gab dem Unternehmen mit Urteil (6 K 2351/19 K) vom 15. Januar 2024 Recht. Die Pensionsrückstellungen sind nicht rückwirkend um den Effekt der garantierten Rentenanpassung zu korrigieren. Das Unternehmen hatte bei der Bildung der Pensionsrückstellung die zugesagte Anpassungsgarantie zulässigerweise berücksichtigt. Die tatsächliche Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung, die erst nach dem Bilanzstichtag des Jahres 2006 offenkundig wurde, wirkt bilanzrechtlich nicht auf den Stichtag selbst zurück.
Denn erst durch die höchstrichterliche Entscheidung des BAG im Laufe des Jahrs 2011 stand für das Unternehmen fest, dass die geschlossene Betriebsvereinbarung über die pauschale Anpassung der Pensionsansprüche der Arbeitnehmer des Konzerns unwirksam ist. Darum war die Rückstellung nach handelsrechtlichen GoB erst nach dem rechtskräftigten Richterspruch anzupassen.
Daran ändert auch die Regelung des § 6a Abs. 1 Nr. 1 EStG nichts, wonach eine Rückstellung nur gebildet werden darf, wenn und soweit der Berechtigte einen Rechtsanspruch auf Pensionsleistungen hat. Solange nicht die Unwirksamkeit gerichtlich festgestellt worden war, konnte der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass eine geschlossene Betriebsvereinbarung unwirksam ist und mithin kein entsprechender Rechtsanspruch besteht. Dass nach den arbeitsrechtlichen Maßstäben am Bilanzstichtag die entschiedene Rechtsfrage nicht eindeutig geklärt war, belegt die spätere sechsfache Zulassung der Revision durch das LAG, so die Düsseldorfer Richter.
… und die Regelungskompetenz der Betriebsparteien für Ausgeschiedene war auch unklar
Zur Frage, ob die Betriebsparteien Regelungskompetenz für bereits aus dem Unternehmen ausgeschiedene Arbeitnehmer haben, verweist das FG auf die diesbezügliche zum strittigen Zeitpunkt unklare Rechtslage. So hatte das BAG in der Rechtsprechung vor dem 31. Dezember 2006 ausdrücklich offengelassen, ob eine solche Regelungskompetenz besteht und doppelgleisig für den Fall ihrer Bejahung und alternativ bei ihrer Verneinung geprüft (BAG, 10. Februar 2009 – 3 AZR 653/07).
Damit konnte auch mit diesem Argument nicht rückwirkend die bilanzierte Rentendynamik aufgrund offensichtlich fehlenden Rechtsanspruchs als unzulässig eingestuft werden.
Fazit: Die Sicht des FG Düsseldorf erscheint sachgerecht
Für den Ansatz und die Bewertung von Rückstellungen müssen steuerrechtlich die Verhältnisse, die am Bilanzstichtag objektiv richtig erscheinen, maßgeblich sein.
Das FG hat die Revision zugelassen, wovon die Finanzverwaltung Gebrauch gemacht hat (XI R 10/24). Es bleibt also abzuwarten, ob der BFH sich der Sicht des FG Düsseldorf anschließt.
Die Autorin ist Aktuarin und Partnerin der Deloitte B&W GmbH in München.
Von Deloitte-Autorinnen und Autoren sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
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