Deutsche bAV heißt originär deutsche Chemie. Das Wort dieser Industrie hat in der Altersvorsorge Gewicht und wird in Berlin gehört. Wenig überraschend, dass sich auch die Chemie-Arbeitgeber zum RefE des BRSG II äußern. Auf zehn dichtbeschriebenen Seiten liefern sie der Politik viel Zustimmung, aber auch – konstruktive – Kritik; und eine Neuigkeit aus Frankfurt-Hoechst gibt es inklusive. Und: Warum es gut tut, im Pensionswesen zu sein.
Bekanntlich ging der RefE Ende Juni an die Verbände. Zwölf Punkte auf zehn Seiten hat der BAVC angesprochen. Die drei wichtigsten Forderungen der Chemie-Arbeitgeber sind:
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Die Erweiterung der Abfindungsregelung für Kleinstanwartschaften sei unzureichend, kaum praktikabel, bürokratisch. Die Grenze für Abfindungen ohne Zustimmung sollte auf mind. 2% angehoben werden, mit Zustimmung auf 4% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV. Der Zwang, die Abfindung in die gGV einzuzahlen, schaffe neue Ungenauigkeiten und Probleme.
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In § 24 BetrAVG-RefE sollte eine Ergänzung zum Anschluss an bestehende SPM eingefügt werden: Die Anwendung der Strukturen eines bestehenden Modells sollte auch in einem Haus- oder Tarifvertrag (statt nur per Individualvereinbarung mit jedem Arbeitnehmer) vereinbart werden können.
Auch wichtig hierbei: Ein Zwang zur Beteiligung an Durchführung und Steuerung dürfe sich auch aus Beitritt per Haus- oder Tarifvertrag nicht ergeben. Das ist besonders für die schon bestehende Praxis in der chemischen Industrie wichtig, denn dies findet im Chemie-SPM bereits statt (z.B. die keramische Industrie, die damit bereits eine Möglichkeit nutzt, welche die BaFin schon genehmigt, die betriebsrentenrechtlich aber jetzt erst geregelt wird). Der Zweck ist klar: Alle Beteiligten wollen verhindern, dass zuviel zwangsverpflichtete Köche in der Gremien eines SPM den Brei verderben könnten.
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Die – längst überfällige – Klarstellung im SGB IV, nach der eine Entsparung von Wertguthaben parallel zur Altersrente möglich ist, sollte nicht nur bis zur Regelaltersgrenze gelten. Dies konterkariere die Förderung der Beschäftigung jenseits der Grenze und stehe im Widerspruch zu den Zielen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung. Das Thema wurde auf PENSIONS●INDUSTRIES schon früh von Otto Groups André Cera aufgegriffen und erst gestern hier von Mercer ausführlicher diskutiert. Der BAVC stellt unmissverständlich klar, dass er das Problem schon lange adressiert:
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„Auf die Notwendigkeit der Korrektur der – bestätigt auch durch ein Papier der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages – nicht begründeten Praxis der Sozialversicherungsträger, eine parallele Entsparung von Wertguthaben zum Bezug einer Altersrente nicht zuzulassen und stattdessen die Auslösung eines Störfalls zu verlangen, haben wir gegenüber Sozialversicherungsträgern, BMAS und dem Gesetzgeber vielfach hingewiesen.“
Übersetzt von Verbände-/Ministeriumsdeutsch in kurze Normalsprache heißt das: „Leute! Jetzt klärt das endlich bitte mal!“
Zwei eher redaktionelle Hinweise unternimmt der BAVC auch:
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An mehreren Stellen erfassen die Neuregelungen dem Wortlaut nach nur gRV-versicherte Beschäftigte. Hiervon Befreite sowie Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke sollten ebenfalls erfasst werden (z.B. bzgl. Abfindung von Kleinstanwartschaften, bzgl. der Voraussetzungen zum Beginn einer Betriebsrente sowie bzgl. der Wertguthaben). Und wenn schon denn schon: „Bei dieser Gelegenheit sollte das BetrAVG insgesamt auf entsprechende Bezüge geprüft werden.“
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Auch wird im RefE an mehrfach (weiterhin) eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung als Voraussetzung festgeschrieben. Hier fordert der Verband, dass um Sprecherausschuss ergänzt werde – da sonst eine derzeit wachsende Beschäftigtengruppe ausgeschlossen bliebe, z.B. bzgl. der Opt out-Systeme. Auch hier sollte man die Gelegenheit nutzen, das BetrAVG insgesamt noch einmal zu prüfen.
SPM in FFM-Hoechst
Übrigens erfährt man auch eine bisher nicht öffentliche Neuigkeit aus dem Frankfurter Westen:
„Vorbehaltlich der Unbedenklichkeitsbescheinigung der BaFin wird noch 2024 das zweite Angebot für die Durchführung der bAV in Form der reinen Beitragszusage auf Basis des Tarifvertrages der chemischen Industrie bei der Höchster Pensionskasse zur Verfügung stehen.“
Die weiteren Themenkomplexe, welche der BAVC teils begrüßend, teils kritisierend, anspricht, drehen sich u.a. um die rechtssichere Abfindung bei Auflösung einer Pensionskasse, die wegfallende Notwendigkeit einer Vollrente für den Bezug einer Betriebsrente, die Regelungen zu Digitalisierung und automatisierter Datenverarbeitung, den „willkürlichen“ 20%igen Arbeitgeberzuschuss bei Optionssystemen ohne tarifvertragliche Basis, den Ausschluss von Kleinst- und Kleinunternehmen ohne Betriebsrat von der neuen Opting out-Möglichkeiten, außerdem Klarstellungen betreffend der SPM-Nutzung der direkt bei tragenden Tarifvertragsparteien Beschäftigten und schließlich die Schärfung der Regelungen zur Tarifzuständigkeit von Gewerkschaften sowie zu einem Beitritt zu einem SPM und der umzulegenden Kosten.
Was fehlt?
Zum Schluss legt auch der BAVC dar, was ihm in dem Reformvorhaben fehlt:
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Klarstellung der Frage einer Garantiehöhe bzw. Mindestleistung in der boLZ
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Eingriffsmöglichkeiten in bestehende Zusagen mit dem Ziel einer generationengerechteren Gestaltung
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Rechnungszinssatz für Pensionsrückstellungen in § 6a EStG
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Angleichung der steuer- und sozialversicherungsfreien Dotierungsrahmen
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Verringerung der Informationspflichten für EbAV.
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Die gesamte Stellungnahme des BAVC zum BRSG II findet sich hier.
Am Rande …
… von PENSIONS●INDUSTRIES mal ein anderer, grundsätzlicher Aspekt, der im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens deutlich wird:
In der bAV bzw. dem institutionellen Pensionswesen tätig zu sein (und sei es nur als Journalist) klingt zwar für Außenstehende schrecklich langweilig und ist nichts, um abends in der Bar anzugeben oder Frauen zu beeindrucken, hat aber für die Insider viele Annehmlichkeiten, die wir alle kennen; als da wären z. B.:
Man hat selten mit dummen Leuten zu tun, fast alle auf dem Parkett haben Grips. Außerdem wird hier ein arbeits- und sozialpolitisch sowie asset-seitig wirklich großes Rad gedreht, d.h. die bAV hat qualitativ und quantitativ für alle Beteiligten strategischen Charakter. Man bewegt sich praktisch immer auf institutionellem Level. Und: Es geht im Kern am Ende um Sozialleistungen für die Menschen (in nicht einfacher werdenden Zeiten).
Damit geht einher, dass – und das sieht man ja heute wieder – die meisten ihrer Interessenvertreter (zumindest wenn es um die unternehmenseigene bAV geht) in ihrer Intention nicht sales- oder business-getrieben sind. Denn die bAV gehört praktisch nie zum Kerngeschäft eines Industrieunternehmens, sondern ist immer eine HR-Aufgabe mit sozialem Hintergrund. Das heißt: Auf diesem Parkett geht es nahezu immer um die Sache selbst. Und das tut gut.