… und Ruhestand muss nicht immer Ruhestand heißen: Das Aktuarshaus hatte im September in die Domstadt eingeladen. Das Programm: so vielfältig wie die bAV. Über zwei der Themen heute Berichterstattung auf P●I: Andrea Riedinger und Silke Seeger analysieren das künftig gehäuft auftretende Phänomen von Arbeitnehmern und Altersrentnern in Personalunion; Marcus Müller legt dar, wie individuelle Faktoren, bAV-Historie und gegenwärtiges Versorgungssystem ausschlaggebend dafür waren, dass sich die Covestro AG gegen die Einführung des Sozialpartnermodells entschieden hat.
Köln, 24. September 2024, diesjähriges Heubeck Kolloquium im Kölner Maternushaus. Unter dem Motto „Zeitenwende in der betrieblichen Altersversorgung?“ verfolgen über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Programm, moderiert von den Heubeck-Vorständen Susanna Adelhardt und Rainald Meyer. Auswahl der Themen:
das zwischenzeitlich auf der politischen Kippe stehende BRSG II und die Frage der (Noch-)Angemessenheit der Heubeck-Richttafeln 2018 G, aber auch neue Pensionslösungen in der Sparkassen-Finanzgruppe sowie die Klassiker der Veranstaltung wie „Pensionsrückstellungen im Jahresabschluss 2024“ und „Alles was Recht ist – Aktuelles aus dem Recht der bAV“.
Auf die Inhalte zwei dieser Vorträge gehen die Referenten als Autoren dieses Beitrages in der Folge tiefer ein: Erstens der Themenkomplex „Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung“ und zweitens die individuellen Entscheidungsparameter eines Konzerns im Tarifbereich Chemie für oder gegen die Einführung eines Branchensozialpartnermodells im Kontext eines etablierten und stetig aktualisierten Konzernversorgungssystems.
I. Andrea Riedinger und Silke Seeger: Arbeit & Rente im Doppelpack – sieht so die Zukunft aus?
Ja, so kann die Zukunft aussehen! Aber worauf kommt es konkret an, und was bewegt aktuell die Praxis? Mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen stellt sich die Frage, welche tatsächlichen Auswirkungen diese Neuregelung im bAV-Umfeld auf Unternehmensebene hat und welche Entscheidungen bei unterschiedlichen Ziel-Szenarien Arbeitgeber zu treffen haben:
Nach § 6 BetrAVG ist dem Arbeitnehmer auf Antrag die betriebliche Altersleistung vorzeitig zu gewähren, wenn dieser die gesetzliche Altersrente als Vollrente in Anspruch nimmt und die Wartezeit sowie sonstige Leistungsvoraussetzungen nach der Versorgungsordnung erfüllt sind. Damit ist spätestens seit dem 1. Januar 2023 mit Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen in der gRV ein gleichzeitiger Bezug von Arbeitsentgelt, vorgezogener gesetzlicher sowie betrieblicher Altersleistung durchaus denkbar.
Unterschiedliche Ziele …
Im Rahmen personalpolitischer Überlegungen könnte dies aus Sicht der Arbeitgeber ein Mittel im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein. In der Praxis besteht jedoch gleichermaßen der Wunsch der Arbeitgeber nach Vermeidung eines gleichzeitigen Bezugs von Arbeitsentgelt und (vorzeitiger) betrieblicher Altersleistung.
… und Prüfung des Status Quo
Unabhängig von der Zielsetzung sollten Arbeitgeber zunächst prüfen, ob nach den bei ihnen geltenden Versorgungsordnungen ein Anspruch auf die vorzeitige betriebliche Altersleistung auch im Falle einer Weiterbeschäftigung bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitsentgelt entstehen kann. Ist hiernach die vorzeitige betriebliche Altersleistung zu gewähren, stellen sich Folgefragen, insb. nach möglichen Zuwächsen durch die Weiterarbeit.
In der Regel enthalten die Versorgungsbestimmungen als Leistungsvoraussetzung für den Bezug einer betrieblichen Altersleistung ein Ausscheideerfordernis – entweder ausdrücklich oder durch Auslegung herleitbar. Auch Zahlungsbestimmungen, wonach die Zahlung der betrieblichen Altersleistung erst nach Ende des Bezugs von Arbeitsentgelt oder Entgeltersatzleistungen einsetzt, sind nicht unüblich. Für die Frage, ob durch die Weiterbeschäftigung Zuwächse entstehen, gilt es die Versorgungsordnung genau zu prüfen. Enthält diese bspw. Regelungen zur Begrenzung von versorgungsfähigen Dienstjahren oder zu dem Zeitpunkt einer letztmaligen versorgungserhöhenden Beitragsbereitstellung, können hierdurch Zuwächse verhindert werden.
„Eine Frage der Auslegung, ob neben dem bAV-Bezug Anwartschaftszuwächse möglich sind und damit – für die bAV atypisch – Leistungsempfänger zugleich Versorgungsanwärter sein können.“
Jedenfalls bei vor 2023 entstandenen Versorgungsordnungen fehlen i.d.R. ausdrückliche Regelungen dazu, ob Anwartschaftszuwächse durch Weiterarbeit bei gleichzeitigem Bezug der betrieblichen Altersleistung erdient werden können – dies auch vor dem Hintergrund, dass man bei Erstellung der Versorgungsordnung regelmäßig davon ausgegangen sein dürfte, dass das Arbeitsverhältnis mit Eintritt in den Ruhestand, also dem Bezug der (vorzeitigen) betrieblichen Altersleistung enden wird. Es ist dann eine Frage der Auslegung, ob neben dem bAV-Bezug weiterhin Anwartschaftszuwächse möglich sind und damit – für die bAV atypisch – Leistungsempfänger zugleich Versorgungsanwärter von Altersleistungen sein können.
Anpassungsbedarf abhängig von der Zielsetzung
Führen die aktuell geltenden Bestimmungen der Versorgungsordnung nicht zu dem personalpolitisch gewünschten Ergebnis, stellt sich die Frage nach Anpassungsbedarf. Dabei werden derzeit einzelvertragliche Lösungen für ausgewählte Einzelfälle von den Unternehmen bevorzugt.
Sollen Anpassungen an der Versorgungsordnung vorgenommen werden, sind auch hier die üblichen Eingriffsmöglichkeiten zu beachten. Verbesserungen – wie z.B. ein Verzicht auf das Ausscheideerfordernis als Leistungsvoraussetzung – wären jedenfalls unproblematisch möglich.
bAV-Bezug schließt Anspruch auf Entgeltumwandlung nicht aus
Besondere Herausforderungen stellen sich, wenn es sich um eine durch Entgeltumwandlung finanzierte bAV handelt, da der Anspruch auf Entgeltumwandlung nach § 1a BetrAVG von der Pflichtversicherung des Arbeitnehmers in der gRV abhängt.
Diese Pflichtversicherung endet erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze und Bezug einer Vollrente wegen Alters in der gRV (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI). Das heißt: Auch für Zeiten der Weiterbeschäftigung nach Inanspruchnahme der betrieblichen vorgezogenen Altersleistung können ggf. noch Anwartschaftszuwächse und ein Anspruch auf Arbeitgeberzuschuss entstehen.
BRSG II und Teilrentenbezug – Auswirkungen auf Gesamtversorgungssysteme
Weitere Herausforderungen dürften sich insbesondere für Gesamtversorgungen ab 1. Januar 2026 ergeben: Nach dem geplanten, aber nach dem jüngsten Koalitionsbruch ungewissen BRSG II soll – nach Erfüllen einer vereinbarten Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen – dann auch der Bezug einer vorgezogenen Teilrente aus der gRV für den Anspruch auf betriebliche vorgezogene Altersleistung nach § 6 BetrAVG genügen.
Dies kann insb. bei Gesamtversorgungszusagen zu Handlungsbedarf führen, da eine gesetzliche Teilrente eine geringere Anrechnung zur Folge hätte.
Weiterbeschäftigung nach Erreichen der Regelaltersgrenze
Auch die Weiterbeschäftigung nach Erreichen der Regelaltersgrenze steht vermehrt im Fokus der Arbeitgeber. Dabei sind neben den betriebsrentenrechtlichen Auswirkungen einer Weiterbeschäftigung insb. auch arbeitsvertragliche Fragen zu beachten:
In der Praxis finden sich in Arbeitsverträgen häufig Klauseln zur automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze in der gRV. Die arbeitsvertragliche Umsetzung einer Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus erfolgt dann entweder im Rahmen einer sog. Hinausschiebensvereinbarung (§ 41 S. 3 SGB VI), d.h. der Beendigungstermin wird einvernehmlich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, oder durch Neuabschluss eines befristeten Arbeitsvertrags.
Allerdings ist nach § 14 TzBfG für ein anschließendes befristetes Arbeitsverhältnis – anders als bei der Hinausschiebensvereinbarung – ein Sachgrund erforderlich, der nicht in jedem Fall vorliegen dürfte (sog. Anschlussverbot, § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG).
„Aus der arbeitsvertraglichen Umsetzung der Weiterbeschäftigung kann sich auch Regelungsbedarf für die bAV ergeben.“
Mit dem Gesetzesvorhaben zur sog. Wachstumsinitiative, das mit dem Koalitionsbruch ebenfalls in Frage steht, soll ab 2. April 2025 die sachgrundlose Anschlussbefristung für diesen Personenkreis möglich werden.
Aus der arbeitsvertraglichen Umsetzung der Weiterbeschäftigung kann sich auch Regelungsbedarf für die bAV ergeben, bspw. wenn die betriebliche Altersleistung entgegen den Versorgungsbestimmungen auch ohne „Ausscheiden“ gewährt werden soll. Im Falle eines aufgeschobenen Leistungsbezugs stellt sich insb. die Frage, ob hierfür nach der Versorgungsordnung Zuschläge zu gewähren sind.
Fazit: einzelvertragliche Lösungen im Fokus
Es ist künftig mit einem vermehrten Auftreten von Fällen zu rechnen, in denen Arbeitnehmer zugleich Altersrentner in der gRV sind. Jedoch gibt es keinen Automatismus zwischen dem Bezug der gesetzlichen Altersrente und der vorzeitigen betrieblichen Altersleistung. Maßgeblich sind hier weiterhin die Bestimmungen der Versorgungsordnung.
„Derzeit ist kein Trend erkennbar, dass Arbeitgeber dem Fachkräftemangel ‚großflächig‘ durch Gewährung von bAV bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung begegnen.“
Praxisüblich dürften dabei bislang Regelungen sein, die einen gleichzeitigen Bezug von bAV und Arbeitsentgelt ausdrücklich oder im Wege der Auslegung ausschließen. Es ist derzeit kein Trend erkennbar, dass Arbeitgeber dem Fachkräftemangel „großflächig“ durch Gewährung von bAV bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung begegnen. Im Fokus stehen einzelvertragliche Lösungen für Einzelpersonen oder einen ausgewählten Personenkreis.
II. Marcus Müller: Sozialpartnermodell vs. klassische bAV
Die tarifliche Altersversorgung hat in der chemischen Industrie eine über 25jährige Tradition. Anfänglich stand sie neben den vermögenswirksamen Leistungen, doch hat sie diese zwischenzeitlich abgelöst. Seit Ende 2022 gibt es nun neben der „klassischen“ Variante der Entgeltumwandlung das Sozialpartnermodell. In der chemischen Industrie angeboten durch zwei Anbieter.
Das Sozialpartnermodell unterscheidet sich von der klassischen Variante durch höhere Arbeitgeberzuschüsse in Höhe von 15% statt 13% (gemäß Tarifvertrag) „Zuschuss“ pro 100 Euro zusätzlicher Entgeltumwandlung. DerEntgeltumwandlungsgrundbetrag in Höhe von 478,57 Euro plus 134,98 Euro arbeitgeberfinanzierte Chemietarifförderung I ist gleich geblieben. Ferner wird ein Sicherungsbeitrag in Höhe von 5% der Entgeltumwandlungsbeträge durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt.
„Theoretisch wäre der Wechsel aller ca. 5.000 tarifgebundenen Beschäftigten in ein SPM möglich gewesen.“
Nach intensiver Analyse der Situation bei Covestro wurde entschieden, die tarifliche Altersversorgung auch weiterhin in Form einer klassischen bAV im Durchführungsweg Direktzusage durchzuführen. Auf Grund des Auslaufens einer entsprechenden Betriebsvereinbarung wäre theoretisch der Wechsel aller ca. 5.000 tarifgebundenen Beschäftigten inkl. Azubis in ein Sozialpartnermodell möglich gewesen.
Die Gründe: Beratungs- und Schnittstellenaufwand sowie ein noch junger Plan
1. Bis 2021 wurden alle neu eintretenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Mitglied in einer Pensionskasse. Durch den Arbeitgeberbeitrag in Höhe von bis zu 8% des Einkommens ist für viele Beschäftigte eine steuerfreie (§ 3 Nr. 63 EStG) und sozialversicherungsfreie Entgeltumwandlung nicht möglich. Selbst der Entgeltumwandlungsgrundbetrag ist bei Eintritten vor 2005 auf Grund des aktuell hohen Pensionskassenbeitrags nicht steuer- und sozialversicherungsfrei. Theoretisch wäre es möglich gewesen, den Beschäftigten eine Wahlmöglichkeit zwischen „klassischer“ bAV und Sozialpartnermodell zu geben. Dies hätte jedoch zu einem sehr hohen Beratungsaufwand sowie hoher Administration bei Covestro geführt. Es darf auch nicht unterschätzt werden, wie komplex der Aufbau einer neuen Schnittstelle zwischen einem extern Versorgungsträger und der Payroll ist.
2. Covestro hat 2021 einen Kapitalkontenplan (Pensionsplan2021) im Durchführungsweg Direktzusage inklusive eines neuen Vorsorgeportals eingeführt. Personalpolitisches Ziel war, für alle in die bAV eingezahlten Beiträge die gleichen Leistungen zu gewähren.
Bereits 2023 wurde das Entgeltumwandlungsprogramm „Deferred Compensation“ für Außertarifliche Beschäftigte auf die Systematik des neuen Pensionsplan2021 umgestellt.
„Über das Vorsorgeportal hat der Beschäftigte eine exakte Übersicht seiner Versorgungssituation.“
Nach intensiven Diskussionen mit den Betriebsräten wurde daher 2023 beschlossen, auch die tarifliche Altersversorgung auf die Systematik des neuen Pensionsplans2021 umzustellen. Somit erhalten die Beschäftigten für jeden Euro Arbeitgeber- und Arbeitnehmeraufwand in jeder Versorgungsordnung exakt die gleiche Leistung. Über das Vorsorgeportal hat der Beschäftigte eine exakte Übersicht seiner Versorgungssituation (und zwar inklusive Stand seines Langzeitkontos). Das Portal ist über einen Single-Sign-On-Zugang oder über eine Internetseite zu erreichen. Dies gilt auch nach Ausscheiden bei Covestro.
Fazit: Mehrere Wege zur Attraktivität
Mit dem Sozialpartnermodell steht ein renditestarker, für den Arbeitgeber haftungsfreier Durchführungsweg zur Verfügung, der sicherlich ein großes Zukunftspotential birgt. Eine höhere Rendite im Vergleich zu anderen versicherungsförmigen Durchführungswegen kommt letztendlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Form einer höheren Altersrente zugute. Über ein Life-Cycle-Modell, finanziert über ein CTA, kann allerdings ebenso eine attraktive Altersversorgung organisiert werden.
Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.
Autorinnen und Autor:
Andrea Riedinger und Silke Seeger sind Seniorberaterinnen in der bAV-Rechtsberatung der Heubeck AG in Köln.
Marcus Müller ist Pensions- und Benefits-Experte der Covestro Deutschland AG in Leverkusen.
Von Autorinnen und Autoren der Heubeck AG sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
Heubeck Kolloquium 2024 – Full House für die bAV: 18. IVS-Forum: Die Beitragsbemessungsgrenze ab 2025 – Jump wie noch nie (II): Die Beitragsbemessungsgrenze ab 2025: Wachstumschancen-Gesetz: DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (VI): Heubeck-Kolloquium 2022: 15. IVS-Forum: Konkretisierungen aus der Wilhelmstraße: BAG zur Einstandspflicht des Arbeitgebers: BAG urteilt zum 16er:
Es muss nicht immer das Sozialpartnermodell sein ...
von Andrea Riedinger, Silke Seeger und Marcus Müller, 15. November 2024
Under-Cover me
von Michael Metzger und Julia Rose, 15. Oktober 2024
Gold im Hochsprung ...
von Marius Jakobs und Dr. Friedemann Lucius, 19. September 2024
Jump wie noch nie
von Marius Jakobs und Dr. Friedemann Lucius, 11. September 2024
Eine Chance für das Wachstum?
von Martin Knappstein und Dmitrij Heimann, 26. April 2024
Reden wir über unsere Generation
von Katja Jucht und Kai Spier, 17. Juli 2023
Von langen Wegen, kurzen Läufern und Alleskönnern
von Martin Knappstein und René Kublank, 22. November 2022
Von Widerspruch, Politik und Passgenauigkeit
Dr. Christoph Poplutz und Daniel Fröhn, 4. November 2021
Klar, unklar, Vorfreude
von Martin Knappstein, 21. September 2021
Abgerechnet wird zum Schluss
von Alexander Bauer, 21. Juli 2020
In der Praxis meist erfüllt …
von Alexander Bauer, 26. Mai 2020