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Neues BMF-Schreiben zur bAV:

Wirkungstreffer in schwieriger Verpackung

Erst im vergangenen August hatte sich das BMF per Schreiben umfassend zahlreichen Steuerfragen in der bAV gewidmet. Nun musste das Ministerium punktuell nachlegen – doch dies teils mit erheblichen Folgen. Henriette Meissner erläutert Einzelheiten.

 

Henriette Meissner, Stuttgarter.

Das BMF-Schreiben vom 18. März 2022 kommt mit einigen scheinbar kleinen punktuellen Änderungen daher. Die Verpackung ist schwierig: Denn es werden nur die Veränderungen einzelner Sätze oder Einschübe in bestehenden Randnummern aufgezählt. Stellt man dies den Formulierungen des damit nun geänderten BMF-Schreibens vom 12. August 2021 gegenüber, so sieht man echte „Wirkungstreffer“. Insofern hat die Verbandseingabe des GDV, auf die vieles wohl zurückgeht, positive Auswirkungen. Im Einzelnen:

 

1. Das Entfallen des Ausscheideerfordernisses


Auf der Wunschliste der Praxis stand schon länger eine Klarstellung für alle Durchführungswege zur steuerlichen Beurteilung einer Auszahlung ab 60. / 62. Lebensjahr bei Fortbestehen der beruflichen Tätigkeit. Die
Vor-Vorgängerschreiben sahen eine Steuerunschädlichkeit „insbesondere“ bei den versicherungsförmigen Durchführungswegen; zuletzt wurden abschließend nur noch Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds aufgezählt – was v.a. die Unterstützungskassen irritierte. Denn durch die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung nehmen die Fälle signifikant zu, in denen die ursprüngliche vereinbarte Altersgrenze und das Ausscheiden nicht mehr zusammenfallen.

 

Nun wird in Rn 3 endlich klargestellt, dass es generell steuerlich unschädlich ist, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Auszahlung das 60. Lebensjahr erreicht, aber seine berufliche Tätigkeit noch nicht beendet hat.


2. Förderfähigkeit von Matchingmodellen und sonstiges zum § 100 EStG


Ärgerlich für viele Unternehmen, die bAV in Form von Matching Contribution-Modellen anbieten, war die Unklarheit, ob für Niedrigverdiener der arbeitgeberfinanzierte Teil auch nach § 100 EStG förderfähig ist.
Gegenüber dem GDV hatte das das BMF in einem Schreiben schon 2020 klargestellt, doch das BMF-Schreiben vom 12. August 2021 ließ die entscheidende Passage missen.

 

 

 

Im Lohnkonto muss nun dokumentiert werden, dass zum Zeitpunkt der Beitragsleistung die Einkommensgrenzen nach § 100 EStG nicht überschritten waren.“

 

 

 

Das wird nun nachgeholt. Etwas widerwillig, wie das „noch“ in der Formulierung der Rn 111 vermuten lässt. Demnach liegen zusätzliche Beiträge des Arbeitgebers, die damit auch förderfähig nach § 100 EStG sind, auch dann „noch“ vor, wenn bei sog. „Freiwilligen Matching-Modellen“, die Höhe des Arbeitgeberbeitrags in Anknüpfung an eine Entgeltumwandlung erfolgt. Nun muss nur noch die Lohnabrechnung zwischen dem gesetzlich vorgeschriebenen (und damit nicht freiwilligen) Arbeitgeberzuschuss nach § 1a (1a) BetrAVG und dem darüberhinausgehenden freiwilligen Arbeitgeberzuschuss richtig unterscheiden – und der Förderbeitrag kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 100 EStG geltend gemacht werden.

 

Apropos Lohnabrechnung – da verschärft das BMF nochmals seine Vorgaben zur richtigen Abrechnung in den Rn 113 und 131. Im Lohnkonto muss nun zum einen dokumentiert werden, dass zum Zeitpunkt der Beitragsleistung die Einkommensgrenzen nach § 100 EStG nicht überschritten waren (Rn 113). Und es muss aufgezeichnet werden, dass in das Unternehmen neu eintretende Arbeitnehmer nicht schon im Referenzjahr 2016 einen zusätzlichen Arbeitgeberbeitrag erhalten haben und 2016 oder danach aus dem Unternehmen ausgeschieden sind (Rn 131).

 

3. BFH-Urteil zur Abgrenzung Alt-/Neuzusage wird umgesetzt

 

Alte Kämpen der bAV wissen um die Schwierigkeiten der Abgrenzung von Alt- / Neuzusage, an der sich das BMF wacker seit dem BMF-Schreiben vom 17. November 2004 und den nachfolgenden Updates versucht hatte.

 

Das BFH hatte jüngst dem Kriterium „Hinzukommen eines neuen biometrischen Risikos“ für die Einordnung als Neuzusage mit Urteil vom 1. September 2021 (VI R21/19) nur noch eine Indizwirkung zugesprochen. Für das BMF ist das Kriterium nunmehr unbeachtlich (Rn 85 und 177).

 

4. Alte Fragen mit verbindlicher Klärung: Förderung nach § 3 Nr. 63 vs. 10a EStG

 

Immer wieder kam es in der Praxis zu Nachfragen über das Verhältnis der beiden Förderarten zu einander. Das stellt das BMF in der Rz 41 nun klar. Verzichtet der Arbeitnehmer auf die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 63 Satz 1 EStG und verlangt die individuelle Besteuerung und Förderung nach § 10a EStG, so vermindert sich das steuerfreie Dotierungsvolumen des § 3 Nr. 63 S. 1 EStG.


Verzichtet der Arbeitnehmer auf den Verzicht, so bleibt das steuerfreie Dotierungsvolumen in vollem Umfang nutzbar, und für die darüber hinaus geleisteten, individuell besteuerten Beiträge kann die Förderung durch den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG und die Zulagen nach Abschnitt XI EStG (zusätzlich) beansprucht werden.


Im letztgenannten Falle kann der Arbeitnehmer also das komplette Fördervolumen des § 3 Nr. 63 Satz 1 EStG und darüber hinaus die Riesterförderung nutzen. Das ist für die Beratungspraxis, aber auch für die Lohnabrechung, die die Voraussetzungen im Lohnkonto richtig dokumentieren muss, von Bedeutung.


5. Nachsicht bei der Fünftelregelung


Der § 34 EStG, der für die Durchführungswege Pensionszusage und Unterstützungskasse wichtig ist, war bisher für Teilkapitalauszahlungen über mehrere Jahre gesperrt. Mit Verweis auf ältere BMF-Schreiben – insb. vom 4. März 2016 (dort Rn 147) – erklärt das BMF nun geringfügige Teilleistungen als unschädlich. Dort werden aus Vereinfachungsgründen geringfügige Zahlungen insb. nicht beanstandet, wenn diese nicht mehr als 10% der Hauptleistung betragen. Darüber hinaus kann eine Zahlung unter Berücksichtigung der konkreten individuellen Steuerbelastung als geringfügig anzusehen sein, wenn sie niedriger ist als die tarifliche Steuerbegünstigung der Hauptleistung.


Zuletzt werden in den Rn 54/55 noch zwei Redaktionsversehen betreffend § 8 Abs. 2 BetrAVG korrigiert.


Fazit:

Detlev-Rohwedder-Haus in Berlin, Dienstsitz des BMF (Architekt Ernst Sagebiel).
Foto: BMF/Hendel.


Mit etwas Verspätung hat das BMF einige offene Baustellen der bAV-Besteuerung, welche insb. die Beratungspraxis verkompliziert hatten, geschlossen. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen. Umgekehrt bleibt zu hoffen, dass der § 100 EStG künftig nicht weiter regulatorisch überfrachtet wird.

 

Die Autorin ist Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH und Generalbevollmächtigte für die bAV der Stuttgarter Lebensversicherung a.G..

 

Von ihr sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

 

#womeninpensions-Kommentar – mit Wirkung auf die bAV (III):
Die Elterngeldfalle
von Dr. Henriette Meissner, 9. März 2023

Neues BMF-Schreiben zur bAV:
Wirkungstreffer in schwieriger Verpackung
von Dr. Henriette Meissner, Stuttgart, 2. Mai 2022

Nachruf – in Gedenken an Dr. Birgit Uebelhack:
Eine Dame …
von Dr. Henriette Meissner, Stuttgart, 4. Juni 2021

Sperrfeuer – der Kommentar auf LEITERbAV:
Nichts Genaues …
von Dr.Henriette Meissner, 29.September 2020

Experten aus der Praxis erörtern an drei Terminen im September die Chancen und Herausforderungen der neuen Betriebsrente:
bAV-Reform: „Der Informationsbedarf ist hoch“
von Dr. Henriette Meissner, 7. August 2017

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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