GIF_HP_v5_bergsteiger

Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Vom Arbeitsrecht zum Steuerrecht:

Erfurt, Kiel, München

Ein Unternehmen wollte eine Rückstellung bilden, nachdem es für Altzusagen die Escape-Klausel eingeführt hatte. Doch die Finanzverwaltung stellte sich – unter Verweis auf das Arbeitsrecht – quer. Prompt ging die Sache vor Gericht. Es ist nicht der erste derartige Fall. Doch auch, wenn diesmal die Finanzverwaltung obsiegt hat: Ohnehin werden beide Fälle den Weg nach Bayern antreten. Claudia Veh erläutert Einzelheiten.

Im vergangenen November hatte die Autorin über das Urteil 6 K 2351/19 K des FG Düsseldorf vom 15. Januar 2024 berichtet, in dem es um die Anwendung der Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG auf Altzusagen, d.h. Zusagen, die vor dem 1. Januar 1999 erteilt worden sind, und die entsprechende bilanzielle Erfassung ging.

Claudia Veh, Deloitte.

Nun wurde erneut ein Fall bezüglich der Anwendung dieser Escape-Klausel auf Altzusagen vor einem deutschen Finanzgericht ausgetragen, dieses Mal vor dem FG Schleswig-Holstein.

Der Fall: Konzern-BV und neuer Rentenplan

In einem Konzern bestanden Direktzusagen auf Basis einer Betriebsvereinbarung (BV) aus der Zeit vor 1999. Die Anpassung laufender Leistungen sollte nach § 16 BetrAVG erfolgen.

Im Jahr 2005 wurde ein neuer Rentenplan eingeführt, der für künftig zu erwerbende Anwartschaften gelten sollte. Hinsichtlich der Anpassung laufender Leistungen beinhaltete der neue Rentenplan folgende Regelung:

Der Arbeitgeber verpflichtet sich, die laufenden Versorgungsleistungen jährlich um 1 % anzupassen (§ 16 Abs. 3 BetrAVG)“.

In einer Anlage zum neuen Rentenplan wurden Übergangsregelungen für Mitarbeiter, die bereits vor 2005 im Unternehmen tätig und Begünstigte der bisherigen BV waren, festgehalten. Demnach werden Anwartschaften in künftigen Dienstjahren nach dem neuen Plan erworben. Für die bisher erworbenen Anwartschaften wurde eine Besitzstandsrente ermittelt.

Im Jahr 2006 wurde eine weitere Vereinbarung geschlossen, die folgende Regelung beinhaltete:

Gemäß § 22 Konzern-BV ist der Arbeitgeber verpflichtet, die laufenden Versorgungsleistungen jährlich um ein Prozent anzupassen. Hiermit wird festgelegt, dass sowohl bei der Besitzstandsrente wie auch bei Anwendung der Mindestrente die Regelungen des Rentenplans hinsichtlich Rentenanpassungen, Berechnungen von Witwen- und Waisenrenten sowie Hinterbliebenenversorgungs-Optionen für die Gesamtrente gelten.“

Garantierte Anpassung laufender Leistungen um 1% jährlich mit entsprechender Rückstellungsbildung auch für Altfälle

Dementsprechend wurde bei der Ermittlung der Pensionsrückstellungen für alle bestehenden Zusagen ein Rententrend in Höhe von 1% berücksichtigt, auch für Mitarbeiter, die bereits vor dem 1. Januar 1999 auf Basis der ursprünglichen BV eine Zusage auf bAV erhalten hatten („Altfälle“).

Beanstandung durch die Betriebsprüfung wegen Verstoß gegen § 30c Abs. 1 BetrAVG

Bei einer Außenprüfung beanstandete jedoch die Fachprüferin für bAV die berücksichtigte garantierte Rentenanpassung. Sie sah darin einen Verstoß gegen § 30c Abs. 1 BetrAVG. Denn nach dieser Vorschrift ist die sogenannte Escape-Klausel des § 16 Abs. 3 Nr. 1 EStG (garantierte Rentensteigerung von mindestens 1% jährlich) nur für Zusagen einschlägig, die nach dem 31. Dezember 1998 erteilt wurden bzw. werden.

Die Mitarbeiter mit Zusagen vor dem 1. Januar 1999 hätten ihres Erachtens auf diese garantierte Rentenanpassung keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch, deswegen scheide eine Berücksichtigung bei den Pensionsrückstellungen aus. Es handele sich um freiwillige und damit widerrufliche Erhöhungen.

Das Unternehmen war hingegen der Meinung, es wäre auf Basis einer wirksamen BV verpflichtet, laufende Leistungen um 1% jährlich zu dynamisieren. Insofern bestünde ein Rechtsanspruch. Ob die garantierte Rentenanpassung die Regelung den § 16 Abs. 1 BetrAVG abbedingen sollte, sei für die Frage der Bilanzierung nicht relevant.

Weiter stelle die garantierte 1%ige Erhöhung in den Jahren, in denen die allgemeine Anpassungsprüfungs- und -entscheidungspflicht des § 16 Abs. 1 BetrAVG zu einer niedrigeren Anpassung führen würde, eine vertraglich zugesicherte Mindestanpassung dar. Andernfalls, also wenn die Regelung des § 16 Abs. 1 BetrAVG zu einer höheren Anpassung führen würde, wäre die zugesicherte Anpassung um 1% auf die Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG anzurechnen.

Eine Anpassungsprüfung und -entscheidung auf Basis des § 16 Abs. 1 BetrAVG war allerdings tatsächlich nicht durchgeführt worden.

Entscheidung des FG: garantierte Rentensteigerung nicht rückstellungsfähig …

Das FG Schleswig-Holstein kam mit Urteil 1 K 41/23 vom 5. Februar 2025 zu dem Ergebnis, dass die Versorgungsempfänger (Altfälle) keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf eine jährliche 1%ige Anpassung ihrer laufenden Versorgungsbezüge i.S.d. § 6a Abs. 1 Nr. 1 EStG haben. Es kann also für die 1%ige Dynamisierung laufender Leistungen steuerbilanziell keine Pensionsrückstellung gebildet werden.

Ein Nebeneinander von garantierter (Mindest-)Anpassung von 1% und Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG – wie vom Unternehmen vorgetragen – erscheint dem Gericht mit Bezug auf die einschlägige Rechtsprechung des BAG sowie arbeitsrechtliche Grundsätze zwar grundsätzlich als möglich, jedoch nicht dergestalt, dass mit der 1%igen Anpassung der § 16 Abs. 1 abbedungen werden soll. Ist dies der Fall, d.h. soll die garantierte Anpassung die Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG verdrängen, ist die neue Anpassungsregelung unwirksam.

wegen unzulässiger Abbedingung des § 16 Abs. 1 BetrAVG

Vorliegend war das Gericht davon überzeugt, dass mit der 1%igen Anpassung der § 16 Abs. 1 ersetzt werden sollte – denn es fand sich keine entsprechende Anrechnungsregelung in den Vereinbarungen, und es wurde auch tatsächlich nicht so verfahren.

Damit ist die Klausel unwirksam. Da kein Rechtsanspruch auf die garantierte Anpassung besteht, ist sie auch nicht rückstellungsfähig.

Auch hier: Final zu klären in München

Die Revision war zugelassen, wovon das Unternehmen Gebrauch gemacht hat. Damit muss – wie auch im oben erwähnten Urteil des FG Düsseldorf – abgewartet werden, wie der BFH den Sachverhalt beurteilt.

Der Bundesfinanzhof in München.

Claudia Veh ist Aktuarin und Partnerin der B&W Deloitte GmbH in München.

Von Deloitte-Autorinnen und -Autoren sind zwischenzeitlich bereits aufPENSIONSINDUSTRIES erschienen:

Vom Arbeitsrecht zum Steuerrecht:
Erfurt, Kiel, München
von Dr. Claudia Veh, 22. Mai 2025

Neulich in Köln – der sachliche Geltungsbereich des BetrAVG:
Dreimal Nein am Rhein
von Dr. Claudia Veh und Dr. Lars Hinrichs, 7. April 2025

Von Stuttgart nach München:
Direktzusage, RDV, Verzicht, Pensionsfonds, vGA?
von Dr. Claudia Veh, 17. Februar 2024

Erst Arbeitsgericht, dann Finanzgericht:
Erfurt, Düsseldorf, München
von Dr. Claudia Veh, 21. November 2024

BMF vs. BFH zu GGF-bAV-vGA – Breaking the Case Law (II):
Wer wie was vGA?
von Dr. Claudia Veh, 1. Oktober 2024

BRSG 2.0-E (X) – Spot on SPM:
Die Frage der Einschlägigkeit
von Dr. Klaus Friedrich, Dr. Lars Hinrichs und Dr. Claudia Veh, XX. August 2024

Vergangenen Februar in München:
vGA? Ja. Auflösung der Rückstellung? Nein!
von Dr. Claudia Veh, 31. Juli 2024

Studie zur bAV:
Schnelles Bündel
von Dr. Klaus Friedrich und Dr. Christian Schareck, 19. August 2018

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.