Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Am Dienstag in Erfurt (I):

Schon wieder Großkampftag im Dritten …

Senat des höchsten deutschen Arbeitsgerichtes: Vier Verfahren müssen am kommenden Dienstag auf dem Erfurter Petersberg verhandelt werden. Eines davon reicht weit zurück in die Vergangenheit der staatsökonomischen Strukturen einer Bundesrepublik, die es so nicht mehr gibt – und ist ohnehin etwas speziell. Das sind die anderen aber auch.

Liebe Leserin, lieber Leser, haben Sie Interesse an einer kleinen bAV-Zeitreise zurück in die Neunziger Jahre? Und tariftechnische Details schrecken Sie nicht? Dann sind Sie hier und heute richtig. Es geht drei Jahrzehnte zurück, in die Jahre des letzten Kabinetts Kohl, als Staatsunternehmen wie Post, Telekom und Lufthansa privatisiert wurden und man Regelungen treffen musste, wie mit dem typischerweise schwierigsten, langfristigsten, verästeltsten und hochvolumigsten Brocken in der ganzen Sache umzugehen ist: mit der betrieblichen Altersversorgung. Die Sache war komplex, und es mussten Regelungen gefunden werden, welche die Unternehmen privatisierungs- bzw. börsentauglich machen.

Konflikte bleiben bei solchen Transformationen nicht aus, und manche ziehen sich bis heute. So auch der Fall 3 AZR 65/24, der sich um tarifliche Besitzstandsrenten, mittelbare Geschlechter-Diskriminierung und die Anerkennung von Erziehungszeiten als Wartezeit dreht, geschildert in den Worten des Dritten Senats:

Seit dem 28. Juni 1990 bestand zwischen Klägerin und Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis, für das kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost, insb. der Versorgungstarifvertrag (VTV), galten. Der VTV verwies bezüglich der Versicherungsbedingungen auf die Satzung der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP-Satzung). In dieser steht u.a.:

§ 34 Anspruch auf Versorgungsrente und Versicherungsrente (1) Tritt bei dem Versicherten, der die Wartezeit (§ 35) erfüllt hat, der Versicherungsfall (§ 36 I) ein und ist er in diesem Zeitpunkt a) pflichtversichert, hat er Anspruch auf Versorgungsrente für Versicherte (…)

§ 35 Wartezeit (1) Die Wartezeit ist nach einer Versicherungszeit von mindestens fünf Jahren erfüllt. Versicherungszeit sind Umlagemonate und die Zeit der freiwilligen Versicherung.“

Kennen nur noch alte Säcke.

Die Beklagte führte im Rahmen der Pflichtversicherung die entsprechenden Umlagen zum Arbeitsentgelt der Klägerin an die Versorgungsanstalt ab, nicht jedoch für die Zeiten ihres Erziehungsurlaubs in der Zeit vom Februar 1992 bis zum November 1996. Im Zusammenhang mit der Privatisierung der damaligen Deutschen Bundespost wurde die bAV der Beklagten durch neue Regelungen abgelöst. Insbesondere wurde mit Tarifvertrag Nr. 18 vom Februar 1997 der VTV Ende April 1997 außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig trat zum 1. Mai 1997 der Tarifvertrag zur Regelung des Besitzstandes aus der bisherigen VAP-Zusatzversorgung in Kraft (TV BZV), der eine besondere Besitzstandskomponente regelte, die den Besitzstand gemäß des bis zum 30. April 1997 geltenden VTV abbildete, ergänzt um eine modifizierte Betriebsrente.

Die Besitzstandswahrungskomponente des TV BZV vom 28. Februar 1997 wurde später durch Tarifvertrag modifiziert und ist seitdem als sog. Besitzstandsbetrag ausgestaltet. Die hierzu gehörigen aktuellen Regelungen des TV BZV (Tarifvertrag Nr. 18) vom 28. Februar 1997 idF vom 1. Januar 2016 lauten ausschnittsweise wie folgt:

Der Besitzstandsbetrag wird nur gewährt, wenn am 31. Dezember 2001 eine Anwartschaft auf Besitzstandswahrungskomponente bestand.“

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihre Erziehungszeiten vom Februar 1992 bis November 1996 als Wartezeit bei der Berechnung der Besitzstandsrente anzuerkennen. Sie meint, dass die Erziehungszeiten bei der Wartezeit iSd. § 35 VAP-Satzung anzuerkennen seien, mit der Folge, dass ihr eine Besitzstandsrente im Falle der Post-Beschäftigungsunfähigkeit zustünde, die bei einem Eintritt des Versorgungsfalls ca. 80,00 Euro pro Monat betragen würde. Dass nach § 2 TV Nr. 18 der Besitzstandsbetrag nur gezahlt werde, wenn am 31. Dezember 2001 eine Anwartschaft auf eine Besitzstandskomponente nach der VAP-Satzung bestanden hat, sei nicht rechtens, denn die Nichtberücksichtigung von Erziehungszeiten sei eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, da hauptsächlich Frauen diese Erziehungszeiten in Anspruch nähmen und eine Rechtfertigung für die Nichtberücksichtigung nicht gegeben sei.

Auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei gegeben. Im Rahmen der Betriebsrente Post werde die gesetzliche Elternzeit explizit bei der Erfüllung der Wartezeit anerkannt.

Ist doch alles schon geklärt, sagt die Beklagte …

Die Beklagte vertritt dagegen die Rechtsauffassung, dass die vorliegende Rechtsfrage bereits durch die Entscheidung 3 AZR 370/08 des Senats vom 20. April 2010 zu ihren Gunsten geklärt worden sei. Eine Berücksichtigung des Erziehungsurlaubs bei der Berechnung der Besitzstandsrente ergebe sich weder aus den tarifvertraglichen Regelungen noch aus dem Vorgaben des AGG noch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

Das BAG auf der Erfurter Zitadelle. Foto: Bazzazi.

Ein Arbeitgeber müsse dann keine bAV-Beiträge leisten, wenn das Arbeitsverhältnis, wie im Falle des Erziehungsurlaubs, im Ganzen ruhe. Zudem habe sich die Neuregelung der bAV zum 1. Mai 1997 bei der Klägerin nicht wie von ihr behauptet „anspruchsvernichtend“ ausgewirkt, denn die Versicherungszeiten in der damaligen VAP-Versorgung seien in die neue Altersversorgung mit einem Faktor 1,4 überführt worden.

und die Vorinstanzen auch

Stephanie Rachor, BAG. Foto: BAG.

Das ArbG hatte die Klage abgewiesen. Das LAG München hatte die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin mit Urteil 7 Sa 206/23 vom 28. November 2023 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Nun also Erfurt.

Außerdem hat der Dritte Senat am gleichen Tag drei weitere Fälle zu entscheiden:

Testament oder bAV?

3 AZR 118/24: Bestehen einer betrieblichen Altersversorgung und Zahlung einer Betriebsrente. Vorinstanz: LAG BW Kammern Freiburg mit 11 Sa 45/22 vom 20. Februar 2024. Dessen Leitsatz: „Ein Versprechen, nach dem einer Arbeitnehmerin eine Rente nach dem Tod des Versprechenden gezahlt wird, stellt mangels Absicherung eines biometrischen Risikos des Arbeitnehmers keine bAV dar.“

Voll oder teils PSV?

3 AZR 130/24: Einstandspflicht des PSV für eine Versorgungszusage. Vorinstanz: LAG Köln mit 5 Sa 457/23 vom 24. Februar 2024. Komplizierter Fall.

Wenn die Pensionskasse als Arbeitgeber anpassen soll

3 AZR 142/24: Betriebsrentenanpassung. Vorinstanz: LAG Düsseldorf mit 12 Sa 683/23 vom 24. Februar 2024. Dessen Leitsatz: „Eine Pensionskasse kann sich auf § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG berufen, wenn sie von einem ehemaligen eigenen Arbeitnehmer auf Anpassung gem. § 16 Abs. 1 BetrAVG in Anspruch genommen wird. Die Vorschrift findet auch bei Personenidentität von Arbeitgeberin und Pensionskasse Anwendung.“

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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