Regelmäßig Freitags – heute ausnahmsweise am Montag – bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: 800 Milliarden.
Focus.de (15. August): „Regierung setzt bei Pensionszahlungen auf Schuldentilgung.“
Unter früherer CDU-Führung hat das Land Thüringen eine sehr zweifelhafte Strategie verfolgt, die Pensionslasten seines Beamtenapparates in den Griff zu kriegen: Ein Pensionsfonds, gefundet mit den eigenen Staatsschulden. Der damalige Finanzminister Wolfgang Voß schien eine solche Luftbuchung sogar ernsthaft für seriös zu halten.
Nun, unter Rot-grün-rot, verfolgt das Land eine andere Strategie, nämlich die der Schuldentilgung. Grundsätzlich ist das eine begrüßenswerte Maßnahme, doch gelten in diesen Zeiten bekanntlich andere Regeln. Daher sei hier (gerafft) wiederholt:
„…wenn man davon ausgeht, dass die Zinsen, die jetzt niedrig sind, irgendwann auch wieder nachhaltig steigen, und wenn man weiß, dass dieses Land dann immer auch massiv vom Kapitalmarkt abhängig sein wird (wenn es also kein QE mehr gibt), wäre es dann nicht klüger, statt Schulden zu tilgen jetzt vielmehr Schulden zu machen?
Andere Euro-Staaten emittieren (vermutlich eben aus dieser Motivation heraus) fleißig Langläufer. Wenn Deutschland jetzt also 100-jährige am Rande der Nullverzinsung emittieren würde, dann könnte es mit diesem Geld ohnehin längst überfällige Aufgaben erfüllen, die irgendwann sowieso finanziert werden müssen – die Vernachlässigung von Infrastruktur, Polizeien, Bundeswehr etc. könnte durchaus ein paar Hundert Milliarden kosten, die Sanierung der Altersvorsorgesysteme einschließlich Förderung der bAV übrigens auch. Dann ist es doch besser, diese Aufgaben dann zu finanzieren, wenn die Zinsen niedrig sind – besonders, wenn man ohnehin mit beizeiten wieder steigenden Zinsen rechnet. Im Übrigen gilt, dass ein Land, das 100jährige zum Nullzins emittiert, sich damit praktisch sein Geld von heute selbst druckt. Denn eine Zinslast entfällt, und die Fälligkeit werden vermutlich selbst die Kinder der Verantwortlichen kaum erleben, die zugrundeliegenden Staaten und Währungen möglicherweise auch nicht.
Diese Sicht auf die Dinge verstärkt sich noch, wenn man die Existenz des QE in die Betrachtung einbezieht: Jedem klar Denkenden ist bewusst, dass die von der EZB via QE aufgehäuften Staatsschulden von den Emittenten nie, nie, niemals mehr zurückgezahlt werden, denn dies ist schlicht unmöglich. Die EZB wird sie eines Tages entweder sang- und klanglos abschreiben oder aber – etwas eleganter, aber faktisch das gleiche – von den Staaten mit 100- oder 200-jährigen zum Nullzins refinanzieren lassen. Auch hier gilt also: Die Schulden von heute kosten nichts, und wenn sie nur langfristig genug aufgenommen sind, kosten sie auch morgen nichts. Umgekehrt gilt: Die billigen Schulden, die man heute tilgt, müssen die Nachfolger morgen – möglicherweise – teuer neu aufnehmen.
Fazit: Es gilt also auch hier der alte Satz 'As long the Music is playing, you have to dance.' Wenn man nun Schulden tilgen will, ist das zwar ordnungspolitisch auf den ersten Blick anständig, aber in einer Euro-Welt, die sich mit QE et.al längst von jeder echten Ordnungspolitik verabschiedet hat, taktisch und strategisch unklug. Im Umfeld umfassender ordnungspolitischer Abstinenz ein kleines ordnungspolitisches Fähnchen hochzuhalten, mag vielleicht beim Wahlvolk gut ankommen. Wirtschaftspolitisch zielführend ist es jedoch nicht, und wirtschaftspolitisch raffiniert schon gar nicht.“
Übrigens: Im vorliegenden Fall plant die Regierung Thüringens, Lehrer wieder zu verbeamten. Damit wird die Saat für Pensionslasten gelegt, die viel größer sind als alles, was das Land nun an Schulden zu tilgen in der Lage wäre.
Süddeutsche Zeitung (15. August): „Bundesverfassungsgericht lässt EZB-Anleihenkäufe überprüfen.“
Im Ernst, was soll denn dabei rauskommen? Etwa, dass der EuGH amtlich feststellt, was jeder weiß: dass es sich um verbotene Staatsfinanzierung handelt? Also Rückabwicklung des gesamten QE-Volumens? Italien, Frankreich et.al. müssen gegen echtes Geld der EZB ihre Sovereigns wieder abnehmen?
Um zu erkennen, dass das irreal ist, muss man kein Experte sein. Eine Rückabwicklung, ja nur ein Stopp des QE wäre nicht nur ökonomisch unmöglich, sondern auch politisch unerwünscht.
Außerdem ist ganz Euroland auf dem ordnungspolitischen Katastrophenweg Weg des QE nun schon viel zu weit fortgeschritten, als dass es noch einen anderen Ausweg, einen anderen Exit gäbe als den, das Spiel nun auch bis zu Ende zu spielen. Auf halben Wege aussteigen geht nicht. Wie das (und zwar ausschließlich) gehen könnte, ist auf diesem Medium jüngst schon mehrfach skizziert worden.
Insofern kann und darf weder der EuGH noch das BVerfG ein anderes Urteil fällen als das eines „Weiter so“. Wenn überhaupt, wird man in beiden Gerichtshöfen zu den heute üblichen „Ja, aber“-Urteilen kommen, um das Gesicht zu wahren. Und da sind wir schon bei dem einzig relevanten Aspekt dieser Sache:
Denn auch wenn gerade das BVerfG zwar nicht die Möglichkeit hat, hier das Ruder herumzureißen, so kann es doch äußerst wichtige Weichen stellen, und zwar im deutschen Interesse. Das Gericht kann im Zuge seines erwartbaren „Ja, aber“-Urteils der Bundesregierung und der Bundesbank auftragen, mit dem Druckmittel des Ausstieges die EZB bzw. die anderen Euroländer immerhin zu zwingen:
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dass die EZB beim Kauf der Sovereigns (also dem Kern der Staatsfinanzierung) den Capital Key strikt einhält (das scheint nämlich seit einiger Zeit nicht mehr vollständig der Fall zu sein).
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dass praktisch extrakonstitutionale Maßnahmen wie ANFA, bei denen sich Staaten stumpf ihre eigenen Euros drucken, strikt verboten und ggf. gar rückabgewickelt werden müssen, mindestens aber für die anderen Euro-Länder ein Ausgleich nach dem Capital Key erfolgt.
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dass Deutschland das Recht erhält, seine Target-II-Salden stets von der EZB per Überweisung an die Bundesbank ausgleichen zu lassen.
Das wären Punkte, die zu fordern das Rückgrat des BVerfG ausreiche sollte. Ein solches Urteil würde zwar in Brüssel, Paris, Rom, Madrid und Lissabon für Ärger sorgen, ebenso in dem schicken neuen Glaspalast im Frankfurter Ostend, doch schließlich bliebe dort nichts weiter übrig, als zähneknirschend zu akzeptieren. Damit wäre schon sehr sehr viel gewonnen, und das wäre das Maximale an Dienst, den die Verfassungsrichter ihrem Land noch erweisen können.
Käme es so, dann reden wir also von rund 800 Milliarden Euro Target-II-Salden, welche die EZB per Knopfdruck an die Bundesbank und damit an die Bundesrepublik Deutschland zu überweisen hätte. Was tun damit?
Der Aufgaben gäbe es genug: Infrastruktur sanieren, bAV fördern oder noch besser: einen nationalen Pensionsfonds speisen, der nach norwegischem Vorbild im Ausland Real Assets erwirbt. Ergebnis: Deutschland bekäme seine Export-Überschüsse zur Abwechselung einmal wirklich bezahlt, und als Nebeneffekt wäre damit auch die Leistungsbilanz wieder ausgeglichen, also genau das, was u.a. Donald Trump, Brüssel und Paris stets lauthals fordern (das Dümmste, was man mit dem Geld machen könnte, wäre übrigens Schuldentilgung in einem Nullzinsumfeld, s.o.).
Fazit: Wenn man schon nicht verhindern konnte, dass der QE-Kuchen völlig über Gebühr aufgeblasen worden ist und nun weiter aufgeblasen werden muss, dann sollte man wenigstens dafür sorgen, dass das eigene Land seinen Anteil an dem Kuchen erhält, anstatt ihn fast komplett zu bezahlen.
OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
Spiegel-online (20. August): „Türkei in Syrien – Erdogan riskiert einen Flächenbrand.“
Kassandra hat schon seit ein paar Jahren geunkt, dass die Türkei in ihrer Geostrategie und in ihrem Bemühen, neue Ordnungsmacht im Nahen Osten zu werden, den Kardinalfehler gemacht hat, über Unordnung zu diesem Ziel gelangen zu wollen. In der Folge werde sie, wo die Sache mehr und mehr aus dem Ruder läuft, am Ende vielleicht nicht um eine militärische Intervention herumkommen – Ende offen.
Der Bericht der beiden Spiegel-Korrespondenten lässt ein solches Szenario nun offenbar zunehmend wahrscheinlicher werden. Das wäre humanitär und politisch nicht weniger als eine veritable Katastrophe – für die Türkei, für die Region und für Europa und Deutschland, sind doch die beiden äußerst fragilen Problemfelder Terrorismus und Flüchtlinge untrennbar mit der weiteren Entwicklung in der Region verknüpft.