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Offene Fragen nach dem Fall der Hinzuverdienstgrenzen:

Der Teufel trägt Pensions

Es klang so einfach: In den Jahren von Fachkräftemangel und Rente mit 63 wollte der Gesetzgeber mit einem schnellen, längst überfälligen legislativen Federstrich älteren Menschen das Weiterarbeiten nach Renteneintritt ermöglichen. Doch wie so oft steckt der Teufel im bAV-Detail. Jedenfalls sind in dem Komplex mit seinen endlos vielen Fallgestaltungen zahlreiche Fragen offen – die wenig überraschend vor Gericht geklärt werden müssen. Ein wichtiger Aspekt: die Rolle tarifvertraglicher Regelungen. Auch wenn hier die gegenwärtige Rechtsprechung die Position der Arbeitgeber tendenziell stärkt, rät Anja Sprick ebenjenen, sich der Sache früh anzunehmen.

Anja Sprick, Longial.

Angesichts des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels sind viele Unternehmen auf die Erfahrung älterer Beschäftigter angewiesen, während gleichzeitig immer mehr Arbeitnehmer auch nach ihrer Verrentung noch weiterarbeiten wollen: Aktuell erzielt in Deutschland mehr als jeder Dritte nach seinem Rückzug aus dem Arbeitsleben noch ein Erwerbseinkommen.

Wer seinen Ruhestand nicht in Untätigkeit verbringen oder den Betrieb trotz Frührente noch eine gewisse Zeit mit seiner langjährigen Erfahrung unterstützen wollte, für den stellten die Hinzuverdienstgrenzen in der gRV lange ein Hemmnis dar. Um dieses zu überwinden, hat der Gesetzgeber seit dem 1. Januar 2023 die Hinzuverdienstgrenzen für vorgezogene Altersrenten vollständig abgeschafft. Seither ist ein gleichzeitiger Bezug von Arbeitsentgelt und gesetzlicher Altersleistung ohne Nachteile möglich: Frührentner dürfen also ein Zusatzeinkommen in beliebiger Höhe erzielen, ohne dass ihre Leistungen aus der gRV deshalb gekürzt werden.

Einfach weiterarbeiten – nicht ganz!

Diese Regelung sollte Arbeitgeber ermutigen, ausgewählten Fachkräften eine Weiterbeschäftigung anzubieten, bevor sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Diese sollten durch die Aussicht, ihr Einkommen in Kombination mit der Rente aufbessern zu können, zum Bleiben motiviert werden. Doch ganz so einfach geht die Rechnung für beide Seiten nicht auf – insb., wenn die bAV ins Spiel kommt

So bringt die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern sowohl im Rahmen einer vorzeitigen Altersrente als auch nach Erreichen des Rentenalters für Unternehmen und die Arbeitsrechtspraxis einige Herausforderungen mit sich (in diesem Beitrag wird nur die arbeitsrechtliche Ebene betrachtet; die steuerrechtliche wirft ihre ganz eigenen Fragen auf).

Herausforderungen bei einer Weiterbeschäftigung

Das gilt insb. dann, wenn alte Versorgungszusagen nur auf die Vollendung des 65. Lebensjahres ausgerichtet sind, der Arbeitnehmer aber über das Erreichen der Altersgrenze hinaus weiterarbeiten und damit auch weitere Anwartschaften auf betriebliche Leistungen erwerben möchte.

Aktuelle Entscheidungen, wie LAG Hamburg 1 Ca 283/20 vom bzw. des BAG 3 AZR 244/23 vom 2. Juli 2024 sowie des LAG Düsseldorf 6 Sa 1198/23 vom 12. April 2024, zeigen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und die praktische Umsetzung mit einigen Problemen behaftet sind – v.a., wenn Tarifverträge besondere Regelungen vorsehen.

Gleichbehandlung bei Anrechnung von Beschäftigungszeiten?

Das LAG Hamburg hatte in besagtem Verfahren den Standpunkt vertreten, dass ein Arbeitgeber bei der Berechnung der bAV alle Beschäftigten gleichbehandeln muss. Das gilt selbst dann, wenn sich einzelne Arbeitnehmer zu einem früheren Zeitpunkt gegen eine bestimmte Versorgungsform entschieden hatten (in diesem Fall die der VBL), die auf tarifvertraglicher Regelung beruht.

Hauptstreitpunkt war, dass diese bAV Zeiten berücksichtigt, die über das 65. Lebensjahr hinausgehen, die jedoch für den Kläger unberücksichtigt blieben, weil er sich in früheren Zeiten gegen die VBL entschieden hatte und keine eigenständige Regelung in seiner Versorgung vorhanden war.

Unterschiede, die auf tariflichen Regelungen beruhen, hätten Arbeitgeber nicht auszugleichen.“

Das Gericht stellte fest, dass die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten nach dem 65. Lebensjahr für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz darstellt, wenn andere Gruppen diese Zeiten angerechnet bekommen. Die Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen. Hier hatte der Arbeitnehmer also noch Glück, weil auch seine Beschäftigungszeiten noch zu berücksichtigen waren.

Das BAG hob allerdings in einem ähnlichen Fall das Urteil des LAG Hamburg auf. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht anwendbar, so urteilte das Gericht, wenn die unterschiedliche Behandlung auf einer tariflichen Regelung beruhe und nicht auf einer eigenen Ordnung des Arbeitgebers. Unterschiede, die auf tariflichen Regelungen beruhen, hätten Arbeitgeber nicht auszugleichen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nur bei eigenständigen betrieblichen Regelungen des Arbeitgebers relevant. Insoweit wurden für die bAV Beschäftigungszeiten nach der Vollendung des 65. Lebensjahres bei diesem Arbeitnehmer nicht berücksichtigt, weil er gerade nicht der tarifvertraglichen Regelung zur bAV unterlag.

Anrechnung von Hinzuverdienst auf die Betriebsrente

Auch das LAG Düsseldorf erkannte einen Vorrang tarifvertraglicher Regelungen: Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der bereits vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze eine bAV bezieht und daneben noch anderweitiges Erwerbseinkommen erzielt. Sein Arbeitgeber hatte eine Anrechnung des Hinzuverdiensts auf die Betriebsrente vorgenommen und sich dabei auf den Tarifvertrag berufen, dem auch der Arbeitnehmer unterlag. Das Gericht stellte klar, dass damit kein Verstoß gegen §§ 5 und 6 BetrAVG vorliegt und Tarifverträge in diesem Punkt weiterhin Bestand haben können. Der Arbeitnehmer habe keinen Anspruch auf die Betriebsrente, wenn der zugrunde liegende Tarifvertrag eine Anrechnung des Hinzuverdienstes vorsieht. Seine Klage auf Zahlung der Betriebsrente wurde entsprechend abgewiesen.

Zwar wurde gegen das Urteil die Revision (3 AZR 164/24) zugelassen, sodass eine höchstrichterliche Klärung noch aussteht. Gleichwohl stärkt es die Position der Arbeitgeber, soweit tarifliche Anrechnungsregelungen bestehen, und schränkt die Möglichkeiten älterer Arbeitnehmer ein, vor der Regelaltersgrenze sowohl Betriebsrente als auch Hinzuverdienst zu beziehen, ohne dadurch Kürzungen hinnehmen zu müssen.

Fallvielfalt

Weitere Fallgestaltungen, die zu betrachten sind:

Der Arbeitnehmer arbeitet weiter und möchte gleichzeitig bAV-Leistungen beziehen.

Oftmals erfordern betriebliche Versorgungsregelungen für den Erhalt einer Altersleistung den Dienstaustritt, der bei einer Vertragsverlängerung nicht gegeben ist. Mit dem Arbeitnehmer bzw. den Betriebsparteien kann hier eine einvernehmliche Regelung in Form eines Nachtrages zur Abbedingung des Dienstaustritts vereinbart werden. Dann können auch (vorzeitige) betriebliche Altersleistungen vom Arbeitgeber gewährt werden, wenn das Dienstverhältnis andauert. Hier wäre dann ggf. auch zu regeln, wie bzw. ob sich das Weiterarbeiten auch auf die bAV auswirkt.

Es gibt noch weitere Fallgestaltungen, zu denen geklärt werden muss, was in der Versorgungszusage möglich sein soll. Ist die Zusage bspw. über (Rückdeckungs-) Versicherungen finanziert, muss auch der Versicherer mit einbezogen werden, was tariflich möglich ist – z.B., ob man einen Teil der Betriebsrente bekommen kann, wenn man weiterarbeitet oder nur teilweise in Rente geht.

Der Arbeitnehmer arbeitet weiter, bezieht keine bAV-Leistungen, möchte aber weiter Anwartschaften erwerben.

Andere Arbeitnehmer würden bei Weiterarbeit gerne ihre bisherigen Versorgungszusagen auch mit weiteren Beiträgen bzw. höheren Leistungen aufstocken und noch keine Altersleistung beziehen. Auch hier stellt sich die Frage, was die vom Arbeitgeber angebotene Versorgungszusage vorsieht bzw. vorsehen kann. Je nachdem, ob sich der Arbeitgeber eines Versorgungsträgers der Direktversicherung, der Pensionskasse, des Pensionsfonds oder der U-Kasse bedient, muss geklärt werden, inwieweit eine Fortführung nach den jeweiligen Versicherungstarifen möglich ist.

Oftmals handelt es sich noch um ältere Versorgungszusagen, deren klassische Versicherungstarife eine Fortführung nicht immer ermöglichen. Die Frage ist dann: Welche Alternativen bestehen in solchen Fällen?

Proaktives Management ist entscheidend

Grundsätzlich sollten Arbeitgeber ihre Versorgungsordnungen mit den dazugehörigen Rechtsgrundlagen regelmäßig auf den Prüfstand stellen. Dies beinhaltet eine detaillierte Analyse, ob alle Regelungen noch den aktuellen Anforderungen und der geltenden Rechtsprechung entsprechen.

Auch können individuelle Regelungen getroffen werden, die auf den Arbeitnehmer zugeschnitten sind.“

Dabei ist es ratsam, frühzeitig das Gespräch mit betroffenen Arbeitnehmern zu suchen, die auf das Rentenalter zusteuern oder dieses bereits erreicht haben, aber noch weiterarbeiten möchten. In diesen Gesprächen kommt es darauf an, die Möglichkeiten der Weiterarbeit im Unternehmen transparent zu erläutern und die Konsequenzen für die bAV klar zu kommunizieren. Es können auch individuelle Regelungen getroffen werden, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Situationen des Arbeitnehmers zugeschnitten sind. Dies kann bspw. auch die Vereinbarung einer Teilzeitbeschäftigung oder die Modifikation der bAV-Zusage für die Zeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze umfassen.

Fazit

Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen ist positiv zu bewerten, da er Arbeitgebern eine flexiblere Lösung an die Hand gibt, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die Möglichkeiten, die Arbeitnehmer in Zukunft haben, werden zu vermehrter Nachfrage nach einer flexiblen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und der damit zusammenhängenden bAV-Leistungen führen. Diesen Herausforderungen sollten die Unternehmen frühzeitig begegnen, um die Chancen aus dieser Entwicklung nutzen zu können.

Aufgrund der Komplexität der Thematik und der Anpassungserfordernisse an die individuellen Begebenheiten beim Arbeitgeber sollte einer Umsetzung eine individuelle Beratung für ein passendes Konzept voranstehen. So können Schwierigkeiten bei der Umsetzung oder gar fehlerhafte Gestaltungen vermieden werden.

Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.

Anja Sprick ist Justiziarin Recht und Steuern der Longial in

Von ihr bzw. anderen Autorinnen und Autoren der Longial sind zwischenzeitlich auf PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

Offene Fragen nach dem Fall der Hinzuverdienstgrenzen:
Der Teufel trägt Pensions
von Anja Sprick, 21. Juli 2025

Vergangenen März in Erfurt:
Eine Frage des Verweises
von Dirk Murski, 16. Dezember 2024

ChatGPT und die bAV:
Once upon a time in the future
von Mathias Nolle, 25. Mai 2023

Urteil zum Versorgungsausgleich:
Bis dass der Tod euch ausgleicht
von Vanessa Angel, 22. Februar 2023

Von der Ertragssteuerbilanz zum Erwerbsfolgegewinn:
bAV bitte nicht behindern!
von Michael Gerhard, 23. Mai 2022

BGH, GGF, Insolvenz und Pfändung:
Hätten Sie gewusst ...
von Vanessa Angel, 29. November 2021

Absenkung der BBG ab 2022 – Willkommen im Dschungel (III):
Keine Rechtsgrundlage, geringe Auswirkungen“
von Michael Hoppstädter, 26. Oktober 2021

Absenkung der BBG ab 2022 – Willkommen im Dschungel (II):
Kein Erfüllungsaufwand?
von Michael Hoppstädter, 14. Oktober 2021

Wertguthabenkonten bei Arbeitnehmer-Ehegatten im Fremdvergleich:
Chancen nur auf einer Seite?
von Michael Gerhard, 25. Mai 2021

Versorgungsausgleich:
BilMoG-Zins weiter verwendbar
von Vanessa Angel, 10. Mai 2016

 

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