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Absenkung der BBG ab 2022 – Willkommen im Dschungel (II):

Kein Erfüllungsaufwand?

Die zum Jahreswechsel anstehende Absenkung der Beitragsbemessungsgrenze West zieht in der bAV einen ganzen Rattenschwanz an Folgewirkungen mit entsprechendem Aufwand für alle Beteiligten nach sich. Umso rätselhafter, warum das zuständige Ministerium dies offenbar übersieht. Die Versicherer schlagen derweil Pragmatismus vor. Michael Hoppstädter erläutert.

 

 

Michael Hoppstädter, Longial.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die betriebliche Altersversorgung wurden schon vielfach thematisiert. Nun werden die Folgen um eine weitere Facette angereichert: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 7. September 2021 den Referentenentwurf zu einer Verordnung über die maßgebenden Rechengrößen der Sozialversicherung für das Jahr 2022 veröffentlicht. Mit der Verordnung werden diese Rechengrößen gemäß der Einkommensentwicklung im vergangenen Jahr (2020) turnusgemäß angepasst.

 

Die den Sozialversicherungsrechengrößen 2022 zugrundeliegende Lohnentwicklung im Jahr 2020 betrug minus 0,34% in den alten Bundesländern und 0,15% in ganz Deutschland. Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (BBG) für die alten Bundesländer soll daher von 85.200 Euro auf 84.600 Euro sinken. Die BBG für die neuen Bundesländer soll hingegen von 80.400 Euro auf 81.000 Euro steigen.

 

Auswirkungen auf die versicherungsförmigen Durchführungswege

 

Da die steuerliche Förderung von Beiträgen im Rahmen des § 3 Nr. 63 EStG an die BBG gekoppelt ist, ergeben sich – wie auf LEITERbAV bereits aus Arbeitgebersicht thematisiert – durch die Absenkung der BBG in den alten Bundesländern Folgen für den Höchstbetrag, der steuerfrei in die Durchführungswege Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds eingebracht werden kann. Der maximale Förderrahmen beläuft sich auf 8% der BBG.

 

Sinkt nun die BBG, würde damit im Jahr 2022 der steuerfreie Höchstbetrag in der kapitalgedeckten bAV 6.768 Euro (= 84.600 Euro x 8%) anstatt 6.816 Euro im Jahr 2021 (= 85.200 Euro x 8%) betragen. Er würde also um 48 Euro im Jahr bzw. 4 Euro pro Monat absinken.

 

 

 

 

Das BMAS spricht im Referentenentwurf davon, dass die Absenkung der BBG keinen Erfüllungsaufwand für die Beteiligten mit sich bringen werde.“

 

 

 

 

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV sind steuerfreie Zuwendungen in einen versicherungsförmigen Durchführungsweg bis zu einer Höhe von insgesamt 4% der BBG (West) von der Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt. Der beitragsfreie Höchstbetrag würde im kommenden Jahr damit 3.384 Euro (= 84.600 Euro x 4%) anstatt 3.408 Euro (= 85.200 Euro x 4%), also 24 Euro p.a. bzw. 2 Euro pro Monat weniger betragen.

 

Auswirkungen auf die nicht versicherungsförmigen Durchführungswege

 

Bei einer Direkt- oder U-Kassenzusage gibt es – unabhängig von der Finanzierungsart – keine steuerlichen Begrenzungen ähnlich dem § 3 Nr. 63 EStG. Allerdings ist eine Entgeltumwandlung auch in diesen Durchführungswegen nur bis zu 4 % der BBG (West) frei von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IV).

 

Das BMAS spricht im Referentenentwurf davon, dass die Absenkung der BBG keinen sog. „Erfüllungsaufwand“ für die Beteiligten mit sich bringen werde. Vorsichtig formuliert stellt sich das aus Sicht des Autors tatsächlich etwas anders dar. Da es sich hier um eine Veränderung des steuerlichen (und beitragsrechtlichen) Höchstbetrages handelt, ergeben sich Auswirkungen in den steuerlich geförderten Durchführungswegen für alle beteiligten Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Versorgungsträger. Und je nach Ausgestaltung der konkreten Versorgungszusage in diesen Durchführungswegen ist der Aufwand mehr oder weniger hoch. Zur Gestaltung von Versorgungszusagen gibt es fast unzählige Varianten. Hier nur einige gängige Beispiele:

 

  • Die Versorgungszusage sieht einen Versorgungsbeitrag, egal ob Entgeltumwandlung oder Arbeitgeberbeitrag, unter Ausschöpfung der steuer- bzw. sozialrechtlichen Fördergrenzen der BBG vor.
  • Die Zusage enthält eine Formulierung, wonach sich der Beitrag, der in den Versicherungsvertrag fließen soll, im gleichen prozentualen Umfang verändert wie die BBG (dynamische Zusagen).
  • In der Versorgungszusage bzw. in der Entgeltumwandlungsvereinbarung ist ein fester Euro-Betrag als Beitrag genannt, der dem steuerlichen geförderten Höchstbetrag aus dem Jahr 2021 entspricht.

 

Auswirkungen, wenn der Beitrag reduziert wird …

 

Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, für die der Höchstbeitrag im Jahr 2021 ausgeschöpft wurde, ist es im Falle einer dynamischen Zusage jetzt nur noch möglich, den verminderten Höchstbeitrag in den Versicherungsvertrag einzubringen. Daher darf entweder der Arbeitgeber es nicht versäumen, dem Versicherer einen geänderten Beitrag zu melden. Oder aber für den Fall, dass der Versicherer die Beiträge beim Arbeitgeber einzieht, muss der Versicherer den Beitragseinzug anpassen.

 

Bei geringerem Beitrag reduzieren sich die aus dem Beitrag resultierenden Versicherungs- bzw. Versorgungsleistungen. Der Versorgungsträger wird neue Dokumente/Versicherungsscheine erstellen und versenden.

 

In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine Beitragssenkung tatsächlich von den Parteien gewünscht ist. Soweit dies nicht der Fall ist, kommt auch eine Änderung der dynamischen Zusage in Betracht. Für den Anbieter wird daher eine Absprache mit dem Arbeitgeber erforderlich sein, was nun konkret gewollt ist. Und der Arbeitgeber wird insbesondere bei Entgeltumwandlungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen müssen. Damit diese aber eine Entscheidung treffen können, benötigen sie ggf. Zahlen zu den konkreten Auswirkungen auf die Leistungen des Versicherungsvertrages, die aber nur der Versicherer/Versorgungsträger zur Verfügung stellen kann.

 

Zur Reduzierung und vielleicht in zwei Jahren wieder gewünschten Erhöhung könnte sich manch einer die Frage stellen, ob dies vom Versorgungsträger mit Kosten belegt wird. In aller Regel kann man hier wohl Entwarnung geben; die Beitragsreduzierung ist ein in den meisten Tarifen bereits vorgesehener „Geschäftsvorfall“, der nicht zu zusätzlichen Kosten führt oder gar als Teilkündigung bzw. -rückkauf bewertet wird. Wird der Vertrag wieder erhöht, wenn die BBG in 2023 ff. ansteigt, führt die Erhöhung jedoch wieder zu erneuten Abschlusskosten – aber auch das ist keine Besonderheit, die jetzt erst durch die BBG-Absenkung entsteht. In einem teildynamischen Vertrag, der sich immer an die steuerlichen Höchstgrenzen anpasst, ist das auch heute schon der Fall.

 

und wenn der Beitrag unverändert bleibt

 

Soll der Beitrag in unveränderter Höhe aufrechterhalten werden, um keine Leistungseinbußen in Kauf zu nehmen, müssen die Verwaltungssysteme der Versorgungsträger auch in der Lage sein, geförderte und ungeförderte Beiträge zu erfassen bzw. die daraus resultierenden Leistungen gesondert auszuweisen. Das wird bei den meisten Versicherern und Pensionskassen kein Problem sein.

 

 

 

 

Es kann keine Rede davon sein, dass die Absenkung der BBG keinen Erfüllungsaufwand für die Beteiligten bedeutet.“

 

 

 

 

Doch spätestens bei Auszahlung der Versorgungsleistungen wird dem Versorgungsberechtigten im Zuge seiner Steuererklärung die ganze Komplexität der Altersversorgung vor Augen geführt: Eine Versorgungsleistung, die in Teilbeträge aufgeteilt wird, entsprechend der steuerlichen Behandlung der gezahlten Beiträge und wiederum unterschiedlichen steuerlichen Behandlungen im Rentenalter. Immerhin bescheinigen Versicherer und Pensionskassen die verschiedenen Beiträge, Leistungen und Steuerregime den Versicherten bei Leistungsbeginn.

 

Das gilt auch bei Versicherungszusagen mit starrer Beitragshöhe, soweit der steuerliche Förderrahmen bislang voll ausgeschöpft wurde.

 

Und was ist mit dem verpflichtenden Arbeitgeberzuschuß nach § 1a Abs. 1a BetrAVG?

 

Ab dem 1. Januar 2022 müssen Arbeitgeber bekanntlich den größten Teil (15% des Beitrages) der ersparten Sozialversicherungsbeiträge, die sie durch die Entgeltumwandlung Ihrer Mitarbeiter erzielen, an diese weitergeben, genauer gesagt als Zuschuss zur bAV zahlen – und das für alle bestehenden Verträge und Entgeltumwandlungsvereinbarungen in den versicherungsförmigen Durchführungswegen, also Direktversicherung, Pensionskasse – auch für die jeweilige pauschalversteuerte Variante nach § 40b EStG a.F. – und Pensionsfonds. Über spitze und pauschale Berechnung ist LEITERbAV bereits ausführlich berichtet worden. Die Absenkung der BBG, hinterlässt auch hier Spuren, zumindest in Einzelfällen.

 

Bei allen Verträgen, die schon vor dem 1. Januar 2019 bestanden haben, greift der verpflichtende Arbeitgeberzuschuss erstmalig zum 1. Januar 2022 (§ 26a BetrAVG). Die Auswirkungen halten sich in Grenzen, der Arbeitgeber ermittelt und zahlt den Zuschuss ja erstmalig. Für Verträge, die jedoch nach dem 1. Januar 2019 eingerichtet oder erhöht wurden, kann das schon anders aussehen. Ein beliebiges Beispiel:

 

Das Einkommen beträgt 2021 und 2022 86.000 Euro p.a., die Entgeltumwandlung, 2020 eingerichtet, beträgt 2.000 Euro p.a.

 

2021: Das Einkommen nach Entgeltumwandlung beträgt 84.000 EUR, die BBG 2021 85.200 Euro. Demnach spart der Arbeitgeber von 1.200 Euro 11,5% SV-Beitrag (die BBG zur Kranken- und Pflegeversicherung beträgt ja nur 58.050 Euro) = 138 Euro.

 

2022: Das Einkommen nach Entgeltumwandlung beträgt 84.000 Euro, die BBG 2022 84.600 Euro; von 600 Euro spart der Arbeitgeber 11,5% SV-Beitrag (die BBG zur Kranken- und Pflegeversicherung soll mit 58.050 Euro konstant bleiben) = 69 Euro.

 

Hat sich der Arbeitgeber für die spitze Abrechnung des von ihm zu zahlenden Zuschusses zur Entgeltumwandlung entschieden, muss er nun neu rechnen.

 

Die Zeit drängt

 

Schon anhand dieser wenigen Beispiele ist offensichtlich, dass keine Rede davon sein kann, die Absenkung der BBG bedeute keinen „Erfüllungsaufwand“ für die Beteiligten. Das hat auch der GDV in einem Schreiben an BMF und BMAS vom 10. September 2021 zum Ausdruck gebracht.

 

Der GDV hat dringend dazu aufgerufen, diese Verkomplizierung insbesondere der durch Entgeltumwandlung finanzierten bAV zu vermeiden. Der Vorschlag des Gesamtverbandes ist, dass für 2022 weiterhin die BBG aus dem Jahr 2021 gilt. Eine einmal erreichte BBG-Höhe soll – für die hier angesprochenen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Zwecke – nicht unter den einmal erreichten Wert sinken. Damit würde Schaden für die Akzeptanz und das Ansehen der bAV abgewendet.

 

Es bleibt zu hoffen, dass sich die angesprochenen Ministerien dem Appell anschließen – und im Übrigen drängt für alle Beteiligten die Zeit. Denn die Abstimmung hinsichtlich der künftigen Vorgehensweise bzgl. der betroffenen Versicherungszusagen muss so rasch erfolgen, dass eine Anpassung der Systeme bei Arbeitgeber und Anbieter noch vor dem 1. Januar 2022 abgeschlossen wird. Anderenfalls dürfte zu befürchten sein, dass es im Nachgang zu aufwendigen Korrekturarbeiten kommen könnte. Die Anbieter dürften also gut beraten sein, die Arbeitgeber frühzeitig für das Thema zu sensibilisieren.

 

Der Autor ist Geschäftsführer der Longial GmbH in Düsseldorf.

 

Von ihm bzw. anderen Autorinnen und Autoren der Longial sind zwischenzeitlich auf LEITERbAVerschienen:

 

ChatGPT und die bAV:

Once upon a time in the future

von Mathias Nolle, 25. Mai 2023

 

Urteil zum Versorgungsausgleich:

Bis dass der Tod euch ausgleicht

von Vanessa Angel, 22. Februar 2023

 

Von der Ertragssteuerbilanz zum Erwerbsfolgegewinn:

bAV bitte nicht behindern!

von Michael Gerhard, 23. Mai 2022

 

BGH, GGF, Insolvenz und Pfändung:

Hätten Sie gewusst ...

von Vanessa Angel, 29. November 2021


Absenkung der BBG ab 2022 – Willkommen im Dschungel (III):

Keine Rechtsgrundlage, geringe Auswirkungen“

von Michael Hoppstädter, 26. Oktober 2021

 

Absenkung der BBG ab 2022 – Willkommen im Dschungel (II):

Kein Erfüllungsaufwand?

von Michael Hoppstädter, 14. Oktober 2021

 

Wertguthabenkonten bei Arbeitnehmer-Ehegatten im Fremdvergleich:

Chancen nur auf einer Seite?

von Michael Gerhard, 25. Mai 2021

 

Versorgungsausgleich:

BilMoG-Zins weiter verwendbar

von Vanessa Angel, 10. Mai 2016

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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