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Öffentliche BRSG-Anhörung im A+S-Ausschuss:

Der Schwarm der Heringe

Hinter den Kulissen suchen die Fachpolitiker nach Optimierung – und haben sich jüngst für einen Nachmittag Fachkompetenz vom Parkett ins Haus geholt. Für LEITERbAV hat Manfred Brüss zugehört.

 

Vorgestern in Berlin: Morgens beginnt die Handelsblatt-bAV-Tagung, doch manch ein Teilnehmer muss über die frühen Nachmittagsstunden vorübergehend die Location wechseln. Denn die Sozial- und Finanzexperten der Koalitionsfraktionen versuchen, in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses Arbeit und Soziales auszuloten, welche Stellschrauben sie noch am Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) anziehen sollten. Die Tarifpartner, Verbandsvertreter und Wissenschaftler sind in der Anhörung wie nicht anders zu erwarten deutlich unterschiedlicher Auffassung, zumal ja auch die Opposition aus Linken und Grünen Fachleute eingeladen hatte. Hinter den Kulissen laufen aber bereits die Gespräche auf Hochtouren, wie der CDU-Sozialexperte Peter Weiß erklärt.

 

 

Der Förderbetrag: Warum nicht 15 statt 11 Millionen?

 

Bei der geplanten gesonderten Förderung von Geringverdienern wollen die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD insbesondere wissen, ob ein Gehaltsniveau von bis zu 2.000 Euro im Monat den richtigen Anreiz setzte, um möglichst viele Geringverdiener in die bAV einbinden zu können. Nach Gewerkschaftsangaben gibt es derzeit etwa 11,1 Millionen Arbeitnehmer, deren Verdienst unterhalb dieser Marke liegt. Würde man die Verdienstgrenze auf 2.500 Euro im Monat anheben, dann wüchse der Kreis der Anspruchsberechtigten auf 15,2 Millionen an. Die drei DGB-Vertreterinnen machen deutlich, dass in dieser Gruppe besonders viele Frauen und Teilzeitbeschäftigte vertreten seien. Nötig sei hier auch eine Dynamisierung der Höchstverdienstgrenze.

 

Abgeordnete und Fachleute am 27. März 2017 im Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales.
Foto: Bruess.

 

Professor Dirk Kiesewetter vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Universität Würzburg und seinerzeit BMF-Gutachterhält den von ihm damals in die Diskussion eingebrachten Förderbetrag für gut geeignet, die Verbreitung von bAV-Zusagen unter Geringverdienern zu vergrößern: „Er stellt einen attraktiven finanziellen Anreiz für Arbeitgeber dar, anstelle von Barlohnerhöhungen neue Zusagen zu erteilen oder bestehende Zusagen zu erhöhen, und er kommt ohne Eigenbeitrag der Arbeitnehmer aus“, so Kiesewetter. Die Abrechnung über das Lohnsteuerabzugsverfahren sei für den Arbeitgeber denkbar einfach zu verwalten.

 

Aber auch Kiesewetter spricht sich für eine Erhöhung der Einkommensgrenze auf 2.500 Euro pro Monat aus, ebenfalls mit Blick auf den Personenkreis, für den der Förderbetrag potentiell genutzt werden kann: „Für die Verbreitung der bAV in der Zielgruppe der Gering- und Niedrigverdiener wäre das sehr vorteilhaft.“

 

 

Der Streitpunkt: Garantieverbot

 

Umstritten bleibt wenig überraschend auch, ob für die neue Zielrente ein Garantieverbot gelten muss. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kämpft für die Chance, die durch reine Beitragszusagen ohne Arbeitgeberhaftung konzipierte Zielrente auch mit Garantien ausstatten zu können. GDV-Hauptgeschäftsführungsmitglied Peter Schwark sagt vor dem Ausschuss, es sei überzogen, generell Garantien zu verbieten. Eine Möglichkeit sei es, den Tarifpartnern freizustellen, ob sie Garantien einsetzen oder nicht. Zumindest in der Auszahlungsphase solle man vom Garantieverbot Abstand nehmen.

 

Dem widerspricht Rechtsanwalt Marco Arteaga, der sich in seinem Gutachten für das BMAS für ein generelles Garantieverbot stark gemacht hatte. Er macht deutlich, dass es ein neues Betriebsrenten-Kollektiv geben werde, in dem ständig neue Arbeitnehmer eintreten und Einzahlungen vornehmen und auf der anderen Seite Rentner ihre zusätzliche Altersversorgung erhielten. Man könne sich das Kollektiv wie einen Schwarm Heringe vorstellen, der in 200 Meter Tiefe schwimmt und dem es egal ist, ob es an der Wasseroberfläche ruhig ist oder ein Sturm tobt. Die Gewerkschaften drängen allerdings darauf, dass die Arbeitgeber über einen Sonderbeitrag für einen Puffer sorgen, damit der Wellengang nicht doch die oben im Schwarm schwimmenden Heringe treffen kann.

 

 

Die Gretchenfrage: Tarifexklusivität

 

Weitere Gretchenfrage war, ob mit dem Sozialpartnermodell neben den Geringverdienern auch die Zielgruppe der kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) erreicht werden kann. Für die Gewerkschaftsvertreter ist klar, dass dies nur mit Hilfe der Tarifexklusivität zu machen sei. Hilfreich wäre, wenn der Weg zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) gangbarer gemacht würde.

 

Dass die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) angesichts der vielen KMU, die gar keiner Tarifbindung unterliegen, in dem Punkt anderer Meinung ist, war zu erwarten. Alexander Gunkel, Mitglied der BDA-Hauptgeschäftsführung, sagt, er halte die Tarifvertragserfordernis für überzogen und kontraproduktiv.

 

Kiesewetter erklärt, dass tatsächliche und vermeintliche Risiken der bAV gerade von KMU als Hemmnis zur Einführung einer bAV angesehen würden. Eine reine Beitragszusage könne Vermittlungshemmnisse beseitigen. Doch auch er sieht die harte Tarifexklusivität kritisch: Damit das Ziel einer Verbreitung der bAV tatsächlich erreicht werde, müsse sichergestellt sein, dass auch nichttarifgebundene Unternehmen Zugang zu den neuen überbetrieblichen Versorgungseinrichtungen erhalten.

 

Des weiteren spricht sich der Wissenschaftler für eine Zuschusspflicht des Arbeitgebers in Höhe seiner ersparten Sozialversicherungsbeiträge nicht nur bei der neuen Beitragszusage, sondern allgemein bei Entgeltumwandlung aus. Aus praktischen Erwägungen heraus sollte dies in pauschalierter Höhe geschehen.

 

 

Die Grundsicherung: verfassungswidrig?

 

Astrid Wallrabenstein, Professorin für Sozialrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, kritisiert vor den Abgeordneten, der Gesetzentwurf liefere keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die Unterschiede in der Verbreitung der bAV durch die vorgeschlagenen Maßnahmen ändere. Sie betrachtet außerdem die Privilegierung von Betriebs- und Riesterrenten bei der Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter als verfassungsrechtlich problematisch – denn es fehle ein tragfähiger Grund, warum Bezieher der gesetzlichen Rente nicht ebenso behandelt werden. An der Freiwilligkeit könne man die Unterscheidung nicht festmachen, wie etwa das Beispiel eines Minijobbers zeige, dem es freigestellt sei, ob er Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung abführt oder nicht.

 

 

Das Grundsätzliche: alte und neue Welt

 

Seine grundsätzliche Kritik an der Reform erneuert Frank Oliver Paschen. Vor dem Ausschuss erklärt der Chef der Dresdener Pensionskasse nicht nur, dass „statt der Schaffung einer neuer Welt die Optimierung der alten besser gewesen wäre“, sondern betont als einen Kernpunkt seiner Kritik, dass sich zwei wesentliche Aspekte der Reform – Tarifexklusivität und Verbreiterung – schon begrifflich nicht vertrügen, insbesondere mit Blick auf die KMU. In Unternehmen mit Tarifbindung sei die bAV ohnehin schon weiter verbreitet, kleinere Firmen ohne Tarifbindung erreiche man mit den geplanten Änderungen aber nach wie vor nur sehr schwer.

 

Auch zum jetzigen Zeitpunkt Garantien abzuschaffen werde, so Paschen, keine neue Abschlusswelle, sondern noch mehr Skepsis fördern. Wenn man aber schon – und hier unterscheidet sich seine Position von anderen Gegnern des Garantieverbots – eine neue garantielose Welt schaffe, dann solle dies einheitlich für alle Durchführungswege geschehen. Eine Ausnahme für Direktversicherungen lehnt Paschen strikt ab. Problematisch sei auch, dass die bAV sich durch die Reform weiter verkompliziere: „Hemmschuh für die Verbreitung der bAV in den KMU sind nicht die Arbeitgeberhaftung oder die Garantien, sondern die Komplexität des Themas, welche durch das Tarifpartnermodell noch verstärkt wird.“

 

Der Chef der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) Heribert Karch ist überzeugt, dass die Tarifparteien den neuen Durchführungsweg in der bAV auch wahrnehmen werden. „Die Tarifpartner können gar nicht anders, als den Ball aufzunehmen“, prognostiziert Karch. Im Hintergrund stehe dabei die Drohung der Politik, dass man auch vom Prinzip der Freiwilligkeit abgehen könne.

 

Nach Angaben des CDU-Sozialexperten Weiß trafen sich allein vergangene Woche die Fachleute der Koalition zwei Mal, um noch Optimierungsmöglichkeiten beim BRSG auszuloten. Einzelheiten hierzu nannte er erwartungsgemäß nicht.

 

 

Das Wortprotokoll der Sitzung findet sich hier.

 

 

 

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