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Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

HB-bAV-Tagung (II):

Zwischen Mühen und Mühlen …

und aus Evolution müsste ein Sprung werden: Berlin, gestern: Haupttag der diesjährigen Handelsblatt-bAV-Tagung. PI-Autor Detlef Pohl war dabei – und hörte, wer bald in die Montagehalle gehört, wer nicht das Nonplusultra ist, was sich durch Verspätung rächt, an welchem Ziel festzuhalten ist, was die Politik schnell regeln sollte, wo es größere Gemeinsamkeiten über Parteigrenzen gibt und wo nicht, was nicht eingerissen werden darf, wer nur vermeintlich sexy ist … und ein Staatssekretär unternimmt eine Wortschöpfung.

Die Entwicklungen in der Altersvorsorge vollzieht sich (wie in anderen Ländern auch) seit langem zäh, denn das politische Berlin lässt sich viel Zeit mit Reformen. Einige Verbesserungen bei Betriebsrenten und auch bei privaten Altersvorsorge schafften es in dieser Legislatur zwar ins Gesetzgebungsverfahren, doch das Aus der Ampel bremst alle parlamentarischen Mühen und Mühlen.

Da wird von der Politik auch auf der 25. Handelsblatt-bAV-Tagung in Berlin wenig Hoffnungversprüht, dass die Reformen noch zu Ende gebracht werden. Heute auf PENSIONSINDUSTRIES dokumentiert vom gestrigen Haupttag Auszüge der wichtigsten Referenten aus Politik, Industrie und Wissenschaft – wegen der Inhaltsdichte im bekannten PI-Stakkato, der Redaktion und Leserschaft gleichermaßen schont (sämtlich im Indikativ der Referenten):

Toncar: Altersvorsorge-Reform im Detail noch mal in die Montagehalle

Vor den Neuwahlen passiert nichts Großes mehr bei der privaten Altersvorsorge, prognostiziert Florian Toncar, ex-parl. StS im BMF, jetzt FDP-MdB:

+++ AV-Thema bleibt aber virulent +++ nächste Bundesregierung kann auf viele Vorarbeiten zurückgreifen; „Gesetzentwurf wäre fertig, müsste aber im Detail noch mal in die Montagehalle“ +++ auch für Einbeziehung Selbstständiger liegt „tauglicher Vorschlag“ vor +++ pAV-Reform bis Februar aus Fristgründen wohl nicht mehr umsetzbar +++ „Umsetzung erwarte ich nicht mehr während der Übergangszeit bis zur Neuwahl“ +++

+++ bAV oft schon gut aufgestellt, Demografie erfordert aber schnellere Verbreitung +++ 21 Mio. Anwartschaften decken erst 54% +++ aus Evolution müsste Sprung werden +++ Sozialpartnermodell überzeugendes Modell durch Tarifpartner +++ Freiheiten müssten auch gebraucht werden, sonst droht Obligatorium +++ Renditen verbesserungswürdig, daher Ideen zu Lockerung der Anlagevorschriften gut +++ offen, ob BRSG II noch kommt, fristenkritisch +++ unbefriedigend geregelt noch: Übertragung der Ansprüche bei modernen Erwerbsbiografien +++

Florian Toncar, MdB und ex-BMF …

+++ bei bAV-Reform größere Gemeinsamkeiten über Parteigrenzen als bei pAV +++ nächste Legislatur wird sehr bald einiges zu AV-Reformen tun +++ Ampel wegen Wirtschaftspolitik und Haushalt gescheitert, Konflikt schwelte schon länger +++ 12 Monate weiter so mit halbgarer Politik wäre schlechteste Lösung gewesen +++ früheres Toncar-Büro im BMF nun unbesetzt, dafür Bundestagsbüro jetzt intensiv genutzt +++ „keine persönlichen Ansprüche, aber viel Elan und Kampfbereitschaft für stärkere Wirtschaft“ +++

Schmachtenberg: Rentenpolitische Gesetzentwürfe wohl nicht mehr umgesetzt

Ob der Gesetzentwurf zum BRSG II nach dem Ampel-Aus noch verabschiedet wird, „weiß ich genau so wenig wie Sie“, erklärt Rolf Schmachtenberg, auch nach Ampel-Aus weiterhin beamteter StS im BMAS:

+++ GRV bleibt zweifellos Herzkammer unserer Altersversorgung, wobei nun Rentenpaket II mit dauerhafter Sicherung der Haltlinie für 48% Rentenniveau über 2025 hinaus keine Chance auf Realisierung mehr hat +++ im rentenpolitischen Bereich einschl. BRSG II keine Umsetzungen mehr zu erwarten +++ „ob in den wenigen verbleibenden Sitzungswochen

Rolf Schmachtenberg, BMAS …

des Bundestages noch Gesetze verabschiedet werden und, wenn ja, welche, für mich derzeit offen“ +++ kollektiv organisierte Betriebsrente gut geeignet, da passgenau, kostengünstig und effizient +++ Legislatur mit viel konzeptioneller Arbeit, deren Ergebnisse zur Wahl stehen bleiben, da sollte neue Bundesregierung schon in ersten 100 Tagen andocken +++


+++ um mit Renteneintritt bisherigen Lebensstandard zu halten, sollten möglichst alle Beschäftigten Zugang zur bAV bekommen +++ „lebensstandardabsichernde Alterssicherung mit dualem Kern“ scheint gutes Fundament für nachhaltige Altersvorsorge zu sein+++ BRSG II „evolutär“: ca. 40 einzelne Regelungsfelder, darunter über 30 Einzelmaßnahmen mit unmittelbarem Bezug zur Betriebsrente, wären teils völlig neu aufgestellt +++

+++ SPM soll möglichst in die Breite kommen +++ Ziel: 5-6 Modelle im Bereich der großen Gewerkschaften, die sich dann für alle Arbeitsverhältnisse im Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaft öffnen +++

+++ Gesetzentwurf weit fortgeschritten, aber nun alles offen +++ CDU/CSU will Rentenpaket II nicht, damit ist Chance auf BRSG II in Rentenpaket III nur noch theoretisch vorhanden +++ grundsätzlich: falls Verbreitung hakt, würde Politik nachjustieren +++ dann stünde Betriebsrenten-Obligatorium im Raum +++ Gesetzentwurf hat klare Anreize für Unternehmen gebracht, gute Betriebsrenten anzubieten +++ Entwurf mit deutlichen Verbesserungen, wenn auch viel technischen Details +++ alles mit breitem politischen Konsens gemacht +++ wäre gut, wenn Gesetz im Mai/Juni 2025 ohne grundsätzlich neue Diskussion käme, sonst drohten weitere ein bis zwei Jahre Verzögerung („100 Tage der neuen Regierung“) +++ CDU/CSU favorisiert laut Parteiprogramm ein Obligatorium in der bAV +++

Neben die Vorträge Toncars und Schmachtenbergs treten weitere Vorträge und Podiumsdiskussionen verschiedener Stakeholder – die hier nur auszugsweise und unvollständig wiedergegeben werden können:

Schminke: Neuerungen trotz breitem Konsens verpufft

Die Ergebnisse des Fachdialogs und des Gesetzentwurfs für BRSG II sind nicht umsonst, hofft Kerstin Schminke, Geschäftsführerin der Metallrente:

+++ IG Metall hat keinen Abgesang auf bAV gemacht, sondern weitere bAV-Förderung bekräftigt +++ mit Metallrente (1 Mio. Berechtigte) besteht bereits sozialpartnerschaftliches Branchenversorgungswerk +++ SPM ist nicht Nonplusultra +++ Metallrente hat permanent Alternativen geprüft und Produktportfolio verbessert +++ Tarife mit 80% Garantie machen schon 50% des Neugeschäfts aus +++ weitere Vereinfachungen im Gange +++

Kerstin Schminke, MetallRente …

+++ dennoch deutschlandweit in allen drei Säulen nun wieder Zeit verloren +++ lebenslange Leistung muss bei AV-Reformen im Blick bleiben, wobei kollektiver Ansatz der bAV extrem wertvoll +++

Das BMF wollte in der dritten Säule ein vermeintlich „sexy Produkt“ mit zahlreichen Spielräumen und hoher Förderung installieren, während die bAV in viel stärkeren Restriktionen verharren sollte, moniert aba-Vorstandschef Georg Thurnes:

+++ angedachte Förderung für bAV (150 Mio. Euro) und pAV (über 500 Mio. Euro) deutet auf Missverhältnis +++ Schmachtenberg bestätigt dies, doch interne Abstimmungen hätten dieses Missverhältnis noch auflösen sollen, auch durch bessere bAV-Förderung für junge Leute +++ da sollte neue Bundesregierung dranbleiben, antwortet Thurnes +++

Georg Thurnes, aba (li.), hier mit Florian Toncar …

Dass die geplanten Neuerungen zu Bedeckungsvorschriften im allgemeinen Konsens entstanden sind, ruft Claudia Picker, Head of Local Experts Germany der Bayer AG und stv. aba-Vorstandsvorsitzende, in Erinnerung:


Claudia Picker, Bayer (hier auf einer früheren Tagung, da gestern per Monitor zugeschaltet)… .

+++ bedauerlicherweise nun auf unbestimmte Zeit verschoben und damit hinderlich vor allem für Pensionskassen-bAV +++ BRSG II sollte so schnell wie möglich und ohne Änderungen kommen +++ Evaluierung sollte dann nicht vor 2030 erfolgen +++ sollte Obligatorium tatsächlich Gesetz werden, dürften bestehende bAV-Systeme nicht eingerissen werden +++

Melchiors: Mit Obligatorium zu höherer Leistung

Länder mit einer obligatorischen bAV haben ein deutlich höheres Leistungsniveau, postuliert Hans H. Melchiors, früherer PSV-Vorstandschef und heute GGF des IWG Wirtschaft & Gesellschaft Institut für angewandte Forschung in Hamburg:

+++ im Vergleich zu anderen Ländern Europas steht Deutschland noch relativ gut da mit Renteneintritt von 65,8 Jahren, künftig auf 67 steigend und 43,9% Bruttorentenersatzquote bei Männern +++ wie anderswo auch Defizite bei Alterseinkommen von Frauen und Geringverdienern +++

Hans Melchiors, IWG, auf der Handelsblatt bAV-Tagung. Foto: HB, Dietmar Gust.

+++ die großen Länder haben alle ein Altersarmutsproblem +++ absolute Armut definiert Zustand, wenn Einkommen nicht mehr ausreicht, um die für ein gesellschaftlich integriertes Leben notwendigen Güter zu erwerben (materielle Deprivation) +++ absolute Altersarmut in Deutschland von rund 5% 2017 auf über 11% 2023 gestiegen, während in EU insgesamt von 21% auf 15% zurückgegangen +++ kleinere Anpassungen und Modifikationen reichen nicht aus, um Probleme in Deutschland zu lösen +++

+++ Deutschland hat keine Basis- oder Minimumrente +++ Niederlande hat wohnsitzbezogen Basisrente, Schweden zumindest Zielkriterien dafür +++ Frankreich und die Schweiz haben beitragsbasierend eine Minimumrente, Großbritannien beitragsbasierend eine Basisrente +++

+++ je mehr Umlagesystem, desto höher Aufwand im Sozialsystem +++ Altersversorgung ist langfristiges Projekt, Ergebnisse von Veränderungen brauchen 20 bis 30 Jahre, um zu greifen +++ Beispiel Opting out: Seit Einführung 2012 hat bAV-Verbreitung in Großbritannien stark zugenommen +++ bei aktiven Mitarbeitern kontinuierlich nur knapp unter 1% Herausoptierer, bei Neubeschäftigten 8% +++ auch in kleinen Firmen bis 4 MA Teilnahmequoten von 60% und mehr +++ zum Vergleich: in Deutschland optional und in Niederlande, Schweden und Schweiz sogar Obligatorium +++ Schweiz durch überobligatorische Versorgung sehr gutes Ergebnis +++

Conrads: Erbe und Erneuerung bei Betriebsrente

Heritage und Renewal, also Erbe und Erneuerung, gehören bei der bAV eng zusammen, mahnt Heinke Conrads, im Vorstand der Allianz Lebensversicherung zuständig für das Ressort Firmenkunden:

+++ es braucht Plädoyer für die bAV, Würdigung ihres großen Erbes und ihrer Rolle für die Alterssicherung, und Plädoyer dafür, das Thema Alterssicherung als Gesellschaft endlich ganzheitlich und lösungsorientiert anzugehen +++

Heinke Conrads, Allianz, auf der Handelsblatt bAV-Tagung. Foto: HB, Dietmar Gust.

+++ Wir haben die am besten prognostizierte Krise – den demographischen Wandel und seine Auswirkungen auch auf die Altersvorsorge – über viele Jahre sehenden Auges entfalten lassen und nicht vernünftig gegengesteuert“ +++ Beitrag jeder einzelnen Säule nur so gut, wie die jeweilige Finanzierung Substanz hat +++ Substanz im umlagefinanzierten System sind Beitragszahler, in den kapitalgedeckten Säulen die wirtschaftlichen Substanzwerte +++ in allen drei Säulen also stabile und sich gut entwickelnde Wirtschaft fundamental wichtige Basis +++

+++ private Vorsorge unabdingbar, basierend auf individueller Verantwortung +++ das Wichtigste ist, überhaupt zu handeln, danach Entscheidung, ob individuell oder kollektiv anzulegen und zu managen, und dann durchzuhalten +++ aber z.B. mit ETF lässt sich Geld ansparen, aber das wird erst Altersvorsorge, wenn lebenslanges Einkommen sichergestellt wird +++ nur Sparform, die den Lebensstandard auch im hohen Alter lebenslang sicherstellt, darf sich „Rente” nennen +++ Börse geht nicht immer nur aufwärts +++

+++ bAV hat beachtliches Erbe, Anfänge gehen lang zurück als Invaliden- und Altersvorsorge +++ lange Zeit arbeitgeberfinanziert über große Pensionskassen und Kollektive in Direktzusagen +++ heute 18,4 Mio. bAV-Anwartschaften und mehr als 5 Mio. Betriebsrentner mit über 31 Mrd. Leistungen p.a. (Deckungsmittel: über 700 Mrd. Euro) +++mehr als 100.000 Unternehmen bieten bAV, die über PSV insolvenzgeschützt ist +++ über 30 Pensionsfonds, 140 Pensionskassen und 80 Lebensversicherer +++ Investitionen in Milliardenhöhe von Unternehmen und Versorgungsträgern +++

+++ bAV birgt auch Risiken, intrinsisch (Biometrie; Finanzierung) und extrinsisch (Wirtschaftsentwicklung; Regulierung) +++ bAV sollte sich im Idealfall auf stabilen regulatorischen Rahmen verlassen können, der möglichst entlastet und nicht vor immer neue Anforderungen stellt, die mit hohen Kosten und leider allzu oft nur zweifelhaftem Nutzen verbunden sind +++ intrinsische Risiken im Wesentlichen durch große Kollektive und professionelles Management zu beherrschen +++

+++ Rest-Risiken bei bAV verbleiben, Stichwort Enthaftung: Wenn auf einer Seite weg, dann liegen sie auf der anderen Seite („heiße Kartoffel“) +++ Risiko bei rBZ auf Arbeitnehmer übertragen +++ oft argumentiert, dass im Ausland DC Maß aller Dinge sei und Deutschland hinterherhinke +++ Wind beginnt sich zu drehen: IBM hat DB-Plan wieder geöffnet, Boeing-Mitarbeiter streiken für Wiedereinführung eines alten DB-Plans +++ Leben auch bei Zinsen nicht schwarz-weiß: DAV hat errechnet, dass Absenkung des Garantieniveaus bis zu 60% im Mittel höhere Leistungen erlaubt als bei höherem Garantieniveau möglich wären +++ funktionierende bAV-Systeme sollten gestärkt und nicht ausgebremst werden +++

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.