Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Sozialpartnermodell:

Start me up?

Seit mehr als einem Jahr prüft die BaFin das erste Sozialpartnermodell. Genehmigung? Nicht in Sicht. Wie wirkt sich das auf den Markt aus? Wo genau hakt es? Was müsste passieren, damit es endlich läuft? LEITERbAV hat sich umgehört. Und erfahren, dass der Gesetzgeber wohl nachbessern muss, will er das Modell noch zum Leben erwecken. Von Exklusivität, besonderen Anliegen und wie man böse Überraschungen vermeidet, berichtet Michael Müller.

 

Frank Grund, BaFin. Foto: Frank Beer.

Frank Grund will keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er ein Freund des Sozialpartnermodells ist, als er am 5. Oktober 2021 in Bonn auf der aba-Tagung „Aufsichtsrecht für EbAV“ spricht. Der Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin lobt die Vorzüge der reinen Beitragszusage so ausgiebig, dass er mit den Worten schließt: „Doch nun genug der Werbung.“

 

Vielleicht äußert sich Grund auch deshalb so wohlwollend, weil viele Tagungs-Teilnehmer darüber spekulieren, warum das erste Sozialpartnermodell Deutschlands seit inzwischen mehr als einem Jahr im BaFin-Genehmigungsverfahren feststeckt. Grunds unterschwellige Botschaft: An der BaFin liegt es nicht! Wir würden genehmigen – wenn wir denn könnten!

 

Rückblick: der andauernde Start

 

Rückblende: Kurz nachdem der Gesetzgeber mit dem BRSG die Möglichkeit der reinen Beitragszusage in der bAV geschaffen hatte, brachten sich zahlreiche Anbieter in Stellung, um den vermeintlichen Zukunftsmarkt bedienen zu können. Ganz vorn mit dabei: Die Deutsche Betriebsrente, ein Konsortium von Talanx und Zurich Gruppe Deutschland. Das war im Februar 2018.

 

Im Oktober 2019 gab Talanx bekannt, die reine Beitragszusage den eigenen, rund 11.000 Beschäftigten im Rahmen eines Haustarifvertrags mit ver.di anbieten zu wollen. Zurich sollte wenig später als zweiter Kunde der Deutschen Betriebsrente folgen. Die Verhandlungen über das Vertragswerk zogen sich in. Erst anderthalb Jahre später, im März 2021, legten die Sozialpartner ihre Pläne der BaFin vor. Mit der Genehmigung rechneten sie damals innerhalb von drei Monaten. Sie warten noch heute. Und könnten vielleicht bald gar überholt werden, bspw. von BAVC und IGBCE, die gerade angekündigt haben, gemeinsam ein branchenweites Sozialpartnermodell für die chemische Industrie entwickeln zu wollen.


Offene rechtliche Grundsatzfragen

 

Fabian von Löbbecke, HDI Pensionsmanagement.

Wo hakt es nun bei der BaFin-Prüfung? Fabian von Löbbecke, bei Talanx für die bAV verantwortlich und Mitinitiator der Deutschen Betriebsrente, nennt gegenüber LEITERbAV zwei Knackpunkte: Zum einen sei strittig, „ob eine Gewerkschaftsmitgliedschaft eine zulässige Differenzierung im Sinne des VAG darstellt, um Mitgliedern Sonderkonditionen einräumen zu können“. Im Klartext: Offenbar hat ver.di im Vertragswerk Exklusiv-Bedingungen für die eigenen Mitglieder festgeschrieben, was die BaFin als verbotene Ungleichbehandlung wertet.


Zum anderen gebe es Uneinigkeit darüber, ob „ein späterer Tarifvertrag ohne Zustimmung der Begünstigten in bestehende Versorgungsverhältnisse eingreifen“ könne. Soll heißen: Ver.di möchte sich anscheinend die Möglichkeit offen halten, die Ruhestandsregelungen für Versorgungsanwärter in künftigen Tarifverträgen zu verschlechtern, während die BaFin einen Bestandsschutz fordert. Das Recht zu einseitigen Änderungen ist von Löbbecke zufolge „der Gewerkschaftsseite ein besonderes Anliegen“.


Jedes für sich allein und alle im Kontext


Bei ver.di möchte man sich zum Genehmigungsverfahren nicht äußern, was angesichts der politischen Sensibilität verständlich ist. Ein BaFin-Sprecher erläutert allgemein, was die aufsichtsrechtliche Prüfung von Sozialpartnermodellen so herausfordernd macht: Es gebe eine „Vielzahl neuer Fragestellungen“ und eine Menge Dokumente müssten geprüft werden – jedes für sich allein und alle im Kontext miteinander: „Der Tarifvertrag, die Vereinbarung der Tarifvertragsparteien mit der durchführenden Einrichtung, die technischen Berechnungsgrundlagen und der Pensionsplan bzw. die allgemeinen Versicherungsbedingungen.“

 

 

 

 

 

 

Prüfung bzw. Abstimmung sind typischerweise dann langwierig, wenn Rückfragen nur teilweise oder mit großer Verzögerung beantwortet werden.“

BaFin

 

 

 

 

Um böse Überraschungen zu vermeiden, rät der BaFin-Sprecher künftigen Antragstellern, die Aufsicht „möglichst frühzeitig in ihre Überlegungen einzubinden.“ Nicht allein der Umfang des Prüfauftrags entscheide über die Bearbeitungsdauer: „Prüfung bzw. Abstimmung sind typischerweise dann langwierig, wenn Rückfragen nur teilweise oder mit großer Verzögerung beantwortet werden.“ Ups! Ist das ein versteckter Hinweis darauf, wo es im Fall des Talanx-Sozialpartnermodells neben juristischen Fragestellungen außerdem noch klemmt? Immerhin: Eine Frist, nach deren Ablauf ein Genehmigungsverfahren automatisch scheitert, gibt es nicht – die BaFin könnte theoretisch ewig prüfen.

 

Unsicherheit bremst Nachfrage aus


Solche Unwägbarkeiten kommen im Markt schlecht an. Jürgen Bierbaum, Leben-Vorstand der Alte Leipziger und Geschäftsführer des Konsortiums
„Initiative Vorsorge“ (neben der Alte Leipziger getragen von Bayerische, LV1871 und Volkswohl Bund), berichtet: „Derzeit ist es sehr still rund um das Thema Sozialpartnermodell.“ Die Akteure träfen keine Entscheidungen, sondern warteten zunächst „das Ergebnis der aktuellen Diskussion mit der BaFin ab“. Hinzu komme, dass sich die Sozialpartner durch die immer noch andauernde Corona-Pandemie und die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine zunächst „auf andere Sachverhalte konzentrieren“ müssten. Bierbaums Fazit: „Die Einrichtung eines Sozialpartnermodells wird daher im Moment keine Top-Priorität sein.“

 

Normann Pankratz, Debeka.

Optimistischer äußert sich Normann Pankratz, Mitglied der Vorstände der Debeka-Gruppe und mitverantwortlich für „Das Rentenwerk“, in dem sich sein Arbeitgeber mit Barmenia, Gothaer, HUK-Coburg und Stuttgarter zusammengeschlossen hat. Er berichtet, während der Corona-Pandemie sei das Interesse am Rentenwerk „in einigen Fällen sogar gestiegen“ – möglicherweise, weil Arbeitgeber ihren Beschäftigten als Ausgleich für pandemiebedingte Zumutungen etwas Gutes tun wollten. Zugleich gelte aber: „Wir haben uns vorgenommen, zu etwaigen Vereinbarungen erst zu kommunizieren, wenn sie kurz vor dem Abschluss stehen.“

 

Ist Schweigen Gold?


Paradox: Fast alle Akteure wünschen sich mehr Überzeugungsarbeit für die reine Beitragszusage. Über eigene Pläne und Verhandlungen reden will aber kaum jemand – wohl aus Sorge, im Fall von Fehlschlägen oder Verzögerungen mit Nachfragen konfrontiert zu werden wie aktuell Talanx und ver.di.


SPM, BZML, BOLZ – alles in Bewegung

 

Harald Rosenberger, Nürnberger.

Als große kommunikative Herausforderung beim Sozialpartnermodell gilt, der Arbeitnehmerseite den Schwenk von der garantiebasierten zur garantiefreien Vorsorge schmackhaft zu machen. So sieht es auch Harald Rosenberger, Leben-Vorstand der Nürnberger. Seine Gesellschaft kooperiert mit dem Bankhaus Metzler, um im Markt des Sozialpartnermodells mitmischen zu können. Rosenberger konstatiert: „Die Abkehr von der bisher stark von Garantien geprägten ‚klassischen bAV-Welt‘ scheinen aktuell weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften gehen zu wollen.“

 

Hinzu komme, so Rosenberger weiter: „Die neue Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag ja angekündigt, sich mit dem Thema der Renditen auch in der ‚klassischen bAV‘ beschäftigen zu wollen. Deshalb sehe ich persönlich auch erst dann wieder neue Impulse, wenn der Gesetzgeber entsprechend aktiv wird.“

 

Konkret: Erst nachdem klar ist, ob der Gesetzgeber die BZML mit niedrigeren Garantieanforderungen wiederbelebt, wo bei der BOLZ die arbeitsrechtlich zulässige Garantie-Untergrenze verläuft und was daraus für die Anlagemöglichkeiten folgt, könne das Sozialpartnermodell in der Breite zum Thema werden.


Nicht auszuschließen, dass herkömmliche BOLZ-Produkte mit beispielsweise 50%-Bruttobeitragsgarantie am Ende besser zum Chance-Risiko-Profil eines durchschnittlichen Arbeitnehmers passen als die reine Beitragszusage, bei der theoretisch auch ein Totalausfall möglich ist.

 

Der Gesetzgeber soll ran – oder doch die BaFin?

 

Anja Schulz, FDP MdB.

Die Fäden laufen also in Berlin zusammen. Der Gesetzgeber muss wohl nachhelfen, wenn er das Sozialpartnermodell noch zum Laufen bringen will. Anja Schulz, Berichterstatterin für Alterssicherung in der FDP-Bundestagsfraktion, findet die reine Beitragszusage wegen des „pay and forget“ nach wie vor attraktiv: „In Zeiten niedriger Zinsen und hoher Inflation ist eine Beitragsgarantie so schwierig einzuhalten, dass manche Arbeitgeber davor zurückschrecken, eine bAV anzubieten. Dass die Arbeitgeber [beim Sozialpartnermodell] nicht für eventuell schwankende Auszahlungen haften müssen, verbessert die Akzeptanz und die Bereitschaft für bAV.“ Dies könne „die Verbreitungsquote signifikant erhöhen.“

 

 

 

 

 

 

Wenn die BaFin direkt die erste Einigung mit langwierigen Prüfungen ausbremst, so aktuell im Fall ver.di und Talanx, ist das nicht hilfreich und sollte ein Thema für die Bundesregierung sein.“

Axel Knoerig

 

 

 

 

 

 

 

 

Axel Knoerig, CDU.

Axel Knoerig (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales, betont die „grundsätzliche Bedeutung der bAV und die unbedingte Notwendigkeit, diese auszubauen.“ Es gehe nicht um das „ob“, sondern nur um das „wie“. Die Sozialpartner seien am Zug, die reine Beitragszusage umzusetzen. Allerdings: „Wenn die BaFin direkt die erste Einigung mit langwierigen Prüfungen ausbremst, so aktuell im Fall der Vereinbarung von ver.di und Talanx, ist das nicht hilfreich und sollte ein Thema für die in der politischen Verantwortung stehende Bundesregierung sein.“

 

BMAS optimistisch und gesprächbereit


Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte die Akteure schon im Februar 2019 an einem runden Tisch zusammengerufen und ermahnt, sich zu verständigen und endlich Sozialpartnermodelle auf den Weg zu bringen.

 

 

 

 

 

 

Zur im Koalititionsvertrag vereinbarten Stärkung der bAV wird das BMAS ab Herbst zu einem Fachdialog einladen. Wenn die Sozialpartner gemeinsam konkreten Änderungsbedarf am Sozialpartnermodell sehen sollten, sind wir dafür grundsätzlich offen“.

Rolf Schmachtenberg

 

 

 

 

 

 

 

Rolf Schmachtenberg, BMAS.

Noch scheint die Geduld im BMAS nicht erschöpft zu sein. „Ich kann nur immer wieder an die Beteiligten appellieren, die Möglichkeiten im Sinne der Beschäftigten zu nutzen“, sagt BMAS-Staatssekretär Rolf Schmachtenberg. Er sei „bei aller Vorsicht optimistisch, dass wir in diesem Jahr Sozialpartnermodelle sehen werden“. An den Rahmenbedingungen könne man notfalls noch feilen, deutet Schmachtenberg an: „Zur im Koalititionsvertrag vereinbarten Stärkung der bAV wird das BMAS ab dem Herbst dieses Jahres zu einem Fachdialog einladen. Wenn die Sozialpartner gemeinsam konkreten Änderungsbedarf am Sozialpartnermodell sehen sollten, sind wir im BMAS dafür grundsätzlich offen“.

 

Das dürfte man bei Talanx gerne hören. Denn von Löbbecke geht davon aus, dass die „übergeordnete juristische Frage“, die der BaFin-Genehmigung des hauseigenen Sozialpartnermodells bisher im Weg steht, einer „Konkretisierung des Gesetzgebers“ bedarf. Sprich: Berlin müsse regeln, wie konkurrierende Bestimmungen im Tarif- und im Versicherungsrecht unter einen Hut zu bekommen seien. Dann sei der „gordische Knoten durchschlagen, und andere Marktteilnehmer hätten es leichter, ein Sozialpartnermodell einzurichten.“ Von Löbbecke ergänzt kämpferisch: „Dazu braucht es einen langen Atem, und den bringen wir mit.“ Die reine Beitragszusage in der bAV sei nur innerhalb des Sozialpartnermodells realisierbar – deshalb führe kein Weg an ihm vorbei.

 

Zumindest in der Theorie funktioniert es

 

Dass das Konzept der reinen Beitragszusage für die Arbeitnehmer auch in einem turbulenten Kapitalmarkt aufgeht, kann Diplom-Mathematiker von Löbbecke schon heute vorrechnen. Talanx und Zurich haben den Fonds der Deutschen Betriebsrente 2018 mit 100 Mio. Euro „Seed Money“ ausgestattet. Dies ermöglicht echte Modellierungen und nicht nur Back-Tests.


Von Löbbecke konkretisiert: „Durch das Zusammenwirken von Kapitalanlage und Produktmodell hätten wir weder in der gegenwärtigen Ukraine-Krise noch während des an den Kapitalmärkten noch viel dramatischeren Corona-Einbruchs die Zielrenten senken müssen. Im schwärzesten Monat, dem März 2020, hätten wir noch einen Deckungsgrad von knapp über 105% gehabt – und hätten die Zielrenten daher nicht anpassen müssen. Im Frühjahr 2021 hingegen hätten wir die Zielrenten sogar erhöhen müssen, da der Deckungsgrad hier erstmals 125% überstieg.“

 

Abzuwarten bleibt, wie viele Krisen noch ins Land gehen, bevor der erste Arbeitnehmer davon profitieren kann. Jedoch gibt es hier einen Ausblick: Am 21. Juni wird der „Eberbacher Kreis“ in Berlin einen großen Kongress mit internationaler Beteiligung zu den Sozialpartnermodellen durchführen, zu dem auch Minister Heil als Sprecher erwartet wird. Eine Chance für neue Impulse?

 

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.