Das BRSG ist seit vier Monaten in Kraft. Mit einem eindringlichen Appell wandte sich aba-Vorstandschef Heribert Karch an die Tarifpartner. Weitere Details zur aba-Jahrestagung gestern in Berlin mit Statements von aba, BMAS, DRV Bund und DIW hat LbAV-Autor Detlef Pohl in Kurzform zusammengetragen.
Ende April haben in Mannheim die turnusgemäßen aba-Tagungen zu Steuer- und zu Arbeitsrecht stattgefunden. Die Berichterstattung hierzu folgt in Kürze auf LEITERbAV. Doch jetzt drängelt sich zunächst die aba-Jahrestagung vor, die vergangene Woche Donnerstag und Freitag in Berlin abgehalten wurde. Wegen der Dichte der Informationen dieser Tagung dokumentiert LEITERbAV Impressionen von der Veranstaltung mehrteilig und im Telegrammstil (sämtlich im Indikativ der nacheinander auftretenden Referenten):
Heribert Karch, aba-Vorstandsvorsitzender: „Experimentelle Ambitionen nicht in der Altersversorgung auszuleben“
+++ übt zu Beginn der Tagung erneut heftige Kritik an dem hessischen Vorstoß zur Schaffung einer staatlich organisierten Deutschland-Rente, die im Bundesrat erst einmal auf Eis liegt +++ Deutschlandrente steht in direkter Konkurrenz zur bAV +++ Deutschland-Rente wäre Pflichtsystem mit schlechtesten Konditionen +++ fordert, diese Dinge vom Ende her zu denken und experimentelle Ambitionen nicht in der Altersversorgung der Menschen in Deutschland auszuleben +++ wenn der Gesetzgeber in der bAV Rahmenbedingungen einschließlich der Förderung richtig setzt und Fehlanreize beseitigt, dann ist Deutschland-Rente überflüssig wie ein Kropf +++
+++ BRSG neben AVmG weitreichendste Reform seit Einführung des Betriebsrentengesetzes 1974 +++ BRSG ist weit mehr als „nur“ Sozialpartnermodell +++ starker Anreiz zur Förderung niedriger Einkommen durch Zuschussförderung und Freibetrag bei Grundsicherung +++ eine seriöse Bilanz muss auch konstatieren, dass Gesetzgeber deutlich stärkere Motivationen hätte schaffen können +++ statt endlich klarer steuer- und beitragsfreier Systematik des § 3 Nr. 63 EStG mit adäquater Dotierung und Nachholmöglichkeit für ein Arbeitsleben innerhalb des Arbeitsverhältnisses kam fiskalpolitische Halbherzigkeit +++ Chancen einer weiteren Verbreitung der bAV erwachsen nur begrenzt aus den adjustierten Rahmenbedingungen +++ Exklusivrechte für Tarifparteien gibt es vor allem, weil das deutsche Arbeits- und Sozialmodell den Sozialpartnern sehr viel Macht und Rechtssetzungsbefugnis verleiht und eine politische Strategie die Tarifparteien im Interesse einer fiskalpolitisch preisgünstigen Lösung als Hebel nutzt +++ damit ist ein neuer verteilungspolitischer Deal eingeleitet, ein neuer Verbreitungsansatz und eine neue Architektur +++
+++ deutsche reine Beitragszusage infolge ihres kollektiven Charakters, ihrer Sicherungsstrukturen und ihrer Puffer nicht mit individuellen Investmentlösungen angelsächsischer Prägung zu vergleichen +++ ermöglicht endlich Teilnahme am Produktivvermögen +++ Karchs Appell an die Sozialpartner: „Nutzt die Macht zur Gestaltung der reinen Beitragszusage, gebt die Verantwortung nicht an den Staat ab.“
Nochmal Karch: Doppelverbeitragung und 6a pressieren
+++ Begriff der Doppelverbeitragung wird verwendet, um zwei verschiedene Sachverhalte zu beschreiben +++ einerseits für 2004 umgesetzten Wechsel von Verbeitragung mit halbem Beitragssatz für Rentenleistungen bzw. der Beitragsfreiheit von Kapitalleistungen zur Verbeitragung mit vollem Beitragssatz (besser: volle Verbeitragung) +++ andererseits für die Belastung von Betriebsrenten in der Finanzierungs- und in der Leistungsphase mit Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung +++ Fallzahlen doppelter Vollverbeitragung werden stetig zunehmen +++ einfachste Lösung wäre Belastung von Betriebsrenten aus dem Brutto-Prinzip nur mit halbem Beitrag – also für Rentenzahlungen die Wiederherstellung des Rechtszustandes von 2003 +++
+++ steuerlicher Abzinsungssatz von 6% passt nicht in die aktuelle Landschaft, zumal Scheingewinne versteuert werden müssen +++ bedeutet Erhebung von Steuern auf Gewinne, die eigentlich zur Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen verwendet werden müssten +++ systemwidriger, aber systematischer und so nicht hinnehmbarer Entzug von Liquidität +++ derzeit keine positiven Signale aus der Politik +++ aba hat sich jüngst erst im Rahmen ihrer jährlichen Steuerrechtstagung in der Frage des 6a erneut positioniert und Vorschläge gemacht +++ Direktzusagen erfassen heute 3,2 Mio. Rentner bei einem Volumen von rund 300 Mrd. Euro +++ Wachstumspfad: Zahl der Anwärter erhöhte sich zwischen 2001 und 2015 von 3,4 auf 4,7 Mio. Menschen +++
Beamteter Staatssekretär im BMAS Rolf Schmachtenberg: „erste Spezial-Weiterbildung“
+++ bAV der komplizierteste Part des deutschen Rentenrechts, daher holt Schmachtenberg (SPD) sich „bei seinem Antrittsbesuch auf der aba-Tagung die erste Spezial-Weiterbildung ab“ +++ zur Akzeptanz der gesetzlichen Rente werden Haltelinien weiter diskutiert; derzeit wird dazu mit BMF eine Treppe konstruiert +++ weitere Baustellen sind Mütterrente, Erwerbsminderungsrente, Ausweitung der Midijobs zwischen 450 und 1.350 Euro Bruttoeinkommen sowie sinkender Beitrag in der Arbeitslosenversicherung +++ neue Rentenkommission aus Politikern, Wissenschaftlern und Sozialpartnern fasst die Jahre 2025 bis 2040 ins Auge – Ergebnisse sollen bis März 2020 vorliegen +++ für 2019 ist kleines Rentenpaket vorgesehen: Änderungen bei der Grundsicherung sowie Altersvorsorge für Solo-Selbstständige +++ beim BRSG gibt es derzeit für ihn eine „Baustellen-Betrachtung“ +++ neues Finanzaufsichtsgesetz zur Umsetzung der IORP-II-RL ist aus Sicht des BMAS sinnvoll, wird aber dem BMF überlassen +++ zur säulenübergreifenden Renteninformation neue Dynamik der Diskussion; bis spätestens Herbst 2018 soll eine Lösung her, die bisherige Lücken bei Übersicht, Vergleichbarkeit und Verständlichkeit beseitigt +++
Gundula Roßbach, Präsidentin Deutsche Rentenversicherung Bund: „Zusammenhang von Demografie und Beitragssatz nicht ganz so dramatisch“
+++ schwer genug, das bisherige Rentenniveau zu halten +++ Nettorentenniveau ist bislang mit 45% vor Steuern bis 2030 festgeschrieben – bei maximal 21,6% Beitragssatz +++ Tatsächliches Rentenniveau von 2007 bis 2016 im Westen der Republik um 6,4% gesunken, obwohl die Bruttorenten um 13,9% gestiegen sind +++ Eckrentner mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittsverdienst kommt heute auf 12,7% höhere Rente als 2010, im Osten gar auf 20% mehr +++ Zusammenhang von Demografie und Beitragssatz nicht ganz so dramatisch wie vielfach kolportiert: 1986 kamen 24 Rentner ab 65 auf 100 Berufstätige zwischen 20 und 65 – bei 19,2 % Beitragssatz +++ 2018 sind es 36 Rentner auf 100 Berufstätige – bei 18,6 % +++ Im Jahr 2030 dürften es 48 Rentner auf 100 Berufstätige sein – bei geschätzt 21,6 % Beitragssatz +++ Zahlbeträge der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente steigen nach jahrelangem Rückgang wieder deutlich und erreichten bei Neurentnern mit 697 Euro (2016) fast wieder das frühere Niveau von 706 Euro (2000) +++ Laufende Altersrenten sind in den letzten zehn Jahren deutlich stärker gestiegen als die Inflationsrate, aber nicht so stark wie Bruttolöhne +++ Gesamtwirkungen des Koalitionsvertrages auf die GRV sind nicht abschließend zu beurteilen, aber: GRV ist eine Rentenversicherung, keine Fürsorgeeinrichtung +++
Professor Marcel Fratzscher, Direktor DIW Berlin: Massiv ungleiche Vermögensbildung
+++ bemüht eingangs Tucholsky: „Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig“ +++ Deutsche Haushalte besitzen im Schnitt 61.000 € Vermögen, doch 40 % der Haushalte besitzen praktisch keine Rücklagen +++ Diese hohe Ungleichheit zwischen Arm und Reich ist in Europa nur in Großbritannien noch eklatanter +++ Gründe sieht Fratzscher in schlechtem Sparen, geringen vermögensbezogenen Steuern und immer stärker aufgehender Schere zwischen hohen und niedrigen Arbeitseinkommen +++ Die Art des Vermögens ist häufig ungerecht: 13 % des durchschnittlichen Haushaltsvermögens stecken im eigenen Unternehmen, 31,4 % werden geerbt (Westdeutschland) +++ Drei Säulen der Alterssicherung mildern Vermögensungleichheit, weil alle was davon haben, verstärken letztlich aber auch die Ungleichheit der Höhe nach +++ Rentenanwartschaften schließen Vermögenslücken nur geringfügig +++ Wer 2012 in Deutschland seine volle Berufstätigkeit begann, kann im Alter auf durchschnittlich 48 % seines monatlichen Lebenseinkommens als Altersrente hoffen +++ Geringverdiener partizipieren nach geltendem Recht verhältnismäßig stärker, haben aber trotzdem sehr wenig Geld im Alter +++ Die großen globalen Wirtschaftstrends werden die Lage nicht ändern, da säkulare Stagnation anhält, Digitalisierung die Arbeit beschleunigt verändern und die Demografie vor allem auf Deutschland durchschlagen wird +++
Die zwischenzeitlich auf LEITERbAV erfolgte Berichterstattung zur 80. aba-Jahrestagung am 3. und 4. Mai 2018 in Berlin:
26. April: Szene trifft sich in Berlin
2. Mai: „Deutschlandrente nicht praxistauglich“
7. Mai: „Nutzt die Macht zur Gestaltung“
8. Mai: Von boLZ und Mindesthöhen, bAV-Headlines, BMF-Schreiben und Insolvenzen
9. Mai: Von internen DFW vs. rBZ, von US-GAAP vs. rBZ und von der Kirche im Dorf
14. Mai: Von kurzer Vola und langer Anlage, von CARL und von Attraktivität
16. Mai: Von Enttäuschungen und Erwartungen, von Herkules und Zielkonflikten