Künftig können Bürger eine Übersicht ihrer Rentenansprüche aus allen drei Schichten der Altersvorsorge digital abrufen. Das birgt Herausforderungen, besonders für kleine EbAV. P●I-Autor Michael Eder hat sich umgehört: wo Stolpersteine liegen und sich Auswege anbieten, wo die Gleichung Unbekannte hat, inwiefern Ministeriums-Pläne und Gesetz auseinanderdriften, wo Hochwasser droht, wer wen erschlägt, welches Unternehmen ein echter Vorreiter ist – und wo trügerische Sicherheit droht.
In der Altersvorsorge endet endgültig das Zeitalter des Taschenrechners. Bisher mussten Bürger, die wissen wollten, welche Anwartschaften sie in Summe schon erworben haben und wie viel Geld sie im Rentenalter insgesamt erwarten können, ihre Standmitteilungen sammeln und die Werte selbst addieren. Damit macht der Gesetzgeber jetzt bekanntlich Schluss. Bereits im Februar 2021 hat der Bundestag das Rentenübersichtsgesetz (RentÜG) beschlossen. Es sieht die Einführung einer Digitalen Rentenübersicht (DigiRÜ) vor. Sie liefert auf Knopfdruck eine Gesamtübersicht, sortiert nach erreichten und erreichbaren, garantierten und prognostizierten Werten, differenziert nach den Leistungsformen Rente und Kapitalauszahlung. Die Pilotphase ist abgeschlossen. Vor kurzem ist der Online-Service in den Regelbetrieb gestartet.
Für das Zusammentragen und Konsolidieren der Daten ist die eigens zu diesem Zweck gegründete Zentrale Stelle für die Digitale Rentenübersicht (ZfDR) zuständig, die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund angesiedelt ist. An sie müssen Versorgungseinrichtungen u.a. den Inhalt der letzten Standmitteilungen ihrer Kunden übermitteln, wenn danach gefragt wird.
Direktzusage und U-Kasse auf freiwilliger Basis
Das gilt für Einrichtungen der gesetzlichen, der privaten und der betrieblichen Altersversorgung. Faustregel: Wer schon bisher Standmitteilungen an seine Kunden verschickt hat, muss sich jetzt über eine Datenschnittstelle an die ZfDR anbinden. Im Bereich der Betriebsrente sind das Pensionsfonds, Pensionskassen sowie diejenigen Lebensversicherer, die Direktversicherungen im Portfolio haben. U-Kassen und Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern Direktzusagen erteilt haben, sind hingegen nicht anbindungspflichtig. Aber: Sie dürfen mit der ZfDR zusammenarbeiten. Und das sollen sie auch, wenn es nach Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im BMAS, geht. Er wünscht sich, „dass möglichst alle Anbieter von Altersvorsorgeprodukten teilnehmen, so dass die getroffenen Vorsorgeentscheidungen vollständig abgebildet werden.“
„Die Aufteilung auf Durchführungswege ist etwas fürs Kleingedruckte.“
Ein Ziel, das Dirk Jargstorff, Vorstandsvorsitzender des Bosch Pensionsfonds und Leiter Betriebliche Versorgungsleistungen bei der Robert Bosch GmbH, unterstützt. Bosch kombiniert in seinem Vorsorgeplan den anbindungspflichtigen Pensionsfonds mit der nicht anbindungspflichtigen Direktzusage. Aus der Perspektive der Belegschaft sei es irrelevant, über welchen Durchführungsweg der Beitrag bereitgestellt werde. Die Aufteilung auf Durchführungswege sei etwas fürs Kleingedruckte, stellt Jargstorff fest.
Hinzu kommt: Das Stuttgarter Unternehmen informiert seine Belegschaft auch selbst über die Anwartschaften aus beiden Durchführungswegen. Würde nur der Pensionsfonds Daten an die ZfDR liefern, „wäre eine Digitale Rentenübersicht nicht nur objektiv unvollständig, sondern auch widersprüchlich zu den Informationen, die vom Arbeitgeber bereitgestellt werden. Daher hat sich Bosch entschlossen, mit der Anbindung aller Unternehmen der Gruppe die gesamten Versorgungsansprüche in der Digitalen Rentenübersicht abzubilden, auch wenn dies nicht verpflichtend ist.“
In Zahlen heißt das: In der Liste der angebundenen Versorgungseinrichtungen, die die ZfDR veröffentlicht, tauchen neben dem Bosch Pensionsfonds über 70 weitere Bosch-Gesellschaften auf – bei einer Gesamtzahl von aktuell gut 250 Teilnehmern, die sich auf rund 20 sogenannte Verbünde (z. B. Konzerne oder die Deutschen Rentenversicherung als Dach ihrer Träger) verteilen.
Teilnehmerzahl? Unbekannt!
Voraussichtlich bis Ende 2024 sollen alle Versorgungseinrichtungen, die sich an die ZfDR anbinden müssen, auch angebunden sein. Wie viele das sind, kann man nur schätzen. Auf jeden Fall im Boot sind die 17 Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Ebenso die in der Erstversicherungsstatistik der BaFin ausgewiesenen 82 Lebensversicherer, 134 Pensionskassen und 35 Pensionsfonds – macht 268. Hinzu kommen Banken als Anbieter von Riester-Sparplänen. Hinzu kommen Banken als Anbieter von Riester-Sparplänen. So hat z.B. die Sparkassen-Organisation kürzlich 160 regionale Institute angebunden. Und all jene, die sich wie die Bosch-Gesellschaften noch freiwillig an die ZfDR anbinden werden. Es gibt also noch viel zu tun in den nächsten 11 Monaten.
Keine Vorratsdatenspeicherung
Wie die Anbindung technisch funktioniert, erklärt die ZfDR in einem 46-seitigen Kommunikationshandbuch:
Nach der Registrierung erhält die Versorgungseinrichtung ein Zertifikat für die verschlüsselte, datenschutzkonforme Übermittlung. Außerdem hat die ZfDR definiert, in welchem Dateiformat und in welcher Form die Rentendaten geliefert werden müssen und dazu einen Musterdatensatz erstellt. Über die Schnittstelle werden die Rentendaten von der ZfDR angefordert und von der Vorsorgeeinrichtung dorthin geliefert – aber erst, wenn der Versorgungsberechtigte danach fragt. Denn die ZfDR speichert keine Daten auf Vorrat. Für die Beantwortung der Anfragen haben die Vorsorgeeinrichtungen bis zu fünf Tage Zeit.
„Kleine“ Pensionskassen: viel Aufwand, wenig Nutzen
Nicht alle Versorgungseinrichtungen können – oder wollen – die Anforderungen selbst bewerkstelligen. Viele Marktteilnehmer kämpfen, unabhängig von ihrer Größe, mit knappen IT-Ressourcen, die einem immer größer werdenden Projektportfolio gegenüberstehen. Besonders hart trifft es die kleinen Pensionskassen:
Laut BaFin-Statistik haben 20 von ihnen weniger als 100 Anwärter, weitere 15 weniger als 1.000 Anwärter. „Darunter dürften sich viele geschlossene Einrichtungen mit vielen rentennahen Anwärtern befinden, für deren weitere Rentenplanung die Digitale Rentenübersicht nur noch einen geringen Nutzen haben dürfte“, sagt aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann, der auch im Steuerungsgremium der ZfDR sitzt.
Die aba wirbt deshalb dafür, kleinere Anbieter aus dem Regelungsbereich der DigiRÜ auszuklammern. Im BMAS hingegen lautet das Ziel, „eine Anbindung möglichst vieler Versorgungseinrichtungen zu erreichen“. Zwar achte man darauf, dass kleineren Versorgungseinrichtungen kein unverhältnismäßiger Aufwand entstehe. Ob das RentÜG zugunsten der Kleinen geändert wird, ist Stand heute aber offen.
Stichtag 31. Dezember 2024 – oder doch nicht?
Noch in einem weiteren Punkt liegen die aba und das BMAS über Kreuz. Das Ministerium will den 31. Dezember 2024 als Stichtag für die verpflichtende Anbindung an die ZfDR demnächst per Rechtsverordnung festsetzen. Eine Übergangsfrist ist nach Auskunft des Ministeriums nicht vorgesehen – obwohl im RentÜG etwas anderes steht.
Die aba hingegen fordert eine flexible Lösung, denn: „Die Erfahrung zeigt, das die Tücke im Detail steckt, so dass man nicht abschätzen kann, wann die Einrichtungen anbindungsbereit und für die Gesamtheit der Anwärterbestände antwortfähig sind“, argumentiert Stiefermann. Außerdem sei wichtig, dass z.B. bei Technik-Tests keine Engpässe entstünden, wenn viele Einrichtungen erst kurz vor Fristende aktiv würden.
„Zwei Monate Vorlaufzeit einplanen“
Um die Anbindung herzustellen und die laufenden Anfragen der ZfDR zu beantworten, können Versorgungseinrichtungen auf Dienstleister, genannt Intermediäre, zurückgreifen. Am Markt ist eine Vielzahl von Angeboten entstanden. Ein Beispiel ist das P-Live Modul „Digitale Rentenübersicht“ von Lurse. Dabei handelt es sich um eine Datenbank, in die Produktanbieter ihre Daten in jedem beliebigen Format einspeisen können.
Lurse konvertiert die Werte und Formate in die von der ZfDR verlangte Form und stellt sie über eine Schnittstelle zur Verfügung. So hat der Consultant bereits die Philips Pensionskasse und die Pensionskasse der Hamburger Hochbahn an die ZfDR angebunden, berichtet Michael Bautz, Vorstand der kürzlich von Lurse übernommenen Amakura. „Damit sind wir der erste Intermediär, der Anbindungen für Pensionskassen realisiert und auch abgeschlossen hat“, so Bautz. Ein halbes Dutzend weiterer Pensionskassen habe man in der Pipeline.
Der Stichtag 31. Dezember 2024 – sofern er denn per Rechtsverordnung bestätigt wird – ist laut Bautz für alle Versorgungseinrichtungen zu schaffen. Er mahnt aber, die Aufgabe nicht erst auf den letzten Drücker anzupacken, weil die Anbindung auch über einen erfahrenen Intermediär bis zu zwei Monate Vorlaufzeit in Anspruch nehmen könne.
Kaufen oder selber machen?
Weniger Aufwand und weniger Komplexität – laut Thomas Dietsch, Senior Business Developer bei Adesso Insurance Solutions, sind das die zwei Hauptgründe, warum Versorgungseinrichtungen im Zusammenspiel mit der ZfDR eine externe Lösung nutzen sollten. Das gelte schon heute und vor allem langfristig. Denn Dietsch erwartet für die DigiRÜ „eine funktionale Weiterentwicklung, die von der ZfDR definiert werden wird.“ Sprich: Wenn die ZfDR die technischen Anforderungen, z.B. an die Schnittstelle, verändert, müssen sich Kunden der Intermediäre um nichts kümmern. Der Dienstleister setzt die notwendigen Anpassungen um. Laut Dietsch spare das nicht nur Stress, sondern auch Geld, weil „Pflege, Wartung und Weiterentwicklung durch eine Marktlösung effizient und kostengünstig eingekauft werden können. Kaufen ist hier günstiger als selbst Entwickeln.“
Sein sog. Insurance-Gov-Interface hat das Dortmunder Software- und Beratungshaus in erster Linie für Bestandskunden entwickelt, wozu sowohl Pensionskassen als auch Versicherer gehören. Über das Interface lassen sich auch Steuer-IDs von Versorgungsberechtigten recherchieren. Eine nützliche Funktion, denn: Die ZfDR benötigt die Steuer-ID von Anwärtern, um ihnen Ansprüche eindeutig zuordnen zu können. Aber: Bei Bestandskunden haben die Versorgungseinrichtungen oft keine Steuer-ID in ihren Akten. Das macht eine Anfrage beim Bundeszentralamt für Steuern erforderlich – die das Interface automatisiert stellen kann.
Stress für Bestandsführungssysteme
Ebenfalls als Intermediär unterwegs ist das Software- und Beratungshaus msg. Die Unternehmensgruppe ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat eine ihrer eigenen Gesellschaften, die msg life AG, freiwillig an die ZfDR angebunden. Dabei geht es um Direktzusagen. Die dabei genutzte Anbindungs-Software msg.Pension Data bietet sich nicht nur für all jene an, die in der Bestandsführung die msg.Life Factory nutzen, sondern ist auch mit anderen Systemen kompatibel. In der Vermarktung argumentiert msg unter anderem mit der Systemlast und mit Security-Aspekten: Bestandsführungssysteme seien nicht darauf ausgelegt, eine Vielzahl von ZfDR-Anfragen 24/7 bearbeiten und beantworten zu müssen. Deshalb drohe die DigiRÜ, die Technik zu überfordern – mit einer externen Lösung ließe sich das vermeiden.
Vor der großen Flut – irrelevanter Anfragen?
Ähnlich argumentiert die GDV Dienstleistungs-GmbH, die ebenfalls als Intermediär unterwegs ist: Fordert ein Bürger eine DigiRÜ an, fragt die ZfDR alle angebundenen Versorgungseinrichtungen – auch jene, bei denen der Bürger keine Rentenansprüche besitzt. Ist der neue Online-Service erst einmal populär geworden, können das zehn- oder sogar hunderttausende Anfragen pro Tag sein. Allein die Masse der unzutreffenden Anfragen, die mit einer Nullmeldung beantwortet werden, belastet die IT-Systeme. Deshalb bietet der GDV seinen Kunden neben einer Datenbanklösung auch das Ausfiltern und Abfangen irrelevanter DigiRÜ-Anfragen an.
Das Angebot ist für GDV-Mitglieder entwickelt worden, steht aber auch Nichtmitgliedern offen. Bisher habe man 14 Versorgungseinrichtungen an die ZfDR angebunden, knapp 50 weitere seien in der Pipeline, so ein Sprecher. Dabei reiche das Spektrum vom großen Konzern bis zu mittleren und kleinen Unternehmen, es umfasse sowohl Pensionskassen als auch Lebensversicherer.
„Die Online-Anmeldung anhand elektronischer Ausweispapiere ist nicht für jeden praktikabel. Hier muss es dringend alternative Wege geben.“
Einer dieser Lebensversicherer ist der Volkswohlbund aus Dortmund. „Unsere Vorbereitungen sind so gut wie abgeschlossen. Wir rechnen damit, dass wir spätestens ab Mitte Februar die ersten Daten liefern werden“, sagt Sprecherin Simone Szydlak.
Datenschutz schlägt (er-)Barrierefreiheit
Bleibt die Frage: Lohnt sich der ganze Aufwand am Ende? Wird der Gesetzgeber sein selbst gestecktes Ziel erreichen, mit der DigiRÜ das Wissen der Menschen um ihre Vorsorgesituation zu verbessern und Rentenlücken transparent zu machen? Und vor allem: Werden die Bürger aus den Informationen die richtigen Schlüsse ziehen und ihre Vorsorge bei Bedarf tatsächlich aufstocken? Szydlak ist optimistisch, dass das funktioniert. Sie nennt allerdings auch einen Kritikpunkt, der die Registrierung der Bürger für die DigiRÜ betrifft:
„Ausgerechnet die größte Zahl steht im Schaufenster.“
Wer den Online-Service nutzen will, muss sich vorab mit einem elektronischen Personalausweis oder (bei EU-Ausländern mit Rentenansprüchen in Deutschland) mit einer eID-Karte identifizieren. Das dient dem Datenschutz. Das Prozedere soll Klau und Missbrauch von Renteninformationen verhindern. Die Kehrseite der Medaille: Nicht jeder, der Rentenansprüche hat, hat ein digitales Ausweisdokument. Und ohne digitales Ausweisdokument gibt es keine DigiRÜ. Szydlak resümiert: „Die Online-Anmeldung anhand elektronischer Ausweispapiere ist nicht für jeden praktikabel. Hier muss es dringend alternative Wege geben.“
Prognosewerte im Schaufenster
Einen weiteren Kritikpunkt nennt Michael Bautz von Amakura: Wenn Bürger ihre DigiRÜ online einsehen, bekommen sie zuerst ihren prognostizierten, erreichbaren Altersvorsorge-Anspruch zu sehen. Erst auf der nächsten Seite folgt das differenzierte Gesamtbild, u.a. mit den bereits erreichten, garantierten Werten – die naturgemäß kleiner ausfallen. Bautz: „Ausgerechnet die größte Zahl steht im Schaufenster. Nutzer, die auf der ersten Seite aussteigen und die Übersicht nicht bis zum Ende lesen, wiegen sich in trügerischer Sicherheit. Denn keiner weiß, ob der prognostizierte, erreichbare Wert tatsächlich jemals erreicht wird.“
Wer testet, kann mitgestalten
Damit konfrontiert, zeigt sich die ZfDR, die für die Darstellung der Werte verantwortlich ist, gesprächsbereit. Man wolle „während der Evaluationsphase das Feedback der Nutzenden auswerten und ggf. Anpassungen entsprechend der vorliegenden Rückmeldungen vornehmen.“ Das darf man als Einladung verstehen, die selbstverständlich auch für das Fachpublikum gilt:
Testet, teilt Eure Erfahrungen und gestaltet mit!
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.