In der EuGH-Causa unterdeckte Pensionskasse bei insolventem Arbeitgeber hat jüngst der Generalanwalt seinen Schlussantrag gestellt. Theodor Cisch und Philipp Lämpe sehen eine klare Tendenz: Der PSV ist europarechtlich nicht verpflichtet, bei einer Pensionskassenversorgung die Einstandsverpflichtung gegen die Folgen der Insolvenz des Arbeitgebers zu sichern. Einen möglichen Handlungsbedarf sehen sie gleichwohl: Es liege in den Händen des Gesetzgebers, ob er zur Abwendung von Staatshaftungsansprüchen tätig werde.
Bereits mit der Samstags-Sondermeldung „Vier Antworten und Sprengstoff“ hatte LEITERbAV über die seit dem 8. Mai 2019 vorliegenden Schlussanträge des Generalanwalts Gerhard Hogan in der Rs. S-168/18 (Pensions-Sicherungs-Verein VvaG ./. Bauer) berichtet.
Als zentrale Fragestellung des BAG hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Frage herausgestellt, ob Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von einem Träger der Insolvenzsicherung der bAV die Übernahme von Zahlungen verlangt, die ein Arbeitgeber, der jetzt zahlungsunfähig ist, an einen früheren Arbeitnehmer infolge einer rechtlichen Verpflichtung zu zahlen hatte.
Vom EuGH sei daher einmal mehr verlangt – so Hogan –, über den Anwendungsbereich und die Auslegung der Vorschrift des Art. 8 der RL 2008/94/EG zu befinden. In dieser heißt es:
„Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aus dessen Unternehmen oder Betrieb bereits ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der einzelstaatlichen gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden.“
Schlussanträge des Generalanwalts und Kurzbewertung der Schlussfolgerungen
In den Schlussfolgerungen schlägt der Generalanwalt dem EuGH Antworten auf die Fragen des BAG vor (vgl. zu den Fragestellungen: Vier Fragen und ein steiniger Weg auf LEITERbAV). Diese seien nachfolgend knapp kommentiert und bewertet:
Schlussfolgerung 1:
„Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG ist dahin auszulegen, dass er den Verlust einer Leistung wie derjenigen des Ausgangsverfahrens erfasst, die von einem früheren Arbeitgeber erbracht wurde, um, wie vom nationalen Recht verlangt, eine Leistungskürzung der betrieblichen Altersversorgung auszugleichen.“
Die Regelung erfasst nach der Sichtweise des Generalanwalts also auch die Verschaffungsverpflichtung nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG.
Schlussfolgerung 2:
„Die Umstände, auf die sich der Gerichtshof in Rn. 35 des Urteils vom 24. November 2016, Webb-Sämann (C454/15, EU:C:2016:891), bezieht, sind solche, in denen der Kläger nachweist, dass der Mitgliedstaat seine Verpflichtung, sich zu vergewissern, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die aus dem Unternehmen oder dem Betrieb des Arbeitgebers bereits ausgeschieden sind, getroffen werden, nicht erfüllt hat, und die Rentenansprüche in einem Maße gekürzt werden, das entweder nicht geringfügig ist oder das Wesen der betrieblichen Altersversorgung, von deren Erhalt der Rentner ohne die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ausgehen durfte, in sonstiger Weise beeinträchtigt.“
Im Ergebnis empfiehlt der Generalanwalt, dass der EuGH von seiner bisherigen Rechtsprechung insoweit abweichen und feststellen möge, dass Renten dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit folgend bereits dann geschützt werden, wenn sie in einem Maße gekürzt werden, das
-
entweder nicht geringfügig ist oder
-
das Wesen der bAV, von deren Erhalt der Rentner ohne die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ausgehen durfte, in sonstiger Weise beeinträchtigt.
Damit dehnt der Generalanwalt in seinen Anträgen den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/94/EG über den dem Art. 8 bisher beigemessenen Rahmen hinaus aus.
Schlussfolgerung 3:
„Art. 8 der Richtlinie 2008/94 entfaltet unmittelbare Wirkung, so dass er, wenn ein Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht oder nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt hat, dem Einzelnen Rechte verleiht, die vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend gemacht werden können.“
Es bestätigt sich mit dieser Schlussfolgerung erwartungsgemäß, dass Art. 8 unmittelbare Wirkung entfaltet.
Damit stünde fest, dass ein nicht nur unwesentlich beeinträchtigter Versorgungsberechtigter jedenfalls Ansprüche gegen den Mitgliedstaat hat, soweit dieser nicht ausreichend Vorsorge für die Insolvenzsicherung getroffen hat.
Schlussfolgerung 4:
„Hat ein Mitgliedstaat in Bezug auf die bAV eine privatrechtlich organisierte Einrichtung – für die Arbeitgeber verpflichtend – als Träger der Insolvenzsicherung der bAV bestimmt, die der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, so ist diese Einrichtung als eine öffentliche Stelle dieses Mitgliedstaats anzusehen. Ein Verstoß gegen die in Art. 8 der Richtlinie 2008/94 vorgesehene Verpflichtung kann gegenüber dieser Einrichtung jedoch nur dann geltend gemacht werden, wenn die Umsetzung dieser Verpflichtung in den Aufgabenbereich fällt, der ihr vom Staat übertragen wurde, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist.“
Im Ergebnis kann ein Anspruch auf Insolvenzsicherung gegenüber dem PSV nach Auffassung des Generalanwalts also nur dann geltend gemacht werden, wenn die Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 8 der Richtlinie in den Aufgabenbereich des PSV fällt.
Dies ist aber nach nationalem, deutschem Recht gerade nicht der Fall.
Nach der Vorlage des BAG vom 20. Februar 2018 – 3 AZR 142/16 (A) an den EuGH ist eine Auslegung des BetrAVG oder eine Rechtsfortbildung dahin, dass der PSV haftet, wenn ein ehemaliger Arbeitgeber seiner gesetzlichen Einstandspflicht für eine von der Pensionskasse berechtigt gekürzte Pensionskassenrente nicht nachkommen kann, weil er zahlungsunfähig geworden ist, contra legem.
Das BetrAVG enthält – so das BAG in der Vorlage – ein ausdifferenziertes Regelwerk für die Absicherung von Betriebsrentenansprüchen und -anwartschaften, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig ist. Eine Absicherung der Einstandspflicht des zahlungsunfähigen Arbeitgebers bei Kürzungen von Pensionskassenrenten sieht das Betriebsrentengesetz nicht vor. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Er hielt Ansprüche der ehemaligen Arbeitnehmer gegen Pensionskassen durch die Versicherungsaufsicht und die Vorschriften zur Anlage des Sicherungsvermögens der Pensionskassen für ausreichend gesichert (vgl. dazu auch Bundestags-Drucksache 7/2843 Seite 9; sowie die entsprechenden Erörterungen im Plenum des Deutschen Bundestages, 7. Legislaturperiode, 134. Sitzung, Stenografische Berichte Seite 9060).
Ergo fällt die Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 8 d RL 2008/94/EG nach nationalem Recht nicht in den Aufgabenbereich des PSV.
Sollte sich der Europäische Gerichtshof den Schlussanträgen in seiner Entscheidung anschließen, könnte ein anderes Ergebnis für zukünftige Fälle nur durch eine Novellierung der §§ 7 ff. BetrAVG durch den Gesetzgeber erreicht werden.
Eine Verpflichtung des PSV auf der Grundlage geltenden Rechts wäre – überzeugenderweise – auch nach einer Entscheidung des EuGH ausgeschlossen.
Fazit
Der Fokus dürfte sich durch eine den Schlussanträgen entsprechende Entscheidung des EuGH vom PSV auf den Gesetzgeber verlagern, weil im Ergebnis die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat für die Sicherungslücken einzustehen hätte. Es wäre daher am Gesetzgeber, für derartige Sicherungsfälle eine Regelung zu treffen, wenn er die unmittelbare Inanspruchnahme abwenden möchte. Es besteht insofern jedoch kein Automatismus, dass der PSV diese Sicherung künftig zu übernehmen hätte. Die versicherungsförmigen Durchführungswege sind nämlich gesetzlich im Wesentlichen einem anderweitigen Insolvenzsicherungsregime zugewiesen. Der Gesetzgeber wird daher abzuwägen haben, wie er diese Sicherung ausgestalten wird.
Er wird dabei auch zu berücksichtigen haben, dass in den versicherungsförmigen Durchführungswegen der Versicherungswirtschaft das Versorgungskapital einschließlich der sich daraus ergebenden Chancen und Risiken planmäßig zur Verfügung steht, während das Versorgungskapital bei einer unmittelbaren Versorgungszusage, einer Unterstützungskasse oder einer beliehenen oder abgetretenen Direktversicherung grundsätzlich dem Arbeitgeber zur Verfügung steht.
Theodor B. Cisch, RA, ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Wiesbaden.
Philipp A. Lämpe ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gesellschafter der Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wiesbaden.
Von ihnen bzw. anderen Autoren der Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH erschienen zwischenzeitlich auf LEITERbAV:
Wiesbadener Gespräche zur bAV 2018:
„Was nicht auf der Kapitalanlagenseite verdient wird…
von Dr. Nils Börner, Wiesbaden, 19. Februar 2018
Von Erfurt nach Luxemburg (I):
Vier Fragen und ein steiniger Weg
von Theodor B. Cisch und Philipp A. Lämpe, Wiesbaden, 6. Juni 2018
Wiesbadener Gespräche zur betrieblichen Altersversorgung 2019:
von Philipp A. Lämpe, Wiesbaden, 13. März 2019
Von Erfurt nach Luxemburg (III):
von Theodor B. Cisch und Philipp A. Lämpe, Wiesbaden, 21. Mai 2019
Wiesbadener Gespräche zur bAV 2020:
Angebots-Obligatorium, Markttrends und …
von Dr. Nils Börner, Wiesbaden, 12. März 2020
Risiken für die bAV durch das Gesetz für faire Verbraucherverträge:
Am seidenen Faden des Verbraucherschutzes
von Theodor B. Cisch und Dr. Nils Börner, 19. April 2021