bAV über Pensionskasse, diese unterdeckt, Arbeitgeber pleite. Muss der PSV einstehen, obwohl weder Arbeitgeber noch Kasse je PSV-Beiträge entrichtet haben? Das BAG hatte den EuGH um eine Vorabentscheidung ersucht, und nun hat der Generalanwalt seinen Schlussantrag gestellt. Dieser könnte für die deutsche bAV Explosionskraft entfalten.
Mit seinem Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 20. Februar 2018 hatte das BAG in der Sache 3 AZR 142/16 (A) sinngemäß vier Fragen an den EuGH gestellt (Theodor B. Cisch und Philipp A. Lämpe, RAe der Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, hatten diese im Vorfeld bereits auf LbAV analysiert):
-
Ist auf die betriebsrentenrechtliche Einstandspflicht des Arbeitgebers infolge Leistungskürzung einer überbetrieblichen EbAV Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anwendbar?
-
Sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen über die Hälfte der Leistung hinausgehenden Mindestschutz zu gewährleisten?
-
Kann der Arbeitnehmer unmittelbar Ansprüche gegenüber dem Mitgliedstaat geltend machen?
-
Ist der privatrechtliche PSV eine öffentliche Stelle, die hier unmittelbar in Anspruch genommen werden kann?
In dem Fall, der die Kürzungen der PKWD nach 2003 betrifft und der am EuGH unter Pensions-Sicherungs-Verein VVaG gegen Günther Bauer und dem AZ C – 168/18 firmiert, hat Generalanwalt Gerard Hogan nun seinen Schlussantrag gestellt, in dem er Stellung zu den vier Fragen nimmt, seine Positionen im Einzelnen:
ad 1.: Ja, die Richtlinie ist anwendbar. Hogan schreibt:
„Ich schlage als Antwort vor, dass Art. 8 dahin auszulegen ist, dass er den Verlust einer Leistung wie derjenigen des Ausgangsverfahrens erfasst, die von einem früheren Arbeitgeber erbracht wurde, um, wie vom nationalen Recht verlangt, eine Leistungskürzung der bAV auszugleichen. Zwar sind die genauen Umstände des Falles ungewöhnlich, doch ändert dies nichts daran, dass das Versäumnis des früheren Arbeitgebers, die Ausgleichszahlung für andernfalls zu Lasten des Arbeitnehmer gehende Rentenkürzungen zu leisten, eindeutig in den Anwendungsbereich von Art. 8 fällt.“
ad 2.: Insgesamt wurde Pensionskassenrente des Klägers von 2003 bis 2013 um 13,8% entsprechend 82,74 Euro pro Monat gekürzt. Ohne sich auf eine Zahl festzulegen, lehnt Hogan zumindest die Grenze von 50% offenbar ab. Hogan schreibt (in nicht immer ganz eindeutigem Deutsch; Originalsprache es Antrags ist allerdings auch das Englische):
„Ich kann ich nicht nachvollziehen, wie die Verpflichtung nach Art. 8 grundsätzlich weniger erfordern könnte als die vollständige Erfüllung der Rentenansprüche des Arbeitnehmers.
…
Wenn – was offensichtlich der Fall ist – Art. 8 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, dafür Sorge zu tragen, dass diese Arbeitnehmerinteressen geschützt werden, dann sollte sich diese Verpflichtung m.E. auch auf die Gesamtheit der betreffenden Leistungen bei Alter und nicht nur auf einen Teil davon erstrecken.
…
Ich bin daher der Auffassung, dass Art. 8 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, alle von der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers betroffenen Leistungen bei Alter zu schützen und nicht nur einen Teil oder einen bestimmten Prozentsatz davon.
…
Im Gegensatz zu dem, was der Gerichtshof früher angedeutet haben mag, bin ich der Ansicht, dass ein Verlust von weniger als 50% der Rentenansprüche aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in vielen Fällen unverhältnismäßig wäre.“
ad 3.: Auch hier ist die Haltung Hogans klar:
„Im Ergebnis schlage ich vor, die dritte Frage zu bejahen, d.h. dahin zu beantworten, dass Art. 8 der Richtlinie 2008/94 unmittelbare Wirkung entfaltet, so dass er, wenn ein Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht oder nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt hat, dem Einzelnen Rechte verleiht, die vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend gemacht werden können.“
ad 4.: Auch hier ein Ja, aber mit einer kleinen Einschränkung; Hogan:
„Folglich schlage ich vor, die vierte Frage dahin zu beantworten, dass in Bezug auf die bAV eine privatrechtlich organisierte Einrichtung, die von dem Mitgliedstaat – für die Arbeitgeber verpflichtend – als Träger der Insolvenzsicherung der bAV bestimmt ist, der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, als eine öffentliche Stelle dieses Mitgliedstaats anzusehen ist.“
Hogan schränkt wie erwähnt allerdings etwas ein:
„Ein Verstoß gegen die in Art. 8 der Richtlinie 2008/94 vorgesehene Verpflichtung kann gegenüber dieser Einrichtung jedoch nur dann geltend gemacht werden, wenn die Umsetzung dieser Verpflichtung in den Aufgabenbereich fällt, der ihr vom Staat übertragenen wurde, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist.“
Erstes Fazit: weitreichende Folgen
Erstes schnelles Fazit von LEITERbAV: Auch wenn der vorliegende Fall die PKWD nach 2003 betrifft, ist doch offenkundig, dass infolge des politisch manipulierten Dauerniedrigzinses – auch wenn die BaFin hier just eine gewissen Entspannung vermeldet hat, wir Kürzungen im Past Service von Pensionskassen künftig noch häufiger sehen werden. In den allermeisten Fällen dürften hier Arbeitgeber noch existieren, welche die Kürzungen auszugeichen hätten. Doch – einmal angenommen der EuGH folgte Generalanwalt Hogan – dürften in den Fällen, in denen das nicht der Fall ist, auf die deutsche bAV, auf das deutsche Pensionskassenwesen und auf den PSV weitreichende Folgen, teils durchaus mit Sprengkraft, zukommen. LEITERbAV wird weiter berichten.
Der Schlussantrag des Generalanwalts findet sich auf Seiten des EuGH unter dem Stichwort ECLI:EU:C:2019:392 hier.