Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Gestern in Berlin:

Von Tropfen auf heißen Steinen …

Flickwerken, (teuren) Sozialreform, dem Schritt nach vorn bei zweien zurück, Zielen auf der Strecke – und all das vor dem Kollaps: Die Vorlage des Rentenpaketes II durch BMAS und BMF hat prompt zu massiven Reaktionen geführt. Die Begeisterung der Stakeholder hält sich in Grenzen, teils gibt es schwere Kritik. Für dieses Parkett gilt derweil weiter Godot.

Es ging durch alle Medien: Gestern haben Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das seit rund zwei Jahren diskutierte Rentenpaket II der Bundesregierung (einschließlich des Generationenkapitals) vorgestellt.

Hubertus Heil. BMAS. Foto BMAS.

Zuerst die Klarstellung: Hier geht es noch nicht um Reformen, die aus dem BMAS-Rentendialog für die 2. Säule (Novelle des BRSG) und der BMF-Fokusgruppe für die 3. Säule heraus entstehen sollen (das bekräftigt BMF Lindner auch in seinem Statement mit BMAS-Heil hier ab Min. 15.00). Diesbezüglich gilt also erstmal weiter Godot.

Christian Lindner BMF. Foto: BMF.

Außerdem steht noch die Sicherungspflicht für Selbstständige auf der Agenda der Bundesregierung.

BVI, Fidelity, GDV, DIA, DAI

Zurück zum gestrigen Paket. Der vom BMAS vorgelegte Gesetzentwurf zielt auf eine Reform der gesetzlichen Rente und sieht u.a. vor, das Rentenniveau auf 48% festzuschreiben und ein kapitalgedecktes, sog. Generationenkapital zur Finanzierung aufzubauen. Prompt gab es erste Reaktionen. Für unser Parkett seien die einiger Stakeholder im Folgenden dokumentiert:

Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des BVI:

Thomas Richter, BVI.

Das Generationenkapital ist ein politischer Kompromiss. Das ursprünglich von der FDP vorgeschlagene Modell der Aktienrente nach schwedischem Vorbild war besser.

In Schweden erfolgt die Finanzierung des kapitalgedeckten Anteils in der gesetzlichen Rente über regelmäßige Beitragszahlungen der Arbeitnehmer in einen staatlichen Fonds oder private Fonds.

Zwölf Milliarden Euro in diesem Jahr sind ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Wir unterstützen grundsätzlich die Einführung der Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung, aber angesichts deren riesiger Finanzierungsprobleme sind 12 Mrd. Euro in diesem Jahr ein Tropfen auf den heißen Stein. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung die für dieses Jahr angekündigte Reform der privaten Altersvorsorge umsetzt.“

Christof Quiring, Head of Workplace Investing bei Fidelity International:

Insgesamt verschließt die Politik weiterhin die Augen vor den großen Herausforderungen, vor denen die Altersvorsorge in Deutschland steht.

Trotz großer demografischer Herausforderungen, trüber Aussichten für Wirtschaft und angespannter Haushalte plant die Ampel die nächste (teure) Sozialreform, die die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung schneller als bisher geplant weiter nach oben treiben wird.

Christof Quiring, Fidelity.

Das Ziel der Generationengerechtigkeit bleibt mit dieser Reform weiter auf der Strecke: Das Aushebeln des Nachhaltigkeitsfaktors und weitere teure Leistungsversprechen sind ein herber Rückschlag für die jüngere Generation und gehen einseitig zulasten der Beitrags- und Steuerzahler. Ein besseres Ergebnis erzielen zu wollen, sprich: Rentenauszahlungen für eine wachsende Zahl von Anspruchsberechtigten, ohne dabei die Variablen, also die Beitragshöhe, die Rentenhöhe und den Rentenbeginn, zu verändern, ist schlichtweg nicht möglich.

Wir müssen umgehend weitere Maßnahmen ergreifen, um das Rentensystem vor dem Kollaps zu retten.“

Ein Schritt in die richtige Richtung ist immerhin die Aufstockung des Generationenkapitals auf 200 Mrd. Euro bis Mitte der 2030er Jahre und der Einstieg in eine partielle Kapitaldeckung. Dies begrüßen wir ausdrücklich.

Eine Lösung der Finanzierungslücke ist dies allerdings nicht. Um die zusätzlichen Kosten zu decken, müsste der Kapitalstock ein Vielfaches der 200 Mrd. Euro sein, (lt. IW 877 Mrd. Euro bis 2035).

Wir müssen umgehend weitere Maßnahmen ergreifen, um das Rentensystem vor dem Kollaps zu retten. Dazu zählt auch, die Altersvorsorge breiter aufzustellen und die betriebliche sowie die private Altersvorsorge attraktiver zu gestalten.“

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV:

Es ist gut, dass es nun mit der Gesetzgebung im Bereich der Alterssicherung endlich losgeht. Das Rentenpaket macht hoffentlich den Weg für notwendige Reformen der betrieblichen und privaten geförderten Altersvorsorge frei. Aufgrund der rapiden demografischen Entwicklung sind Reformen in der gesamten Alterssicherung überfällig.“

Jörg Asmussen, GDV. Foto: GDV.

Mehr Kapitaldeckung im System ist grundsätzlich richtig. Wie weit diese Konstruktion des Generationenkapitals tragen kann, ist aber noch nicht klar. Umso wichtiger ist es, die Rahmenbedingungen für die zweite und dritte Säule jetzt klug nachzuziehen.“

Asmussen spricht auch bereits die o.a. anstehenden Reformen der 2. und 3. Säule an:

Es geht darum, die bAV auch jenseits von Sozialpartnermodellen weiter zu stärken. Es braucht weiter eine bessere Geringverdienerförderung sowie pragmatische Lösungen für KMU.

Der Wert lebenslanger Renten wird in der Diskussion unterschätzt.“

Die geförderte private Altersvorsorge hat unverändert einen hohen Stellenwert. Sie lohnt sich mit der Zulagenförderung vor allem für Frauen, Familien und für Menschen mit geringen Einkommen. Das System ist aber in die Jahre gekommen und zu kompliziert. Es muss einfacher und attraktiver werden.

Es ist gut, dass private Altersvorsorge auch künftig freiwillig und privatwirtschaftlich bleiben soll. Aber der Wert lebenslanger Renten wird in der Diskussion unterschätzt. Die lebenslange, monatliche Rente muss der Kern von Altersvorsorge bleiben. Das Ersparte darf nicht mit Erreichen eines bestimmten Geburtstages aufgebraucht sein.”

Klaus Morgenstern, Sprecher des DIA:

Die Reform kommt zwar einen Schritt voran, aber gleichzeitig geht der Bundesarbeitsminister bei der Konzeption des Rentenpakets zwei Schritte zurück, indem Anpassungen des Rentensystems mit zwei anderen Stellschrauben kategorisch ausgeschlossen werden. So soll das Rentenniveau weiterhin auf 48% festgeschrieben werden. Außerdem erteilt Minister Heil weiteren Veränderungen beim Renteneintrittsalter eine klare Absage.

Heil zeigt, dass die Gelehrten im eigenen Land nichts gelten.“

Damit zeigt Heil, dass die Gelehrten im eigenen Land nichts gelten. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtlichen Entwicklung hatte erst vor einigen Monaten in seinem jüngsten Gutachten die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung vorgeschlagen. Eine solche Dynamisierung wirkt sich günstig auf das Sicherungsniveau, den Beitragssatz und die Rentenausgaben aus. Sie adressiere, so die Gutachter, als einzige Maßnahme direkt die weiter steigende Lebenserwartung.

Klaus Morgenstern, DIA. Foto: DIA.

Stattdessen wird mit dem Rentenpaket II das Rentenniveau nun auch über 2025 hinaus gesetzlich festgezurrt, ohne eine überzeugende Antwort mitzuliefern, wie die damit verbundenen zusätzlichen Belastungen für das Rentensystem finanziert werden sollen.

Der Einstieg in eine Teilkapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung kann nur ein allererster Schritt zur Stabilisierung der Rentenfinanzen sein. Mehr Kapitaldeckung ist ohne Frage zu begrüßen. Aber die Entlastung durch das Generationenkapital wird nicht ausreichen. Es ist zu einem großen Anteil kreditfinanziert. Vom Anlageergebnis muss also noch der Kreditzins abgezogen werden. Außerdem machen die erhofften zehn Mrd. Euro jährlichen Erträge ab Mitte der 30er Jahre nur einen Bruchteil der Gesamtausgaben der Rentenversicherung aus, die schon im vergangenen Jahr rund 375 Mrd Euro betrugen und weiterhin ansteigen.“

Fazit von PENSIONSINDUSTRIES

Der große Wurf ist das alles nicht; wobei sich zugegebenerweise mögliche große Würfe auch nicht ohne weiteres aufdrängen – zumindest wenn man das Feld der Altersvorsorge isoliert betrachtet (für eine echte Reform der deutschen Altersvorsorge wäre ein massives Eingreifen auf fast allen Politikfeldern erforderlich – Haushalt, Steuern, Zuwanderung, Bildung, Wohnungsbau, Soziales, Arbeit, Industrie und Wirtschaft und und und… doch steht das nicht ansatzweise zur Debatte).

Dass die Aktienrente, die Lindner offenbar weiterzutreiben bereit ist, nichts mehr mit dem ursprünglich und voreilig ins Spiel gebrachten schwedischen Vorbild gemeinsam hat – hier früh diskutiert – ist längst geschenkt. In die zwischen demographischen Zusammenbruch und ständigen Wahlgeschenken vor dem Kollaps stehende GRV neben der Umlage etwas Kapitaldeckung einzubringen, dürfte jedenfalls kein Fehler sein. Aber wie auch Lindner sinngemäß sagt: Das kommt mehrere Dekaden zu spät. Deutschland hat starke Jahrzehnte lang Zeit genug dazu – und nie gehandelt.

Abzuwarten bleibt, wie das Ganze operativ umgesetzt wird. KENFO klingt zuerst mal gut und professionell – wenn es denn dabei bleibt.

Erste Frage: Wie wird investiert? So ambitioniert wie die Norweger? Oder eher deutsch-defensiv? Oder am Ende gar mit einer – nennen wir es „Investment-Tautologie“ – die es in diesem Land schon mehrfach gab:

In Thüringen war man weiland auf die Idee gekommen, mit den Geldern des staatlichen Pensionsfonds schlicht eigene Staatsschulden zu kaufen. Der seinerzeitige thüringische Finanzminister Wolfgang Voß (CDU) verkündete 2013 Medienberichten zufolge allen Ernstes:

Thüringen spekuliert nicht mit dem Geld aus dem Pensionsfonds. Die Mittel für die Beamtenversorgung sind sicher angelegt. Das Geld wird ausschließlich in Schuldscheinen des Freistaates angelegt.“

Also eigene Pensionsverbindlichkeiten mit eigenen Schulden gefundet.

Ähnlich bunt trieb man es in Rheinland-Pfalz. Auch dort diente der ebenfalls vor allem mit eigenen Anleihen „gefundete“ Fonds anscheinend im Wesentlichen zur Finanzierung der eigenen Schulden – so lange, bis am Ende gar nichts mehr ging, sondern nur noch die Auflösung des Vehikels übrig blieb.

Die zweite Frage ist dem Parkett ebenfalls nicht neu, sondern wird in Zusammenhang mit Staatsfonds stets diskutiert: Entsteht mit dem Generationenkapital ein Topf, dem die Politik dauerhaft wird widerstehen kann? Immerhin reden wir hier von Jahrzehnten, in denen der Mops den Wurstvorrat bewachen muss.

Im Februar 2016 hielt die BDA eben die Frage des möglichen späteren staatlichen Zugriffs auf die Mittel eines Staatsfonds schlicht und ergreifend für „unlösbar“ und schrieb seinerzeit:

So hat es der Gesetzgeber immer wieder, wenn bei Sozialversicherungsträgern hohe Reserven entstanden waren, vermocht, diese Mittel zu versicherungsfremden Zwecken zu verwenden.“

Ob und wie lange Lindner, Heil und ihre Nachfolger dieser Verlockung werden widerstehen können, wird man sehen.

Wie dem auch sei, bald sollen die Vorschläge der Politik zur 2. und 3. Säule vorgelegt werden. Auf dieser Plattform wurden schon früh und regelmäßig Skepsis geäußert, ob und inwiefern die auf allen Feldern unter zunehmendem Druck stehende Bundesregierung politische und fiskalische Ressourcen haben wird, dort kleine Baustellen aufzumachen – von großen ganz zu schweigen. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Skepsis nicht bestätigt.

Der Stand des Gesetzgebungsverfahren findet sich auf Seiten des BMAS hier.

Zum Schluss ein Lesetipp zur Auffrischung der Erinnerungen: Die WELT hat die Entwicklung der Rentenreformen seit 2001 hier noch mal übersichtlich nachgezeichnet.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.