… im zweiten Versuch. Die PSV-Pflicht für Pensionskassen sollte schon zum Jahreswechsel in Gesetz gegossen werden. Doch die Proteste waren groß. Vergangenen Mittwoch ging nun ein überarbeiteter Entwurf des BMAS mit nochmals leichten Änderungen im Kabinett durch. Vehemente Kritik bleibt. LbAV-Autor Detlef Pohl blickt zurück, auf die Gegenwart und nach vorn.
Mit dem Entwurf zur Änderung des Insolvenzschutzes bei Pensionskassen-Betriebsrenten wurde schon im Dezember eine Neuregelung politisch versucht, die maßgeblich die deutsche bAV verändern wird. Der erste Referentenentwurf vom 12. November 2019 des federführenden BMAS war noch am Widerstand von Verbänden gescheitert, die zahlreiche Kritikpunkte in ihren Stellungnahmen vorbrachten.
Die per Gesetz geplante Neuregelung der PSV-Pflicht für Arbeitgeber mit bestimmten Pensionskassenzusagen greife intensiv in die derzeitige Rechtslage ein, ohne dass die damit verbundenen fachlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen ausreichend geprüft würden konnten, kritisierte seinerzeit die aba. Das BMAS hatte es wohl auch deswegen eilig mit dem Entwurf, weil man das damals absehbare Urteil des EuGH offenbar nicht abwarten wollte.
Dann gab es dort am 19. Dezember die Urteilsverkündung – und brachte zunächst Entwarnung. Der EuGH entschied: Verluste des Betriebsrentners sind nur dann unverhältnismäßig und notfalls vom Staat aufzufangen, wenn der Ex-Arbeitnehmer dadurch unter die von Eurostat ermittelte Armutsgefährdungsgrenze fällt. „Die Fähigkeit des Betroffenen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, müsste schwerwiegend beeinträchtigt sein“, heißt es in der Urteilsbegründung des Falls C-168/18.
Damit stellte der EuGH klar, dass Arbeitnehmer mit zu kürzenden Zusagen aus Firmenpensionskassen grundsätzlich weiter leer ausgehen, wenn ihr Arbeitgeber insolvent geworden ist.
EuGH-Urteil bringt Bund in Zugzwang
Der EuGH stellt in dem Verfahren gegen den PSV gleichwohl zumindest Handlungsbedarf des Staates fest: dass die bAV nicht unverhältnismäßig sinken darf, wenn eine Pensionskasse Leistungen kürzt, aber der ehemalige Arbeitgeber wegen Insolvenz die Kürzungen nicht mehr ausgleichen kann.
Die Botschaft der Luxemburger Richter ist eindeutig: Hat ein Mitgliedsstaat die Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt, kann der Einzelne Rechte vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend machen (Staatshaftung). Der EuGH sieht den PSV als „eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaats“ an. Nicht zuletzt dieser Staatshaftung versucht das BMAS mit dem Referentenentwurf zu entgegnen.
Geklagt hatte der Betriebsrentner Günther Bauer gegen den PSV. Er hatte von seinem früheren Arbeitgeber seit 2000 eine Pension und jährliches Weihnachtsgeld sowie von der PKDW eine Pensionskassenrente bekommen. 2003 geriet die Kasse in Schwierigkeiten und kürzte die Rente um 7,4%. 2012 wurde dann sein Arbeitgeber insolvent. Für Pension und Weihnachtsgeld steht seither der PSV ein. Die PKDW zahlt die 2003 gekürzte Pensionskassenrente bis heute weiter. Bauer klagte hier auf die Differenz 82,74 Euro pro Monat. Damit dürfte er nun vor dem Bundesarbeitsgericht scheitern, das dem EuGH vorab die nun beantworteten Fragen vorgelegt hatte.
Der zweite Entwurf
Am 13. März ging die zweite, überarbeitete Fassung des Referentenentwurfs zum „Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (7. SGB IV-ÄndG)“, der es nun vergangene Woche durch das Kabinett geschafft hat, in Umlauf. Die Grundzüge des Textes, in den laut aba eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen der Verbände aufgenommen wurden, sind:
-
Wird ein Arbeitgeber insolvent und kann die Pensionskasse die nach der Versorgungszusage des Arbeitgebers vorgesehene Leistung nicht erbringen, tritt der PSV für diese Leistungskürzung ein.
-
Für Arbeitgeberinsolvenzen aus der Vergangenheit wird ein Schutz im Rahmen der vom EuGH gesetzten Mindestvorgaben eingeführt.
-
Zur Finanzierung der neuen Absicherung müssen im Prinzip alle Arbeitgeber Beiträge an den PSV leisten, die Betriebsrenten über Pensionskassen organisieren.
-
Die Beitragsbemessung orientiert sich in pauschalierender Form an dem neu abzudeckenden Risiko.
-
Betriebsrenten, die über Pensionskassen organisiert werden, bei denen bereits ausreichende Sicherungslinien gegen Leistungskürzungen bestehen – dazu zählen die dem Sicherungsfonds Protektor angehörenden oder auf tarifvertraglicher Grundlage als gemeinsame Einrichtung betriebenen Pensionskassen sowie die Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes – sind vom PSV-Schutz ausgenommen.
Die Stellungnahmen der Verbände zum neuerlichen Entwurf sollen demnächst auf der Homepage des BMAS veröffentlicht werden.
„Der überarbeitete Entwurf unterscheidet sich an einigen Stellen von der früheren Fassung, doch das Tempo der Umsetzung verwundert, zumal das inzwischen ergangene EuGH-Urteil eine solche Eilbedürftigkeit nicht erkennen lässt“, so aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann gegenüber LEITERbAV. An einigen Punkten bestehe weiter Nachbesserungsbedarf. Zwar seien einige der Anregungen der aba berücksichtigt worden, aber teilweise in unzureichender Form. „Andere Kritikpunkte wurden nicht aufgegriffen“, so die aba. Man erwarte neben einer Verschiebung um ein Jahr auch eine Evaluierung des Beitragssatzes für Pensionskassen und Pensionsfonds von 20% im Jahr 2026.
„Die für die Umsetzung des EuGH-Urteils erforderliche Umsetzung könne schon vor dem gewünschten Jahr Verzögerung erfolgen, allerdings müsse hierfür zwingend auch der Bund die Kosten übernehmen“, heißt es weiter von der Arbeitsgeeinschaft, die an der Grundkritik des ersten Entwurfs festhält. Vor allem geht es dem Interessenverband in seiner neuerlichen Stellungnahme (nicht veröffentlicht) darum, Wettbewerbsnachteile von Firmen-PK gegenüber LV-PK zu verhindern.
VFPK und DAV/IVS mit neuerlicher Fundamentalkritik
Inzwischen liegt auch eine neuerliche Stellungnahme des Verbandes der Firmenpensionskassen (VFPK) vor.
Die Kritik am zweiten BMAS-Entwurf liest sich vernichtend: „Der Gesetzentwurf erreicht die Zielsetzung, die Lücken der bestehenden Sicherungslinien zum Schutz der Arbeitnehmer bei Insolvenz des Arbeitgebers zu schließen, weiterhin nicht, da nicht alle Durchführungswege der bAV … erfasst werden. Die Ergänzung des Schutzes gegen Insolvenz erfolgt nur für Pensionskassen ohne Sicherungsfonds, lässt Direktversicherungen und Pensionskassen mit Sicherungsfonds dagegen weiterhin außen vor. Damit wird in Kauf genommen, dass sich die Schutzwirkung von Protektor als unzulänglich erweisen wird.“
Die Folgen malt der VFPK für seine Mitglieder schonungslos aus:
„Die Firmen-Pensionskassen nehmen schweren Schaden, weil die differenzierte Beitragspflicht Direktversicherungen und Pensionskassen mit Sicherungsfonds bevorzugt. Die Folgen sind schlimmstenfalls eine sofortige Fluchtbewegung aus Firmen-Pensionskassen und bestenfalls eine längere Auszehrung dieses Durchführungsweges. Die Beitragspflicht setzt einen starken Anreiz, Versorgungszusagen nicht mehr über Pensionskassen ohne Sicherungsfonds zu erteilen.“
Der VFPK erklärt, dass dies einen sehr effizienten Durchführungsweg ruiniere und ein Stück Sozialpartnerschaft beende. Die bAV werde zu einem ausschließlich von Lebensversicherern dominierten Geschäftsfeld der Versicherungsbranche (an dieser Stelle sei von LEITERbAV daran erinnert, dass mit der Absicht der BaFin, regulierten Kassen künftig nur noch Tarife mit höchstens 0,25% Rechnungszins zu genehmigen und höherverzinsliche wie solche mit 0,9%, am Ende wohl eher 0,5%, wenn überhaupt nur noch befristet zu akzeptieren, ein weiterer schwerer Wettbewerbsnachteil droht).
Hinsichtlich der Regelungen zur versicherungsvertraglichen Lösung, zum Abschluss von Liquidationsversicherungen sowie zur Beitragsbemessungsgrundlage der Insolvenzsicherung begrüßt der VFPK die Anpassungen gegenüber dem ersten Entwurf. Daneben gibt es jedoch weitere Detailfragen, auf die der VFPK in seiner Stellungnahme eingeht.
Zur Erinnerung: Die Anwendung der versicherungsvertraglichen Lösung sollte nach dem ersten Entwurf nur noch für Protektor-Kassen möglich sein. Nun wurde im neuen Entwurf klargestellt, dass die Einstandspflicht des Arbeitgebers bei Anwendung der versicherungsvertraglichen Lösung unberührt bleibt und sie bei Direktversicherungen und Pensionskassen zur Standardlösung wird, ohne dass ein arbeitgeberseitiges Verlangen hierfür erforderlich ist.
Liquidationsversicherung und Beitragsbemessung
Bei einer Ausweitung der Insolvenzsicherung ist auch die Übernahme von Zusagen liquidierender Unternehmen neu zu regeln. Insbesondere ist das Risiko der Kürzung abzusichern, etwa durch eine angemessene Ausgleichszahlung künftiger PSV-Beiträge des liquidierenden Unternehmens an den PSV. Laut neuem Entwurf sollen Pensionskassen, die keinem Sicherungsfonds angehören, nun grundsätzlich doch Liquidationsversicherungen zur Übernahme von Direktzusagen und Unterstützungskassenzusagen anbieten dürfen.
Bei Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlagen für unter PSV-Schutz stehende Pensionskassen (§ 10) ist nun eine einfachere Ausgestaltung vorgesehen und am Verfahren für U-Kassen orientiert. Bei Höhe und Grundlagen der Bemessung gebe es noch Klarstellungsbedarf. Das sehen auch DAV/IVS in ihrer neuerlichen Stellungnahme so.
Die Mathematiker mahnen zudem eine Konkretisierung der Bemessungsgrundlage bezüglich der Beitragszusage mit Mindestleistung an. Grundsätzlich begrüßt man den neuen Entwurf hinsichtlich der Regelungen zur versicherungsvertraglichen Lösung und als praktikable Grundlage für die Bemessung des Beitrags, kritisiert aber die weiterhin angedachte unterschiedliche systematischen Behandlung von Direktversicherungen und Protektor-Kassen und Kassen ohne Absicherung. Außerdem ziehen die Aktuare und mathematischen Sachverständigen einen Vergleich zu einem anderen Durchführungsweg:
„Soweit für Pensionskassen und Pensionsfonds die Beitragsbemessungsgrundlage auf einheitlicher Basis ermittelt wird, halten wir es … für erforderlich und … sachgerecht, für Zusagen, die über eine Pensionskasse durchgeführt werden, einen geringeren Beitragssatz zu verwenden als für Zusagen, die über einen Pensionsfonds durchgeführt werden.“
Grund: die strengere Regulierung betreffend Kürzungen und Anlage, der die Pensionskassen unterliegen.
Keine Eile – und Änderungen in letzter Minute
Verbände und Gewerkschaften halten es zudem für zwingend notwendig, dass das Wirksamwerden der neuen Regelungen um ein Jahr verschoben wird (s.o.). Weder für Pensionskassen noch für die Arbeitgeber und den PSV sei der aktuelle Zeitplan realistisch.
Dennoch ist der Entwurf nun wie erwähnt am 8. April im Bundeskabinett verabschiedet worden. Am 20. April soll er im zuständigen Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales beraten und noch vor der Sommerpause vom Gesetzgeber verabschiedet werden. Informationen der aba zufolge war der zweite Referentenentwurf in letzter Minute noch geändert worden, so dass im Gesetzentwurf nun diese Sachlage fixiert ist:
-
PSV-Schutz für Arbeitnehmer mit PK-Zusagen ab 1. Januar 2022
-
Bis dahin Staatshaftung auf der Basis der EuGH-Mindestanforderungen
-
Evaluierung der Beitragsbelastung für Pensionskassen im Jahr 2026
-
Die ursprünglich vorgesehene Absicherung von Verzinsungen, die in Zusagen enthalten sind, ist gestrichen worden.
Subsidiärhaftung bleibt – PSV nur zusätzliche Sicherheitslinie
Fazit: Trotz Gesetzesänderung bliebe es primär weiter bei der Subsidiärhaftung, erinnert aba-Vorstandschef Georg Thurnes. „Erst bei Insolvenz des Arbeitgebers würde der PSV einstehen, nicht bei Insolvenz einer Pensionskasse.“ Schieflagen der Kassen müssten zunächst durch Arbeitgeber und Sanierungsklauseln beherrscht werden. Dies sei auch ein Grund, warum Firmen-Pensionskassen bislang nicht Mitglied bei Protektor sind – sie müssten sich von der Chance auf Sanierung lossagen. Die Einrichtung einer eigenständigen Sicherungslinie für Firmen-Pensionskassen („Protektor II“) mache laut Thurnes keinen Sinn, da die Kassen insgesamt zu inhomogen dastünden. Dies würde außerdem kein einheitliches Beitragsregime erlauben.
Bislang gilt zudem der Grundsatz, dass Firmen-Pensionskassen im Prinzip gar nicht zuahlungsunfähig werden können. Begründung: Sie sind zumeist reguliert (nach eigenem Antrag bei der BaFin), weil sie in ihren Satzungen eine Sanierungsklausel einbauen wollen (das ist Protektor-Mitgliedern nicht erlaubt). Diese Klausel erlaubt bei Schieflagen, Leistungen zu kürzen, Beiträge zu erhöhen oder Nachschüsse von den Arbeitgebern zu verlangen – alles unter Regie der BaFin. Insofern gelten diese Kassen als nicht insolvenzfähig, da somit Leistungsversprechen jederzeit erfüllbar bleiben sollen.