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Stockholm Live (VIII): Wallenberg – von der fünften in die sechste:

Talking about next Generation

Dass nach zwei erfolgreichen Generationen die dritte nicht alles verspielen muss, sondern ganz im Gegenteil weitere Generationen den Wohlstand mehrenkönnen, beweist seit über 100 Jahren die Familie Wallenberg. Reiner Gatermann über mehr „Sein als Schein“, wie ein Back to the Roots zu einem Anfang wurde – und wenn Dir eine Bank fehlt, dann gründe doch einfach eine.

Für jeden an den Geschicken des Landes interessierten Schweden war der 7. Mai ein ereignisreicher Tag, und er fand in den Medien entsprechend Beachtung. So titelte die Wirtschaftszeitung Dagens Industri: Ein Generationenwechsel, der nicht fehlschlagen darf“. In der Tat! Doch der Reihe nach: Was war am 7. Mai geschehen?

Die mächtigste Industrie- und Finanzfamilie Schwedens und eine der bedeutendsten Europas, die Wallenbergs, läutete den Generationenwechsel ein, von der fünften in die sechste.

Für die Wallenbergs – bekanntlich nicht ohne Tragik in ihrer Familiengeschichte – gilt in keiner Weise die häufig kolportierte „3-Generationen-Regel“ für Familienunternehmen „erwerbe, vererbe, zerstöre“. Im Gegenteil: Diese Dynastie wächst, wächst und wächst… Und das seit 1917.

Schweden-AG?

International bekannte schwedische Unternehmen wie Ericsson (Telekommunikationsausrüster), Atlas Copco (Kompressoren, Grubenausrüstung), Saab (Rüstung), Electrolux (Weißwaren) sowie Scania (LKW, bis zum Verkauf an VW) zählen zur „Wallenberg-Sphäre“. Dazu die „Familienbank“ SEB, die Investmentgesellschaft Investor AB und der Risikoinvestor EQT.

Stockholm, Blick auf Södermalm. Foto: Baz.

Durch Fusionen sind die Wallenbergs auch bedeutende Teilhaber an ABB und AstraZeneca. Ein wenig fühlt man sich an die längst verblichene Deutschland-AG erinnert.

Das gesamte Vermögen des Familienimperiums ist nicht bekannt, zuweilen werden Größenordnungen von >250 Mrd. Euro kolportiert. Die Familie spiele, wie die NZZ dazu vermerkte, „in der gleichen Liga wie Elon Musk, doch im Gegensatz zu Musk kennt sie außerhalb Schwedens niemand“.

Mehr Sein als Schein

Das mit der Bekanntheit mag abseits der Fachwelt stimmen, und so wollen es die Wallenbergs auch. Ihr Wahlspruch: Esse non videri – sein, nicht scheinen. Obgleich, so unbekannt sind sie gar nicht, in den richtigen und für sie wichtigen Kreisen stehen ihnen alle Türen offen. Das hat sich jüngst erst wieder bestätigt: Am 23. Mai trafen sich in der mittelgrossen schwedischen Stadt Norrköping Marcus Wallenberg und Nvidia-Boss Jensen Huang. Sie gaben auf einer Pressekonferenz bekannt, dass Nvidia in Schweden ein KI-Lab errichten wird, zudem werden AstraZeneca, Ericsson, Saab, SEB und Wallenberg Investments ein gemeinsames Unternehmen gründen, das mit Hilfe von Nvidia-Prozessoren den „kraftvollsten KI-Supercomputer in Schweden“ betreiben wird.

Jacob Wallenberg wiederum ist Vorsitzender des schwedischen Wirtschaftsverbandes Svenskt Näringsliv. Er war auch AR-Mitglied der Nasdaq. The Guardian beschrieb ihn 2006 als „Prince in Sweden’s Royal Family of Finance“.

Auswandern in die alte Welt …

Die wundersame Reise der Familie Wallenberg beginnt 1854, als der Bischofssohn und Marineleutnant André Oscar Wallenberg aus den USA nach Schweden zurückkehrt und bei der Verwirklichung seiner Geschäftsideen auf Kapitalmangel stößt. Weiter hilft ihm das Buch„How to Start a Bank“, und so gründet er höchstselbst Stockholms Enskilda Banken, Schwedens erste Privatbank, die heutige SEB und Schwedens viertgrößte Bank.

Sommer in Stockholm. Foto: Baz.

André hat fünf Söhne, die auf dem Weg sind, der erwähnten „Regel“ für Familienunternehmen zu folgen. Der älteste Sohn, Knut, setzt sich von dieser jedoch ab, übernimmt vom Vater den Vorsitz der Bank, den er bis 1911 innehat, und der ihn reich macht. Für ein paar Jahre dient er Schweden auch als Außenminister.

und ein Entschluss mit Reichweite

Da sie keine eigenen Kinder haben, fassen er und seine Frau Alice einen für die Familie und Schweden segensreichen Beschluss: Statt ihr Vermögen unter der erwartungsvollen Verwandtschaft aufzuteilen, bringen sie es 1917 in die Knut und Alice Wallenberg Stiftung(KAWS) ein, seitdem das Herzstück des Imperiums. Ihr Kapital ist hauptsächlich in der notierten Investmentgesellschaft Investor AB und in der SEB angelegt, ihre Erträge werden von den beiden nicht-notierten Holdings der Wallenbergs, der Investments AB und der FAM (ursprünglich Foundation Asset Management AB) verwaltet.

Den Beschluss, die Stiftung zu bilden, kann man im Nachhinein nur als genial bezeichnen. Nicht nur, dass die Ausdünnung des Kapitals verhindert wurde, es brauchte – und braucht – auch keine Erbschaftssteuer bezahlt werden (was allerdings seit einigen Jahren für alle Schweden gilt). Im Gegenzug entwickelt sich die KAWS zu Schwedens größtem privaten Forschungsfinancier. Laut Satzung unterstützt sie vor allem die Grundlagenforschung in der Medizin, Technik und Naturwissenschaft, im vergangenen Jahr waren es 2,4 Mrd. SEK, etwa 220 Mio. Euro, seit der Gründung sind es ungefähr 39 Mrd. SEK (3,6 Mrd. Euro).

Krösus ist anders, Einfluss nicht

Insgesamt gehören heute 16 ideelle Stiftungen zu dem Imperium. Mit diesem Schritt haben die Wallenbergs jedoch auf eines verzichtet: Persönliches Vermögen anzusammeln. Auch wenn in der politischen und ideologischen linken Szene die Wallenbergs immer wieder als Symbol des verhassten Kapitalisten herhalten müssen, in zig Milliarden schwimmende Krösusse sind sie jedenfalls nicht (insofern hinkt der erwähnte Vergleich mit Musk wohl etwas).

In der Liste der 20 vermögendsten Schweden findet man jedenfalls keinen Wallenberg. Nun, sie mögen nicht „stinkreich“ sein, aber sie haben immensen Einfluss. Dazu gehört sicherlich auch das Geschick, sich elegant durch den Politik-Dschungel zu manövrieren. Wer immer in Schweden die Regierung stellt – und von 1934 bis 1976 waren es ausschließlich Sozialdemokraten – die Wallenbergs pflegen immer einen guten Draht. Nicht von ungefähr gilt als nicht in Frage gestellte Weisheit: Was für die Wallenbergs gut ist, ist für Schweden gut!

Die sechste tritt an

Nun steht also besagter Generationenwechsel an. Er wird seit etwa zehn Jahren vorbereitet, erste Hinweise auf Zeitplan und Strategie kamen im Herbst letzten Jahres, als die konservative Tageszeitung Svenska Dagbladet in mehreren Artikeln über den Vorgang berichtete.

Zur sechsten Generation zählen ungefähr 30 Personen, 20 hätten ein Interesse gezeigt, für „die Familie“ zu arbeiten. Die Auserwählten müssen die erforderlichen Meriten mitbringen und eine strikte „Lehre“ durchmachen. Sie müssen beweisen, dass sie fähig sind zu führen, denn zur Strategie zählt, in den Unternehmen, in denen man investiert ist, auch eine steuernde Rolle einzunehmen. Die Familie hat zwar großen Einfluss, aber selten die Stimmenmehrheit. Deswegen legt sie auch großen Wert darauf, dass sie für Neubesetzungen lediglich „Vorschläge“ macht, die der Zustimmung einer Aktionärsmehrheit bedürfen. Allerdings hat sich die Familie in einigen Unternehmen eine günstige Ausgangsposition geschaffen, indem sie sich gut mit Stammaktien eingedeckt hat. Zum Beispiel Ericsson: Kapitalanteil 9,4% vs. Stimmenanteil 24,6%. Oder Investor: 20% vs. 43%.

An der Wahl der vorgeschlagenen „6G“-Kandidaten bestehen jedoch keine Zweifel, dafür sorgen schon die Wahlausschüsse. Auffallend und im Vergleich zu anderen Ländern recht ungewöhnlich: wie in Schweden Investoren unterschiedlichster Herkunft übereinstimmend auf das schwedische Eigner-Modell setzen. Formuliert wird es auf der Webseite der Familie so:

Ein aktives Engagement in den Unternehmen, die die Wallenberg-Stiftungen über Investor und FAM besitzen, bildet die Grundlage für das Agieren der Familie Wallenberg“.

Pensionsinvestoren mit an Bord

Hier in Schweden gibt es kaum einen lokalen Renten- oder Pensionsfonds – sowie etliche Fonds der mit der SEB konkurrierenden Banken – die nicht in Wallenberg-Unternehmen investiert sind, und das nicht selten mit höherem Einsatz als SEB-Fonds. So findet man bei Investor den tariflich getragenen Rentenfonds AMF (im Besitz des Gewerkschaftsbundes LO sowie dem Industrieverband Svenskt Näringsliv,) als zweitgrößten Aktionär, nur übertroffen von KAWS.

Joppi, Poker, Husky

Die fünfte Wallenberg-Generation besteht aus Jakob „Joppi“ (69), Bruder Peter jun. „Poker“ (66) sowie deren Cousin Marcus „Husky“ (68). Den Reigen der Nachfolger hat nun Fred Wallenberg (Jg. 1990) eröffnet, er wurde ins Aufsichtsgremium der Investor AB berufen, wo bereits sein Vater Marcus und sein Onkel Jacob, als Vorsitzender, einen Platz haben.

Foto: Wallenberg-Familie.

Das Unternehmen ist nicht nur größter Investor an der Stockholmer Börse, sondern auch mit 650 000 Teilhabern Schwedens beliebteste Aktiengesellschaft. Zu Fred gesellte sich zwischenzeitlich Jacob Wallenberg jun. (Jg. 1992), Sohn von Jacob, der in das Aufsichtsgremium des Private-Equity-Investors EQT eingezogen ist.

Landeskinder landesdienlich

Mit Überraschung wurde in Stockholm die Mitteilung registriert, dass Stéphanie Gandet (Jg. 1985) in den Aufsichtsrat der KAWS einziehen soll, das Herzstück der Dynastie. Sie ist die Tochter von Andrea Gandet, der Schwester von Jacob und Peter, dem Vorsitzenden der Stiftung. Stéphanie Gandet ist in der Schweiz geboren, lebt in Frankreich und hat eine eigene Anwaltskanzlei. Sie, der nach eigener Aussage „Klimaforschung besonders nahe am Herzen liegt“, wird das fünfte Familienmitglied in dem neunköpfigen Aufsichtsrat sein. Und weitere Wallenbergs werden folgen, so lange sie der Anforderung gerecht werden, „landsgagneligt“ zu sein, dem „Land dienlich“ zu sein.

Reiner Gatermann.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Reiner Gatermann ist Deutscher, lebt und arbeitet aber seit rund fünf Jahrzehnten in Stockholm und war von 1980 bis1985 und von 1999 bis 2007 (dazwischen in London) der Nordeuropa-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt.

In der Reihe Stockholm Live von Reiner Gatermann sind bisher auf ALTERNATIVESINDUSTRIES / PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

Stockholm Live (VIII): Wallenberg – von der fünften in die sechste:
Talking about next Generation
von Reiner Gatermann, 2. Juni 2025

Stockholm Live (VII):
Schwedischer Scherbenhaufen
28. April 2025

Stockholm Live (VI):
Der schiefe Turm von Stockholm
9. Dezember 2024

Stockholm Live (V):
„Gimme, gimme gimme my Tax“
3. Juni 2024

Stockholm Live (IV):
Nordische Kombination
12. April 2024

Stockholm Live (III):
All das deutet in die falsche Richtung“
1. März 2024

Statens årskullsförvaltningsalternativ (II):
Rückennummer 7
4. Oktober 2022

Statens årskullsförvaltningsalternativ (I):
Nordish Pension by Nature
19. September 2022

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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