Die Summen, um die es geht, sind überschaubar; die Rechtslage wirkt recht klar. Doch die Hartnäckigkeit und die Argumentation der in zwei Instanzen unterlegenen Arbeitgeberin sind – gelinde ausgedrückt – bemerkenswert. Doch könnte das Verfahren vor dem Dritten Senat um die Einstandspflicht nach Kürzung einer PK-Rente unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt doch wegweisend werden?
Mitte des Monats hat der Dritte Senat des BAG wieder einen ausgedehnten Sitzungstag und erneut direkt drei Fälle höchstrichterlich zu entscheiden. Immer unterschiedliche Fälle, aber alle drei drehen sich um die Höhe der Betriebsrente. Heute zu dem der drei Fälle, in dem es um die Einstandspflicht des Arbeitgebers bei Kürzung einer Pensionskassenrente geht:
Die Sanierung der seinerzeit in Schieflage geratenen Kölner Pensionskasse und Caritas Pensionskasse, die mit Eingriffen in den Past Service und Rentenkürzungen einher gingen, sind auf LEITERbAV eng begleitet worden (zuletzt ausführlich in der Tactical Advantage Vol 7 August 2021). Mitte März muss sich nun erstmals das höchste deutsche Arbeitsgericht mit den Kürzungen befassen. Hier Informationen zu dem Fall, der vor dem LAG Sachsen mit Urteil vom 21. März 2022 – 2 Sa 443/20 – entschieden worden ist. Einige der vielen Einzelheiten:
Die Klägerin war seit 1970 aufgrund zweier Betriebsübergänge bei der Beklagten beschäftigt (offenbar im Bereich der Caritas, denn der erste Betriebsübergangs erfolgte Anfang 1998 auf den „Caritas Sozialwerk im Bistum Dresden-Meißen e.V.“).
Seit 2014 ist die Klägerin in Ruhestand und bezog von der PKC zunächst aus zwei Verträgen eine monatliche Altersrente von rund 41 Euro. Im September 2019 kürzte die PKC. Der Rentenanspruch aus dem Vertrag V1 wurde von 28,15 Euro monatlich auf 21,20 Euro monatlich korrigiert, derjenige aus dem V2 von 12,96 Euro auf 9,76 Euro. Im März 2020 klagte die Betriebsrentnerin gegen ihre Ex-Arbeitgeberin. Erstinstanzlich hat sie die Ansicht vertreten, es handele sich vorliegend um eine boLZ, im Arbeitsvertrag seien ihr vollen Leistungen zugesagt worden, die Ex-Arbeitgeberin müsse daher für die entstandeneVersorgungslücke einstehen.
Reine Beitragszusage und Grundgesetz …
Die Arbeitgeberin wiederum argumentierte erstinstanzlich in bemerkenswerter Form: Eine konkrete Zusage hinsichtlich einer bestimmten Art der Altersversorgung oder gar bezüglich einer bestimmten Versorgungsleistung enthalte der Arbeitsvertrag nicht. Die Beklagte habe sich nicht verpflichtet, für einen bestimmten Versorgungserfolg einzustehen. Es liege daher schon keine Zusage einer Versorgung ‒ insb. als boLZ – vor. Vielmehr sei eine reine Beitragszusage gegeben.
Die Einstandspflicht knüpfe aber an „vom Arbeitgeber zugesagte Leistungen“ an, weshalb vorliegend keine Einstandspflicht bestehe. Der Arbeitsvertrag regele in einer Anlage, dass sich die Ansprüche nach der Satzung der PKC bestimmen, ergo seien etwaige Leistungen der Beklagten als Arbeitgeber von vornherein nur im Umfang der Satzung zugesagt. Die Entstehung eines Versorgungsanspruchs sei damit vom Satzungsrecht der PKC abhängig gemacht worden.
Eine boLZ sei auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen zu verneinen. Denn die sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Wertungen erforderten insoweit, dass deutliche vertragliche Anhaltspunkte für einen entsprechenden Verpflichtungswillen bestünden ‒ wie hier nicht gegeben sei. Die rBZ scheitere auch nicht am Tarifvorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2a BetrAVG , denn dieser könne mangels Rückwirkung nur auf ab dem 2018 erteilte rBZ angewendet werden. Jedenfalls wirke das Leistungsminderungsrecht auch zugunsten der Beklagten. Denn es sei ‒ anders als in vom BAG entschiedenen Fällen ‒ hier bereits im arbeitsrechtlichen Grundverhältnis angesiedelt und nicht im versorgungsrechtlichen Durchführungsverhältnis.
… schlagen nicht durch
Das ArbG Dresden hat der Klage (zumindest für den Autor wenig überraschend) am 20. Oktober 2020 ‒ 9 Ca 546/20 ‒ in vollem Umfang stattgegeben. Begründung: Ansprüche der Klägerin ergeben sich aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG . Der extern eingeschaltete Versorgungsträger sei nur ein Instrument des Arbeitgebers zur Erfüllung seiner arbeitsrechtlichen Versorgungsverpflichtung. Eine rBZ liege nicht vor. Das ArbG interpretierte das Versprechen einer „Zusatzversorgung“ und weitere ähnliche Begriffe im Dienst- bzw. Arbeitsvertrag und seinen Anlagen unzweifelhaft als eine bAV-Zusage, hier als boLZ.
Die dynamische Verweisung auf die Satzung der PKC berechtige den Arbeitgeber nicht zu beliebigen Eingriffen in die Besitzstände. Die engen Voraussetzungen für einen Eingriff lägen nicht vor. Auf die wirtschaftliche Lage der PKC könne sich die Beklagte nicht berufen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Beklagten seien unberechtigt, weil § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG als Folge nur bestimme, dass der Arbeitgeber die von ihm zugesagte Leistung erbringen müsse, auch wenn er den Weg über einen externen Versorgungsträger wähle.
Ein Einsehen hatte die Arbeitgeberin nicht, ging prompt in Berufung, welche im März 2022 vor dem Sächsischen LAG in Chemnitz verhandelt wurde.
BAG-Rechtsprechung unvollständig?
Vor dem LAG führte die Beklagte – den erstinstanzlichen Vortrag vertiefend – aus, das ArbG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine boLZ gegeben sei. Denn aus der Verwendung von Begriffen wie „Zusatzversorgung“, „Zusätzliche Altersversorgung“, „Pensionskasse“, „Altersversorgung“, „Zusatzrente“ etc. könne nicht geschlussfolgert werden, dass sie (bzw. ihre Rechtsvorgänger) für einen bestimmten Leistungserfolg habe einstehen wollen.
Entsprechende Begrifflichkeiten würden nämlich auch verwendet, wenn eine rBZ vorliege, wie sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 2a BetrAVG ergebe. Für die Auslegung seien die §§ 133, 157 BGB zugrunde zu legen. Durch die Formulierung in der Versorgungsordnung „durch Entrichtung von Versicherungsbeiträgen“ sei die dem Arbeitgeber (ausschließlich) obliegende Zahlung eben dieser Beiträge besonders akzentuiert worden.
Außerdem liege ein grundgesetzlich unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit vor, wenn sie mit einer Doppelzahlung belastet würde, ohne sich hierzu deutlich erkennbar oder ausdrücklich verpflichtet zu haben. Soweit sich das BAG mit dieser Frage bereits befasst habe (z.B. Urteile vom 30. September 2014, 3 AZR 617/12, und vom 13. Dezember 2016, 3 AZR 342/15), sei diese Rechtsprechung unvollständig bzw. aus anderen Gründen abzulehnen.
Keine Chance in der zweiten Instanz
Doch auch in der zweiten Instanz drang die Arbeitgeberin mit ihrer Argumentation nicht durch. Das LAG Sachsen folgte dem ArbG Dresden und wies die Berufung ab, denn „die Klage ist vollständig begründet.“ Das LAG fürhte u.a. aus:
Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG in Verbindung mit den Regelungen des Arbeitsvertrages zu, so das LAG. Die Beklagte hat der Klägerin eine boLZ erteilt. Dies ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag bzw. jedenfalls aus der Anmeldung zur Pensionskasse auf Grundlage der Versorgungsordnung. Letztere enthält keine rBZ. Verfassungsrechtliche Wertungen stehen dem nicht entgegen. Die Beklagte schuldet daher die monatliche Differenz in unstreitiger Höhe.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG gelten die Vorschriften dieses Gesetzes, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden (bAV). Die Durchführung der bAV kann dabei unmittelbar über den Arbeitgeber oder über einen der in § 1b Abs. 2 bis 4 genannten Versorgungsträger erfolgen. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG hat der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann einzustehen, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt.
Das LAG führte weiter aus: Ausgangspunkt einer Einstandspflicht ist damit die Ausgestaltung der Zusage. Hat der Arbeitgeber lediglich zusätzliche Zahlungen während des aktiven Arbeitslebens versprochen, die ‒ vergleichbar VWL ‒ zur Bildung von Vermögen oder von Versorgungsanwartschaften an Dritte auszuzahlen sind und bei denen der Arbeitnehmer das volle Anlage- und Insolvenzrisiko trägt, besteht keine Einstandspflicht – da keine bAV. Wurden dagegen künftige Versorgungsleistungen in bestimmter bzw. bestimmbarer Höhe versprochen, hat der Arbeitgeber jedenfalls dann für Kürzungen durch die Pensionskasse einzutreten, wenn diese auf deren wirtschaftlichen Schieflage beruhen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann laut LAG auch nicht unbeachtet bleiben, dass der Arbeitsvertrag selbst den Begriff der „Zusatzversorgung“ verwendet. Denn der Vertrag wurde 1998 geschlossen, also alsdie rBZ im Gesetz noch nicht geregelt war und nach der Rechtsprechung des BAG ausdrücklich nicht darunterfiel. Schon nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages durfte die Klägerin davon ausgehen, dass ihr für den Eintritt eines Versorgungsfalls zusätzliche Leistungen zugesagt wurden und nicht nur Beitragszahlungen. Die Versorgungsordnung verwendet die Begriffe „Pensionskasse, „Altersversorgung“ und „Zusatzrente“. Dieser Wortlaut entspricht dem typischen Sinn einer zugesagten Altersversorgung, die von der Grundidee her eher auf eine tatsächliche zusätzliche Versorgung im Alter gerichtet ist als auf eine reine Beitragszahlung während des aktiven Arbeitsverhältnisses, so das LAG.
Das führt aus, dass das Gesetz damals auch die boLZ nicht ausdrücklich vorsah – diese jedoch Gegenstand der Rechtsprechung war; und schon vor der gesetzlichen Regelung wurde die boLZ als Versorgungsversprechen im Sinne des Betriebsrentengesetzes angesehen. Die rBZ dagegen unterfiel nach ständiger BAG-Rechtsprechung dem Betriebsrentengesetz ausdrücklich nicht, Zitat z.B. aus dem BAG-Urteil vom 7. September 2004 – 3 AZR 550/03:
„Eine solche Zusage ist zwar rechtlich ohne weiteres möglich. Sie unterfällt aber nicht dem Recht der bAV. Mit ihr werden keine künftigen Versorgungsleistungen versprochen, wie dies § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG verlangt, sondern nur zusätzliche Zahlungen während des aktiven Arbeitslebens, die vergleichbar VWL zur Bildung von Vermögen oder von Versorgungsanwartschaften an Dritte auszuzahlen sind und bei denen der Arbeitnehmer das volle Anlage- und Insolvenzrisiko trägt. Auf solche Zusagen passt weder der gesetzliche Verschaffungsanspruch aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG noch das Unverfallbarkeitsrecht des § 2 BetrAVG .“
Zu Art. 12 GG führt das LAG aus, dass dieser nicht nur zu Gunsten der Beklagten, sondern gleichermaßen zugunsten der Klägerin wirkt. Denn auch diese wird in ihrem Grundrecht der freien wirtschaftlichen Betätigung, hier in Form der freien Arbeitsplatzwahl, tangiert, wenn sie ‒ nach dem Wortlaut berechtigt ‒ von der Zusage einer tatsächlichen Versorgung ausgeht und ihre Willensentscheidung zum Abschluss des Arbeitsvertrages auch unter diesem Gesichtspunkt trifft. Allerdings sieht das LAG die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die an Art. 12 GG orientierte grundrechtskonforme Auslegung von Versorgungszusagen eine Bejahung einer übernommenen Einstandspflicht und damit einer Doppelbelastung nur dann erlaube, wenn deutliche vertragliche Anhaltspunkte für einen entsprechenden Verpflichtungswillen des Arbeitgebers bestünden, bisher nicht ausdrücklich höchstgerichtlich geklärt und hat daher die Revision zugelassen.
Nun also Erfurt im März.
Fazit von LEITERbAV: Die Sache könnte auch für Nicht-Propheten interessant werden
Die Art der Argumentation und die Hartnäckigkeit der Arbeitgeberin kann man auch positiv sehen. Soviel Chuzpe muss man erstmal haben. Jedoch muss man kein Prophet und keine Kassandra sein, um eine Ahnung zu haben, wie in diesem Fall am 14. März in Erfurt entschieden werden dürfte. Ob die Arbeitgeberin auf höheren Beistand vertraut?
Was den Fall aber wirklich interessant macht: Das LAG Sachsen hat sich in seinem Urteil zwar ausführlich mit der boLZ befasst, aber vermieden, eine derzeit und auch künftig brandaktuelle Frage anzufassen: Ob nämlich eine boLZ eine nominale Mindestleistung zu erbringen hat, und wenn ja, welche? Bspw. auf dem Niveau der BZML? Darüber? Darunter? So eindeutig der vorliegende Fall wirkt, so interessant sein wird es zu beobachten, ob der Dritte Senat Mitte März die Gelegenheit nutzen wird, hierzu Hinweise zu geben.
Mehr zu dem zweiten und zu dem dritten am 14. März in Erfurt zu verhandelnden Fall findet sich auf LEITERbAV zwischenzeitlich hier.
Eine erste Berichterstattung zu den Urteilen der drei Fälle findet sich auf LEITERbAV zwischenzeitlich hier.