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aba-Jahrestagung 2022 (II):

„Keine größeren Hindernisse in Sicht“

Schnellen Schrittes scheinen die Chemie-Tarifvertragsparteien ihrem Sozialpartnermodell entgegenzustreben. Jedenfalls zeigten die Verantwortlichen neulich in Berlin auch in dieser Frage diejenige Form des konstruktiven Miteinanders, für die ihre Branche oft beneidet wird. Der Zeitplan ist ambitioniert, die Architektur soll offen sein. LbAV dokumentiert im schnellen Telegrammstil die wichtigsten Aussagen – und den einzigen Wunsch.

 

Weiter geht es auf LEITERbAV mit der Berichterstattung zur neulichen aba-Jahrestagung 2022 in Berlin.

 

Derzeit ist das Sozialpartnermodell in aller Pensions-Munde, und in der Tat scheint die Entwicklung diesmal wirklich nicht mehr aufzuhalten.

 

Eine Branche, die sich erst vor kurzem final entschieden hat, ein Model aufzusetzen, ist nun offenbar zu schnellen Fortschritten entschlossen und sieht anders als manch andere auf ihrem Weg offenbar wenig Hindernisse: die Chemie.

 

Dabei hilft sicher auch, dass es zwischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite hier offenbar relative Deckungsgleichheit bei ihrem Blick auf die Dinge gibt. Mit Lutz Mühl und Michael Mostert gaben auf der aba-Tagung die beiden Protagonisten der beiden Tarifparteien Einblick in Status und Perspektive ihrer Operation SPM.

 

Michael Mostert (li.) und Lutz Mühl auf der aba-Jahrestagung im Mai 2022 in Berlin.


Da es hier viel Übereinstimmung und wenig Differenzen gab, scheint der Redaktion eine Trennung und anschließende Zuordnung der Aussagen nicht sinnvoll. Daher werden diese hier
in Abstimmung mit Mostert und Mühl in einem Block dokumentiert (wegen der Dichte der Informationen im bekannten LbAV-Stakkato und sämtlich im Indikativ der Referenten):

 

Michael Mostert, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), und Lutz Mühl, Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. (BAVC): „Auf dem Weg zum ersten branchenweiten Sozialpartner-Modell“

 

+++ Chemie-Sozialpartner hatten sich schon im Gesetzgebungsverfahren eingebracht und waren von Anfang an überzeugt, dass SPM sehr sinnvolle Konstruktion, um Zukunftsfestigkeit der bAV zu organisieren +++ jetzt auf Zielgeraden für Umsetzung des SPM in ihrem Tarifvertrag „Einmalzahlung und Altersvorsorge“; voraussichtlich die erste Umsetzung in einem Flächentarifvertrag +++


+++ Meinungsbildung in mitgliederorientierten Organisationen wie Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geht nicht in wenigen Monaten und nicht „top-down“ +++ deswegen war es vornherein abwegig zu glauben, Umsetzung des SPM mit so grundlegenden Änderungen an der bAV könnte in ein oder zwei Jahren erfolgen +++


Zum Antrieb: hohe Garantien und niedriger Rechnungszins


+++ jetzt jedoch beide Parteien bereit, die notwendigen Beschlüsse sind gefasst +++ wesentliche Treiber der Entwicklung waren:

 

  • Erkenntnis, u.a. auf Basis von Berechnungen des ifa Ulm (Sandra Blome und Team), dass bestehende Modelle jungen Beschäftigten heute im Vergleich zu vor 20 Jahren meist signifikant weniger als die Hälfte der damaligen Niveaus als Leistung zusagen+++ Hauptgrund teure Garantien in bestehenden Systemen +++ brauchen also neue Modelle, um Attraktivität wieder steigern zu können +++

  • erneute Senkung des Höchstrechnungszinses ab 2022 macht Zusagen als BZML über externe Einrichtungen praktisch unmöglich; Alternative boLZ mit „Garantie“ unter Summe der gezahlten Beiträge rechtlich zumindest umstritten und Haftungsrisiken für Arbeitgeber nicht völlig auszuschließen; wieder deutlich attraktivere Leistungen bietet der Weg dabei dennoch nicht, alsokeine vernünftige Alternative +++

     

Zur Genese: offene Rechtsfragen zu klären

 

Lutz Mühl, BAVC.

+++ bis weit ins Jahr 2019 dauerte Klärungsprozess zu einzelnen offenen Rechtsfragen aus dem BRSG +++ nicht zuletzt Frage um mögliche Haftung der Tarifvertragsparteien, v.a. aber der Gewerkschaften gegenüber den Versorgungsanwärtern im SPM bei unzureichender Beteiligung an Durchführung und Steuerung (vgl. etwa Zwanziger in Festschrift für Kittner, Seite 439 mit weiteren Nachweisen) +++ nachvollziehbar, dass die Tarifvertragsparteien, die sich vom Gesetzgeber als Hilfskräfte seiner Sozialpolitik in die Pflicht genommen sehen, zunächst u.a. diese offenen Haftungsfragen klären wollten +++


+++ ebenso hemmend war Erkenntnis, dass zunächst nur wenige Versorgungsanwärter in SPM versorgt werden könnten angesichts des nicht ohne weiteres antastbaren Besitzstandes weiter Teile der „Bestandsbelegschaften“ und Erwartung, dass in absehbarer Zeit kein massenhafter Wechsel in das SPM bevorsteht +++


Zu Aufsicht und Zeitplan: noch 2022 – und mit offener Architektur


+++ alle notwendigen Dokumente für Schaffung eines Chemie-
SPM und erste Umsetzung im Chemie-Pensionsfonds (von BAVC und IGBCE mit der R+V angeboten) liegen im Entwurf vor +++ BaFin hat erste Runde an Kommentierungen übersandt, die aktuell abgearbeitet werden +++ größere Hindernisse bisher keine in Sicht +++ Ziel ist, Tarifvertrag bis 30. Juni fertig zu stellen und parallel Dokumente final bei BaFin einzureichen +++

 

+++ Start soll – vorbehaltlich einer bis dahin erteilten Genehmigung durch die BaFin – im Herbst sein, noch 2022 sollen erste Beiträge in Chemie-SPM im Chemie-Pensionsfonds fließen können +++ später sollen auch andere Versorgungseinrichtungen auf Basis des Tarifvertrages von IGBCE und BAVC reine Beitragszusagen für Betriebe und Beschäftigte der chemischen Industrie anbieten können +++ könnten v.a. Pensionskassen sein, die schon heute in Branche aktiv sind +++ jede Einrichtung muss dann mit BAVC und IGBCE Angebot festlegen und Vereinbarung über Beteiligung der Tarifvertragsparteien an Durchführung und Steuerung treffen +++

 

 

 

 

Mit dem aktuellem rechtlichen Rahmen kommen die Chemie-Sozialpartner

mit Blick auf ihr SPM gut zurecht.“

 

 

 

 

 

+++ da Einführung des „SPM Chemie“ von einschlägiger betrieblichen Entscheidung abhängt (Freiwilligkeitsprinzip), sind zur Erzielung möglichst hoher Teilnahmequote erhebliche Kommunikationsanstrengungen erforderlich +++ hiermit wird vorbehaltlich positiver BaFin-Entscheidung noch in QIII 2022 begonnen werden +++


Zum einzigen ToDo für den Gesetzgeber: die ATler

 

 

Michael Mostert (IGBCE). Alle Fotos: Sandra Wildemann.

+++ mit aktuellem rechtlichen Rahmen kommen Chemie-Sozialpartner mit Blick auf ihr SPM gut zurecht +++ einziger aktueller Wunsch für Klarstellung bzw. Änderung des Gesetzes: die Beschränkung auf Inbezugnahme „einschlägiger Tarifverträge“ verhindert offensichtlich problemlose und rechtssichere Einbeziehung von AT-Angestellten in SPM, da per Definition kein Tarifvertrag für AT-Angestellte „einschlägig“ sein kann +++ wurde bereits an BMAS kommuniziert+++ wichtig, weil viele Betriebe einheitliche Systeme für alle Beschäftigten fahren wollen und sonst von Anwendung des SPM vielleicht absehen +++

 

Zur tarifvertraglichen Einordnung: Vorentscheidungen bereits im April


+++
„SPM Chemie“ wird vorhandene Möglichkeiten der bAV ergänzen, nicht aber ersetzen +++ dazu soll bereits seit 2001 bestehender Tarifvertrag um neuen Unterabschnitt „Reine Beitragszusage (Sozialpartnermodell Chemie)“ erweitert werden+++


+++ e
inige tarifpolitische Vorentscheidungen bereits durchTarifabschluss vom 5. April für chemische Industrie getroffen worden +++ so wird v.a. zusätzlicher Sicherungsbeitrag nach § 23 Abs.1 BetrVG in Höhe von 5% der Beiträge Gegenstand des neuen Tarifvertrages sein +++ bestehende Vorschriften zur Tarifförderung werden gesetzlichen Anforderungen des SPM angepasst +++ Neuregelung soll bundesweit gelten +++

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