Unregelmäßig freitags bringt PENSIONS●INDUSTRIES eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Zwei mal Verbände zu zwei deutschen Überthemen, zwei mal Frankreich, Sarkozy und die böse Tat, Neues vom deutsch-europäischen Industrie-Selbstmord und: Kassandra entwickelt für die SPD eine neue Grundsteuer.
BVI (9. Oktober): „Reform der privaten Altersvorsorge.“
Verbände zum Ersten, hier nächster Akt im ersten deutschen Über-Thema „Rentenreform“: Der Koalitionsausschuss hat gestern beschlossen, dass die Reform der privaten Altersvorsorge als Teil der Rentenreform noch 2025 – und damit vor der Frühstart-Rente – im Kabinett beschlossen wird (dort soll auch die Aktiv-Rente integriert werden). Details völlig unklar.
BVI-Chef Thomas Richter kommentierte flugs: „Jetzt scheint die wichtigste Reform Vorrang zu bekommen, mit deren Hilfe die Rentenlücke von 50 Mio. Menschen zwischen 18 und 66 Jahren verkleinert wird. Zur Umsetzung liegt das Altersvorsorgedepot in der Schublade.“
Einzelheiten sind noch unklar. Kassandras Segen bekommt jedenfalls alles, was strikt Real Asset-orientiert, unbelastet von Garantien, fair kostenreguliert und nicht die bAV kannibalisierend ist. Was dieses Deutschland – ohnehin mit allem zu spät dran – weder vorsorge- noch industriepolitisch braucht, sind steuerfinanzierte Anreize, um mehr aus der Zeit gefallene Kapitalversicherungen unters Volk zu bringen, v.a. nicht durch Dreibuchstabenvertriebe.
GDV (9. Oktober): „Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz: Milliardenpotenzial bei Infrastrukturprojekten bleibt ungenutzt.“
Verbände zum Zweiten, hier nächster Akt im zweiten deutschen Über-Thema „Pakete zur Förderung der Infrastruktur“ (dem Kassandra bekanntlich skeptisch gegenübersteht): Kurz vor der gestern erfolgten Verabschiedung des LuKIFG (Länder- und Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz) im BT beklagt der GDV das ungenutzte Potenzial für private Investitionen: Obwohl deutsche Versicherer insgesamt etwa 112 Mrd. Euro in Infrastruktur investiert haben, fließt nur ein geringer Teil dieser Mittel überhaupt nach Deutschland – Das ist der bekannte (und im gegenwärtigen Zustand des Landes absolut nachvollziehbare) Anti Home Bias, der auch auf dieser Plattform schon oft thematisiert worden ist.
Zu dem LuKIFG: Dieses sieht vor, dass aus einem Sondervermögen von 100 Mrd. Euro, welche den Ländern zugeteilt werden, auch PPP (dt. ÖPP) gefördert werden dürfen. Laut GDV zeigten Erfahrungswerte, dass PPP-Projekte oft zügiger realisiert werden, Kosten besser kontrollierbar sind und öffentliche Mittel effizienter eingesetzt werden können. Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich registriert der GDV hierzulande Vorbehalte gegenüber PPPs: Diese wirkten in der kurzfristigen Haushaltsrechnung oft „teurer“ als klassische öffentliche Finanzierung. Der Verband mahnt ein „Umdenken“ bei Bund, Ländern und Kommunen an und verweist auf die deutschen Versicherer, die jährlich 200 bis 300 Mrd. Euro neu anlegen, meist langfristig. Der GDV fordert, dass bei großen Infrastrukturvorhaben verpflichtend eine Wirtschaftlichkeitsanalyse mit Lebenszyklusbetrachtung durchgeführt wird, um zu prüfen, ob eine PPP sinnvoller ist als andere Finanzierungsmodelle.
Dass bei der Förderung der Infrastruktur mit viel Steuergeld schon jetzt erste (erwartbare Enttäuschungen aufpoppen, ist hier jüngst erst thematisiert worden). Die Kröte hält an ihrer Skepsis in zehn Akten jedenfalls fest.
Die Welt (6. Oktober): „‘Industrieller Selbstmord’ – Briten schließen Werke in NRW wegen ‚erdrückender‘ Energiekosten.“
Kassandra unkt ja regelmäßig, dass es keinem Land auf dem Planeten, auch Deutschland nicht, gelingen wird, unter dem demographischen Druck ihre Altersvorsorgesysteme nachhaltig zu gestalten, wenn es währenddessen nicht wirtschaftlich prosperiert – und dabei vergisst die Kröte nie zu erwähnen, dass Deutschland sich diesbezüglich auf der steilen Rolltreppe abwärts befindet.
Für die, die dies stets zu harsch finden sollten, hier nun ein weiterer Beleg für diese Rolltreppe abwärts, der deutlicher nicht sein könnte. Im Artikel steht zwar, dass von einem europäischen Problem die Rede ist, doch das macht die Sache nicht besser. Erstens haben alle europäischen Staaten mehr oder weniger die gleichen strategischen Defizite (manche mehr, manche weniger), und das auf fast allen Politikfeldern, und zweitens ist und bleibt Deutschland das industrielle Herz dieses Kontinents, und dieser Kontinent leidet an ständig kritischer werdender Herzinsuffizienz.
Wie dem auch sei, ändern wird sich natürlich nichts. Erst geht der Esel aufs Eis, weil ihm zu wohl ist, und dann der Krug zum Brunnen, bis er bricht.
Bild (21. August): „Kommunen machen sich die Taschen voll: Jede 3. Gemeinde bricht Grundsteuer-Versprechen.“
Kurze Kassandrische Unkenrufe zu dem Beitrag: Erstens haben nicht die Kommunen das Versprechen abgegeben, sondern die damalige Bundesregierung (aber die hat bekanntlich auch ein Wirtschaftswunder versprochen, also was soll’s?!), der Bild-Artikel klärt darüber im Vorspann auch auf. Zweitens machen die Kommunen sich nicht „die Kassen voll“, sondern ihre Kassen sind leer und bleiben auch danach leer, die Gründe sind bekannt. Übrigens brechen jetzt zusätzlich noch die Gewerbesteueraufkommen ein; Stuttgart ist nur ein Beispiel. Die deutschen Kommunen gehen den gleichen Weg, auf dem die deutschen Sozialsysteme schon gut vorangekommen sind: in die Pleite.
Drittens: Steuern, Staatsausgaben und Staatsquote (und Staatsverschuldung) sind in Deutschland ohnehin viel zu hoch. Das sind übrigens die eindeutigen Merkmale einer niedergehenden Volkswirtschaft; und wie dargelegt, kennt die SPD gar keine anderen politischen Inhalte mehr.
Jedoch: Wenn man schon nur in Kategorien von Steuererhöhungen denken kann (falls man da überhaupt von „denken“ sprechen will), warum geht man dann nicht wenigstens smart vor? Hier ein kostenloser kassandrischer Vorschlag an die Steuererhöhungs-Fraktion im SPD-BMF:
Einführung einer neuen „Grundsteuer D“. Diese darf nicht auf die Mieter umgelegt werden, sondern ist vom Eigentümer zu tragen. Dieser kann sie jedoch komplett mit Einkünften aus allen sieben Einkunftsarten gegenrechnen, sprich saldieren. Voraussetzung: Er ist in Deutschland einkommensteuerrechtlich veranlagt; sonst Pech gehabt. Konsequenz: Innerdeutsch neutral, aber man kann ein paar Dutzend, vielleicht ein paar Hundert 100 Mrd.Steuergeld im Ausland einsammeln, v.a. von hochvermögenden „Republikflüchtlingen“ und ausländischen Investoren.
Focus (12. September): „Rien ne va plus: Frankreich droht der Zusammenbruch unter 3300 Milliarden Euro Schulden.“
Der Tagesspiegel (6. Oktober): „‘Nie da gewesene Krise’ – nach Premier-Rücktritt: Ist Frankreich jetzt endgültig unregierbar?“
Frankreich zum Ersten: Besieht man sich die fiskalische Lage, v.a. aber die Perspektive der beiden EU-Giganten Deutschland und Frankreich, so muss rätselhaft scheinen, warum der US-Dollar gegenwärtig bei 1,17 Euro steht. Nicht, dass die fiskalische Lage in den USA besser wäre, die industriepolitische und geostrategische sind es aber sehr wohl, und das uneinholbar. Allerdings gibt es beim Dollar mutmaßlich den starken politischen Willen, ihn schwach zu halten bzw. weiter zu schwächen. Das macht jede Prognose schwierig.
Nur in einer Sache legt sich Kassandra erneut fest: Sollte die Lage in Frankreich weiter eskalieren, wird die französisch geführte EZB umgehend ein Déjà-vu mit der uns allen wohlbekannten alten Tante QE arrangieren – und zwar ohne Rücksicht auf irgendeinen Capital Key oder diesbezügliche Urteile des Bundesverfassungsgerichts (an der Deformierung der Märkte, die QE und der damit einhergehende Minizins seinerzeit verursacht haben, leiden so manche Pensions-Investoren, bekanntlich noch heute).
Zurück zur Gegenwart, und die ist vertrackt genug: Euro und Dollar – jeder der beiden Fußlahmen laboriert an seinen ganz eigenen, schwerst-chronischen Handicaps. Ob andere Währungsräume, CAN, AUS/NZL, Skandinavien etc. hier Alternativen darstellen? Für Investoren, deren Verbindlichkeiten auf Euro laufen, ist das Problem überschaubar – wenn auch nicht zu vernachlässigen. Wenn die Verpflichtungen jedoch z.B. auf CHF lauten, dann wird die Sache sichtlich komplizierter. Mehr dazu übrigens in der Herbst-Ausgabe der kommenden Tactical Advantage.
Übrigens sei daran erinnert, dass nicht die fiskalische, aber doch die politische Misere in Frankreich einen echten Schub erhalten hat, als Macron im Sommer 2024 ohne echte Not das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angesetzt hat; Kassandra hatte ihn seinerzeit schon dafür getadelt. Das Gute daran: Man sieht mal wieder, dass es politische Ungeschicklichkeit auch in anderen Ländern selbst auf höchster Ebene gibt, nicht nur in unserem.
Übrigens: Kommen Ihnen die Zeilen, die Sie gerade gelesen haben, bekannt vor? Kein Wunder, stammen sie doch 1:1 aus der Presseschau vom 1. September. Denn: Seitdem hat sich an der grundsätzlichen Lage nichts geändert – außer dass sie sich in Frankreich noch mal sichtlich zugespitzt hat.
Nur der guten Ordnung halber hier der Hinweis, dass man nicht mit dem Finger auf Frankreich zeige, ohne auch Deutschland zu beleuchten – denn die Herausforderungen und der insuffiziente Umgang mit ihnen sind ähnlich. Wie Frankreich hat Deutschland versäumt, sich v.a. industriell wetterfest zu machen, als es das Geld zum Nullzins gab – sondern stattdessen mit viel billigem Geld Verkrustungen zementiert. Es sei daran erinnert, dass Deutschland den Fetisch der (ordnungspolitisch an sich sehr korrekten) Haushaltsdisziplin wenigstens zum Schein dann besonders aufrecht erhalten hat, als das Geld kostenlos war. Kassandra hat Schäuble damals, vor fast neun Jahren, schon für den Mangel an Raffinesse kritisiert, dass man im Nullzins nicht Methusalems in den nötigen Größenordnungen aufgenommen hat. Denn wenn man schon das üble Spiel nicht aufhalten kann, dann muss man es wenigstens mitspielen.
Und jetzt? Jetzt ist das Geld teuer, und jetzt verschuldet sich Deutschland bis unters Dach. Was soll man davon halten? Sie wissen, schon, das waren die guten Zeiten. Jetzt kommen eben die schlechten.
Tagesschau (25. September): „Illegale Wahlkampffinanzierung: Ex-Präsident Sarkozy zu fünf Jahren Haft verurteilt.“
Frankreich zum Zweiten: Nicolas Sarkozy. Die Älteren werden sich erinnern, längst vergangener, seinerzeit äußerst umtriebiger Präsident der V. Republik. Einer, wenn nicht der hauptverantwortliche Initiator und Antreiber des Feldzugs gegen den libyschen Herrscher Gaddafi. Kassandra hat das vielfach als die größte geostrategische Fehlentscheidung Europas seit 1945 bezeichnet: Auf der Habenseite stehen nicht nur die Zerstörung des zwar diktatorischen, aber halbwegs funktionalen libyschen Staates in einen Failed State und ein bis heute anhaltendes Chaos, sondern auch große Mitverantwortung für die Destabilisierung des gesamten Krisenbogens von Nigeria über Syrien bis in den Irak und das Aufkommen islamistischer Milizen und Terrorgruppen. An den Folgen leidet ganz Europa bis heute (und morgen und übermorgen…); namentlich die Flüchtlingskrise wurde durch diesen Feldzug massiv getriggert, wenn nicht initiiert.
Was ritt Sarkozy damals? Machtgier? Dummheit? Geltungssucht des Kleingewachsenen? Wohl eine Mischung aus allem. Stets gemutmaßt wurde von Leuten wie Kassandra, dass auch die Absicht, mit Gaddafi einen Mitwisser seiner schwelenden Spendenaffäre loszuwerden, Teil seiner Motivationslage war – der Fluch der bösen Tat.
Und jetzt: Da zerstört man ganze Staaten, löst gigantische Fluchtbewegungen aus, beraubt Millionen Menschen ihrer Heimat, ist verantwortlich für den Tod von Unzähligen, und dann muss man am Ende doch noch ins Gefängnis? Ist die Welt nicht ungerecht? Ist es nicht ein Jammer? Muss er die Haft eigentlich in Den Haag absitzen?
Falls Sie am heutigen Freitag noch ein bis zwei Stündchen Zeit und nichts besseres vorhaben: Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
