Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Wegen der Fülle der gegenwärtigen Informationsdichte ausnahmsweise am vergangenen Freitag und am heutigen Montag in zwei Teilen: Heute Teil II: Vom schlanken Fuß und der Ironie der Geschichte.
Versicherungsjournal (28. August): „Urteil des Verfassungsgerichts noch ohne Wirkung.“
Ein Betriebsrentner bedient sich des Versicherungsjournals, um seinen Unmut über die aus seiner Sicht zu schleppende Umsetzung des BVerfG-Urteils zur Beitragsfreiheit privat fortgeführter PK-Versorgungen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Ironie der Geschichte: Es war der BVV, der dieses Urteil für die Betriebsrentner und deren Beitragsbefreiung erstritten hat und der sich nun mit einer solchen Geschichte in der Presse wiederfindet.
Hinzu kommt, dass es ausgerechnet die EbAV sind, die für die vertrackte Situation nichts können und auch nicht von ihr profitiert haben (im Gegenteil, die bAV im Ganzen nahm und nimmt durch die Doppelverbeitragung weiter Schaden). Bekanntlich hat die Politik die Doppelverbeitragung 2004 in einer Nacht- und Nebel-Aktion halblegal durchgesetzt, muss sich sukzessive vom Verfassungsgericht kassieren lassen und weigert sich nachhaltig, die weiter köchelnde Sache endlich einmal einer suffizienten Lösung zuzuführen (teilanaloges gilt übrigens für Niedrigzins, 6a und 15-Prozent-Zuschuss).
Insofern macht sich die Politik, die hier vermutlich auf eine biologische Lösung setzt, einen schlanken Fuß, und es ist nur gerecht, dass sie in den Massenmedien hierzu ständig schärfere Schlagzeilen erhält.
Und wo wir schon bei schlanken Füßen sind: Eben den scheinen sich möglicherweise auch erneut die Krankenkassen zu machen, zumindest deren Spitzenverband. Nachdem man dort schon wenig Verständnis gezeigt hat für die Nöte der Arbeitgeber, den 15-Prozent-Zuschuss jährlich statt monatlich abzurechnen, sehen sie auch in der Causa Rückabwicklung der verfassungswidrigen Doppelverbeitragung nicht sich oder jemand Dritten in der Verantwortung, sondern ausschließlich die Pensionskassen. Dabei kann man mal ketzerisch fragen:
Wer sagt denn eigentlich, dass es die Pensionskassen sind, die nun die geleisteten Beiträge rückwirkend auseinanderklamüsern müssen? Die sind zwar eindeutig die Zahlstellen, haben das Geld aber gar nicht vereinnahmt, sondern die Krankenkassen.
Und am Ende sind es die Rentner, die eine Leistung einfordern. Auch wenn es kein praktikabler Standpunkt für eine Pensionskasse wäre, die Berechtigten aufzufordern, ihren Anspruch doch bitte schön korrekt zu quantifizieren, darf an dieser Stelle gleichwohl einmal die Selbstverständlichkeit hinterfragt werden, mit der alle Beteiligten die Ermittlungsaufgabe in großer Einstimmigkeit bei den Pensionskassen sehen.
Wer mit Pensionskassen spricht, merkt schnell, dass es hier um keine kleine Aufgabe geht. Im Gegenteil, die Lektüre des Beitrags „Doppelverbeitragung von Betriebsrenten und deren Umsetzung bei Versorgungsträgern“ von Herrmann/Kovac in der Volume 1 der Tactical Advantage vom Mai genügt, um zu sehen, dass die Komplexität dieser Sache ungeahnte Ausmaße angenommen hat. Mittlerweile hat man bei dem BVV nicht weniger als 20 unterschiedliche Fallkonstellationen identifiziert, in denen Beiträge bis zu 15 Jahre rückwirkend auseinanderdividiert werden müssen. Und welche Pensionskasse kam schon 2004 auf die Idee oder hatte gar die IT-seitige Möglichkeit, die Beiträge im Sinne dieser 20 Fallkonstellationen zu dokumentieren? Vermutlich wohl keine einzige.
Der GKV-Spitzenverband hat mit einem Rundschreiben bereits im Oktober 2018 (hier zu finden auf den Seiten von ihre-vorsorge.de) seine Zuständigkeit in dieser Frage weit von sich gewiesen. Die Argumentation in dem Schreiben muss man nicht restlos überzeugend finden.
Jedoch: Das Thema ist offenbar weitgehend durch. Der BVV jedenfalls erklärte nun gegenüber LEITERbAV, dass er zwischenzeitlich die Ermittlung der zu erstattenden Beträge von Sonderfällen abgesehen abgeschlossen habe.
Süddeutsche Zeitung (23. August): „Altersvorsorge – Grüne fordern deutschen Staatsfonds.“
Jetzt, wo die EZB in Sachen Zerstörung der Währung nochmals einen Gang hochgeschaltet hat und die absurden Folgewirkungen immer stärker beim Wahlvolk ankommen, üben sich die Politiker in immer verzweifelterer Symptomkosmetik. Der Vorstoß Söders, Negativzinsen partiell einfach zu verbieten, ist genau das, was Grünen-Chef Habeck ihm vorwirft: Populismus. Man ist geneigt, das Attribut „ahnungsloser“ hinzuzufügen.
Doch das, was Habeck zur Abhilfe vorschwebt, ist keinen Deut besser, denn auch bei ihm soll es der Staat richten, also genau der Akteur, der für die Problematik in erster Linie verantwortlich ist. Dass Habeck fordert, man müsse „an die Ursachen ran“, ist übrigens nicht minder populistisch als das Södersche Sprech, denn die offenkundige Ursache nahmes Geldpolitik ist eine, die von den Grünen im Wesentlichen stets mitgetragen worden ist.
Bezüglich der Idee vom grünen Staatsfonds gelten außerdem im Prinzip nahezu punktgenau die gleichen Vorbehalte, die an dieser Stelle schon häufig gegenüber der Deutschland-Rente geäußert worden sind, systematisch in dem Kommentar „Pay and Forget meets Race to the Bottom“.
Daneben sei daran erinnert: Wie der deutsche Staat sich an den Kapitalmärkten in großer Amateurhaftigkeit verzockt, kann man ausführlich anhand der hessischen Derivat-Geschäfte besichtigen. Und solchen Leuten soll man die Verantwortung für einen Pensionsfonds übertragen?
Und auch nochmal zur Frage der Rechtsunsicherheit mit Wirkung auf das Projekt SPM: Warum soll es eine Tarifpartei auf sich nehmen, unter schwersten Kapitalmarktbedingungen (Stichwort: politische Währungs- und Zinsmanipulation ohne Exit-Strategie) eine langfristige EbAV für ein SPM aufzustellen und den Niedrigverdienern die kleinen Lohnerhöhungen auch noch teils dorthin abzuführen, wenn es neben all den technischen Herausforderungen und Komplexitäten im Gesetz nun auch noch vielleicht bald drei neue Großbaustellen namens Deutschland-Rente (bzw. Staatsfonds), Obligatorium und Grundrente gibt, die wieder alles auf den Kopf stellen?
Es sei den Verantwortlichen erneut zugerufen: Die Altersversorgung im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts ist am Vorabend des demografischen Zusammenbruchs kein Versuchslabor, wo jeder, der ein wenig politische Verantwortung hat, jeden Tag mit neuen Vorschlägen zum halbtotalen Systemumbau um die Ecke kommen kann – und sich dann noch wundert, warum sich keiner engagiert in einer Sache, die einerseits ohnehin von mannigfacher Rechtsunsicherheit geplagt ist, andererseits hochkostspielige Bindungswirkung von fünf Jahrzehnte und mehr mit sich bringt.
Der Spiegel (30. August): „Bundesverfassungsgericht – Höchstalter für Betriebsrente diskriminiert Mütter nicht.“
Der bAV-Komplex „Ehepartner, Alter, Diskriminierung“ ist ein Dauerthema vor deutschen Arbeitsgerichten. Nun musste gar das Bundesverfassungsgericht entscheiden, wie der Spiegel hier berichtet, und es hat entschieden, nicht zu entscheiden – bzw. zu entscheiden, die Sache gar nicht erst zur Entscheidung anzunehmen und ergo das entsprechende BAG-Urteil aus dem Jahr 2013 unangetastet zu lassen. Damit stellt auch Karlsruhe klar: Eine bAV nur für diejenigen Arbeitnehmer, die vor ihrem 50. Geburtstag bei dem jeweiligen Arbeitgeber angefangen haben, ist keine Diskriminierung von Frauen mit Kindern.
Deutscher Bundestag (22. August): „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der AfD: Versorgungsausgleich und Altersvorsorge.“
LEITERbAV hatte jüngst über insgesamt vier Kleine Anfragen der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag berichtet, die mehr oder weniger auch die bAV betreffen.
Zu einer der vieren liegt nun bereits die Antwort der Bundesregierung vor: Wer sich für umfassende statistische Details rund um den Versorgungsausgleich interessiert, der wird hier fündig.
Die bAV kam nur am Rande vor, und zwar in der letzten Frage, in der die AfD wissen wollte, inwiefern „die Bundesregierung auch Möglichkeiten zur Mitnutzung der noch aufzubauenden trägerübergreifenden Vorsorgeinformation für den Versorgungsausgleich, ggf. in einer späteren, nachgelagerten Ausbaustufe“, sieht, und was sie hierfür tun werde.
Die Antwort der Bundesregierung ist reichlich unspektakulär: „Inwieweit die Informationen in einer späteren Ausbaustufe der Umsetzung des Vorhabens für das familiengerichtliche Versorgungsausgleichsverfahren genutzt werden könnten, kann derzeit nicht beurteilt werden.“