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Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Manchmal geht man so ganz

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: In Brüssel hat ein deutscher Fachverband einen Ausritt vollzogen, der zwar schwergewichtig, gleichwohl von der Fachöffentlichkeit bisher praktisch nicht wahrgenommen worden ist. Außerdem die nukleare Geo-Lage Europas in einem Wort erklärt.

 


BVI.de: „Internationale Arbeit.“


EFAMA.org: „Our Members.“


Bemerkenswert, doch nicht öffentlich kommuniziert und auch von kaum jemanden zur Kenntnis genommen: Weitgehend unbemerkt selbst von der Fachöffentlichkeit ist der deutsche Fondsverband BVI bereits zum Jahresende 2021 aus der EFAMA ausgetreten. Die Ursachen liegen in dem Zusammenwirken der eher ungewöhnlichen hybriden Struktur des europäischen Fondsverbandes mit dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union.


Von LEITERbAV befragt, erklärte der BVI gestern, dass das Scheitern einer überfälligen EFAMA-Reform im Hinblick auf die geänderten Rahmenbedingungen im Nachgang des Brexit der Anlass für den Austritt gewesen sei: „Die EFAMA hätte den Status des Vereinigten Königreichs als Drittstaat in ihrer Struktur berücksichtigen müssen, so wie es andere europäische Verbände getan haben.“


Dass dies nicht möglich war, ist auf eine Besonderheit der EFAMA zurückzuführen, so der BVI: Anders als weitere europäische Verbände ist sie kein reiner Dachverband, sondern hat eine hybride Mitgliederstruktur aus nationalen Verbänden und Unternehmen, die ebenfalls stimmberechtigt sind.

 

Seit dem Brexit stammt über die Hälfte der Unternehmensmitglieder aus Drittstaaten. Gemeinsam mit dem englischen Verband konnten diese den notwendigen Strukturwandel verhindern“, erklärte der BVI weiter gegenüber der Redaktion. Der Verband ist in Brüssel mit einem eigenen Büro vertreten und versicherte, die Interessen seiner Mitglieder weiterhin national und international zu vertreten.


Angaben der EZB zufolge hat der deutsche Fondsmarkt einen Anteil von 28% am europäischen Markt. Insofern ist offenkundig, dass es sich bei dem Rückzug des BVI – 116 Mitglieder schwer und rund 4 Bio. Euro Assets repräsentierend – für die EFAMA um keine Kleinigkeit handelt.


Man kann wohl davon ausgehen, dass die Frankfurter ihren Exit nach dem Brexit nicht aus heiterem Himmel unternommen, sondern im Vorfeld das vermittelnde Gespräch mit allen Beteiligten gesucht haben. Insofern sieht dieses Abstimmen mit den Füßen nach einem dauerhaften Abschied aus.

 

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN:

 

Der Tagesspiegel (5. Mai): „Signal aus Moskau – Russisches Militär in Kaliningrad simuliert Atomangriff.“

Kassandra bei der Arbeit.


Wie schon der neuliche Einsatz der Kinshal-Hyperschall-Raketen ist auch dies hier eine unzweifelhafte Botschaft Moskaus, dass die atomare Option für das Land klar auf dem Tisch liegt. Offenkundig taumelt Europa jeden Tag munter weiter Richtung großer Krieg. Nochmal zur Lage:

 

Die Atommacht Russland ist „all-in“ gegangen, hat sich verkalkuliert, steht nun unter katastrophalem diplomatischen, militärischen und ökonomischen Stress, kann weder vor noch zurück, hat sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht, taumelt in der gefährlichen Grauzone zwischen Rationalität und Irrationalität, trudelt geostrategisch immer weiter abwärts und droht gar bei evt. Führerlosigkeit schnell im totalen Bürgerkrieg zu versinken. Da kann die atomare Karte schnell zur letzten semi-rationalen Option werden, die Russland noch hat.

 

Trost für die Leserschaft: Einen Dritten Weltkrieg wird es nicht geben! Denn die Rest-Rationalität Russlands reicht immer noch, halbwegs strategisch vorzugehen. Atomare Option heißt für Russland, gerade NICHT die USA, ja nichtmal die kleinen Atommächte Frankreich und Großbritannien atomar anzufassen, sondern die Haltbarkeit der NATO zwischen Atom- und Nicht-Atomstaaten auf die Probe zu stellen.

 

Atomare Option für Russland heißt also gerade nicht Drohung mit dem großen Weltkrieg, sondern viel geschickter die Erpressung der kleinen Staaten der weichen NATO-Ostflanke (z.B. zum NATO-Austritt) mit taktischen Mini-Atomwaffen, ohne die NATO-Atommächte direkt angreifen zu müssen. Kassandra hält dieses Szenario leider nach wie vor für sehr wahrscheinlich und in der westlichen Öffentlichkeit für immer noch nicht ausreichend antizipiert. Übrigens muss man davon ausgehen, dass mittlerweile auch Deutschland, das einerseits militärisch völlig debil ist, andererseits sich in dem Krieg zunehmend mit der Lieferung schwerer Waffen engagiert, auf der russischen Zielliste steht.


Wer dennoch glaubt, Deutschland habe doch trotz der Waffenlieferungen mit der Sache mehr nicht weiter zu tun, dem kann vielleicht der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter helfen. Dieser erklärte vor einer Woche in der Sendung „Lanz“ ausdrücklich, dass Deutschland auf gewisse Weise bereits Kriegspartei sei – CDU-Krisenmanagement der ganz eigenen Art 
gegenüber einem schwer angeschlagenen Atom-Boxer. Aussagen wie diese dürfte man in Russland jedenfalls durchaus aufmerksam zur Kenntnis nehmen.

 

Apropos Krisenmanagement der Politik: Im Sommer 1914 vertrauten vermutlich viele Millionen Europäer darauf, dass die Verantwortlichen die Lage im Griff hätten. Maschinengewehre und Artillerie, C-Waffen und Flugzeuge – sollten die Politiker so dumm sein, angesichts der modernen Destruktionspotentiale einen solchen Krieg, der völlig unkalkulierbar wäre, der Millionen tote Europäer nach sich zöge und ganze Regime hinwegfegte, wegen so einer banalen Krise wie auf dem Balkan loszutreten? „Ach, niemals, dumm sind sie, aber so dumm sind sie doch auch wieder nicht“, dürfte es damals in den Bars, Cafés, Salons, Kneipen und Pubs in Berlin, Wien, Paris, Moskau und London allenthalben geheißen haben.

 

Bekanntlich kam es anders, die europäischen Regierungen und mit ihnen fast alle Länder und Völker Europas und darüber hinaus taumelten plan- und ahnungslos in Krieg und Untergang. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich bekanntlich zuweilen.


Soweit zu der gegenwärtigen Gemengelage, die der Chronist für wirklich gefährlich hält. Der nächste Schritt dürfte sein, dass Russland westliche Waffenlieferungen direkt angreift und anschließend kleine oder gar mittelgroße Länder wie Lettland oder Polen wegen solcher Waffenlieferungen an die Ukraine zu Konfliktparteien erklärt und dann mit begrenzten Atomschlägen erpresst, verbunden bspw. mit der ultimativen Forderungen des NATO-Austritts, um so einen neutralen Korridor zwischen West-Europa und Russland zu schaffen. Die atomare Erpressung kleiner NATO-Mitglieder im Osten durch ein taumelndes Russland wäre für die NATO jedenfalls der ultimative Lackmustest, denn dann hieße es im Westen: „all in“ für das Baltikum und Polen, also „All out War“ mit totaler Vernichtung für alle Beteiligten? Oder lieber ein neutrales Osteuropa (vielleicht sogar Deutschland?) akzeptieren? 
Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte man bei den Westmächten an einer wechselseitigen Vernichtung Moskaus, New Yorks und Londons dann doch kein Interesse, aller Wahrscheinlichkeit nach käme Moskau mit dieser NATO-Peripherie-Strategie also durch – und eben deshalb ist genau damit zu rechnen. Welche Optionen hat Russland sonst außer jahrelangem Ermattungskrieg und/oder schmachvollem Rückzug?

 

Wie man es dreht und wendet – Europa droht die Katastrophe, in welcher Form auch immer.

 

Also: Das künftige Schlachtfeld für den Fall einer weiteren Eskalation wird nicht heißen die ganze Welt, sondern eindeutig und exklusiv Ost- und Mitteleuropa, während sich die raumfremden Großakteure den möglicherweise bald anbrechenden finalen Akt des europäischen Dramas vom Logenplatz aus ansehen können. Dass Europa den Preis einer Eskalation zu zahlen hat, namentlich Deutschland, gilt heute so, wie es schon im kalten Krieg der bipolaren Welt galt. Diese Problematik kann man auch kürzer und klarer auf den Punkt bringen, so wie es ein gewisser Horst Schimanski, seinerzeit Hauptkommissar der Kripo Duisburg, es in den 80er Jahre mit einem einzigen Wort tat.


Und so, wie der Krieg sich heute und morgen auf Europa konzentrieren wird, so gilt das auch für einen möglichen Weg zum Frieden. Ein solcher Frieden kann ausschließlich – und dessen sollte sich wirklich jeder bewusst sein – von den Europäern allein erarbeitet werden. Denn niemand ausser ihnen wird dies tun. Nur sollte man irgendwann mal damit anfangen.

 

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

 

Nach so viel Dystopie zum Schluss etwas Schönes:

 

Frisch gepresst: Die aktuelle Ausgabe der Tactical Advantage Vol 9., liegend im mallorquinischen Sand und Mitte nächster Woche in Ihrem Briefkasten. Heuete kann sie noch bestellt werden.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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