Gestern hat die aba vor der Presse in Berlin ein eigenes (Alternativ-)Modell zum 17b des BMAS vorgestellt. Und äußert zunehmend Ungeduld mit der Politik.
Seit dem ursprünglich auf die IG-Metall zurückgehenden Vorstoß des BMAS zu dem Sozialpartnermodell ist über ein halbes Jahr vergangen, und gestern hat nun die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) in Berlin-Mitte vor Journalisten ein völlig neues, unkompliziertes Zulagenmodell zur bAV vorgelegt, das im Prinzip über alle Durchführungswege anwendbar sein soll. Außerdem hat der Verband weitere Verbesserungen der bAV angemahnt und nicht mit Kritik an der Politik gespart. Doch der (umgekehrten) Reihe nach.
Fehlanreize und kurze Sprünge – die Kritik an BMAS und BMF
Heribert Karch, Vorsitzender der aba, warf der Politik gestern von der Presse in verhältnismäßig scharfem Ton Versäumnisse vor:
„Das 'Neue Sozialpartnermodell Betriebsrente' der Arbeitsministerin greift ein wichtiges Thema auf, springt aber zu kurz. […] Man kann nicht auf Freiwilligkeit und mehr Engagement der Tarifparteien setzen und gleichzeitig ein System voller Fehlanreize beibehalten.“
Unter anderem mit dem Hinweis, man warte auf ein vom Finanzministerium vergebenes Gutachten, würde die Politik – so Karch – zentrale Fehlanreize im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, die stetig wachsende Komplexität und das Niedrigzinsumfeld nicht angehen und stattdessen dringend notwendige Schritte aufschieben. Angesichts der fortgeschrittenen Legislatur erneuerte Karch seine Skepsis, ob nach Vorlage des Gutachtens die Bundesregierung dann zur Eröffnung einer Großbaustelle bAV überhaupt noch bereit sein werde.
In diesem Zusammenhang verwies er darauf, dass die aba eben ein solches Forschungsvorhaben bereits 2012 vorgeschlagen habe. Folglich wird die Arbeitsgemeinschaft nun offenbar ungeduldig, denn den Worten im Koalitionsvertrag müssten nun endlich Taten folgen. Wie diese grundsätzlich auszusehen hätten, umriss Karch folgendermaßen:
„Haftungsarme Möglichkeiten zum Aufbau einer Betriebsrente für alle Betriebe, steuerliche Rahmenbedingungen, die es Betrieben ermöglichen, mit nur einem Versorgungswerk gesamte Belegschaften zu versorgen, ein Zulagenmodell zur Förderung von Niedrigverdienern, Beseitigung von Verbreitungshemmnissen wie hohe Sozialabgabenlast im Alter und Anrechnung auf die Grundsicherung, ein solches Reformpaket brächte den notwendigen Schub.“
Das gebe es nicht zum Nulltarif, aber auch steuerpolitische Verweigerung sei nicht kostenneutral, betonte Karch:
„Die Zeche zahlen künftige Generationen von Steuerzahlern, wenn höhere Sozialleistung aufgrund steigender Altersarmut über Steuern finanziert werden müssen.“
Dabei wird die aba durchaus grundsätzlich, schreibt sie doch in dem Thesenpapier zu ihrem neuen Modell:
„Zu einer nachhaltigen Rentenpolitik gehört eine Politik, die es dem Einzelnen möglich macht, während seiner Erwerbstätigkeit eine angemessene, seinen Lebensstandard sichernde Altersrente aufzubauen. Ein sozialer Abstieg der mittleren Einkommensbezieher im Alter würde zu erheblichen sozialen Spannungen führen und die wichtigsten Leistungsträger unserer Gesellschaft im Alter ausgrenzen.“
Karch bemängelte mit Blick auf die KMU auch die Komplexität, mit der Arbeitgeber in der bAV heute konfrontiert sind. Dabei beklagte er nicht die Vielfalt der Durchführungswege an sich, sondern die steuerlichen Zwänge, davon regelmäßig jeweils mehrere nutzen zu müssen, was „gerade für Mittelständler untragbar ist.“
To be done – der Maßnahmenmix
Auch 15 Jahre nach der Riesterreform seien Verbreitung und Höhe der bAV weiterhin unzureichend, schreibt die aba in besagtem Thesenpapier, und das betreffe besonders Bezieher niedriger Einkommen sowie KMU vieler Branchen. Notwendig sei ein umfassender Maßnahmenmix. In diesen gehören für die aba konkret:
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Abschaffung des Vorrangprinzips im Paragrafen 3 Nr. 63 EStG und substantielle Erhöhung des Dotierungsrahmens insbesondere für Beiträge des Arbeitgebers samt Erwerbslebensorientierung anstatt der derzeitigen Jahresscheiben.
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Für Direktzusagen Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz.
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Verhinderung von kostentreibenden EU-Informationssystemen.
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Ein eigenständiges Aufsichtsrecht für EbAV, abgekoppelt vom VAG und stattdessen stärker an den Erfordernissen von Arbeitgebern und Sozialpartnern ausgerichtet.
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Rechtssicherheit für arbeitgebereigene Opt-out-Systeme.
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Bürokratieabbau, beispielsweise durch erleichterte Abfindungsmöglichkeiten oder vereinfachte Regeln zur Anpassung von Betriebsrenten (also etwas, das das BMAS in der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie gerade anfasst).
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Wegfall oder Minderung der Anrechnung von Betriebsrenten auf die Grundsicherung im Alter (wovon sich das BMF jüngst mäßig begeistert gezeigt hat).
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Entwicklung einer „vernünftigen Lösung“ des Problems der Doppelverbeitragung.
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Korrektur der Anrechnungsvorschrift des Paragrafen 3 Nr. 56 Satz 3 EStG (betrifft den öffentlichen Dienst).
Einfach wie die VWL: Die Grundzüge des aba-Modells
Das Modell der aba sieht in seinen Grundzügen folgendermaßen aus:
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Maximal 720 EUR pro Jahr oder 60 EUR pro Monat sozialabgabenfreier Arbeitgeberbeitrag.
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Ein Drittel Förderquote: Bis zu 240 EUR erhält der Arbeitgeber im Rahmen des Lonsteuerverfahrens zurück, ergo Nettobelastung des Arbeitgebers maximal 480 EUR.
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Nachgelagerte Steuer- und Sozialabgabenpflicht.
Das aba-Modell, das sich an der Einfachheit der VWL orientiert, geht dabei zunächst einmal von einer Arbeitgeberfinanzierung aus, soll aber grundsätzlich auch auf die Entgeltumwandlung anwendbar sein (ob auch auf Altzusagen, daran dürften sich in der aba je nach Interessenlage die Geister scheiden). Unter Umständen soll es nicht nur auf die externen, sondern auf alle Durchführungswege anwendbar sein. Eine zwingende Weitergabe der Sozialersparnis an den Arbeitnehmer, wie von den Gewerkschaften stetig gefordert, sieht das Modell nicht vor. Das Modell soll außerdem nicht die Riester-Förderung in der bAV ersetzen. In der Frage nach dem Einsatz von AVE zur Verbreitung hielt Karch sich zurück. Wichtiger sei es jetzt, einen durchsetzungsfähigen Prozess einzuleiten und etwas Geduld mitzubringen. Auch VWL seien ohne AVE zum Standard in deutschen Beschäftigungsverhältnissen geworden.
Wie bei dem Vorstoß des BMAS soll auch im aba-Modell der Arbeitgeber trotz Mindestleistung enthaftet werden. Hierzu bringt die aba verschiedene Denkanstöße ins Spiel: den PSV, den Aufbau branchenspezifischer Sicherungsvermögen, Ausgleichsfonds aller abzusichernden EbAV, kollektive Einstandspflicht, Rückdeckungslösungen in Kooperation mit Versicherern oder eine staatliche Sicherungseinrichtung, angesiedelt bei der KfW. Entsprechend hat die aba ihrem Thesenpapier einen eigenen Entwurf eines Paragrafen 17b BetrAVG beigefügt.
Laut aba soll das Modell ohne größere Belastungen für die öffentlichen Haushalte umsetzbar sein, gegebenenfalls könnte „die moderate und nur in der Aufbauphase bestehende Belastung der Sozialversicherungsträger und des Fiskus“ in den ersten Jahren durch eine zweistufige Einführung (Maximalbetrag zunächst 360 Euro) verringert werden. Außerdem könnte man den Beitrag der Sozialabgabenpflicht für Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterwerfen und nachgelagert befreien.
Berechnungen der aba zufolge belaufen sich die fiskalischen Kosten des Modells bei einem unterstellten Durchschnittsbeitrag von 360 EUR:
Bei 5 Millionen Teilnehmern auf 600 Millionen Euro pro Jahr.
bei 10 Millionen Teilnehmern auf 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.
bei 20 Millionen Teilnehmern auf 2,4 Milliarden Euro pro Jahr.
Die aba hält diese Belastung aus fiskalischer Sicht für vertretbar, verdaulich und rentabel:
„Die Zulage ist geringer als bei der Riesterförderung. Beiträge, die in dieses System geleistet werden, führen lediglich zur ohnehin auch politisch gewollten besseren Teilnahme an der bAV, summieren sich aber nicht mit solchen zu Entgeltumwandlung, da die für die Altersvorsorge zur Verfügung stehenden Budgets begrenzt sind. Es dürfte zudem mehrere Jahre dauern, bis entsprechende Vereinbarungen in Tarifverträgen verankert werden und damit die Basis für eine hohe Verbreitung geschaffen wird. Da die Leistungen später steuer- und sozialabgabenpflichtig wären, würde das System zu mehr Generationengerechtigkeit beitragen. Aus den Beiträgen für Arbeitnehmer, die heute über 50 Jahre alt sind, werden schon in wenigen Jahren 'Rückflüsse' in Form von zusätzlichen Steuern und Sozialbeiträgen entstehen.“
Karch ist völlig klar, dass das Modell ohne fiskalische Unterstützung ein „Papiertiger“ bleibt, wie er es gestern nannte, doch forderte er vor der Presse den Gesetzgeber auf, die bAV und ihre fiskalischen Kosten in den Gesamtzusammenhang einzuordnen:
„Hätten wir die bAV früher ausgebaut, dann hätten wir die Debatten um Mütterrente und Rente mit 63 – und künftig vielleicht die um die Lebensleistungsrente – vielleicht anders geführt, nämlich dergestalt, dass wir derart kostspielige Maßnahmen gar nicht brauchen.“
Das Thesenpapier der aba samt 17b-Vorschlag findet sich hier.
Erstes Fazit: Charme mit Achillesferse und Damoklesschwert
Von neu einzurichtenden EbAV ist in dem aba-Vorschlag anders als beim BMAS keine Rede. Viele Problemfelder, die das BMAS-Modell (zumindest in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die dort tariflich einzurichtenden EbAV ihre bAV operativ selbst erbringen müssen sollten) auszuräumen hätte, stellen sich damit kaum mehr – genannt seien Gründungs-, Investitions- und Verwaltungsaufwand, Anschubfinanzierung, Eigenmittel oder FATCA-Konformität der neuen EbAV. Auch die Portabilität dürfte weniger problematisch umzusetzen sein. Freilich, vom Tisch sind diese Fragen auch in dem aba-Modell nicht vollständig, denn zu beachten wären sie auch bei der wohl nötigen Einrichtung neuer Abrechnungsverbände innerhalb bestehender EbAV – wenn auch mit geringerer Virulenz. Anders als das BMAS-Modell es zumindest unter Umständen tut, schließt das breiter aufgesetzte aba-Modell auch die Assekuranz als Player in dem Modell in keiner Weise aus – äußert sich aber auch nicht zu einer etwaigen (Abschluss-)Kostenproblematik.
Das Modell hat Charme, kein Zweifel: einfach, zulagengefördert, unkompliziert, ohne Gründungsaufwand, keine Bilanzberührung, pay and forget, je nach Ausgestaltung über alle DFW und Finanzierungsformen anwendbar. Außerdem ist jeder Vorstoß zur dringend notwendigen Weiterentwicklung der deutschen bAV richtig und wichtig. Doch viele der grundsätzlichen wie der taktischen Fragen, die sich bei der Gesamtthematik stellen, kann auch das aba-Modell nicht beantworten – schlicht, weil sich einfache Lösungen nicht aufdrängen. Sichtbare Achillesferse des Modells ist die offenkundige Unwilligkeit des BMF, neue Fördermittel in die Hand zu nehmen. Doch auch in der Wilhelmstraße sollte man bedenken, dass jeder Euro, den der Staat heute an Fördermittel in die bAV steckt, von weiteren Euros ergänzt wird – kommen sie von Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder dem Kapitalmarkt. Das ist bei der Grundsicherung, die sonst später häufig fällig werden dürfte, nicht der Fall – dort zahlt der Staat allein.
Weiterer Knackpunkt ist wie schon beim BMAS die „Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass“-Problematik, die auch das aba-Modell bewältigen will – nämlich, dass dem Arbeitnehmer einerseits eine Mindestgarantie geboten, andererseits der Arbeitgeber eben damit nicht belastet werden soll. Auch die aba spricht hier nur mögliche Ansätze an, ohne konkret zu werden.
Weitere offene Fragen des aba-Modells, die es wie das BMAS zumindest im derzeitigen Stadium noch nicht final beantworten kann, sind beispielsweise diejenigen nach der Gefahr eines Race to the Bottom, nach dem Verhältnis zu bestehenden Versorgungswerken, nach der Abgrenzung zu reinen Investmentprodukten oder dem je nach Ausgestaltung denkbaren Umschichtungseffekt von jungen zu alten Arbeitnehmern (das heißt von der langen zur kurzen Ansparzeit).
Wie dem auch sei, über allem – egal ob BMAS oder aba – schwebt ohnehin ein Damoklesschwert, das für die allermeisten der Schwierigkeiten bei der Weiterentwicklung der deutschen bAV verantwortlich ist; und das gleich auf mehreren Ebenen: der anhaltende, politisch gewollte Niedrigzins. Auf der Ebene der operativen Umsetzung verschärft er beispielsweise die Virulenz der Garantie- wie auch der Kostenfrage. Auf der Ebene des Arbeitgebers erzeugt er nach kurzem Blick auf die gegenwärtigen Steuerbilanzen Unkalkulierbarkeit und Finanzierungsfragen (bei so manchem wohl auch schon Panik). Auf der des Arbeitnehmers hemmt er sichtlich die Nachfragedynamik nach einer jeden Altersvorsorge einschließlich der bAV. Man mache sich nichts vor – die Menschen da draußen, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer: Sie wissen, zumindest aber spüren sie, dass die Schärfe der europäischen Staatsschuldenkrisen nur mit immer neuem Geld (und immer neuen Rechtsbrüchen) kaschiert werden kann, dass die Geldschwemme alle Märkte verzerrt und besonders die für jede Altersvorsorge wichtigen Bondmärkte in gigantische Blasen getrieben werden, dass die damit einhergehenden Cantillion-Effekte und die Asset Inflation Umverteilungswirkungen nach oben induzieren, die kein Vorsorgesparen jemals ansatzweise ausgleichen kann, ja selbst, dass die gegenwärtige Währung ihre weitere Existenz wohl nur eben dieser ständig ausufernden Geldschwemme verdankt und dass es eben genau deswegen für Politik und Notenbanken kaum noch einen Exit aus dieser verfahrenen Situation gibt. Dass man angesichts dieser unsicheren Gemengelage als Schlosser oder Krankenschwester, als Burgerbrater oder Kellnerin wenig Lust verspürt, jahrzehntelange Sparprozesse einzugehen, ist kaum überraschend. Das ist in der Summe die Kernproblematik, an der auch die bAV krankt. Und daran kann kein noch so kluges bAV-Modell etwas ändern, weder das der BMAS noch das der aba.