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US-Kulturkampf um ESG befremdet europäische Investoren:

You gotta fight for your Right to Sustainability

In den USA zeigt die Anti-ESG-Stimmung Wirkung: Nachhaltige US-Fonds verzeichnen Rekordabflüsse, US-Banken und -Vermögensverwalter kommunizieren eigene ESG-Initiativen zurückhaltender oder nehmen sie gleich ganz zurück. In Europa dürften die bald geltenden Vorschriften für Fondsnamen mit ESG-Bezug die Auflage neuer nachhaltiger Fonds bremsen. Trotz des Gegenwinds für ESG-Investments ist es keine Lösung für Investoren, Nachhaltigkeitsthemen bei der Kapitalanlage zu ignorieren, schreiben Philipp Finter und Daniel Sailer.

Spätestens im Wahlkampf um das Weiße Haus sind nachhaltige Anlagestrategien in den USA zum Politikum geworden. Auf seiner Homepage kündigt Präsidentschaftskandidat Donald Trump per Video an, ESG-Investitionen im Fall seiner Wiederwahl zu verbieten, denn sie seien „linksradikaler Müll“ und „Finanzbetrügereien“.

Dabei ist die Kritik nicht neu. Konservative Vertreter der republikanischen Partei haben ESG-Investments schon vor Jahren zum Feindbild erklärt. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien sei mehr ideologisch-politisch motiviert als renditeorientiert und untergrabe die freie Marktwirtschaft.

Der Druck der Republikaner …

Daniel Sailer, Metzler.

Viele republikanisch geführte US-Bundesstaaten haben deshalb in den letzten Jahren Anti-ESG-Gesetze erlassen. So gilt für staatliche Pensionsfonds in Texas ein Verbot für Anlagen in Zielfonds, die Investitionen in fossile Energieunternehmen beschränken. Rund 350 Fonds umfasst die Negativliste inzwischen.

Florida zum Beispiel verbietet die Emission von Greenbonds sowie die Berücksichtigung von ESG-Faktoren bei staatlichen Investitionsentscheidungen und der Vergabe öffentlicher Aufträge.

wirkt auf die Anbieter …

Gleichzeitig werden ESG-orientierte Vermögensverwalter medienwirksam unter Druck gesetzt, ihr Anlageverhalten zu ändern. Mit ersten Konsequenzen: Mehrere große US-Fondsverwalter erklärten inzwischen ihren Rückzug aus der Klimaschutzinitiative Climate Action 100+. Blackrock-CEO Larry Fink kündigte an, den Begriff ESG künftig nicht mehr verwenden zu wollen.

Und auch einige Banken lockerten ihre ESG-Kriterien für die Kreditvergabe. So kippte die zweitgrößte US-Bank, die Bank of America, Kreditbeschränkungen für die Schusswaffen- und Energieindustrie.

und auch die Anleger reagieren

Dass die Anleger nicht völlig unbeeindruckt sind von der Kritik der Anti-ESG-Bewegung, signalisieren die Zahlen des Research-Unternehmens Morningstar zu den Kapitalflüssen für nachhaltige Fonds. Zwar zeigt die globale Entwicklung auf den ersten Blick keine Abkehr der Investoren von ESG-Fonds – der positive Trend der Mittelzuflüsse bei ESG-Fonds ist seit Jahren ungebrochen.

 

 

Nachhaltige Geldanlage entwickelt sich immer mehr zur europäischen Angelegenheit.“

 

 

Bei genauerer Betrachtung ist das Bild allerdings zweigeteilt: Während in Europa 2023 netto 76 Mrd. US-Dollar mehr in nachhaltige Fonds investiert wurden als im Vorjahr, hatten ESG-Fonds in den USA mit Abflüssen von 13 Mrd. US-Dollar zu kämpfen. Im ersten Quartal dieses Jahres zogen Anleger bereits 9 Mrd. US-Dollar aus US-ESG-Fonds ab – so viel wie nie zuvor seit Erhebung der Statistik.

ESG-Anlagen konzentrieren sich zunehmend auf europäische Fonds

Die Kapitalflüsse verstärken den Trend, dass sich nachhaltige Geldanlage immer mehr zu einer rein europäischen Angelegenheit entwickelt. Stand März 2024 entfallen 84% des nachhaltig verwalteten Vermögens auf europäische Fonds, der Anteil von US-Fonds liegt bei nur noch 11%.

Anzeichen, dass sich der Megatrend der nachhaltigen Geldanlage zumindest abschwächt, gibt es aber auch in Europa. So markierte die Anzahl neu aufgelegter ESG-Fonds dort zuletzt ein Mehrjahrestief:

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Ein Grund dafür dürfte allerdings die Leitlinie der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zu nachhaltigkeitsbezogenen Begriffen in Fondsnamen sein – mithin also ein Sondereffekt. Denn die aktuell stattfindende Umsetzung der ESMA-Leitlinie sorgt aufgrund ihres Interpretationsspielraumes für Zurückhaltung unter Vermögensverwaltern bei der Auflage neuer ESG-Fonds.

Europa hält Kurs

Einen gewissen Schutz gegen eine ähnlich polarisierende ESG-Debatte, wie sie derzeit in den USA stattfindet, bietet der Umstand, dass die europäische Diskussion rund um ESG in geringerem Maße von politischen Ideologien geprägt ist.

Zwar gibt es auch in Europa Befürchtungen, eine zu strenge Regulierung könnte die Wirtschaft zu stark belasten, und auch die grüne Transformation ist in der Prioritätenliste einiger Großkonzerne nach hinten gerückt. Aber die Mehrheit der Entscheider aus Politik und Wirtschaft stellt die Sinnhaftigkeit von ESG-Investitionen und die systematische Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Finanzsystem nicht grundsätzlich infrage.

Philipp Finter, Metzler.

Daran dürfte auch der Ausgang der EU-Parlamentswahlen nichts Substanzielles geändert haben. Trotz des Rechtsrucks verfügen die den Green Deal mittragenden Fraktionen weiterhin über eine Mehrheit im Parlament. Zudem macht es die sich abzeichnende Kontinuität an der Spitze der EU-Kommission unwahrscheinlich, dass die Grundsätze der EU-Klimapolitik auf den Prüfstand kommen. Auch sind die europäischen Regulierungs- und Aufsichtsbehörden im Vergleich zu den USA in ihren Bemühungen weit fortgeschritten, einen konsistenten und transparenten regulatorischen Rahmen für die Umsetzung von ESG-Investitionen zu schaffen.

Dennoch gilt es aus europäischer Sicht, die US-Debatte ernst zu nehmen. Denn wenn sich die Fundamentalkritik durchsetzt, wäre das Ziel gefährdet, das dringend benötigte private Kapital für die Transformation der Wirtschaft zu mobilisieren. Gleichzeitig führt uns die Debatte vor Augen, welche Gefahren von einer Transformationspolitik ausgehen können, die den Rückhalt von weiten Teilen der Bevölkerung verliert.

ESG-Themen-Investments oftmals mit durchwachsener Performance

Die Kritik an der Berücksichtigung von ESG-Informationen im Investmentprozess dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass viele prominente ESG-Investments wie erneuerbare Energien in den vergangenen Jahren eine stark unterdurchschnittliche Performance aufwiesen:

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Besser als ihre Vergleichsindizes entwickelten sich dagegen Rüstungs- oder Energieaktien, die üblicherweise nicht zu den Favoriten von ESG-Fonds zählen.

So profitierten die Unternehmen des Energie- und Rüstungssektors von globalen Rahmenbedingungen, wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der signifikanten Inflation bei Energiepreisen. Auf den resultierenden sprunghaften Anstieg der Konsumenten- und Produzentenpreise reagierten die Zentralbanken weltweit mit deutlichen Zinserhöhungen. Für viele Unternehmen mit dezidiert nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen wirkten sich diese Faktoren belastend aus.

Komplementär und parallel statt fehl

Ein Fehlschluss wäre es nun aber, die jüngste schlechtere Wertentwicklung einiger ESG-Investments zum Anlass zu nehmen, um die Sinnhaftigkeit von ESG im Investmentprozess gänzlich infrage zu stellen. ESG-Informationen sollten vielmehr als komplementäre Faktoren betrachtet werden, deren Integration in die Analyse parallel zu finanziellen Kriterien ökonomisch sinnvoll ist – bspw., um die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen besser beurteilen zu können.

Wie relevant ESG-Informationen sein können, verdeutlicht das Beispiel einer einfachen Anlagestrategie, die systematisch in diejenigen globalen Aktien investiert, die die höchsten MSCI ESG-Rating-Scores aufweisen – Unternehmen also, die ihre materiellen ESG-Risiken und -Chancen besonders gut managen. Unternehmen, denen das besonders gut gelungen ist, zählten in den vergangenen Jahren zu den Outperformern an den Märkten:

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Management materieller ESG-Chancen und Risiken auch in Zukunft von Bedeutung

Unternehmen und Investoren, deren Interessen im Erhalt und Wachstum von Vermögenswerten liegen, dürfte die kontroverse US-Debatte mehrheitlich befremden.

Dass das Risikoumfeld für Unternehmen auch in Zukunft herausfordernd sein wird, darauf weist der jährliche Risikobericht des Weltwirtschaftsforums in diesem Jahr erneut hin. Unter den Top-5-Risiken auf Sicht der kommenden zehn Jahre dominieren einmal mehr die Nachhaltigkeitsrisiken: Vier davon zählen zum Umweltbereich mit „Extremwetter“, „Veränderung der Systeme“, „Biodiversitätsverlust“ und „Ressourcenknappheit“.

Das Risiko „Fehl- und Desinformation“ stammt aus dem sozialen Bereich. Gleichzeitig gilt es, die Chancen nicht aus den Augen zu verlieren. Denn Unternehmen, die in saubere Technologien, soziale Innovationen oder effektive Governance-Modelle investieren, eröffnen oft neue Märkte und haben Wettbewerbsvorteile.

ESG-Megatrends wie die globale Dekarbonisierung oder die alternde Bevölkerung erfordern massive Investitionen, können aber auch zu neuen Anlagechancen führen bei Unternehmen, die sich ambitionierte Ziele setzen, ihre Geschäftsmodelle anpassen und über ein zukunftsfähiges Produktportfolio verfügen.

Daniel Sailer, CESGA, leitet das Sustainable Investment Office der Metzler Asset Management.

Dr. Philipp Finter, CESGA, verantwortet im das Sustainable Investment Office der Metzler Asset Management die nachhaltige Investmentstrategie und die Integration von ESG-Indikatoren im Portfoliomanagement.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück, satte38 Jahre alt, findet sich hier.

Von Autoren des Bankhauses Metzler sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONSINDUSTRIES erschienen:

US-Kulturkampf um ESG befremdet europäische Investoren:
You gotta fight for your Right to Sustainability
von Dr. Philipp Finter und Daniel Sailer, 22. Juli 2024

Am 13. Juni im MainNizza in Frankfurt:
Metzler Insight: „Corporates 2023“
Christian Remke, 3. Mai 2023

Am 13. September im Flughafen:
Metzler Insight: „Corporates 2022“
von Christian Remke, 22. August 2022

Von Wettbewerb, Zugzwang und Regulierung
von Jan Rabe, 9. Dezember 2021

Niedrigzins und Liability Driven Investment:
Passt das zusammen?
von Martin Thiesen, in der Tactical Advantage Vol 6., im April 2021

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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