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IVS-Aktuare fordern stärkere Berücksichtigung der bAV-Spezifika im deutschen Aufsichtsrecht:

„Wo ist der Arbeitgeber?“

 

Deutschlands Aktuare stehen auch in der bAV vor Herausforderungen. Die größte ist dabei zweifellos, die Auswirkungen der anhaltenden Niedrigzinsen auf Arbeitgeber und EbAV zu bewältigen. Daneben sorgen die Umsetzung des BRSG, die geplante Einführung der säulenübergreifenden Renteninformation und nicht zuletzt neue Regulierungsvorgaben für viel Arbeit in Aktuariaten und Beratungshäusern. Die zahlreichen Baustellen eröffnen aber auch neue Gestaltungsspielräume. Friedemann Lucius und Stefan Oecking nehmen für das IVS Stellung.


 

Die größten dieser neuen Baustellen finden sich derzeit in der praktischen Umsetzung der EbAV-II-Richtlinie. Dabei gilt es, die drei neuen Schlüsselfunktionen „Interne Revision“, „Unabhängige Risikocontrolling-Funktion“ und „Versicherungsmathematische Funktion“ (VMF) in das bestehende Risikomanagementsystem zu integrieren und das Zusammenwirken der VMF mit dem Verantwortlichen Aktuar zu synchronisieren.

 

Stefan Oecking (l.) und Friedemann Lucius am Rande der diesjährigen IVS-Tagung in Köln. Foto: Vollmer.

Gerade für kleinere EbAV wird es sicher nicht einfach werden, die VMF sowie die beiden anderen neuen Schlüsselfunktionen personell zu besetzen. Von daher war es eine vorausschauende Entscheidung des Gesetzgebers, mit der VAG-Novelle Anfang 2019 den EbAV die Möglichkeit zu geben, dass die VMF vom Verantwortlichen Aktuar übernommen werden kann. Damit wurde dem Proportionalitätsprinzip auch im Interesse der Kassen angemessen Rechnung getragen.

 

Die Aktuare stehen in den Startlöchern, um das alles umzusetzen. Doch dafür müssen zunächst die konkreten Auslegungsschreiben zur EbAV-II-Richtlinie durch die BaFin veröffentlicht werden. Als IVS – Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. rechnen wir bis Jahresende mit zwei BaFin-Rundschreiben, die auf untergesetzlicher Ebene die neuen Aufsichtsvorgaben zur eigenen Risikobewertung und zur Geschäftsorganisation (MaGo) konkretisieren.

 

Bereits heute zeichnet sich ab, dass diese Rundschreiben eher prinzipienbasiert sein werden. Damit ist es auch an uns Aktuaren, die vorhandenen Spielräume zu gestalten.

 

EIOPAs Streben nach Vereinheitlichung

 

Insbesondere bei der Bewertung der versicherungstechnischen Risiken im Rahmen der eigenen Risikobewertung sehen sich die Aktuare mit den Bestrebungen von EIOPA konfrontiert, die Modellansätze zu vereinheitlichen.

 

Common Framework“ heißt die Marschrichtung, die EIOPA zur Anwendung empfiehlt und für seine Stresstests bereits verbindlich vorgibt. Im Ergebnis werden dabei zweitwertbasierte Risikomesszahlen ermittelt, bei denen sich die Frage stellt, ob und inwieweit sie die Besonderheiten einer nach HGB-Buchwerten gesteuerten Versorgungseinrichtung angemessen abbilden können. Hier treffen grundlegend verschiedene Steuerungsansätze aufeinander, die nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar sind. Wir Aktuare nehmen in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufklärungs- und Vermittlerrolle ein. Wir können darstellen, was das „Common Framework“ leisten kann und was es nicht leisten kann und für was man es daher auch nicht verwenden darf.

 

Aufsichtsrecht durch arbeitsrechtlichen Dreiklang der bAV ergänzen

 

Genauso sind die Pensionsaktuare in den kommenden Jahren gefordert, die vorhandenen Ansätze für die Risikosteuerung und das aktuarielle Controlling von Pensionskassen und Pensionsfonds weiterzuentwickeln. Zwar sind diese Einrichtungen der bAV mit Unternehmen der privaten Lebensversicherungswirtschaft vergleichbar, insoweit sie ihre Leistungen versicherungsförmig garantieren.

 

Doch die Geschäftsmodelle unterscheiden sich in einem ganz entscheidenden Punkt: Während bei Lebensversicherern zumeist eine 1:1-Beziehung zwischen Versicherer und Endkunde besteht, gibt es bei den EbAV noch einen dritten maßgeblich Beteiligten: den Arbeitgeber, der die Leistungen zusagt und für die Erfüllung einsteht. Das ist ein Unterschied von großer Tragweite, der in der öffentlichen Debatte um die aufsichtsrechtlichen Regularien für EbAV bisweilen aus dem Blick gerät.

 

Leider spiegelt das aktuelle Aufsichtsrecht diese Realität nur unzureichend wider. Denn das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) kennt als maßgebliche Stakeholder den Versicherer, den Versicherten und den Versicherungsnehmer. Es stellt also primär auf das Versicherungsverhältnis ab. In der betrieblichen Altersversorgung geht es aber um mehr. Der Versicherungsnehmer ist nicht nur Beitragszahler, sondern vor allem Arbeitgeber, der die versicherten Leistungen zusagt und dafür einstehen muss. Der Versicherte wird dadurch zum Versorgungsberechtigten, aus dem Versicherungsverhältnis wird ein Versorgungsverhältnis.

 

Es geht in der bAV eben nicht nur um die Belange der Versicherten, sondern auch um die der zusagenden Arbeitgeber. Die Herausforderungen, vor denen die EbAV derzeit insbesondere wegen des Niedrigzinses stehen, können nur mit Hilfe der Arbeitgeber bewältigt werden. Auch vor diesem Hintergrund hätte es das IVS begrüßt, wenn der Gesetzgeber die Umsetzung der EbAV-II-Richtlinie genutzt hätte, um ein eigenes Aufsichtsrecht für EbAV zu schaffen. Dieser Zug ist aber erst einmal abgefahren.

 

Nichtsdestotrotz sind wir im intensiven Austausch mit der Aufsicht, um für ein EbAV-Aufsichtssystem zu werben, in dem neben den individuellen Interessen der versicherten Arbeitnehmer auch die Interessen der versicherungsnehmenden Arbeitgeber und des gesamten Kollektivs gegeneinander abgewogen und angemessen berücksichtigt werden. Nach unserer Vorstellung sollte der aufsichtsrechtliche Dreiklang „Versicherer – Versicherter – Versicherungsnehmer“ um den arbeitsrechtlichen Dreiklang „EbAV – Arbeitnehmer – Arbeitgeber“ erweitert werden.

 

Sozialpartnermodell und Renteninfo jetzt mit Leben füllen

 

Daneben sind wir Pensionsaktuare in zwei großen Regierungsvorhaben gefordert. Zum einen muss das Anfang 2018 in Kraft getretene Betriebsrentenstärkungsgesetz mit der reinen Beitragszusage mit Leben gefüllt werden, um die Verbreitung der bAV zu fördern. Die Aktuare sind maßgeblich daran beteiligt, Lösungen für Produkte zu entwickeln, die einerseits auf Garantien verzichten und andererseits dem Sicherheitsbedürfnis der Arbeitnehmer Rechnung tragen.

 

Zum anderen werden die Aktuare ihr Fachwissen und ihre langjährige Expertise im Umgang mit großen, sensiblen Datenmengen in die Einführung der Säulenübergreifenden Renteninformation einbringen. Diese kann zweifellos nicht alle Probleme unseres Rentensystems lösen, aber die Bürgerinnen und Bürger erhalten damit schrittweise einen transparenteren Einblick in ihre eigene Versorgungssituation, womit schon viel gewonnen wäre. Sicherlich wird sich dieses Projekt nicht von heute auf morgen umsetzen lassen, aber wir müssen jetzt starten, um in einigen Jahren am Ziel anzukommen.

 

Diese Aufzählung der größten Baustellen zeigt kurz und knapp: Auch im Pensionswesen gibt es viele Baustellen, die viel aktuarielles Know-how verlangen. Uns wird als Pensionsaktuaren in den kommenden Jahren also sicher nicht langweilig.

 

Die Autoren:

 

Friedemann Lucius.
Stefan Oecking.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedemann Lucius ist Vorstandsvorsitzender, Stefan Oecking ist stellv. Vorstandsvorsitzender des IVS – Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. in Köln. Im Nachgang zur diesjährigen IVS-Tagung im September in Köln haben sie gemeinsam den vorliegenden Beitrag für LEITERbAV verfasst.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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