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Julia Wiens vor dem GDV:

Warnung vor dem Blindflug

Die neue Chefaufseherin für deutsche Versicherer, Pensionskassen und -fonds war in Berlin zu Gast, sprach über die Lage der Assekuranz, sieht keinen Grund zur Panik, mahnt aber zu gewisser Wachsamkeit – doch spielte die bAV gar keine Rolle?

Berlin-Mitte, 20. März: Julia Wiens, die noch recht neue Exekutivdirektorin Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin, hält bei Insurance Summit des GDV am 20. März in Berlin eine Rede, in der sie die aktuellen Aufsichtsprioritäten erläutert.

Vorneweg: Worte wie Pensionskasse, Pensionsfonds vor oder gar bAV tauchen in ihrer Rede nicht auf. O-Ton Wiens: „Meine Aufmerksamkeit gilt natürlich in erster Linie der Versicherungsbranche.“

Julia Wiens, BaFin. Foto: BaFin Matthias Sandmann.

EbAV an sich sollten sich gleichwohl angesprochen fühlen, schlägt der Chronist vor – nicht nur, weil auch Versicherer Pensionskassen und -fonds betreiben, sondern weil die Herausforderungen, vor denen EbAV stehen, sich durchaus mit denen der Assekuranz überschneiden.

Im Folgenden seien einige Aspekte der Rede Wiensens herausgestellt (leicht gerafft):

Stornorisiken

Das Thema Storno hatte uns Sorgen bereitet. Vermehrte Stornos hätten zu Liquiditätsengpässen bei den Versicherern führen können. Dann hätten sie vielleicht Wertpapiere verkaufen müssen, deren Kurs durch den Zinsanstieg unter Druck stand. Sie hätten stille Lasten realisieren müssen. Bislang können wir hier Entwarnung geben. Das Storno hat sich bisher nicht dauerhaft erhöht.“

Das ist die Sache Fristentransformation, die im Zuge des schnellen Zinsanstieges akut geworden ist, weniger aber für Versicherer, noch weniger für EbAV, sondern v.a. für Banken. Denn: Jeden Morgen steht irgendwo einer auf und will von der Bank sein Geld wiederhaben.

Insofern kann Wiens für die Assekuranz hier als erstmal besagte Entwarnung geben, und verstärkt dürfte das für EbAV gelten. Hier steht mit Blick auf Fixed Income die Bonität im Vordergrund (dazu unten mehr), nicht Storno.

Private Markets

Unseren Schätzungen zufolge machten Private-Equity- und Private-Debt- Anlagen 2023 rund 10% der Kapitalanlagen aus. Bei einigen Versicherern lag der Anteil deutlich höher. Stille Lasten und illiquide Anlagen können es jetzt erschweren, Kapital in höher verzinsten Papieren anzulegen. Die dabei anfallenden Verluste muss man sich schließlich erstmal leisten können. Dabei hilft, dass die Zinszusatzreserve nicht mehr aufgebaut werden muss. Hier ergeben sich Spielräume durch die Auflösung.“

Private Markets, geringere Transaktionshäufigkeiten, Bewertung daher unklarer als bei Public – doch hört an sich um, so wirkt die Asset-Klasse aber alles in allem trotz des Zinsanstieges recht stabil. Besonders Private Debt scheint gerade eher gefragt. Wichtiger ist das Folgende:

Real Estate

Aktuell liegt unser Fokus auf den Risiken aus Anlagen in Gewerbeimmobilien. Im QIII 2023 haben Gewerbeimmobilien 8% der Kapitalanlagen ausgemacht. Die Lage in diesem Markt ist sehr schwierig. Die Preise sinken auf breiter Front. Die Kreditqualität von Gewerbeimmobilienfinanzierungen verschlechtert sich. Damit sinkt auch die Werthaltigkeit der Sicherheiten. Aber wir sehen auch: Die Bewertungsreserven in den Immobilienportfolios der Versicherer sind noch sehr hoch. Insgesamt schätzen wir das Risiko aus Bewertungsänderungen daher als beherrschbar ein.“

Gewerbeimmobilien, das ist ein Thema in Deutschland und Europa, v.a. aber in den USA. Der Redaktion ist bekannt, dass die Anstalt auch schon einzelne EbAV diesbezüglich genauer angeguckt hat – und vermutlich im Auge behält.

Die BaFin in Frankfurt am Main. Foto: Kai Hartmann.

Konkret spricht Wiens hier den Fall Signa an:

Derzeit scheint uns selbst bei einem vollständigen Ausfall der Investments weder die Risikotragfähigkeit der Unternehmen noch die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verpflichtungen gefährdet. Aber dieser Fall zeigt v.a. eines: Bei Investments, die in der Niedrigzinsphase sinnvoll und nötig waren, um höhere Erträge zu erzielen, können sich nun, etwa, weil sich das wirtschaftliche Umfeld geändert hat, Risiken manifestieren. Auch wenn ein Ausfall verkraftbar scheint: In Einzelfällen könnte es schon zu Auswirkungen bei der Überschussbeteiligung kommen.“

Bonität

Hier nun das Thema Bonität, das alle gleichermaßen betrifft:

Natürlich behalten wir angesichts der schwachen Konjunktur generell die Kreditrisiken im Blick; also auch die Private Debt-Investitionen der Versicherer. Mir ist v.a. eines wichtig: dass Sie die Risiken angemessen managen. Das bedeutet, dass Sie die Geschäftsmodelle der Unternehmen verstehen müssen, für die ihre Private Debt-Fonds Fremdkapital bereitstellen. Wir erwarten, dass Sie sich nicht blind auf die Angaben Ihrer Asset Manager verlassen.“

Das, was Wiens hier einfordert, sollte für jeden verantwortlichen Investor eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

IT

Schließlich IT. Dass diese in ihrer immer stürmischeren Entwicklung Risiken für Investoren aufwirft, die immer schwerer unter Kontrolle zu halten sind, macht der Aufsicht ausdrücklich und nachvollziehbar Sorge – auch wenn sie angesichts der ständig steigenden Komplexität der Materie auch nicht viel mehr machen kann, als diese Sorgen schlicht zu äußern.

Und wenn Wiens beklagt:

Es kann nicht sein, dass Anwendungen auch langfristig noch auf Programmiersprachen beruhen, mit denen sich heute niemand mehr wirklich auskennt.“

dann kann Chronist bestätigen, dass er aus eigener Anschauung Fälle kennt, in denen eben das der Fall ist: IT-Systeme in längst verklungenen Programmiersprachen, teils selbstgebastelt und längst mit krakenhaften Strukturen, betreut von wenigen, älter werdenden Mitarbeitern, die die letzten sind, die sich damit noch auskennen, aber zunehmend in Rente gehen, und die von der Unternehmens-HR gehegt und gepflegt und ständig umgarnt werden müssen, damit sie bloß nicht das Haus verlassen … Unternehmensgedächtnis pur – im eher negativen Sinne.

Die Rede Wiensens mit dem Titel „Die deutschen Versicherer sollen weiter stabil bleiben“ findet sich hier.

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