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Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

„Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Salbungsvolle Worte, fauler Zauber, gemeinsam auf der Rutschbahnund ein Jobangebot, dass man nicht ablehnen kann.

 

Handelsblatt (26. Juli): „Bundesbank-Präsident mahnt entschlossenes Vorgehen gegen Inflation an.“

 

Finanzen.net (26. Juli): „Bundesbank-Präsident mahnt entschlossenes Vorgehen gegen Inflation an.“

 

Boerse-online (26. Juli): „Bundesbank-Präsident mahnt entschlossenes Vorgehen gegen Inflation an.“

 

Kassandra hat die Aussagen Jens Weidmanns, des einsamsten Zentralbankers aller Zeiten, ob ihres Gehaltes stets kritisch hinterfragt (s. hier und hier).

 

Weidmann ist bekanntlich Geschichte, und nun ist die Reihe an seinem Nachfolger Joachim Nagel. Nun, erst vergangene Woche hatten zahlreiche Medien und auch Kassandra über die kommende QE-Fragmentierung berichtet, deren Folgen für WWU und Euro gar nicht überschätzt werden können. Die Mini-Zinsanhebung, die zeitgleich erfolgte, ist (solange QE existiert) kaum der Rede wert – wenn auch die meisten Medien sich fehlerhaft vor allem darauf konzentrierten.

 

Nun hat sich Nagel geäußert, und Kassandra hat sicherheitshalber in mehreren Medien nachgelesen, doch ist zum immer gleichen Ergebnis gekommen: Ein Zitieren von Nagels Aussagen lohnt die digitale Druckerschwärze nicht, man kann sie getrost als salbungsvolle Worte bezeichnen. Und vor allem: Zum jüngsten Endspiel-Meilenstein der EZB, der QE-Fragementierung, verliert der Bundesbankpräsident offenbar kein Wort.

 

Prognose schon jetzt: Wie in der Vergangenheit ist auch für die immer wilder werdende Zukunft des EZB-Handels von der Bundesbank nichts zu erwarten, was irgendwie als eine ordnungspolitische Weichenstellung in Richtung Stabilität interpretiert werden könnte – außer salbungsvollen Worten halt.

 

 

 

Bild (28. Juli): „Amis holen die Zins-Keule raus – Fed-Chef Powell löst Kurs-Rally aus.“

 

Ein altes kassandrisches Axiom lautet, dass die USA aufgrund ihrer privilegierten geopolitischen Lage, ihrer Wirtschaftskraft, ihrer geschickten Industrie- und einigermaßen passablen Ordnungspolitik wohl als einziger Akteur die Möglichkeit haben, auf zwar turbulente, aber konventionelle Weise aus der Politik des billigen Geldes auszusteigen.

 

Insofern kommt nicht unbedingt überraschend, dass die USA sich auf diesen konventionellen, wenn auch steinigen Weg des Ausstiegs machen. Was aber zumindest Kassandra sehr überrascht, das sind Tempo unKonsequenz, mit denen die Amerikaner hier einsteigen. Bemerkenswert auch, wie positiv die Börsen zumindest gestern reagierten. Vielleicht ist Stabilität doch ein Wert an sich – auch an der Börse?

 

Übrigens kommt die EZB mit jedem Fed-Schritt unter weiteren Zugzwang, und vielleicht wird auch sie weitere Schritte unternehmen. Doch täusche man sich nicht, und lasse man sich nicht täuschen: Solange QE weitergeht, erst recht fragmentiert, kann von einem Tapering der EZB trotz etwaiger Zinsschritte keine Rede sein.

 

 

 

FAZ (28. Juli): Hochpunkt erreicht? Inflation in Deutschland sinkt im Juli auf 7,5 Prozent.“

 

Die Inflation zieht sich zurück. Wie wunderbar. Bitte nur nicht übersehen, dass der jetzt zu beobachte Rückgang – abgesehen von der Frage der Nachhaltigkeit desselben – nichts anderes bedeutet, als dass die Geldentwertung weiter fortschreitet, nur die Geschwindigkeit der Entwertung abnimmt. Und zweitens beachte man, dass jede gemeldete Inflation immer auf der Geldentwertung des vorherigen Beobachtungszeitraumes aufsetzt. Solange keine Deflation auftritt, bleiben alle Inflationen, die seit der letzten Deflation aufgetreten sind, in der Welt und kumulieren sich (wie bei dem achten Weltwunder Zinseszins) auf.

 

Simples Beispiel: Ein Preisniveau sei bei fiktiven 100. In einem Beobachtungszeitraum liege die Inflation bei 10%. So erreicht das Preisniveau 110. Sinkt dann im folgenden Zeitraum die Inflation um 50%, liegt das Preisniveau danach bei 115,5 entsprechend 5,5 Punkte höher – trotz des Rückgangs der Inflation um 50%.

 

Wenn die Medien also jetzt hier durch die Bank nicht „Hurra, Entwarnung“ schreien, dann ist das richtig.

 

 

 

Institutional Money (6. Juni): „Insti Money Kongress – das Comeback – mit Fotogalerien!“

 

Im Kern geht es hier und heute und wie immer bei Kassandra ja um die Geldpolitik. Viel von dem, was wir hier seit 2008 sahen und sehen, liegt etwas zugrunde, was eine Theorie sein will, aber nichts ist als primitivster fauler Zauber: die sog. „Modern Monetary Theory“ MMT.

 

Doch auch hinter jedem faulen Zauber stehen Köpfe. Mit Stephanie Kelton hat die Insti Money offenbar jüngst einer Dame Ehre und Bühne gegeben, die von dem Magazin als „Galionsfigur der MMT“ tituliert wurde.

 

Wie die Insti Money in einem Tonfall berichtet, demzufolge ihr die Aussagen Keltons offenbar selbst nicht ganz geheuer scheinen, soll die Dame in ihrem Vortrag die Frage (ohne sie freilich zu beantworten) in den Raum gestellt haben, ob vielleicht steigende Leitzinsen die Inflation nicht eindämmen, sondern vielmehr erst recht befeuern? Der „Gedanke“ dahinter: Steigende Zinsen bedeuten höhere Refinanzierungskosten, die dann an den Kunden weitergegeben werden.

 

Höhere Zinsen führen zu höherer Inflation? Kommt einem das bekannt vor? Ja, durchaus. Der LbAV-Redaktion liegen keine Informationen vor, ob und inwieweit Stephanie Kelton einen Job hat. Falls nein, sei ihr diese Adresse hier angeraten, sich um einen höheren Posten zu bewerben. Bei ihrem dann obersten Dienstherren dürfte ihre Art zu denken und zu fragen jedenfalls auf Wohlwollen treffen.

 

 

 

Wallstreet Online (1. Juli): „Finanzmärkte verlieren 31 Billionen Dollar seit Anfang 2022!“

 

Die Finanzmärkte (nur Aktien und Anleihen, aber noch zzgl. Krypto) sollen im ersten Halbjahr sagenhafte 31 Bio. USD an Marktkapitalisierung verloren haben.

 

Ist es nicht bemerkenswert, mit welchem Tempo und mit welchen geringen Zinsanhebungen eine über 15 Jahre aufgeblasene Asset Inflation sich in Monaten sichtlich zurückdrücken lässt? Wenn es doch nur mit der Verbaucherpreisinflation – die immer der Asset Inflation hinterherhinkt – auch auch so einfach wäre…

 

Jedenfalls ist der bisher erreichte deflationäre Effekt bemerkenswert – der übrigens über schrumpfende Vermögen privater (aber auch institutioneller ) Akteure nebenbei dämpfend auf die Verbraucherpreisinflation wirkt.

 

Bemerkenswert ebenfalls, so sei wiederholt, dass viele, fast alle Kapitalmärkte weltweit und über alle Asset-Klassen hinweg in den letzten Wochen dermaßen viel Luft abgelassen (und damit grundsätzlich auch an Stabilität gewonnen) haben, ohne dass es bei Anlegern, Sparern, Politik, Medien, Öffentlichkeit etc. hier nun zu ernsthaften Panikerscheinungen gekommen wäre. Alles in allem zeigt sich hier durchaus eine gewisse System-Stabilität. Ob das so bleibt, wird man sehen, macht aber etwas Hoffnung. Und es sei erinnert: Schon während der Corona-Krise haben wir gesehen, dass die ökonomischen Systeme doch sichtlich resilienter sind, als man angesichts der Schwere der Eingriffe befürchten musste.

 

Das soll jedoch nicht zu optimistisch klingen. Gerade für Deutschland und Europa sollte man nicht davon ausgehen, dass das Zusammenwirken von erratischer Geldpolitik und Energiekrise dauerhaft ohne Depression vorbeigeht, im Gegenteil. Dazu passt das Folgende:

 

 

 

Die Welt (26. Juli): „Zehn Tage kein Gas aus Russland – danach sind drei Szenarien möglich.“

 

Die Welt hat analysiert, was passiert, wenn die deutsche Industrie zehn Tage ohne Gas bleibt. Sehr gut. Begrüßenswert ist jeder Beitrag, der deutlich macht, dass es in der Energiefrage um sichtlich mehr geht als um kalte Wohnungen, schnell duschende Minister oder horrende Heizkosten – sondern um Wohl und Wehe des Industriestandortes Deutschland.

 

Man sollte sich aber auch vor Augen halten, dass die Sache auch anders weitergehen kann als mit besagten zehn Tagen. Fakt ist, dass Russland sich in einen Krieg geritten hat, bei dem die Ukraine zerstört wird und ganz Europa ins Taumeln gerät, der aber auch das ohnehin debile Russland selbst, das in diesem Krieg nicht mehr vor und zurück kommt, an den Rand der Agonie führen könnte.

 

Insofern erinnern Lage und Perspektive der Russen an das Afghanistan-Desaster, dass die Sowjetunion in den 80ger Jahren durchgemacht hat, als sie gegen die Mudschahedin, die ebenfalls von den USA geschickt unterstützt wurden (z.B. erste Generation Stinger, legendär), kein Rezept fand außer sinnloser Brutalität – und darüber selber vor die Hunde ging.

 

Die Sowjetunion vermisst hoffentlich niemand, doch zeigt der damalige Feldzug, dass das traditionell unendlich leidensfähige Russland den Karren, wenn er einmal in den Dreck gefahren ist, gern auch zehn Jahre weiter durch ebendiesen Dreck zieht. Jedenfalls sollte niemand damit rechnen, dass Russland, sollte es die offenkundige Ausweglosigkeit seines Ukraine-Desasters irgendwann erkennen, daraus schnell die richtigen Konsequenzen ziehen wird. Insofern würden diejenigen, die in Deutschland in der Verantwortung sind, sicher keinen Fehler machen, wenn sie nicht nur industriepolitische Szenarien mit zehn Tagen ohne Gas durchdenken, sondern auch mit zehn Jahren.

 

Am Rande: Man könnte nun einwerfen, dass die Sowjetunion zehn Jahre ohne Sinn und Verstand in Afghanistan operiert habe, die NATO jedoch zwanzig. Das ist richtig, und auch das NATO-Engagement war vom ersten Tag an nichts anderes als mikrozephal. Der Unterschied ist jedoch: Anders als die Sowjetunion hat der Westen sein Afghanistan-Engagement aus der demographischen, finanziellen, ökonomischen und militärischen Portokasse bezahlt, wenn überhaupt. Für die Sowjetunion war es dagegen nicht weniger als einer der entscheidenden Sargnägel. Das war damals der Unterschied, und das ist er heute.

 

 

 

Die Welt (26. Juli): „IWF sieht Welt kurz vor Rezession – und Deutschland ist der größte Verlierer.“

 

Wir bleiben beim Thema: Nun, man muss wohl kein Volkswirt, kein Einstein und kein IWF sein, um das zu wissen, was dort herausgefunden wurde. Kassandra verweist seit jeher auf das Zusammenwirken von – möglicherweise auch zeitlich zusammenfallendem – demographischem und geldpolitischem Zusammenbruch Deutschlands (um nur die zwei größten Baustellen zu nennen), und seit Februar verstärkt der Krieg im Osten u.a. samt damit einhergehender Energiekrise die fatale Abwärtsdynamik für die außerordentlich hochentwickelte und damit besonders empfindliche Industrienation Deutschland weiter.

 

Dass die also unter erheblichem Druck stehende, rohstoffarme Alt-Industrienation Deutschland Atom- und Kohlekraftwerke dabei ohne zu zögern gleich im Dutzend abschaltet (seit 2016 ca. 20 GW, falls Kassandra noch einen richtigen Überblick hat, 4 GW folgen dieses Jahr) kann man mit Fug und Recht annehmen: Die Sache wird nicht gut ausgehen.

 

Aber man mache nicht den Fehler, das Problem auf Deutschland zu begrenzen. Jeder in Europa sollte sich im klaren sein: Wenn Deutschland in eine Depression rutscht, und das möglicherweise für viele, viele Jahre, dann rutschen alle anderen mit! Egal ob Technologie, Nachfrage, Rettungsschirme, Corona-Pakete, Target-Salden und und und und was auch immer, der ganze Kontinent hängt am deutschen Tropf. Dazu muss man sich nur vor Augen halten, welche Rolle allein der Volkswagen-Konzern als Technologietreiber in Ländern wie Spanien oder in der Tschechischen Republik spielt.

 

Und keines der Euroländer steht strategisch besser da als Deutschland: Sie sitzen in der gleichen insuffizienten Währungsunion, von der sie noch abhängiger sind als die Deutschen, sind industriell und technologisch noch schwächer, und alle Euroländer gemeinsam werden in 15 Jahren sämtlich große Altersheime sein.

 

Um sich zu vergewissern, was ein Absturz Deutschlands (der natürlich nicht ausgemacht, aber angesichts der Lage alles andere als ausgeschlossen ist) für Europa, namentlich für Südeuropa bedeutete, muss man nur in die jüngere Vergangenheit blicken:

 

Mallorca, Frühling 2021: Kaum waren die Touristen und Immobilien-Käufer infolge Lockdowns für ein paar Monate ausgeblieben, brachte die Wirtschaft der hochpreisigen, ökonomisch und technologisch aber grenzdebilen Balearen ruckzuck Suppenküchen und Armutsprostitution hervor (der Autor konnte beides damals live besichtigen – natürlich ohne bei beidem persönlich die Probe aufs Exempel zu machen).

 

Und damals ging es nur um ein paar Monate Lockdown. Jetzt reden wir von einer möglicherweise jahrelangen Depression.

 

Fazit: Kommt Deutschland ins rutschen, rutschen alle anderen mit. Auf Europa kommen spannende Zeiten zu, und wenn es schlecht läuft für Europa, dann gilt für uns alle das, was Johann Wolfgang v. Goethe nach der Kanonade von Valmy schrieb:

 

Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus. Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“

 

Na, immerhin.

 

Kassandra bei der Arbeit.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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