Kann ich Dir noch in die Augen schauen, Kleines? Diese Frage stellen die deutschen Aktuare derzeit, wenden sich nach kurzer Zeit erneut an die Politik und mahnen wiederholt dringende Reformen an, fordern gar eine echte Agenda. Parallel dazu werden die Nachrichten von den deutschen Rentenbaustellen weiter schlechter. Und: Wer ständig über der Erde bleiben will, und wer mal wieder recht behalten hat. Heute ist nämlich Freitag.
Die Deutsche Aktuarvereinigung hat sich erneut in Sachen Vorsorge an die Politik gewandt, und ihr Ton wird mittlerweile sichtlich schärfer.
Angesichts der schon lang absehbaren Demographie und dem parallelen Ausbleiben grundlegender Reformen begrüßt die DAV zwar ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung zu einer Rentenkommission – erkennt aber offenbar die damit offen drohende Gefahr des endlosen Kommissionierens und mahnt: „Entscheidend ist nun: keine Verzögerungen, keine Denkverbote – und kein bloßes Verwalten.“
Augen auf und durch statt weiteres Weiter-so
DAV-Chefin Susanna Adelhardt selbst wird noch konkreter und formuliert: „Es zählt jetzt nur noch eins: machen – jetzt.“ Zum wiederholten Mal mahnt sie sie „Mut“ an – und Eile auch:
„Die Rentenkommission muss schnell eingesetzt werden. Es gilt, jetzt zu handeln, damit wir unseren Kindern auch beim Thema Alterssicherung noch in die Augen schauen können.“

Die DAV betont: Bereits im Koalitionsvertrag ist verankert, dass die Kommission die Alterssicherung gesamthaft in den Blick nimmt – also nicht nur die umlage- und steuerfinanzierte 1. Säule, sondern das Zusammenspiel mit den kapitalgedeckten beiden anderen, also bAV und pAV. „Doch ohne konkrete und klare Zielvorgaben besteht die Gefahr, dass sich die Kommission auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt, der faktisch ein ‚Weiter so‘ bedeutet und künftige Beitrags- und Steuerzahler in erheblichem Umfang belastet“, warnt Adelhardt und fordert: „Vorschläge für mutige und zugleich nachhaltige Reformen müssen auf den Tisch!“
„Agenda 2035 für die Alterssicherung“
Der Blick der DAV in die nahe Zukunft: Spätestens 2035, wenn alle geburtenstarken Jahrgänge in Rente sind, müsse eine zukunftsfeste und stabile Alterssicherung etabliert sein.
Das heißt, „das Land braucht deshalb eine klare ‚Agenda 2035‘ für die Alterssicherung: ein langfristiges Zielbild, das die notwendigen Weichen stellt, um der steigenden Zahl an Rentenbeziehern verantwortungsvoll zu begegnen und die Belastungen zwischen Beitragszahlenden, Leistungsbeziehenden und dem Staatshaushalt generationengerecht zu verteilen“, so gendert die DAV nur halb korrekt. Diese Agenda müsse klare Parameter, konkrete Handlungsfelder und politische Verbindlichkeit definieren.
Tischlein füll dich
Die DAV hat dabei drei Forderungen für eine tragfähige Alterssicherung:
„1. Jetzt starten – nicht weiter vertagen:“ Rentenkommission mit klarem politischen Mandat unverzüglich einsetzen, diesmal keine Zeit vergeuden.
„2. Ziele definieren – nicht nur prüfen:“ Konkrete Zielgrößen und Maßnahmen, die auch die finanziellen Folgen für die verschiedenen Generationen austarieren, samt systematischer Verknüpfung von Versorgungshöhe und Finanzierungslast.
„3. Alle Optionen prüfen – ohne Denkverbote.“ Besitzstände, steuerliche Anreize, Renteneintrittsalter, Erweiterung der Kapitaldeckung, Freiwilligkeit oder Pflicht – alles müsse auf den Tisch.
Handeln statt wegverhandeln
„Wer Reformen ernst meint, muss sich auch den unangenehmen Realitäten stellen und unbequeme Antworten formulieren“, so Adelhardt, und „populäre kurzfristige Wohltaten von heute sind die Belastungen der nächsten Generation und verletzen jede Definition von Generationengerechtigkeit.“
Denn der demographische Wandel lasse sich nicht wegverhandeln – und genauso wenig mathematisch ignorieren. Eine Agenda 2035 für die Alterssicherung sei nicht nur ein Ziel, sondern Ausdruck gelebter Verantwortung und Solidarität zwischen den Generationen.
Der Stand der Dinge?
Derzeit beherrscht die Politik die Schlagzeilen in Deutschland, doch zur Rente hört man recht wenig (abgesehen von dem akuten DIW-Verzweifelungsvorschlag eines Boomer-Soli).
Immerhin hat laut Angaben von Heubeck der Koalitionsausschuss am 2. Juli eine Rentenreform beschlossen, darin: die (bekanntlich sehr teure) Haltelinie bei der Rentenhöhe, die ebenfalls kostspielige Mütterrente, außerdem Aktiv- und Frühstartrente und auch: das BRSG 2.0. Dieses soll nun im Herbst zusammen mit Aktiv- und Frühstartrente im Kabinett beschlossen und – man höre und staune – schon zum 1. Januar umgesetzt werden. Man wird sehen, denn …
Kassandras Zwischenruf: Blick zurück ohne Zorn
… heute ist Freitag, und an dieser Stelle muss Kassandra sich kurz zu Wort melden: Vor fast drei Jahren, nachdem der BMAS-Fachdialog seine Arbeit aufgenommen hatte, also lange vor dem Entwurf des BRSG 2.0, unkte die Kröte wiederholt, dass es:
„äußert fraglich erscheint, ob die Bundesregierung angesichts der politischen und ökonomischen Multi-Problemlage Deutschlands – absehbare Rezession, nachhaltige Inflation mit der Währung möglicherweise in ihrer Endphase, Energie-Krise gepaart mit ambitionierter Klimarettung und drohender De-Industrialisierung, anhaltender Krieg in Europa, täglich schlechter werdende Demographie bei gleichzeitig sehr dynamischem Migrationsdruck, nur noch mühsam über Wasser gehaltene Sozialsysteme und und und … – noch politische und fiskalische Ressourcen frei haben wird, in der Rente, namentlich in der bAV kleine Baustellen anzufassen – von großen ganz zu schweigen […] Und stets bedenke man: Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung in dieser Problemlage; das, was wir heute sehen, sind die guten Jahre. Die schlechten kommen erst noch.“

Nun, zumindest bisher hat die Kröte mal wieder recht behalten. Passiert ist bisher in Sachen BRSG 2.0 nahezu 0,0 (außer der nur taktisch relevanten AnlV-Infraquote). Und leichter geworden ist seitdem für die Politik nichts, gar nichts. Außerdem muss man das Wort „Rentenkommission“ nur hören, schon beschleicht einen das Gefühl von der Never ending Story.
Doch wenn es um Nachhaltigkeit in der Vorsorge geht, bitte nie vergessen, dass die Vorsorge nicht isoliert im Raum steht, sondern massiv interdependent ist; für dieses Land gilt vorneweg das Kassandrische Axiom, dass es …
„…keinem, wiederholt: KEINEM (!) Industrieland auf dem Planeten gelingen wird, unter dem fast überall mehr oder weniger gleichförmig herrschenden demographischen Druck sein Altersvorsorgesystem nachhaltig aufzustellen, wenn es nicht währenddessen wirtschaftlich prosperiert. Eine wachsende, gut aufstellte, florierende Volkswirtschaft ist essenziell für ein nachhaltiges Altersvorsorgesystem. Umgekehrt: kein ökonomischer Erfolg = keine sorglose Altersvorsorge. So und nicht anders lautet die einfache Basisgleichung.“
Deutschland. Am Vorabend Deines demographischen Zusammenbruchs, bedenke stets: Time ist not on your Side!
Männer sterben, Frauen werden alt
Apropos demographischer Zusammenbruch: Passend aktuell dazu die Meldung, dass die Geburtenrate in Deutschland mal wieder auf einem jahrzehntelangen Rekordtief angekommen ist: 1,35 Kinder / Frau.
Und Deloitte Partnerin Claudia Veh, wie Adelhardt Aktuarin, hat gegenüber PENSIONS●INDUSTRIES darauf hingewiesen, dass laut Statistischem Bundesamt die Zahl der über 100-jährigen Menschen im Land ständig zulegt, allein in den letzten drei Jahren von 16.758 (2022) auf 17.197 (2023) und schließlich 17.901 (2024). Und: Das sind v.a. Frauen; ihr Anteil 2024: satte 84%.

Diese Hartnäckigkeit der Frauen, über der Erde zu bleiben, harmoniert nicht so recht zu der Tatsache, dass Frauen i.A. eine geringere Altersversorgung haben als Männer und häufiger von Altersarmut bedroht sind. Für Veh heißt das: „Vor allem bei Frauen muss der Fokus auf Absicherung der Langlebigkeit und ausreichender Altersversorgung liegen, zumal sie häufig länger leben als ihr Ehepartner und ab dem Tod des Ehemanns alleine ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen“. Veh fordert mehr Innovationsfreiheit und Flexibilität vom Gesetzgeber wie von Produktanbietern bei Renten- und Auszahlplänen, die insb. nicht „steuerlich bestraft“ werden.
Go east?
Aktuelle GDV-Daten bestätigen Vehs Aussagen. Demnach erhalten Kerle ca. 50% mehr gRV-Rente als Frauen; allerdings wird der Abstand immer geringer. Aber Frau ist nicht gleich Frau, jedenfalls nicht in der Rente. Wie der GDV weiter vermeldet, gibt es hier erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West – denn im Osten des Landes beträgt der gRV-Gap zwischen Männern und Frauen nicht 50, sondern nur 16%.
Wie dem auch sei: Zu tun haben Frau Bas und Herr Klingbeil – beide bekanntlich fachfremd im Amt – jedenfalls genug.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier. Den Herren dort kann man wenigstens bescheinigen, dass die drei Toten unter ihnen die Vorsorgesysteme ihres Landes nie belastet haben und die beiden noch Lebenden dies wohl nie tun werden.