Wenn am Ende des Entnahmeplans noch Leben übrig ist, steht man irgendwann unbekleidet da. Dieses nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinne gemeinte Bild bemühten Deutschlands Versicherungsmathematiker jüngst, um die Fahne der Verrentung hochzuhalten. P●I-Autor Detlef Pohl war dabei.
7. Mai im Netz, DAV-Pressegespräch. Deutschlands Aktuare sorgen sich angesichts der Diskussionen um den angedachten Riester-Auszahlungsplan bis 85 für das neue Fondsdepot um auskömmliche Alterseinkünfte. Auf der Agenda ihres Pressegesprächs standen u.a: der Themenkomplex rund um Lebenserwartung und Langlebigkeit, Risikoausgleich im Kollektiv, Verrentung. und die besten Rezepte gegen Altersarmut.
Der Gang der Auseinandersetzung
Doch zunächst zur Einordnung der Diskussion: Jüngst erst hatte es auf der Jahrestagung 2024 von DAV und DGVFM Ende April kontroverse Debatten zur Aufweichung lebenslanger Renten bei der Riester-Reform gegeben. Während BMF-Sts Florian Toncar beim neuen Riester-Produkt „Fondsspardepot“ einen Auszahlplan erproben will, dessen Leistungen schon mit 85 enden, plädierte Hans-Joachim Zwiesler, Vorsitzender des Kuratoriums am ifa Ulm, weiter für lebenslange Leistungen, zumal die Lebenserwartung steige, das Risiko des „Wegbrechens“ finanzieller Ressourcen mit zunehmendem Alter zunehme und bei leerem Depot doch der Staat wieder eingreifen müsse.
Die Gefahr sieht auch CDU-MdB Carsten Brodesser, Mitglied im BT-Finanzausschuss, der daran erinnerte, dass der Verrentungszwang schon seit der AV-Reform 2002 beim Start der Riester-Rente eingeführt wurde, um Kürzungen bei GRV-Leistung zu kompensieren.
Das Regelmäßige und das Zusätzliche abdecken
Nun zu besagtem DAV-Pressgespräch vom 7. Mai, auf dem die DAV weitere Argumente für lebenslange Altersleistungen nachschob.
Kernfrage: In einer Welt, in der die Lebenserwartung steigt, ist die Planung für finanzielle Sicherheit im Alter von entscheidender Bedeutung. Doch wie können Menschen sicherstellen, dass sie ihren Lebensstandard auch im Ruhestand aufrechterhalten können? Der Bedarf an finanzieller Absicherung im Alter bleibt hoch, da die Sicherung grundlegender Bedürfnisse wie Wohnen, Essen, Gesundheit, Kommunikation und mehr unerlässlich ist. Hinzu treten Aktivitäten wie Hobbies und Reisen.
Es sei daher entscheidend, finanzielle Strategien zu entwickeln, die sowohl die regelmäßigen Ausgaben als auch die zusätzlichen Bedürfnisse im Alter abdecken, so die DAV.
Happacher: Nackt nach 85?
DAV-Vorsitzender Maximilian Happacher, im Hauptberuf Vorstand der Ergo Leben, hält das Alleinstellungsmerkmal der Lebensversicherung hoch: die lebenslange Rente in der Zusatzvorsorge.
Die häufige Annahme, dass der Absicherungsbedarf in der Rente mit zunehmendem Alter abnehme, „kann ein riskanter Irrtum sein, da neben den Kosten für die Grundbedürfnisse die Ausgaben für Gesundheit, Pflege und altersgerechtes Wohnen oft steigen, je älter man wird“, argumentiert der Aktuar, und „Entnahmesparpläne, die von manchen als Instrument der Absicherung genannt werden, bieten jedoch keinen ausreichenden Schutz.“ Diese würden bis zu einem bestimmten Alter, etwa 85 Jahre, berechnet „und danach steht der Betroffene nackt da“, so Happacher mit einem prägnanten Seitenhieb auf die Entnahmeplan-Idee der „Fokusgruppe private Altersvorsorge“.
Die DAV illustriert dies am Beispiel von heute 67-Jährigen (Jg. 1957). Nach Berechnungen der Aktuare auf Basis der Perioden- und Kohortensterbetafel V1 des Statistischen Bundesamtes leben von 100.000 männlichen Rentenstartern nach dem 85. Geburtstag noch rund 40.000, bei weiter steigender Lebenserwartung sogar 48.000. Von 100.000 Frauen überleben gar 56.000, bei weiter steigender Lebenserwartung sogar über 60.000 ihren 85. Geburtstag:
Abb.: Unterschätzung der eigenen Lebenserwartung am Beispiel einer Frau (67).
Quelle: DAV. Grafik zur Volldarstellung anklicken.
Happacher führt aus: „Angesichts der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Alter von über 85 oder gar 90 Jahren zu erreichen, glücklicherweise sehr hoch ist, endet ein solcher Plan in vielen Fällen zu früh oder deutlich zu früh.“ Man müsse schlicht und ergreifend über das 85. Lebensjahr hinausdenken und seine gesamte potenzielle Lebenszeit absichern. Das gelte insb. für staatlich geförderte Altersvorsorge, deren Ziel es ja gerade ist, Altersarmut zu verhindern.
Daher sei eine lebenslange Rente, die den Vorsorgebedarf im Alter abdeckt, den Lebensstandard sichert und sich typischerweise aus einer garantierten lebenslangen Rente plus möglichen zusätzlichen Überschussbeteiligungen besteht, das Mittel der Wahl, wenn es um staatlich geförderte private Altersvorsorge oder bAV geht. Eine Voraussetzung sei und bleibe die Ausgestaltung im Kollektiv, also der Gemeinschaft mit anderen.
Adelhardt: Lebenslange Rente ist einzig sichere Option
Susanna Adelhardt, stv. DAV-Vorsitzende, im Hauptberuf seit kurzem Vorstandssprecherin der Heubeck AG, ergänzt: „Individuelle Finanzplanungen sind zwar möglich, setzen jedoch Annahmen zur eigenen Lebensdauer und Kapitalanlage-Renditen voraus, die sehr spekulativ sind.“ Daher sei eine kollektive lebenslange Rente die einzig sichere Option.
Es gibt verschiedene Varianten der Rentenzahlung, darunter garantierte Renten sowie zusätzliche Renten aus Überschüssen oder Fonds. „Die garantierte Rente fußt stets auf Basis der kollektiven Kapitalanlage und dem Ausgleich der Lebenserwartung im Kollektiv“, betont Adelhardt. Die zusätzliche Rente kann unterschiedlich ausgestaltet werden. Eine Fonds-Komponente eröffne weitere Renditechancen, werde aber in der Höhe schwanken.
„Jede Option hat ihre Vor- und Nachteile und sollte sorgfältig abgewogen werden“ betont die Aktuarin. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass der Vorsorgebedarf im Alter bis zum Tod besteht, nicht bis zum Ende der angenommenen Lebenserwartung. Nur lebenslange Renten könnten Altersarmut verhindern. Deshalb solle der Staat nur Vorsorgesysteme mit Verrentung fördern. Die Ausgestaltung könne flexibel sein und auch schwankende Renten beinhalten.